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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 17.08.2001
Aktenzeichen: 3 W 171/01
Rechtsgebiete: BGB, SGB VIII, ZPO


Vorschriften:

BGB § 1909
BGB § 1915 Abs. 1
BGB § 1776 ff.
SGB VIII § 87 c Abs. 3
ZPO § 241
ZPO § 642 a a.F.
Auswahl des örtlich zuständigen Jugendamts als Pfleger

Besteht nach Beendigung einer Amtspflegschaft bzw. Beistandschaft und Aufenthaltswechsel des Kindes weiterhin Bedarf für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft (hier: zwecks Fortsetzung eines gemäß § 241 ZPO unterbrochenen Unterhaltsbetragsverfahrens), kann es aus Gründen des Kindeswohls gerechtfertigt sein, abweichend von der Regelung in § 87 c Abs. 3 Satz 1 SGB VIII das bisher mit der Sache befasste Jugendamt als Pfleger zu bestellen.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen: 3 W 171/01

In dem Verfahren

hat der 3. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dury sowie die Richter am Oberlandesgericht Hengesbach und Jenet auf die (sofortige) weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2) vom 1./3. August 2001 gegen den ihm am 24. Juli 2001 zugestellten Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 9. Juli 2001 ohne mündliche Verhandlung

am 17. August 2001

beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Betroffene ist das minderjährige Kind der Beteiligten zu 1). Für dieses bestand bis zur Eheschließung und zum nachfolgenden Zusammenzug der Eltern gesetzliche Amtspflegschaft bzw. Beistandschaft des Beteiligten zu 2). In dieser Zeit ist gegen den Vater des Kindes eine Unterhaltsklage geführt worden. Das beim Amtsgericht noch anhängige Verfahren auf Festsetzung des Unterhaltsbetrages gemäß § 642 a ZPO a.F. ist nach Beendigung der Beistandschaft gemäß § 241 ZPO unterbrochen. Da das Kind zur Familie in den Bereich des Beteiligten zu 3) gezogen ist, hat der Beteiligte zu 2) zur Fortsetzung des Unterhaltsbetragsverfahrens die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft angeregt. Das für den neuen Aufenthaltsort zuständige Vormundschaftsgericht hat daraufhin für das Kind Ergänzungspflegschaft mit dem Wirkungskreis für die Vertretung im Festsetzungsverfahren angeordnet und den Beteiligten zu 2) zum Ergänzungspfleger bestellt.

Die gegen die Auswahl gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 2) hat das Landgericht zurückgewiesen. Seiner Ansicht nach ist nicht zwingend das gemäß § 87 c Abs. 3 SGB VIII örtlich zuständige Jugendamt auszuwählen. Vielmehr sei es im Sinne der effektivsten Rechtswahrnehmung geboten, die. bisherige Zuständigkeit des mit dem Festsetzungsverfahren befassten Jugendamts beizubehalten.

Hiergegen richtet sich weitere Beschwerde, mit der ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 87 c Abs. 3 Satz 1 SGB VIII gerügt wird. Nach dieser Vorschrift sei der Beteiligte zu 4) als Verfahrenspfleger zu bestellen, weil das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt zwischenzeitlich in den dortigen Bereich verlegt habe.

II.

