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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 08.12.2004
Aktenzeichen: 3 W 187/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1896
BGB § 1903
1. Zur Notwendigkeit der Differenzierung zwischen Betreuungsbedürftigkeit und Betreuungsbedarf bei der Prüfung der Frage, ob eine rechtliche Betreuung erforderlich ist.

2. Die - erstmalige - Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts ist dem Landgericht als Gericht der Erstbeschwerde aus Rechtsgründen verwehrt.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen 3 W 187/04

In dem Verfahren

betreffend die mit den Aufgabenkreisen der Gesundheitsfürsorge, der Vermögenssorge und der Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über die Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen (wie das Anbringen von Bettgittern, Fixierungen, Medikation u. ä.) angeordnete rechtliche Betreuung für J......... V........., geb............... hat der 3. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Richter am Oberlandesgericht Petry und die Richterinnen am Oberlandesgericht Simon-Bach und Stutz auf die weitere Beschwerde des Betroffenen vom 31. August 2004 gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 13. August 2004

ohne mündliche Verhandlung

am 8. Dezember 2004

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss und der Beschluss des Amtsgerichts - Vormundschaftsgericht - Pirmasens vom 20. Oktober 2003 betreffend die Anordnung von Betreuung werden aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die etwaige Erstattung von Auslagen des Betroffenen in allen Rechtszügen, an das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - Pirmasens zurückverwiesen.

Gründe:

1. Das Rechtsmittel des Betroffenen ist als weitere Beschwerde (§ 27 Abs. 1 FGG) gegen die Anordnung von Betreuung statthaft, nicht an eine Frist gebunden und auch im Übrigen verfahrensrechtlich bedenkenfrei (§§ 29 Abs. 1 und Abs. 4, 21 Abs. 2 Satz 1 FGG). Die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen folgt jedenfalls aus § 66 FGG. Die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde wird auch nicht dadurch berührt, dass der vom Vormundschaftsgericht in der Betreuungsanordnung vom 20. Oktober 2003 bestimmte Überprüfungszeitpunkt (20. Oktober 2004) überschritten ist; denn die angeordnete Betreuung hat mit dem Verstreichen der gemäß § 69 Abs. 1 Nr. 5 FGG festgesetzten Frist nicht automatisch geendet (Damrau/Zimmermann, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 69 FGG Rdnr. 20; Keidel/Kayser, FG, 15. Aufl., § 69 Rdnr. 6; BayObLG FamRZ 1998, 1183, 1185).

Der Senat entscheidet in der Besetzung, die durch den vom Präsidium des Pfälzischen Oberlandesgerichts beschlossenen Geschäftsverteilungsplan in Verbindung mit der senatsinternen Geschäftsverteilung vorgegeben ist. Infolge eines Verhinderungsfalles ist dabei die Richterin am Oberlandesgericht Simon-Bach als planmäßige Vertreterin in die zur Entscheidung berufene Sitzgruppe eingerückt.

2. In der Sache führt die weitere Beschwerde zu einem jedenfalls vorläufigen Erfolg.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen beruhen auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO), weil die Tatrichter entgegen § 12 FGG den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt haben. Die bisherigen Tatsachenfeststellungen tragen nicht die angeordnete rechtliche Betreuung für die Besorgung praktisch aller Angelegenheiten des Betroffenen.

a) Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, bestellt das Vormundschaftsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Gegen den Willen des Betroffenen - so liegt der Fall hier - darf eine "Zwangsbetreuung" nur angeordnet werden, wenn der Betroffene aufgrund seiner psychischen Erkrankung oder seiner geistigen oder seelischen Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen kann. Dies sagt das Gesetz zwar nicht ausdrücklich, ergibt sich aber aus einer verfassungskonformen Auslegung (vgl. Senat FamRZ 2004, 1897 = OLGR Zweibrücken 2004, 565, 566 m. w. N.).

