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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 01.03.2004
Aktenzeichen: 2 WF 5/04
Rechtsgebiete: ZPO, SGB VI, BGB


Vorschriften:

ZPO § 118 Abs. 2 Satz 4
ZPO § 121 Abs. 3
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 323 Abs. 2
ZPO § 323 Abs. 3
ZPO § 572
ZPO § 574
ZPO § 707 Abs. 2
ZPO § 719 Abs. 1
ZPO § 767
ZPO § 769
ZPO § 793
SGB VI § 43 Abs. 1 Satz 2
BGB § 1570
BGB § 1572
BGB § 1579
BGB § 1579 Nr. 3
Gegen Entscheidungen nach § 769 ZPO ist auf der Grundlage der seit 01.01.2002 geltenden ZPO die befristete Beschwerde nach § 793 ZPO uneingeschränkt statthaft; für eine analoge Anwendung des § 707 Abs. 2 ZPO ist kein Raum mehr (gegen OLG Frankfurt NJW-RR 2003, 140ff).

Die inhaltliche Überprüfung der Ermessensentscheidung beschränkt sich aber darauf, ob die Voraussetzungen des § 769 ZPO verkannt worden sind.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen: 2 WF 4/04 2 WF 5/04

In der Familiensache

wegen nachehelichen Unterhalts (Abänderung),

hier: Prozesskostenhilfe für die erste Instanz und einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung,

hat der 2. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken als Familiensenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Giersch, den Richter am Oberlandesgericht Hengesbach und die Richterin am Oberlandesgericht Geib-Doll auf die Beschwerden des Klägers vom 5. Januar 2004, eingegangen am 6. Januar 2004, gegen die ihm am 22. Dezember 2003 zugestellteen Beschlüsse des Amtsgericht - Familiengericht - Rockenhausen vom 15. Dezember 2003

ohne mündliche Verhandlung am 1. März 2004

beschlossen:

Tenor:

I. Der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Rockenhausen vom 15. Dezember 2003, mit welchem dem Kläger die nachgesuchte Prozesskostenhilfe verweigert wurde, wird auf dessen sofortige Beschwerde aufgehoben und die Sache insoweit zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht - Familiengericht - Rockenhausen zurückverwiesen.

II. Die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung durch den weiteren Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Rockenhausen vom 15. Dezember 2003 wird zurückgewiesen.

III. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens betreffend die Versagung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung zu tragen.

IV. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren betreffend die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wird auf einen Betrag zwischen 901,-- und 1 200,-- EUR festgesetzt.

Einer Wertfestsetzung für die Beschwerde betreffend die Versagung der Prozesskostenhilfe bedarf es nicht, da der Anfall einer Gerichtsgebühr insoweit nicht streitwertabhängig ist und außergerichtliche Kosten nicht erstattet werden.

V. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt in Abänderung des Urteils des Amtsgerichts - Familiengericht - Worms vom 19. Juni 1991 (1 F 179/90) die Feststellung, dass er der Beklagten, von der er seit 1982 geschieden ist, keinen nachehelichen Unterhalt mehr schulde. Tituliert ist Unterhalt wegen Krankheit in Höhe von monatlich 927,-- DM, das entspricht 473,97 EUR.

Wegen von der Beklagten nach Zahlungseinstellung des Klägers ausgebrachten Pfändungsmaßnahmen beantragt er zudem, die Zwangsvollstreckung aus dem vorgenannten Unterhaltstitel einstweilen einzustellen.

Das Familiengericht hat dem Kläger die nachgesuchte Prozesskostenhilfe wegen Fehlens hinreichender Erfolgsaussicht versagt und die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung unter Bezugnahme auf die Gründe der Verweigerung der Prozesskostenhilfe abgelehnt. Der Kläger habe keinen hinreichenden Sachvortrag zur Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gehalten, insbesondere nicht dazu, dass sich die Arbeitsfähigkeit der Antragsgegnerin wesentlich erhöht habe und sie in der Lage sei, ein höheres Einkommen (als das aus geringfügiger Erwerbstätigkeit) zu erzielen. Letzteres sei im Hinblick auf das Alter der Beklagten von 57 Jahren unter Berücksichtigung der derzeitigen Arbeitsmarktsituation auch auszuschließen. Der Beklagten könne nicht vorgehalten werden, dass sie bislang keinen Antrag, auf Erwerbsunfähigkeitsrente gestellt habe, nachdem sie in der Lage sei, einer geringfügigen Beschäftigung nachzugehen.

