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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 19.05.2005
Aktenzeichen: 2 AR 28/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 38
ZPO § 261 Abs. 3 Nr. 2
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 4
1. Einer von den Prozessparteien nach Klageerhebung getroffenen Vereinbarung, dass anstelle des angerufenen und zuständigen Gerichts ein anderes Gericht zuständig sein soll, steht die Sperre des § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO (Grundsatz der perpetuatio fori) entgegen.

2. Ein von dem angegangenen Gericht gleichwohl unter Berufung auf abweichende Rechtsmeinungen in Rechtsprechung und Schrifttum erlassener Verweisungsbeschluss ist nicht schon deshalb objektiv willkürlich, weil er von der ganz herrschenden Rechtsauffassung abweicht.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen 2 AR 28/05

In dem Rechtsstreit

wegen Rückabwicklung eines Pferdekaufs,

hier: Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO,

hat der 3. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Richter am Oberlandesgericht Petry und die Richterinnen am Oberlandesgericht Simon-Bach und Stutz auf die Vorlage des Landgerichts Hamburg vom 18. April/2. Mai 2005

am 19. Mai 2005

beschlossen:

Tenor:

Als örtlich zuständiges Gericht wird das Landgericht Hamburg bestimmt.

Gründe:

I.

Die in Hamburg wohnhafte Klägerin hat beim Landgericht Zweibrücken, dem Wohnsitzgericht der Beklagten, Klage auf Rückabwicklung eines von den Parteien im April 2003 abgeschlossenen Kaufvertrages über ein Reitpferd erhoben. Nach Zustellung der Klageschrift, Terminsbestimmung und Anordnung der Vernehmung von Zeugen teilten die anwaltlichen Vertreter der Parteien mit, dass sich diese auf den Gerichtsstand Hamburg geeinigt hätten, weil dort und in der dortigen Umgebung der Wohnsitz sämtlicher Zeugen und sonstiger Auskunftspersonen sei. Entsprechend dem übereinstimmenden Antrag der Parteien verwies sodann die Einzelrichterin beim Landgericht Zweibrücken den Rechtsstreit an das Landgericht Hamburg. Das Landgericht Hamburg hat die Übernahme abgelehnt, da eine unzulässige Zuständigkeitsvereinbarung nach Rechtshängigkeit vorliege. Es sieht die Verweisung durch das Landgericht Zweibrücken als unzulässig und nicht bindend an und hat die Sache deshalb dem Pfälzischen Oberlandesgericht Zweibrücken zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

1. Das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO für die Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den Landgerichten Zweibrücken und Hamburg zuständig.

Die prozessualen Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind gegeben. Danach wird - auch auf Vorlage eines der am Zuständigkeitsstreit beteiligten Gerichte, ohne dass es in diesem Fall eines Parteiantrages bedürfte - das zuständige Gericht dann bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen mindestens eines zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

Derartige zuständigkeitsleugnende Entscheidungen liegen hier in dem Verweisungsbeschluss des Landgerichts Zweibrücken vom 7. September 2004 und in der Unzuständigkeitserklärung des Landgerichts Hamburg vom 18. April 2005. Diese Entscheidungen sind jeweils gemäß § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO grundsätzlich unanfechtbar, somit rechtskräftig i. S. v. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO. Sie bilden daher verfahrensrechtlich die Grundlage für die Bestimmung des zuständigen Gerichts.

2. Örtlich zuständig zur Entscheidung über das Klagebegehren ist das Landgericht Hamburg, weil es gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO an den Verweisungsbeschluss des Landgerichts Zweibrücken vom 7. September 2004 gebunden ist.

Allerdings verstößt die von den Prozessparteien nach zulässiger Erhebung der Klage im allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten (§§ 12, 13 ZPO; § 7 BGB) beim Landgericht Zweibrücken verabredete Gerichtsstandsvereinbarung gegen den Grundsatz der perpetuatio fori ( § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Die gegenteilige Rechtsauffassung der Einzelrichterin beim Landgericht Zweibrücken ist unzutreffend. Objektiv willkürlich - und deshalb ohne Bindungswirkung - ist die Verweisungsentscheidung aber nicht.

Im Einzelnen gilt dazu folgendes:

a) Für die Entscheidung über das streitgegenständliche Verlangen der Klägerin nach Rückabwicklung des Kaufvertrages mit der Beklagten auf der Grundlage der §§ 437 Nr. 2, 440, 323, 346 ff BGB war ursprünglich möglicherweise auch das Landgericht Hamburg nach § 29 Abs. 1 ZPO örtlich zuständig, sofern sich in dessen Bezirk der Leistungsort für die Rückabwicklung des Kaufvertrages nach Rücktritt vom Vertrag befand; das ist der "Austauschort", also derjenige Ort, an dem sich die Kaufsache zur Zeit des Rücktritts vertragsgemäß befindet (vgl. insoweit BayObLG MDR 2004, 646; OLG Saarbrücken NJW 2005, 906, 907; BGHZ 87, 104, 109f).