b) Bei der Prüfung der Frage, ob eine Betreuung erforderlich ist, muss zwischen Betreuungsbedürftigkeit und Betreuungsbedarf unterschieden werden: Erstere bezieht sich auf die Unfähigkeit des Volljährigen zur Besorgung seiner Angelegenheiten, Letzterer auf den Kreis der konkret zu besorgenden Angelegenheiten (BVerfG FuR 2002, 241; BayObLG FamRZ 1998, 1183, 1184 m. w. N.; Palandt/Diederichsen, BGB, 63. Aufl., § 1896 Rdnr. 9). Für eine so genannte "Zwangsbetreuung" des Betroffenen müssen demgemäß bei diesem kumulativ folgende Voraussetzungen vorliegen (vgl. Meier, FPR 2004, 659):

- psychische Krankheit oder körperliche, geistige oder seelische Behinderung (subjektive Betreuungsvoraussetzungen)

- hieraus resultierendes Unvermögen, seine Angelegenheiten ganz oder teilweise zu besorgen (Kausalität/objektive Betreuungsvoraussetzungen)

- Erforderlichkeit der Betreuerbestellung wegen Nichtvorhandenseins anderer Hilfen (Angehörige, Freunde, Nachbarn, etc.) bzw. einer Vollmacht, § 1896 Abs. 2 BGB (Subsidiarität der Betreuungsanordnung).

c) Den hieran anknüpfenden Ermittlungs- und Begründungsanforderungen bei der Anordnung von Betreuung werden die Entscheidungen der Vorinstanzen im vorliegenden Fall nicht in jeder Hinsicht gerecht.

aa) Allerdings bestehen im Ausgangspunkt keine rechtlichen Bedenken gegen die Überzeugungsbildung der sachverständig beratenen Tatrichter, dass der Betroffene Merkmale seelischer Abnormität aufweist, die das Gewicht des Krankhaften haben.

Die Zivilkammer hat ausgeführt, der Betroffene leide nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. med. B.... an einer schweren Persönlichkeitsstörung mit paranoiden und querulatorischen Anteilen. Diese zeige sich darin, dass der Betroffene im Antrieb deutlich angehoben sei, stellenweise drangvoll wirkend, megaloman, im Denkablauf beschleunigt, übersprudelnd und nur wenig ablenkbar, dabei verhaftet überwiegend an Themen wie Strafprozesse mit Fixierung auf wenig Denkinhalte. Der Betroffene komme immer wieder auf die gleichen Denkinhalte zurück, wobei die Details dann zum Teil weitschweifig und sehr pedantisch im Einzelnen dargestellt würden. Es bestehe ebenso der Verdacht auf Beziehungs- und Beeinträchtigungsideen mit nicht korrigierbarer Überzeugung, insbesondere durch Instanzen, Richter und Staatsanwälte hintergangen und missbraucht zu werden. Aufgrund dieser psychopathologischen Befunde sei der Betroffene im Rahmen der Wahrnehmung seiner Geschäfte deutlich beeinträchtigt. Diese paranoide Störung in Form von Verfolgungswahn und Selbstüberschätzung zeige sich auch in dem von dem Betroffenen in dem vorliegenden Verfahren an den Tag gelegten Verhalten. Denn dieses belege eindeutig, dass er sich in der Rolle des ungerechtfertigt Verfolgten fühle, der seinerseits über wesentlich bessere Kenntnisse als alle anderen, insbesondere auch die entscheidenden Personen und Instanzen, verfüge. Das komme auch darin zum Ausdruck, dass er in seinen Ablehnungsanträgen den jeweiligen Richtern jegliche Kompetenz abspreche und auch insbesondere den Gutachter angreife und ihm dabei jegliche Kompetenz abspreche und ihn in unhaltbarer Weise bezichtige, zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung unter Alkohol- und Drogeneinfluss gestanden zu haben.