Mit seinen sofortigen Beschwerden verfolgt der Kläger sein Begehren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Abänderungsklage und auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung weiter.

Er meint, das Familiengericht habe sich nicht ausreichend mit seiner Argumentation auseinandergesetzt. Er habe nämlich zur Begründung seines Begehrens nicht darauf abgestellt, dass die Beklagte in der Lage sei, ein höheres Einkommen als das tatsächlich erzielte zu erreichen. Die Abänderung der Unterhaltspflicht sei nach seiner Darlegung deshalb begründet, weil sich die Beklagte trotz der bereits im Jahr 1990 gegebenen Operationsbedürftigkeit ihres Leidens einer erforderlichen Operation nicht unterzogen und sich auch sonst nicht ordnungsgemäß habe behandeln lassen. Nach dem vorgelegten ärztlichen Attest aus dem Jahr 2003 leide sie im Wesentlichen an den gleichen - behandelbaren - Erkrankungen, die schon 1990 attestiert worden seien. Sie sei deshalb offensichtlich ihrer Obliegenheit, sich um die Besserung ihres Gesundheitszustandes zu bemühen, nicht nachgekommen und habe deshalb etwaige Unterhaltsansprüche verwirkt (§ 1579 Nr. 3 BGB). Jedenfalls habe es die Beklagte versäumt, ihm die geforderte Auskunft über den Krankheits- und Behandlungsverlauf zu erteilen.

Fehlerhaft habe das Amtsgericht auch eine Obliegenheitsverletzung wegen der unterlassenen Beantragung einer Erwerbsunfähigkeitsrente verneint. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI komme eine Rente wegen Erwerbsminderung bereits in Betracht, wenn die betroffene Person wegen Krankheit auf nicht absehbare Zeit außerstande sei, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein; voll erwerbsgemindert sei ein Versicherter bereits, wenn er nicht mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein könne (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

II.

Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO bzw. § 793 ZPO statthaften sofortigen Beschwerden sind verfahrensrechtlich bedenkenfrei, insbesondere innerhalb der jeweils geltenden Fristen beim Beschwerdegericht eingegangen (§§ 127 Abs. 2 Satz 3, 569 ZPO).

1. Soweit sich der Kläger gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe für die Abänderungsklage wendet, hat sein Rechtsmittel einen vorläufigen Erfolg.

Entgegen der Auffassung des Familiengerichts kann der beabsichtigten Rechtsverfolgung des Klägers die hinreichende Erfolgsaussicht nicht insgesamt abgesprochen werden. Der Kläger rügt zu Recht, dass das Familiengericht bei seiner Entscheidung wesentlichen Sachvortrag seinerseits nicht ausreichend zur Kenntnis genommen habe.

Eine eigene Sachentscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch ist dem Senat nicht möglich. Da der Kläger bislang die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zu den Akten gereicht hat (obwohl er ein Nachreichen der erforderlichen Unterlagen bereits in der Klageschrift zugesagt hatte), kann nicht geprüft werden, ob die weitere Voraussetzung für die Prozesskostenhilfebewilligung, die Bedürftigkeit des Klägers, gegeben ist. Darüber hinaus kann auch die Beiordnung des von ihm ausgesuchten Rechtsanwalts nicht erfolgen, da dieser die im Hinblick auf § 121 Abs. 3 ZPO erforderliche Erklärung, mit einer einschränkenden Beiordnung zu den Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts einverstanden zu sein, (bislang) nicht abgegeben hat. Diese beiden Punkte werden nach Zurückverweisung vom Familiengericht, gegebenenfalls in Anwendung des § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO zu klären sein.

