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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 19.12.2000
Aktenzeichen: 1 Ws 605/00 -Vollz-
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 19 Abs. 2
Die in der Justizvollzugsanstalt Frankenthal (Pfalz) angewandte "REFA-Haftraumkontrolle" stellt eine taugliche Methode zur Feststellung der Übersichtlichkeit und Durchsuchbarkeit eines Haftraumes dar.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen: 1 Ws 605/00 -Vollz- StVK 533/00 (Vollz) LG Frankenthal (Pfalz) 4509 E-54/00 JVA Frankenthal (Pfalz) Gef.-Buch-Nr. 616/00-3 JVA Frankenthal (Pfalz)

In dem Strafvollzugsverfahren gegen

wegen Einschränkung der Haftraumausstattung,

hier: Rechtsbeschwerde

hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler und die Richter am Oberlandesgericht Maurer und Friemel am 19. Dezember 2000

beschlossen:

Tenor:

1. Die Rechtsbeschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 6. November 2000 wird als unbegründet verworfen, soweit er sich gegen die Anordnung der Justizvollzugsanstalt Frankenthal (Pfalz) wendet, aus seinem Haftraum Gegenstände zu entfernen, die nach der "REFA-Haftraumkontrollliste" eine Gesamtsumme von 783 Zeitwertpunkten ergeben.

2. Der Antrag des Verurteilten, die Justizvollzugsanstalt zu verpflichten, ihm Gegenstände herauszugeben, wird als unzulässig verworfen.

3. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.

5. Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 1 600,-- DM festgesetzt.

Gründe:

Der Antragsteller verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes. Der Vollzug erfolgte zunächst in der Justizvollzugsanstalt Diez. Seit 31. Mai 2000 befindet er sich in Abweichung vom Vollstreckungsplan in der Justizvollzugsanstalt Frankenthal (Pfalz). Am 6. Juni 2000 fand in der Zelle des Verurteilten eine Haftraumkontrolle statt. Unter Anwendung der in der Hausordnung der Justizvollzugsanstalt Frankenthal geregelten "REFA-Haftraumkontrolle" stellte die Anstalt fest, dass eine Übersichtlichkeit des Haftraumes i.S.v. § 19 Abs. 2 StVollzG nicht mehr gegeben sei, und forderte den Verurteilten auf, einige Gegenstände herauszugeben. Dieser Aufforderung kam der Antragsteller nach. Die herausgegebenen Sachen wurden teilweise zur Kammer genommen, teilweise in Absprache mit ihm entsorgt. Die "REFA-Haftraumkontrolle" erfolgt an Hand einer Formularliste, in der die in einem Haftraum übliche Einrichtung und Ausstattung mit einem für jeden einzelnen Gegenstand ermittelten zeitlichen Kontrollaufwand aufgeführt ist. Dieser Kontrollaufwand wurde 1995 von einer Arbeitsgruppe unter Leitung des Ministeriums der Justiz von Rheinland-Pfalz ermittelt und in der "REFA-Zeitwertstudie" niedergelegt, die Grundlage der "REFA-Haftraumkontrolle" ist. Die Summe der für die Ausstattung eines Haftraums ermittelten Punkte darf den Höchstwert von 2 400 Zeitwertpunkten (= 4 Stunden Haftraumkontrolldauer) nicht überschreiten. Im Haftraum des Antragstellers wurde ein Punktwert von 3 183 Zeitwertpunkten ermittelt, weshalb ihn die Vollzugsanstalt aufforderte, Gegenstände mit einer Gesamtsumme von 783 Zeitwertpunkten aus seinem Haftraum herauszugeben.

Hiergegen hat sich der Beschwerdeführer mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewandt. Er beanstandet die Anordnung der Herausgabe, insbesondere die Durchführung der "REFA-Haftraumkontrolle", und begehrt ferner, die Justizvollzugsanstalt zu verpflichten, ihm "Gegenstände im Haftraumbesitz .... zu genehmigen". Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag durch den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen und sich dabei dem Standpunkt der Vollzugsbehörde angeschlossen, dass die Anwendung der "REFA-Zeitwertstudie" ein zulässiges Mittel zur Überprüfung der Kontrollierbarkeit eines Haftraumes sei. Mit seiner rechtzeitig zu Protokoll der Rechtspflegerin des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) eingelegten Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter. Er rügt die Verletzung von formellem und materiellem Recht.

I. Das Rechtsmittel ist zulässig. Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG sind gegeben. Es geht um die Klärung der Rechtsfrage, ob die Haftraumkontrolle nach einem mit Hilfe der "REFA-Zeitwertstudie" ermittelten Punktesystem rechtmäßig ist, zu der - soweit ersichtlich - eine obergerichtlilche Entscheidung noch nicht vorliegt. Das Rechtsmittel ist demnach zur Fortbildung des Rechts zulässig.

In der Sache bleibt es jedoch ohne Erfolg.

Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 StVollzG darf der Gefangene seinen Haftraum in angemessenem Umfang mit eigenen Sachen ausstatten. Allerdings können nach § 19 Abs. 2 StVollzG Vorkehrungen und Gegenstände, die die Übersichtlichkeit des Haftraumes behindern oder in anderer Weise die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden, ausgeschlossen werden. Der "angemessene Umfang", die "Übersichtlichkeit des Haftraumes", die "Sicherheit der Anstalt" und die "Ordnung der Anstalt" sind sämtlich unbestimmte Rechtsbegriffe, die gerichtlich voll überprüfbar sind, und die nicht nur die Vollzugsbehörde, sondern auch die Strafvollstreckungskammer bei der konkretisierenden Anwendung in tatsächlicher Hinsicht hinreichend vollständig ausfüllen müssen (OLG Hamm NStZ 1990, 151 m.w.N.; Callies/Müller-Dietz; StVollzG, 8. Aufl., § 19 Rdnr. 3 m.w.N.). Dabei ist zu beachten, dass auch die "Übersichtlichkeit des Haftraumes" nur unter dem Gesichtspunkt von Sicherheit und Ordnung der Anstalt als Einschränkungsgrund in Frage kommt (Pécic/Feest, StVollzG, 3. Aufl., § 19 Rdnr. 3).

Das ist der Fall, wenn der Zustand des Haftraumes zu so zeitraubenden und komplizierten Kontrollen führen würde, dass die Bediensteten der Justizvollzugsanstalt (wegen der persönlichen Interessen eines einzelnen Strafgefangenen) in unangemessener Weise von der Erfüllung anderer Aufgaben abgehalten werden würden (OLG Hamm, ZfStrVollz, 1983, 251 m.w.N.; OLG Hamm, NStZ 1990, aaO). Die Vorschrift des § 19 StVollzG muss insbesondere auch im Zusammenhang mit S 84 Abs. 1 StVollzG gesehen werden, wonach eine wirksame Durchsuchung des Haftraumes vor allem nach Waffen, Ausbruchswerkzeugen und Drogen möglich sein muss. Die Durchsuchbarkeit und Übersichtlichkeit des Haftraumes ist ein wichtiger Bestandteil der Anstaltssicherheit und -ordnung (Senat, Beschluss vom 22. August 1994 - 1 Ws 270/94 Vollz -; Kadiz/Müller/Diez, aaO, 5 19 Rdnr. 5 m.w.N.).

Allerdings liegen die in S 19 StVollzG für den Ausschluss von Gegenständen aus dem Haftraum genannten unbestimmten Rechtsbegriffen nicht schon bei jeder nur denkbaren Beeinträchtigung der Sicherheitsinteressen oder des Ordnungsgefüges des Anstalt vor. Vielmehr müssen bestehende tatsächliche Anhaltspunkte dafür feststellbar sein, dass eine konkrete Gefährdung von einigem Gewicht vorliegt (OLG Hamm, NStZ 1990; aaO; OLG Nürnberg, ZfStrVollz 1982, 314; AK Pécic/Feest; aaO; Rdnr. 3). Hierüber hat die Anstalt eine Ermessensentscheidung zu treffen (AK Pécic/Feest, aaO, Rdnr. 4; Schwind/Böhm, StVollzG, 3. Aufl., § 19 Rdnr. 7). Sie kann im gerichtlichen Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz nur auf Rechtsfehler wie Ermessensüberschreitung oder Ermessensfehlgebrauch überprüft werden; dagegen ist es dem Gericht versagt, sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Behörde zu setzen (S 115 Abs. 5 StVollzG; Schwind/Böhm, aaO, § 115 Rdnr. 19).

Die Überprüfung ergibt hier, dass die Vollzugsbehörde nicht ermessensfehlerhaft gehandelt hat.

Insbesondere ist die Anwendung der in der Hausordnung. (§ 161 StVollzG) miedergelegten "REFA-Haftraumkontrolle" nicht zu beanstanden, wobei anfechtbar nur die auf die Hausordnung gestützte Entscheidung, nicht aber die Hausordnung selbst ist (Schwind/Böhm, aaO, S 161 Rdnr. 4; Callies/Müller-Dietz, aaO, § 161; AK Feest/Hoffmann, aaO, § 161 Rdnr. 4). Die darin entwickelten Richtlinien enthalten unter dem Gesichtspunkt einer einheitlichen Ermessensausübung eine Indizwirkung für die von der Vollzugsanstalt zu treffende Ermessensentscheidung, ob die Ausstattung eines Haftraumes unter dem Gesichtspunkt eines zumutbaren Kontrollaufwandes noch als angemessen hinzunehmen ist wie andere behördeninterne Regelungen auch binden sie die Gerichte nicht, haben aber die Bedeutung von Tatsachen z.B. einer Information über eine bestehende Verwaltungspraxis und ihre Gesichtspunkte (vgl. hierzu auch Schwind/Böhm, aaO, § 115 Rdnr. 23).