Diese Beweiswürdigung der Zivilkammer zu der Frage, ob die bei dem Betroffenen von dem Sachverständigen festgestellten Wahnideen krankhafter Natur sind, also zum Vorliegen der medizinischen Betreuungsvoraussetzungen, hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Das Landgericht hat sich bei seinen Feststellungen zum Krankheitsbild insbesondere auf das nach Exploration des Betroffenen erstellte schriftliche Gutachten des Arztes für Neurologie und für Psychiatrie Dr. med. B.... vom 1. April 2003 gestützt. Dass die Tatrichter daraus die Überzeugung vom Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung bei dem Betroffenen gewonnen haben, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Würdigung von Gutachten ist Sache der freien tatrichterlichen Überzeugungsbildung und vom Senat als Rechtsbeschwerdegericht nur dahin überprüfbar, ob der Tatrichter den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend erforscht (§ 12 FGG) und bei der Erörterung des Beweisstoffes alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat (§ 25 FGG), ob die Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, ferner ob die Beweisanforderungen vernachlässigt oder überspannt worden sind (vgl. Senat, OLGR Zweibrücken 2004, 565, 566 m.w.N.).

Soweit nach diesen Grundsätzen eine Überprüfung der tatrichterlichen Entscheidung stattfindet, sind derartige Rechtsfehler bei der Feststellung der medizinischen Betreuungsvoraussetzungen nicht erkennbar. Insbesondere unter Berücksichtigung auch der in dem angefochtenen Beschluss des Landgerichts näher dargestellten Auffälligkeiten im Verhalten des Betroffenen in dem vorliegenden Betreuungsverfahren sowie von Inhalt und Diktion seiner zahlreichen schriftlichen Eingaben sind die von der Zivilkammer gezogenen Schlussfolgerungen zu den subjektiven Betreuungsvoraussetzungen (Betreuungsbedürftigkeit) zumindest möglich. Zwingend sein müssen sie nicht.

Von der erforderlichen spezifischen Sachkunde des Gutachters, der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie ist, durften Amtsgericht und Landgericht ohne Weiteres ausgehen. Die Angriffe des Betroffenen gegen Kompetenz und Unparteilichkeit des Sachverständigen Dr. med. B.... sind offensichtlich ohne Substanz.

bb) Demgegenüber ist in den instanzgerichtlichen Entscheidungen bislang nicht aufgezeigt oder nach dem Inhalt der Akten sonst ersichtlich, dass für den Betroffenen die vom Vormundschaftsgericht faktisch angeordnete "Totalbetreuung" erforderlich im Sinne von § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB ist.

Zwar legt das bei ihm festgestellte Krankheitsbild (wahnartige, unkorrigierbare Überzeugung, in böswilliger Weise fortwährend Rechtsbeeinträchtigungen insbesondere seitens der Justiz zu erfahren) nahe, dass vorliegend eine rechtliche Betreuung z. B. für die Aufgabenkreise "Gerichtliche Auseinandersetzungen", "Erledigung von Behördenangelegenheiten" oder "Wahrung der Interessen, der Rechte und Pflichten des Betreuten gegenüber Gerichten und Justizbehörden" (vgl. dazu etwa Bienwald, Betreuungsrecht, 3. Aufl., S. 145 f, 190) in Betracht kommen kann. Ob insoweit jedoch auch aus nervenärztlicher Sicht ein objektiver Betreuungsbedarf (krankheitsbedingtes Unvermögen des Betroffenen zur eigenen Besorgung dieser Angelegenheiten) besteht, lässt sich dem Gutachten des Sachverständigen Dr. B.... nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen (vgl. dort S. 17 unter 3.). Dazu bedarf es deshalb ergänzenden sachverständigen Rates.