Der Kläger stützt sein Abänderungsbegehren darauf, dass die Beklagte ihre Unterhaltsansprüche verwirkt habe. Sie habe ihre Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt und damit den Tatbestand des § 1579 Nr. 3 BGB verwirkt, weil sie sich nicht ausreichend um die Besserung ihres Gesundheitszustandes bemüht bzw. weil sie es unterlassen habe, Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente zu stellen. Der Einwand der Verwirkung ist als materiell-rechtliche Einwendung zwar regelmäßig mit der Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO (beim dafür ausschließlich zuständigen Gericht, das den zugrunde liegenden Titel erlassen hat, hier also beim Amtsgericht - Familiengericht - Worms) geltend zu machen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (FamRZ 1990, 1095), der der Senat folgt, ist es einem Unterhaltspflichtigen allerdings nicht verwehrt, eine Herabsetzung (oder auch einen völligen Wegfall) seines Unterhaltsanspruchs nach § 1579 BGB mit den gesetzlichen Einschränkungen nach § 323 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO - d.h. unter Zugrundelegung von nach Schluss der Tatsachenverhandlung im Vorprozess eingetretenen Änderungen für die Zeit ab Rechtshängigkeit - durch Abänderungsklage (bei dem dafür zuständigen Wohnsitzgericht des Unterhaltsberechtigten) - geltend zu machen.

Bei für die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung zu unterstellender Richtigkeit des Sachvortrags des Klägers kommt durchaus ein Wegfall seiner (titulierten) Unterhaltsverpflichtung nach § 1579 BGB in Betracht. Ein krankheitsbedingt erwerbsunfähiger Unterhaltsberechtigter ist grundsätzlich gehalten, seine Erwerbsfähigkeit durch geeignete und zumutbare Maßnahmen wieder herzustellen. Diese Verpflichtung ergibt sich bereits aus der grundsätzlichen Eigenverantwortlichkeit des geschiedenen Ehegatten, der im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren für seinen Unterhalt selbst aufzukommen hat (§ 1569 BGB), aber auch aus § 1572 BGB. Danach besteht Anspruch auf Krankheitsunterhalt nur, wenn und soweit (solange) die krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeit besteht. Kommt der Unterhaltsberechtigte dieser Verpflichtung vorwerfbar nicht nach und kann deshalb eine Wiederherstellung seiner (teilweisen) Erwerbsfähigkeit nicht erreicht werden, so kann dies den Vorwurf der mutwilligen Herbeiführung bzw. Aufrechterhaltung der Bedürftigkeit im Sinne des § 1579 Nr. 3 BGB begründen. Bei den Erkrankungen, aufgrund derer durch das abzuändernde Urteil die Erwerbsunfähigkeit der Beklagten festgestellt worden ist und die nach dem dem Kläger überlassenen Attest noch heute bei der Beklagten vorliegen (arterielle Hypertonie, also Bluthochdruck, und ausgeprägte Varikosis, also ein Krampfaderleiden) handelt es sich grundsätzlich um behandelbare Erkrankungen; das Krampfaderleiden war nach dem ärztlichen Attest aus dem Jahr 1990 operationsbedürftig. Die Folgerung des Klägers, die Beklagte habe sich der für erforderlich gehaltenen Operation nicht unterzogen und auch sonst nicht die gebotenen Anstrengungen zur Besserung ihres Gesundheitszustandes unternommen, wenn heute noch die gleichen Erkrankungen vorliegen wie Anfang der 90-er Jahre, ist daher nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Eines näheren Sachvortrags des Klägers zur Begründung seines Verwirkungseinwands bedurfte es nach Aktenlage nicht. Zwar trifft den Kläger die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Verwirkungstatbestandes. Hier handelt es sich jedoch sämtlich um in der Sphäre der Beklagten liegende Umstände, über die der Kläger keine näheren Kenntnisse haben kann. Er genügt daher mit der Behauptung, die Beklagte habe nicht das Erforderliche und ihr Zumutbare zur Besserung ihres Gesundheitszustandes unternommen, seiner (primären) Darlegungslast. Weiteren Sachvortrag kann und muss er nicht halten. Es ist Aufgabe der Beklagten, konkret darzulegen, welche Maßnahmen ihr ärztlicherseits zur Besserung ihres Gesundheitszustandes empfohlen wurden, ob sie sich den empfohlenen Behandlungen unterzogen hat und dass und weshalb gleichwohl die Erkrankungen und die dadurch bedingte Erwerbsunfähigkeit fortbestehen. Erst wenn sie dieser (sekundären) Darlegungslast nachgekommen ist, kommt die Beweislast des Klägers zum Tragen, der dann diesen konkreten Sachvortrag der Beklagten zu widerlegen hat. Da die Beklagte bislang - weder außergerichtlich noch im Rahmen ihrer Stellungnahme zum Prozesskostenhilfegesuch des Klägers (die sie ausdrücklich abgelehnt hat - vgl. Schriftsatz vom 3. November 2003, Bl. 23 d. A. -) - ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen ist, bietet die Abänderungsklage auf der Grundlage dieses Sachvortrags des Klägers hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Im Ergebnis nicht gerechtfertigt ist allerdings der Angriff des Klägers gegen die vom Familiengericht verneinte Obliegenheitsverletzung der Beklagten durch unterlassene Stellung eines Rentenantrags. Einen solchen könnte die Beklagte nur dann mit Erfolg stellen, wenn in ihrer Person eine weitere Voraussetzung für eine Rentengewährung wegen Erwerbsunfähigkeit, nämlich drei Jahre Pflichtbeiträge innerhalb der letzten fünf Jahre vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit (vgl. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) erfüllt wären. Dies dürfte nach Aktenlage nicht der Fall sein; vor der durch Sachverständigengutachten festgestellten Erwerbsunfähigkeit (vgl. S. 6 des Urteils des Amtsgerichts Worms, dessen Abänderung der Kläger begehrt - Bl. 39 d. A.), war die Beklagte nicht versicherungspflichtig erwerbstätig; sie hat die gemeinsamen Kinder der Parteien betreut und erzogen und Unterhalt nach § 1570 BGB vom Kläger erhalten. Daneben ging sie - wie auch heute noch - lediglich einer Tätigkeit im Geringverdienerbereich nach.