Daneben war in jedem Fall das Landgericht Zweibrücken als Wohnsitzgericht der Beklagten nach §§ 12, 13 ZPO örtlich zuständig.

b) Gemäß § 35 ZPO stand der Klägerin zwischen dem allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten und dem Gerichtsstand des Erfüllungsortes ein Wahlrecht zu. Dieses Wahlrecht hat sie jedoch bereits durch die Erhebung der Klage bei dem Landgericht Zweibrücken unwiderruflich und bindend ausgeübt. Die von den Parteien nachträglich vereinbarte Zuständigkeit des Landgerichts Hamburg war gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO unbeachtlich. Nach dieser Vorschrift verliert das Prozessgericht seine Zuständigkeit nicht dadurch, dass die sie begründenden Umstände sich nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit (§§ 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO) ändern. Deshalb kann nach in Rechtsprechung und Schrifttum seit langem nahezu einhellig vertretener Auffassung eine erst nach Klageerhebung getroffene Zuständigkeitsvereinbarung nicht die Zuständigkeit des angegangenen Gerichts beseitigen (vgl. BGH MDR 1976, 378, 379; BGH NJW 1963, 585, 586; BGH NJW 1993, 1273; BGH NJW-RR 1994, 126 f; BayObLG NJW-RR 1991, 187, 188; BayObLG MDR 2004, 646; vgl. weiter auch Senat, BauR 1997, 885; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22.Aufl., § 38 Rdnr. 62; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 261 Rdnr. 12; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 261 Rdnr. 28; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 26. Aufl., § 261 Rdnr. 16; a.A.: LG Waldshut-Tiengen, MDR 1985, 941; MünchKomm/Lüke, ZPO, 2. Aufl, § 261 Rdnr. 93).

Der Bundesgerichtshof legt die Bestimmung des § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO mit Recht dahin aus, dass sie im öffentlichen Interesse an der Vermeidung mehrfacher Befassung von Gerichten mit demselben Rechtsstreit auch die Anwendung des § 38 ZPO und damit insoweit die Dispositionsbefugnis der Parteien ausschließt. Dem steht auch § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO nicht entgegen, denn der Zweck der Regelung ist, die Prorogationsmöglichkeiten zu begrenzen, nicht sie zu erweitern (Stein/Jonas/Bork a.a.O.).

c) Abgesehen von den Fällen des § 506 ZPO gilt in Ansehung des § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO etwas anderes nur dann, wenn die Klage zunächst bei einem unzuständigen Gericht erhoben wird (vgl. insoweit BGH MDR 1976, 378 und Senat, Beschluss vom 11. Januar 1989 - 2 AR 28/88 -, abgedr. in NJW-RR 1989, 7.1.6 sowie Beschluss vom 18. Mai 2004 - 2 AR 16/04 -) oder wenn der Kläger dem angerufenen Gericht im Wege der Klageänderung einen neuen Streitgegenstand zur Prüfung stellt (vgl. insoweit BGH NJW 2001, 2477, 2478 m. w. N.). So liegen die Dinge hier aber nicht.

Damit war im Streitfall die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Zweibrücken geklärt und erweist sich die ausgesprochene Verweisung an das Landgericht Hamburg, auch wenn sie dem Willen beider Prozessgegner entsprach, als rechtsfehlerhaft.

d) Gleichwohl muss der Verweisungsbeschluss im vorliegenden Fall nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO als verbindlich hingenommen werden. Danach ist die Verweisung für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Die verfahrensrechtliche Bindungswirkung dauert im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO fort. Regelmäßig ist daher das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch bindenden Verweisungsbeschluss gelangt ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bindet die Verweisung nicht, wenn sie auf Willkür beruht. Hierfür genügt es aber nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist. Willkür liegt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung vor, wenn dem Beschluss jede rechtliche Grundlage fehlt, was auch dann der Fall ist, wenn die Verweisung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständig erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BGH NJW 1993, 1273; BGH NJW-RR 1996, 877; BVerfG 29, 45, 49).

Bei Übertragung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Zweibrücken nicht willkürlich. Die Einzelrichterin ist zwar bewusst von einer ganz herrschenden Rechtsauffassung abgewichen, die u.a. vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertreten wird. Weil dem deutschen Recht eine Präjudizienbindung grundsätzlich fremd ist, kann aber die Verweisung nicht schon allein aus diesem Grunde als willkürlich angesehen werden; für die Annahme, dass der Verweisungsbeschluss vom 7. September 2004 jeder rechtlichen Grundlage entbehre, bedürfte es vielmehr zusätzlicher Umstände (so ausdrücklich BGH NJW-RR 2002, 1498 f m.w.N. und BGH NJW 2003, 3201, 3202).

Derartige Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Einzelrichterin des Landgerichts Zweibrücken hat für ihre Rechtsmeinung den in MDR 1985, 941 veröffentlichten Beschluss des Landgerichts Waldshut-Tiengen und die Kommentierung von Luke im Münchener Kommentar zur ZPO zitiert und sich deren Auffassung zur Zulässigkeit einer Prorogation nach Rechtshängigkeit vor dem zuständigen Gericht ausdrücklich angeschlossen; die Richtigkeit der herrschenden gegenteiligen Meinung wird im übrigen auch von Foerste in Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 261 Rdnr. 14 bezweifelt. Das schließt es aus, die bei der Verweisung angenommene Zuständigkeit des Landgerichts Hamburg aufgrund nachträglicher Parteivereinbarung als schlechthin unhaltbar zu bewerten. Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil dem Landgericht Zweibrücken allein der übereinstimmende schriftsätzliche Vortrag der anwaltlich vertretenen Parteien zum Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung genügt hat und es vor der Verweisung keine Überprüfung der Einhaltung etwaiger Formerfordernisse (vgl. § 38 Abs. 3 ZPO) vorgenommen hat.

Ende der Entscheidung

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