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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Urteil verkündet am 28.09.2006
Aktenzeichen: 4 U 137/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 832
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 4 U 137/05

Verkündet am: 28. September 2006

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatz infolge Verletzung einer Aufsichtspflicht

hat der 4. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Staab, den Richter am Oberlandesgericht Friemel und die Richterin am Oberlandesgericht Bastian-Holler auf die mündliche Verhandlung vom 31. August 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten zu 4) und 5) wird das Urteil der Einzelrichterin des Landgerichts Kaiserslautern vom 25. August 2005 im Kostenausspruch und in Ziffer 1 hinsichtlich der Verurteilung der Beklagten zu 4) und 5) abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen.

Ziffer 3 des Urteils vom 25. August 2005 wird wie folgt neu gefasst:

Von den Gerichtskosten in erster Instanz haben der Kläger 43 % und die Beklagten zu 1), 2), 3), und 6) als Gesamtschuldner 57 % zu tragen.

Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 4) und 5) in erster Instanz in voller Höhe sowie die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1), 2), 3), und 6) in erster Instanz in Höhe von 15 % zu tragen.

Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers in erster Instanz haben die Beklagten zu 1), 2), 3), und 6) als Gesamtschuldner 57 % zu tragen.

Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger (als früherer) Eigentümer eines Gartenhauses hinter dem Anwesen H...straße ..., 6... N..., verlangt von den Beklagten zu 4) und 5) als Eltern des am 8. Juli 1991 geborenen Sohnes M... (Beklagter zu 6) den Ersatz des Sachschadens wegen vollständigen Abbrennens des Gartenhauses am 19. Oktober 2002 gegen 19.00 Uhr infolge gemeinschaftlichen "Zündelns" der Kinder M... und der am 6. August 1991 geborenen S... E... (Beklagte zu 3).

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die im Verfahren der ersten Instanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das erstrichterliche Urteil verwiesen.

Ferner wird auf den Inhalt des beigezogenen selbständigen Beweisverfahrens zwischen den Parteien vor dem Landgericht Kaiserslautern, Az.: 3 OH 12/04, und des beigezogenen Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern gegen die Beklagten zu 3) und 6) wegen Brandstiftung, Az.: 6111 Js 20311/02, Bezug genommen.

Das Erstgericht hat der Klage über 15.735,01 € Schadensersatz in Höhe von 13.483,-- € gegen sämtliche Beklagte stattgegeben und eine Kostenverteilung von 85 % zu Lasten der Beklagten als Gesamtschuldner und 15 % zu Lasten des Klägers vorgenommen.

Zur Begründung der Haftung der Beklagten zu 4) und 5) wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sie ihre elterliche Aufsichtspflicht gem. § 832 BGB verletzt hätten, da eine gezielte Kontrolle der länger im Freien spielenden Beklagten zu 3) und 6) nicht stattgefunden habe. Die Eltern müssten sich deshalb vorwerfen lassen, dass ihnen der zeitweilige Aufenthalt der Kinder im Bereich des Gartenhauses des Klägers entgangen sei.

Die Erstrichterin ist bei ihrer Entscheidung ausdrücklich davon ausgegangen, dass der Beklagte zu 6) durch die Beklagten zu 4) und 5) und durch die Mitgliedschaft in der Berufsfeuerwehr über die Gefahren und den Umgang mit Streichhölzern belehrt worden war.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten zu 4) und 5), die eine Klageabweisung erstreben.

Die Beklagten zu 4) und 5) tragen vor, dass ein Fehlverhalten, wie es dem Beklagten zu 6) in der Klage angelastet werde, nicht zu erwarten gewesen sei. Eine ständige Beaufsichtigung eines 11-jährigen Jungen durch die Eltern sei nicht möglich gewesen und im Übrigen erzieherisch nicht gewünscht.

Die Beklagten zu 4) und 5) beantragen,

das angefochtene Urteil zu ändern und die gegen sie gerichtete Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger trägt vor, die Mitgliedschaft in der Jugendfeuerwehr entbinde die Beklagten zu 4) und 5) nicht von ihrer Aufsichtspflicht. Die Tatsache, wie die Kinder in fremdes Eigentum eingedrungen seien, belege eindrucksvoll, dass die Kinder zu üblen Streichen neigen würden und einer ständigen Beobachtung und Kontrolle durch ihre Eltern bedürften.