2. Den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 767 ZPO (hier in Verbindung mit § 323 ZPO) hat das Familiengericht dagegen im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

a) Auf der Grundlage der seit 1. Januar 2002 geltenden Zivilprozessordnung ist gegen die Versagung der begehrten einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 769 ZPO die sofortige Beschwerde nach § 793 ZPO allerdings uneingeschränkt zulässig.

Für die auf der Grundlage der früheren Prozessordnung ganz überwiegend, auch vom Senat in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung, Entscheidungen nach § 769 ZPO seien in analoger Anwendung der §§ 707 Abs. 2, 719 Abs. 1 ZPO nur dann nach § 793 ZPO anfechtbar, wenn sie auf einer greifbaren Gesetzesverletzung beruhen oder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens verkannt worden sind bzw. das Gericht sein Ermessen überhaupt nicht ausgeübt hat, ist nach der gesetzlichen Neuregelung kein Raum mehr. Der Senat rückt daher insoweit von seiner bisherigen Rechtsprechung ab.

Eine analoge Anwendung anderer gesetzlicher Regelungen kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn die gesetzliche Regelung planwidrig lückenhaft erscheint und zur Ausfüllung der Lücke die Übertragung der Rechtsfolge eines anderen gesetzlichen Tatbestandes auf einen vergleichbaren, aber im Gesetz nicht geregelten Tatbestand erforderlich ist. Es muss eine dem Plan des Gesetzgebers widersprechende Lücke bestehen; das Gesetz muss - gemessen an seiner Regelungsabsicht - unvollständig sein.

Hiervon kann nach Neufassung der Zivilprozessordnung nicht mehr ausgegangen werden. Der Gesetzgeber hatte im Rahmen der umfangreichen Neuregelungen der Zivilprozessordnung Gelegenheit, den von der Rechtsprechung für ergänzungsbedürftig gehaltenen Rechtszustand eindeutig zu regeln. Er hat diese Gelegenheit nicht genutzt, obwohl eine solche eindeutige Regelung des § 769 ZPO im Rahmen einer früher beabsichtigten, aber nicht umgesetzten Prozessrechtsreform bereits vorgesehen gewesen ist (vgl. BTDrS 10/3054 S. 5 und S. 35). Damit kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber von der Schließung dieser gesetzlichen Lücke in § 769 ZPO unbewusst abgesehen hat.