Nach dem Sozialbericht der Betreuungsbehörde vom 1. Juli 2002 und dem übrigen Akteninhalt scheint es im Übrigen so, dass der inzwischen 55 Jahre alte Betroffene körperlich gesund ist und die praktischen Anforderungen des täglichen Lebens bewältigt. Von daher ist - vorbehaltlich etwaiger neuer Erkenntnisse aufgrund weiterer Ermittlungen - nicht ersichtlich, warum derzeit eine rechtliche Betreuung mit den Aufgabenkreisen der Sorge für die ( insbesondere körperliche) Gesundheit, der allgemeinen Vermögenssorge und der Aufenthaltsbestimmung (einschließlich der Entscheidung über freiheitsentziehende Maßnahmen) erforderlich wäre. Allein der Umstand, dass nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. B.... eine Betreuung auch für diese Aufgabenkreise "in Frage kommt", vermag die Anordnung einer reinen "Vorratsbetreuung" ohne konkreten aktuellen Betreuungsbedarf nicht zu rechtfertigen.

d) Die zwecks Durchführung der weiteren Ermittlungen zum Vorliegen und ggfs. zum Umfang von Betreuungsbedarf sonach gebotene Aufhebung und Zurückverweisung erfolgt hier an das Amtsgericht als Gericht des ersten Rechtszuges. Dafür ist die Überlegung ausschlaggebend, dass das Vormundschaftsgericht im Falle der erneuten Anordnung von Betreuung namentlich mit dem Aufgabenkreis der Vertretung des Betroffenen in Behördenangelegenheiten auch - mit sachverständiger Hilfe (§ 68 b Abs. 2 FGG) - wird prüfen müssen, ob es für diesen Aufgabenkreis ggfs. der flankierenden Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts (§ 1903 Abs. 1 BGB) bedarf. Da nämlich die Betreuerbestellung auf die Geschäftsfähigkeit des Betreuten keinen Einfluss hat und dieser trotz der Betreuungsanordnung handlungsfähig bleibt und in dieser Beziehung durch die Betreuerbestellung in seiner Rechtsposition nicht eingeschränkt wird, besteht ansonsten die Möglichkeit, dass er sich auch in dem Aufgabenkreis seines Betreuers durch eigenes (konkurrierendes) Handeln selbst schädigt (zu dieser Problematik vgl. etwa Bienwald, FamRZ 2004, 1898).

Die - erstmalige - Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts wäre jedoch dem Landgericht als Gericht der Erstbeschwerde aus Rechtsgründen verwehrt (vgl. BayObLGZ 1996, 81, 83 = FamRZ 1996, 1035 und BayObLG FamRZ 1998, 1183, 1184).

3. Da aufgrund des Auftretens des Betroffenen im Verfahren kein Zweifel besteht, dass er selbst imstande ist, seine Interessen nachdrücklich wahrzunehmen, war die Bestellung eines Verfahrenspflegers für die Rechtsbeschwerdeinstanz entbehrlich. Der mit Telefaxschreiben vom 6. Dezember 2004 geltend gemachte Anspruch des Betroffenen auf mündliche Verhandlung vor dem Senat besteht nicht; als Rechtsfürsorgeangelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit unterfällt das Betreuungsverfahren insbesondere nicht der Verfahrensgarantie des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK. Mit der Entscheidung über die weitere Beschwerde musste auch nicht bis zum Ablauf der von dem Betroffenen zum wiederholten Male beantragten "stillschweigenden Fristverlängerung zur weiteren Begründung" des Rechtsmittels zugewartet werden; darauf ist der Betroffene bereits mit Verfügung vom 12. November 2004 hingewiesen worden.

Ein Ausspruch über die Verpflichtung zur Tragung von Gerichtskosten ist im Hinblick auf § 131 KostO nicht veranlasst; wegen des nur vorläufigen Erfolges des Rechtsmittels war die Entscheidung über eine etwaige Auferlegung außergerichtlicher Kosten des Betroffenen auf die Staatskasse (§ 13 a Abs. 2 FGG) für alle Instanzen dem Amtsgericht zu übertragen.

Ende der Entscheidung

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