1. Die weitere Beschwerde ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden (§§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 1 Satz 1 und 3, 21 Abs. 1 FGG). Die Beschwerdeberechtigung des Beteiligten zu 2) ergibt sich bereits aus der Zurückweisung seiner Erstbeschwerde. Im Übrigen folgt die Beschwerdeberechtigung aus § 20 Abs. 1 FGG (vgl. Bassenge/Herbst, FGG/RPflG 8. Aufl. § 60 Rdnrn. 3 f). Soweit sich der Beteiligte zu 2) gegen die Übertragung der Pflegschaft wendet, ist das Rechtsmittel an keine Frist gebunden. Die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts beinhaltet jedoch zugleich die Zurückweisung der Weigerung des Beteiligten zu 2), die Pflegschaft zu übernehmen. Hiergegen ist gemäß §§ 63, 60 Abs. 1 Nr. 2 FGG die sofortige weitere Beschwerde gegeben (vgl. BayObLG FamRZ 1989, 1340, 1341 und 1997, 897; Bassenge/Herbst aaO § 60 Rdnr. 4; Keidel/Kuntze/Winkler/Engelhardt, FG 14. Aufl. § 60 Rdnr. 10; MüKo./Schwab, BGB 3. Aufl. § 1791 b Rdnr. 13; Soergel/Zimmermann, BGB 13. Aufl. § 1791 b Rdnr. 9). Die somit gemäß §§ 29 Abs. 2, 22 Abs. 1 FGG ab Zustellung laufende Beschwerdefrist von zwei Wochen ist hier gewahrt.

2. In der Sache bleibt die weitere Beschwerde ohne Erfolg. Der angefochtene Beschluss beruht nicht auf einer Verletzung des Gesetzes (§§ 27 Abs. 1 FGG, 550 ZPO). Die von den Vorinstanzen getroffene Auswahlentscheidung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

a) Im Ausgangspunkt zutreffend hat die Kammer nach dem Grundsatz der formellen Anknüpfung ihre sachliche Zuständigkeit bejaht. Allerdings war die Anregung des Beteiligten zu 2) unter Hinweis auf die in FamRZ 2000, 243 veröffentlichte Entscheidung des Senats vom 14. Juni 1999 (3 W 132/99) an das Amtsgericht - Familiengericht - gerichtet. Gleichwohl hat in der Sache mit Beschluss vom 28. Dezember 2000 nicht das Familiengericht, sondern das Vormundschaftsgericht entschieden. Da sich Rechtsmittelzuständigkeit und Rechtsmittelverfahren jedoch danach bestimmen, welcher Spruchkörper tatsächlich tätig geworden ist (vgl. Senat FGPrax 1997, 22, 23; BayObLG FamRZ 2001, 716), war hier die Beschwerdeentscheidung nicht von einem Familiensenat des OLG, sondern - wie geschehen - vom Landgericht zu treffen.

b) Weiterhin ist das Landgericht ohne Rechtsfehler von einer auf die Auswahlentscheidung beschränkten Erstbeschwerde ausgegangen. Ebenso wie im Betreuungssachen (vgl. etwa Senat FGPrax 1997, 104 sowie Beschluss vom 29. November 1999 - 3 W 243/99 -) ist auch für die Pflegschaft anerkannt, dass es sich bei deren Anordnung und der Auswahl des Pflegers um selbständige Verfahrensgegenstände handelt, mithin die Beschwerde - wie hier - auf die Anfechtung der Auswahlentscheidung beschränkt werden kann (vgl. BayObLG FamRZ 1989, 1342, 1343 und 2000, 1112 jew. m.w.N.).

c) Ist danach allein die Auswahlentscheidung Gegenstand des Beschwerdeverfahrens, kann dahingestellt bleiben, ob das Vormundschaftsgericht auch für die Anordnung zuständig war (ablehnend Senat FamRZ 2000, 243; vgl. zur Streitfrage zusammenfassend Bestelmeyer, Anm. zu OLG Hamm FamRZ 2001, 718, 719). Denn unabhängig hiervon war das Vormundschaftsgericht jedenfalls neben dem Faamiliengericht für die Auswahl eines Pflegers zuständig (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 1999, 1601). Soweit das OLG Hamm (FamRZ 2001, 717, 718) neuerdings die Auffassung vertritt, für die Auswahl des Pflegers sei ebenfalls das Familiengericht ausschließlich zuständig, braucht darauf nicht näher eingegangen zu werden. Denn im Unterschied zu der vom OLG Hamm beurteilten Sachlage - vorausgehende Anordnung durch das Familiengericht - hat hier das Vormundschaftsgericht die Pflegschaft angeordnet. Dessen Zuständigkeit für die Auswahl des Pflegers ergibt sich demnach aus §§ 1915 Abs. 1, 1776 ff BGB.