Unterlässt der Gesetzgeber im Rahmen einer gesetzlichen Neuregelung (auch gerade der konkreten Norm) eine klarstellende Regelung in Kenntnis der von Rechtsprechung und Literatur insoweit für erforderlich erachteten Regelungsbedürftigkeit, dann kommt eine Einschränkung der Anfechtbarkeit der gerichtlichen Entscheidungen in analoger Anwendung verwandter Vorschriften durch Richterrecht nicht mehr in Betracht.

Der Auffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (NJW-RR 2003, 140ff), es sei gleichwohl von einer planwidrigen und damit analogiefähigen Regelungslücke auszugehen, weil die in der 10. Legislaturperiode beabsichtigte ausdrückliche Regelung der Unstatthaftigkeit eines Rechtsmittels (gegen Entscheidungen nach § 769 ZPO) im Gesetzgebungsverfahren (der 14. Legislaturperiode) nur unter Hinweis auf die durch die Rechtsprechung anerkannte Unanfechtbarkeit fallen gelassen worden sei, vermag nicht zu überzeugen. Die vom OLG Frankfurt für diese Auffassung zitierte Kommentierung von Lackmann in Musielak, ZPO, 3. Aufl., § 707 Rdnr. 12 gibt hierfür nichts her; dort ist lediglich auf die Gesetzesmaterialien zur in der 10. Legislaturperiode geplanten Änderung verwiesen, ein Bezug zu den Materialien, auf denen das Gesetz zur Reform der Zivilprozessordnung vom 27. Juli 2001 beruht, ist nicht hergestellt. Im Übrigen war die (frühere) Rechtsprechung keineswegs so einhellig, dass sich eine gesetzliche Regelung erübrigt hätte, wie auch das OLG Frankfurt am Main in der genannten Entscheidung (dort S. 140) im Einzelnen dargelegt hat.

Ganz entscheidend gegen eine analoge Anwendung anderer gesetzlicher Regelungen auch nach der Neuregelung der Zivilprozessordnung spricht nach Auffassung des Senats zudem der Grundsatz der Rechts(mittel)klarheit und -Sicherheit. Diese gebieten klare ausdrückliche gesetzliche Regelungen darüber, ob und inwieweit gegen gerichtliche Entscheidungen Rechtsmittel gegeben sind oder nicht. Dieser Grundsatz liegt auch der (auch vom OLG Frankfurt am Main zitierten) Entscheidung des Bundesgerichtshofs (NJW 2002, 1577) zugrunde, wonach nach der Neuregelung des Beschwerderechts durch die Zivilprozessreform das - früher bejahte - außerordentliche Rechtsmittel (wegen Verletzung von Verfahrensgrundrechten und sonstiger greifbarer Gesetzeswidrigkeit) nicht mehr statthaft ist, weil die Statthaftigkeit einer Rechtsbeschwerde insoweit nunmehr durch § 574 ZPO abschließend geregelt ist. Auch das Bundesverfassungsgericht (MDR 2003, 886 = NJW 2003, 1924) hat wegen der gebotenen Rechtssicherheit und -klarheit eine eindeutige Regelung des Rechtsmittelrechts angemahnt, die auch durch die ZPO-Reform nicht in vollem Umfang umgesetzt worden sei und den Gesetzgeber zum Tätigwerden aufgefordert.

Wegen der nunmehr anzunehmenden uneingeschränkten Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde gegen Entscheidungen nach § 769 ZPO ist der völlige Ausschluss der Anfechtbarkeit (das heißt auch die bis zur Neuregelung der ZPO als statthaft angesehene außerordentliche befristete Beschwerde wegen Verletzung von Verfahrensgrundrechten) von Entscheidungen nach § 769 ZPO in analoger Anwendung von § 707 Abs. 2 ZPO wegen der nunmehr für sofortige Beschwerden gegebenen Abhilfemöglichkeit nach § 572 ZPO nicht gerechtfertigt (so aber OLG Franfurt a.a.O; OLG Stuttgart, Beschluss vom 18. November 2003, Az. 16 WF 112/03 - zitiert nach juris).

b) Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen die Versagung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung ist jedoch unbegründet.