Das "REFA"-Formular enthält eine übersichtliche und leicht verständliche (formularmäßige) Aufstellung der üblichen Haftraumeinrichtung und -ausstattung, wobei für jeden Gegenstand (abstrakt) ein "Einzelkontrollaufwand" und (konkret) ein "Gesamtkontrollaufwand" jeweils in Punkten bemessen aufgelistet sind. Der "Einzelkontrollaufwand" spiegelt die von der Arbeitsgruppe des Ministeriums der Justiz entwickelten Messwerte wieder, aus denen sich ergibt, welcher Zeitaufwand in Testversuchen für die Kontrolle des jeweiligen Gegenstandes (z. B. eines Buches) ermittelt wurde und der in sogenannte "Zeitwertpunkten" umgerechnet wurde (0,1 Minute = 1 Zeitwertpunkt). Der "Gesamtkontrollaufwand" errechnet sich aus der Summe der im Besitz des Gefangenen befindlichen Einzelwerte (z.B. mehrere Bücher). Die dafür ermittelten Werte erscheinen nicht unangemessen. Auch der Beschwerdeführer wendet dagegen konkret nichts ein, sondern, behauptet lediglich pauschal, die festgelegte Obergrenze von 2 400 Punkten sei "zu niedrig". Dem vermag der Senat nicht beizutreten. Der Wert entspricht einer angenommenen Kontrollzeit von vier Stunden für die Kontrolle einer einzelnen Zelle, ab deren Überschreitung die Vollzugsanstalt regelmäßig eine Beeinträchtigung ihrer Sicherheit und Ordnung annimmt, weil sie eine ordnungsgemäße Wahrnehmung ihrer sonstigen Aufgaben aus Zeitgründen für nicht mehr gewährleistet sieht. Das ist unter Berücksichtigung des Umstandes, das allzu zeitraubende und komplizierte Kontrollen unzumutbar sind (vgl. hierzu OLG Hamm, ZfStrVollz 1983, aaO) vertretbar: Die "REFA-Haftraumkontrolle" stellt deshalb eine taugliche Methode zur notwendigen Feststellung der konkreten Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung des Sicherheitsinteresses oder des Ordnungsgefüges der Anstalt dar: Ihre Anwendung ist bislang - soweit ersichtlich - auch noch nicht in Frage gestellt worden (vgl. Schwind/Böhm, aaO, § 19 Rdnr. 7).

Allerdings entbindet die Überschreitung des Grenzwertes (wie in anderen Fällen der Ermessenskonkretisierung durch Verwaltungsanordnungen auch) die Vollzugsbehörde nicht davon, die Richtigkeit ihrer Entscheidung auch für den konkreten Einzelfall zu überprüfen (vgl. hierzu auch OLG Frankfurt/Main, ZfStrVollz 1981, 122; Schwind/Böhm, aaO, § 115 Rdnr. 23 jew. für den Fall der VV zum Strafvollzugsgesetz). Anhaltspunkte dafür, im Falle des Beschwerdeführers trotz des für seinen Haftraum ermittelten Kontrollaufwands von über fünf Stunden (3 183 Zeitwertpunkte) ausnahmsweise die Zellenausstattung zu belassen, sind nicht ersichtlich und werden auch vom Antragsteller nicht vorgetragen.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass es sich vorliegend um eine nachträgliche Beanstandung der Zellenausstattung handelt. Wie der Beschwerdeführer von der Vollzugsanstalt unwidersprochen behauptet, hat er seine persönliche Habe mit Billigung der Justizvollzugsanstalt Diez (überwiegend) bereits dort eingebracht. Da der nachträgliche Ausschluss von Zellenausstattung im Gesetz nicht geregelt ist und der Gefangene einen Vertrauensschutz in die Einräumung damit gegebener Rechtspositionen beanspruchen kann, bedarf die nachträgliche Entziehung deshalb zwar einer besonderen auf den konkreten Einzelfall bezogenen Abwägung (vgl. Bundesverfassungsgericht StV 1994, 432; Senat, NStZ 1994, 151). Die war hier aber entbehrlich. Denn die Vollzugsanstalt hat unter dem Gesichtspunkt des "Bestandsschutzes" kein Ermessen hinsichtlich der herauszugebenden Gegenstände ausgeübt. Sie hat es - entsprechend den REFA-Richtlinien - dem Antragsteller überlassen, selbst die Sachen auszuwählen, die er für entbehrlich hielt. Damit stellt sich die Frage nicht, ob die Vollzugsanstalt ihr Ermessen, welche Gegenstände herauszugeben sind, verletzt hat.

II. Der Verpflichtungsantrag ist mangels Bestimmtheit schon deshalb unzulässig, weil der Antragsteller nicht angegeben hat, welche Gegenstände ihm die Vollzugsanstalt herausgeben soll.

III. Da das Rechtsmittel somit ohne Aussicht auf Erfolg ist, war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren zurückzuweisen (§§ 122 Abs. 2 StVollzG, 114 ZPO).

IV. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 121 Abs. 1, Abs. 2, StVollzG, 473 Abs. 1 StPO, 48 a, 13 GKG.

Ende der Entscheidung

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