Die hinter den Beklagten zu 1) bis 3) stehende Haftpflichtversicherung hat den von der Erstrichterin in Gesamtschuld ausgeurteilten Schadensersatz nebst Zinsen inzwischen an den Kläger geleistet.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands im Berufungsverfahren wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Verhandlungsprotokoll Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten zu 4) und 5) führt in der Sache zum Erfolg.

Die Beklagten zu 4) und 5) haben zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass sie ihrer Aufsichtspflicht gegenüber dem Beklagten zu 6) im Zusammenhang mit dem Schadensereignis am 19. Oktober 2002 in ausreichendem Maße nachgekommen sind (zur Beweislastverteilung: Münchener Kommentar zum BGB - Wagner -, 4. Aufl., § 832 Rdnr. 42-43).

Den Beklagten zu 4) und 5) war von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung zu bewilligen, wobei insoweit auf die Verfügung des Vorsitzenden vom 20. Januar 2006 (Bl. 237 d.A.) Bezug genommen wird.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestimmt sich das Maß der gebotenen Aufsicht über Minderjährige nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes, wobei sich die Grenze der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen danach richtet, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation tun müssen, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu vermeiden (vgl. Münchener Kommentar zum BGB - Wagner -, a.a.O., § 832 Rdnr. 24).

Den Beklagten zu 4) und 5) ist nicht vorzuwerfen, dass ihnen in der Zeit von 15.00 Uhr bis zum Prospekteaustragen um ca. 18.00 Uhr entgangen ist, dass sich die Beklagten zu 3) und 6) unerlaubt im Gartenhaus des Klägers aufhielten. Bei einem 11-jährigen Jungen wie dem Beklagten zu 6) verbietet sich eine Überwachung auf Schritt und Tritt sowie eine ständige Kontrolle des Aufenthaltsortes durch die Eltern in bestimmten Zeitabschnitten wie bei einem Kleinkind. In diesem Alter muss Kindern ein Spielen im Freien ohne Aufsicht erlaubt sein, wozu auch die Eroberung und das Entdecken von Neuland gehört (so BGH NJW 1984, S. 2574 - 2576; vgl. auch BGH NJW 1996, S. 1404 - 1405; BGH VersR 1969 S. 523 ff.; OLG Hamm VersR 1998 S. 722; OLG Düsseldorf NJW-RR 2000 S. 1193; OLG Frankfurt NJW-RR 2005 S. 1188 - 1189).

Anhaltspunkte dafür, dass M... bereits vorher durch Zündeln oder Sachbeschädigungen aufgefallen ist, bestehen nicht.

Bei N... handelt es sich zudem um einen sehr kleinen ländlich geprägten Ort in der Nähe von K... (laut Internet mit einer Fläche von ca. 5 km² und derzeit 530 Einwohnern), es war ein Samstagnachmittag im Oktober und noch taghell, so dass ein mehrstündiges unbeaufsichtigtes Spielen von 11-jährigen normal entwickelten Kindern im ländlich geprägten Ort ohne ständige Aufmerksamkeitskontrolle durch die Eltern der Normalfall ist.

Den Beklagten zu 4) und 5) kann auch keine fehlende Belehrung und Überwachung des Umgangs des Beklagten zu 6) mit Zündmitteln sein.

Von Eltern der dem Grundschulalter entwachsenen Kindern kann nicht erwartet werden, dass man die Kinder in jedem Fall von Streichhölzern, Feuerzeugen und dergleichen fernhält und diese für sie völlig unerreichbar aufbewahrt (so BGH NJW 1993 S. 1003 - 1004).

Vorliegend kommt noch hinzu, dass rein tatsächlich nicht mehr aufzuklären ist, ob das Feuer mit dem Feuerzeug der Beklagten zu 3) oder mit dem Benzin des Beklagten zu 6) entzündet wurde, d.h. ob überhaupt ein Zündmittel aus dem Verantwortungsbereich der Beklagten zu 4) und 5) benutzt wurde.

Die Leistung des geltend gemachten Schadensbetrages durch die Haftpflichtversicherung der als Gesamtschuldner in erster Instanz mitverklagten Beklagten zu 1) bis 3) an den Kläger führt nicht zu Erledigung im Hinblick auf die streitige Gesamtschuld der Beklagten zu 4) und 5) ( vgl. Zöller - Vollkommer -, 25. Auflage, ZPO, § 91 a Rn 58 Stichwort "Erfüllungshandlungen" unter Verweis auf BGH NJW 2000, 58 ff.).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlagen in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Beschluss

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 13.483,-- € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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