d) Schließlich unterliegt die vom Amts- und Landgericht getroffene Auswahlentscheidung keinen rechtlichen Bedenken.

aa) In verfahrensrechtlicher Hinsicht hat das Landgericht weder die Anhörungspflichten (§§ 50 a ff FGG) noch die Pflicht zur gebotenen Sachaufklärung (§ 12 FGG) verkannt. Die Gründe für ein Absehen von der persönlichen Anhörung der Eltern und des Kindes sind nachvollziehbar dargelegt. Des Weiteren hat sich das Landgericht unter Hinweis auf die einschlägige Entscheidung des Senats (Rpfleger 1987, 160) mit der Frage befasst, ob als Einzelpfleger eine geeignete Person zur Verfügung steht. Hinsichtlich der Erwägungen, aufgrund derer das Landgericht hier gegenüber einer möglicherweise ebenfalls geeigneten Einzelperson die Bestellung des Jugendamts vorgezogen hat, wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Irgendwelche Gesichtspunkte, die gegen die angeführten Zweckmäßigkeitserwägungen sprechen könnten, sind weder dargelegt noch werden solche von der Rechtsbeschwerde aufgezeigt.

bb) Des Weiteren verstößt die getroffene Auswahl nicht gegen § 87 c Abs. 3 SGB VIII. Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist zwar für eine Pflegschaft, die durch Bestellung des Vormundschaftsgerichts eintritt, das Jugendamt zuständig, in dessen Bereich das Kind oder der Jugendliche seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Hier hat des Kind seinen Wohnsitz aus dem Zuständigkeitsbereich des Beteiligten zu 2) zunächst in denjenigen des Beteiligten zu 3), später in denjenigen des Beteiligten zu 4) verlegt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die vorgenannte Zuständigkeitsregelung aber nicht zwingend. Soweit dies in der Literatur vertreten wird (vgl. Oberloskamp/Brüggemann/Kurekel, Vormundschaft § 16 Rdnr. 31; Wiesner, SGB VIII § 87 c Rdnr. 15; Klinkhardt, SGB VIII § 87 c Rdnr. 36), vermag der Senat dem in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen nicht beizutreten. Abgesehen davon, dass selbst die vorgenannten Autoren Ausnahmen nicht ausschließen (vgl. etwa Oberloskamp/Brüggemann/Kurekel aaO § 16 Rdnrn. 34 a ff und § 16 Rdnr. 31 i.V.m. § 18 Rdnr. 5; Klinkhardt aaO § 87 c Rdnr. 17), ist auch ansonsten in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass das Gericht statt des nach § 87 c Abs. 3 SGB VIII zuständigen Jugendamts aus Gründen des Kindeswohls ausnahmsweise ein anderes Jugendamt zum Pfleger bestellen kann (vgl. BayObLG FamRZ 1997, 897, 898; OLG Hamm FamRZ 1995, 830, 831; FGPrax 1998, 103, 104; OLG Hamm FamRZ 1995, 830, 831; OLG Karlsruhe DAVorm 1993, 90, 91; Palandt/Diederichsen, BGB 60. Aufl. § 1791 b Rdnr. 2; Soergel/Zimmermann, BGB 13. Aufl. § 1791 b Rdnr. 11; Erman/Holzhauer, BGB 10. Aufl. § 1791 b Rdnr. 2). Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde zwar darauf hin, dass die vorgenannten Entscheidungen des BayObLG und der übrigen Oberlandesgerichte im Wesentlichen zur Entlassungsentscheidung nach § 87 c Abs. 3 Satz 3 SGB VIII ergangen sind, wobei mit Blick auf §§ 1889 Abs. 2 Satz 1, 1887 Abs. 1 BGB auch auf das Wohl des Kindes abgestellt wurde. Im Unterschied dazu hatte hier die ursprünglich für das Kind bestehende Amtspflegschaft bzw. Beistandschaft kraft Gesetzes geendet; somit bedurfte es keiner Entlassungsentscheidung. Ein entsprechender Antrag war auch folgerichtig nicht gestellt. Dies ändert aber nichts daran, die hier zu treffende Auswahl dennoch unter Berücksichtigung des Kindeswohls vorzunehmen. Es liegen nämlich insofern vergleichbare Sachverhalte vor, als auch hier ein Jugendamt bereits mit der Pflegschaft befasst war, also mit den Verhältnissen des betroffenen Kindes bereits bestens vertraut ist. Auch wenn im gerichtlichen Verfahren über die Änderung der Zuständigkeit gemäß § 87 c Abs. 2 SGB VIII zu entscheiden gewesen wäre, könnten die Belange des Kindeswohls nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. OLG Karlsruhe DAVorm 1993, 90, 91; BayObLG DAVorm 1997, 436, 437 und FamRZ 1994, 1187, 1188; zustimmend auch Oberloskamp/Brüggemann/Kunkel aaO § 16 Rdnr. 36). Nichts anderes kann gelten, wenn - wie hier - die vorausgegangene Amtspflegschaft bzw. Beistandsschaft beendet war, nach wie vor aber aufgrund der früheren Tätigkeit Bedarf für eine Pflegschaft im Unterhaltsfestsetzungsverfahren besteht. Insoweit ist von Bedeutung, dass die Neuregelung in § 87 c Abs. 2 und 3 SGB VIII eine gesetzgeberische Festschreibung der Rechtsprechung des BGH darstellt, wonach ein Aufenthaltswechsel von Mutter und Kind in aller Regel die Weitergabe an das andere Jugendamt gebietet; jedoch sind Ausnahmen möglich (vgl. OLG Karlsruhe DAVorm 1993, 90, 91 unter Hinweis auf BGH NJW 1978, 543, 544 = FamRZ 1978, 103, 104). In Fällen, in denen - wie hier - bereits ein Jugendamt mit der Sache befasst war, hält der Senat es daher für zulässig, bei der Auswahl eines geeigneten Pflegers auch auf das Wohl des Kindes abzustellen. Das gilt insbesondere, wenn die Frage der Abstammung und der Unterhaltspflicht noch nicht geklärt sind (vgl. BGH aaO).