Insoweit bedarf es keiner Auseinandersetzung mit den Erfolgsaussichten der Abänderungsklage. Der auf Erlass der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung gerichtete Antrag des Klägers ist bereits unzulässig.

Für eine Anordnung nach § 769 ZPO (i. V. m. § 323 ZPO), durch die die Zwangsvollstreckung bis zum Erlass des Urteils (in der Hauptsache) beschränkt oder ganz eingestellt wird, genügt es nicht, wenn diese Hauptsache anhängig ist. Erforderlich ist weiter die gesicherte Zustellung der Klageschrift und damit der alsbaldige Eintritt der Rechtshängigkeit (§§ 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO), da nur dadurch ein Prozessrechtsverhältnis und damit die notwendige Voraussetzung für eine Entscheidungsfindung des Prozessgerichts in der Hauptsache geschaffen ist. Die Zustellung der Klageschrift muss zwar noch nicht erfolgt sein; sie darf allerdings lediglich noch von Zustellungsmodalitäten abhängig sein. Das bedeutet, dass entweder der erforderliche Gerichtskostenvorschuss eingezahlt sein muss (vgl. § 65 Abs. 1 Satz 1 GKG), sofern nicht ausnahmsweise - wie hier zweifelsfrei nicht - keine Vorauszahlungsverpflichtung besteht oder dass dem die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung begehrenden Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt ist. Da hier (noch) keines von beiden gegeben ist - für die begehrte Bewilligung von Prozesskostenhilfe fehlt es nach obiger Darlegung bislang noch an einem vollständigen Antrag und damit an der Entscheidungsreife -, ist der Antrag des Klägers auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bereits unzulässig.

c) Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

§ 767 ZPO gibt dem erkennenden Gericht ein Ermessensspielraum. Im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensausübung ist in erster Linie auf die Erfolgsaussicht der erhobenen Klage abzustellen (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 24. Aufl., § 769 Rdrn. 6). Daraus ergibt sich für das Beschwerdegericht, das im Beschwerderechtszug nicht als Berufungsgericht tätig werden und deshalb die Entscheidung in der Hauptsache nicht beeinflussen darf, eine Beschränkung bei der inhaltlichen Überprüfung der angefochtenen Entscheidung (gegebenenfalls in Verbindung mit der Nichtabhilfeentscheidung nach § 572 ZPO). Diese dürfen im Rahmen der Beschwerde nur darauf überprüft werden, ob die Voraussetzungen des § 769 ZPO verkannt wurden, indem der Entscheidung ein falscher Bewertungsmaßstab zugrunde gelegt (etwa weil das Gericht bei der Prüfung der Erfolgsaussichten zu strenge Anforderungen gestellt hat - vgl. Senat FamRZ 2002, 556) oder das Ermessen fehlerhaft ausgeübt wurde (etwa weil der Sach- und Streitstand nicht ausreichend berücksichtigt worden ist). Auch darf das Beschwerdegericht seine Auffassung über den Erfolg der Hauptsacheklage nicht an die Stelle der ersten Instanz setzen. Daher ist das Beschwerdegericht - außer in den Ausnahmefällen, in denen sich der Ermessensspielraum auf Null reduziert - bei festgestelltem Ermessensfehlgebrauch an einer eigenen Sachentscheidung gehindert. Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung über den einstweiligen Einstellungsantrag an das Erstgericht zurückzugeben (vgl. Senat aaO).

Vorliegend würde die angefochtene Entscheidung auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab nicht standhalten. Denn das Familiengericht hat - wie oben dargelegt - den Sachvortrag des Klägers nicht hinreichend in seine Ermessensentscheidung einbezogen.

3. Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Beschwerde gegen die Versagung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Den Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren betreffend die Versagung der vorläufigen Einstellung der Zwangsvollstreckung hat der Senat wegen der Vorläufigkeit dieser Entscheidung mit einem Bruchteil (einem Fünftel) des Hauptsachestreitwerts (§ 3 ZPO i. V. m. § 17 Abs. 1 GKG) angenommen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen, weil die Frage der Anfechtbarkeit von Entscheidungen nach § 769 ZPO grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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