cc) Ausgehend von diesen Grundsätzen weist die getroffene Auswahlentscheidung auch keinen Ermessensfehler auf. Hier ist der dem Betroffenen zustehende Unterhaltsbetrag noch nicht festgesetzt. Amts- und Landgericht sind insoweit davon ausgegangen, dass der Beteiligte zu 2) aufgrund des von ihm eingeleiteten Verfahren über die zur Fortsetzung notwendigen Kenntnisse verfügt, wodurch "Reibungsverluste" vermieden werden. Die Kontinuität ist ein Zweckmäßigkeitsgesichtspunkt, der zur Beschleunigung beitragen kann und damit dem Wohl des Kindes dient. Danach ist nicht erkennbar, dass die Vorinstanzen von ihrem Ermessen keinen bzw. rechtsfehlerhaft Gebrauch gemacht hätten. Auch sonstige - im Rahmen der Ermessensnachprüfung relevante - Mängel (vgl. dazu Keidel/Kuntze/Winkler/Kahl aaO § 27 Rdnr. 27) sind nicht ersichtlich. Die Rechtsbeschwerde erhebt insoweit auch keine Rügen.

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Gemäß § 131 Abs. 3 KostO ergeht auch der Beschluss des Senats gerichtsgebührenfrei. Weil nur der Beteiligte zu 2) am Verfahren der weiteren Beschwerde förmlich beteiligt ist, bedarf es schließlich keiner Erstattungsanordnung gemäß § 13 a FGG.

Ende der Entscheidung

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