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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Urteil verkündet am 20.11.2003
Aktenzeichen: 4 U 184/02
Rechtsgebiete: VOB/A


Vorschriften:

VOB/A § 21 Nr. 2
VOB/A § 21 Nr. 3
VOB/A § 24 Nr. 1 Abs. 1
VOB/A § 25 Nr. 3 c.i.c. a. F.
1. Gibt ein Bieter lediglich ein Nebenangebot ab, so ist es auf seine Gleichwertigkeit zu prüfen. Maßgebend dafür ist, ob das Nebenangebot den vertraglich vorausgesetzten Zweck unter allen technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfüllt und für den Ausschreibenden geeignet ist. Die Gleichwertigkeit des Nebenangebots muss sich dabei sowohl auf den Preis als auch auf die Qualität des Hauptangebots beziehen.

2. Ein auf Aufforderung des Ausschreibenden erst nach dem Eröffnungstermin vorgenommener Nachweis der Gleichwertigkeit ist zulässig, weil es sich dabei nicht um eine inhaltliche Änderung des Angebots handelt.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 4 U 184/02

Verkündet am: 20. November 2003

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes

hat der 4. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Staab sowie die Richter am Oberlandesgericht Reichling und Friemel

auf die mündliche Verhandlung vom 18. September 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung des Streithelfers der Beklagten gegen das Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 15. November 2002 wird zurückgewiesen.

II. Der Streithelfer der Beklagten hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin beteiligte sich als Bieterin in einem von der Beklagten durchgeführten Ausschreibungsverfahren für den Einbau neuer Lichttechnik im Saalbau in N.... Abweichend von den Ausschreibungsunterlagen, die Lichtpulte der Firma T..., die sich ebenfalls an der Ausschreibung beteiligte, vorsahen, bot die Klägerin andere Lichtpulte an. Den Zuschlag erhielt die Firma T....

Die Klägerin hat der Beklagten vorgeworfen, sie hätte die Arbeiten nicht an die Firma T... vergeben dürfen, weil das Angebot der Klägerin günstiger gewesen sei. Die Beklagte und ihr Streithelfer haben sich darauf berufen, dass die Beklagte nicht passivlegitimiert und das Angebot der Klägerin gegenüber dem Angebot der Firma T... nicht gleichwertig gewesen sei.

Der Einzelrichter der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 41 666,18 EUR nebst Zinsen zu bezahlen und im Übrigen die Klage abgewiesen.

Mit seiner Berufung bekämpft der Streithelfer der Beklagten das Urteil in vollem Umfang. Hierzu wiederholt er im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen.

Er beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil des Einzelrichters, wobei sie sich auf ihr erstinstanzliches Vorbringen stützt.

Auf das angefochtene Urteil, die gewechselten Schriftsätze und vorgelegten Urkunden wird zur Ergänzung der Sachdarstellung Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung führt nicht zum Erfolg. Zutreffend hat das Landgericht festgestellt, dass die Klägerin gegen die Beklagte wegen eines Verschuldens bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo) einen Anspruch auf Schadensersatz hat, weil die Beklagte das Ausschreibungsverfahren zur Vergabe von Lichttechnikarbeiten im Saalbau in N... fehlerhaft durchgeführt hat.

1. Die Beklagte ist entgegen der Meinung der Berufung passiv legitimiert, weil sie in der öffentlichen Ausschreibung vom 10./19. März 1999 eigenen Namens als ausschreibende Stelle aufgetreten ist und ihren Unterlagen nicht mit der erforderlichen Klarheit zu entnehmen war, dass die Beklagte lediglich als Vertreterin der "T..., K...- und S... GmbH" (im Folgenden GmbH genannt) handeln wollte. Der Wille der Beklagten, die Ausschreibung nur als Vertreterin der GmbH durchzuführen, ist deshalb nach § 164 Abs. 2 BGB unbeachtlich. Der Senat nimmt insoweit ergänzend Bezug auf die Ausführungen des Landgerichts.

Aber selbst wenn man die Beklagte als Vertreterin der GmbH ansehen wollte, änderte das an ihrer persönlichen Haftung nichts. Zwar treffen die Verpflichtungen aus dem durch eine öffentliche Ausschreibung geschaffenen Vertrauensverhältnis grundsätzlich nur die Parteien des anzubahnenden Vertrages. Ihr Vertreter haftet aber ausnahmsweise dann, wenn er ein eigenes wirtschaftliches Interesse hat oder er ein persönliches Vertrauen in Anspruch genommen und dadurch die Vertragsverhandlungen wesentlich beeinflusst hat (BGH BauR 2002, 1396; Z 56, 81; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 10. Aufl., Rdnr. 1893 m.w.N.). Ein eigenes wirtschaftliches Interesse des Vertreters liegt vor, wenn er eine so enge Beziehung zum Vertragsgegenstand hat, dass er wirtschaftlich gleichsam in eigener Sache zu handeln scheint. Hierzu genügt bereits, dass er gegenüber der anderen Partei in einer Weise aufgetreten ist, die seine Gleichstellung mit dem künftigen Vertragspartner rechtfertigt (BGH BauR 2000, aaO; Z 56, aaO). Der Saalbau, in dem die ausgeschriebenen Arbeiten durchgeführt werden sollten, steht im Eigentum der Beklagten. Die "T..., K...- und S... GmbH" ist ihre Tochter. Die Beklagte hat (deshalb) selbst die eingehenden Angebote unter Zuhilfenahme ihres Streithelfers geprüft. Die Beklagte hat folglich gleichsam in eigener Sache gehandelt und haftet der Klägerin somit auf Schadensersatz.

2. Zutreffend hat das Landgericht auch einen Verstoß der Beklagten gegen die Vergaberichtlinien (§ 25 Nr. 3 Abs. 3 Satz 2 VOB/A) angenommen, weil die Beklagte der Firma T... den Zuschlag erteilt hat, obwohl das Angebot der Klägerin gleichwertig und kostengünstiger war.

Nach der genannten Vorschrift soll der Zuschlag auf das Angebot erteilt werden, das unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte als das wirtschaftlichste erscheint, wobei der niedrigste Angebotspreis alleine nicht entscheidend ist.

Bei dem Angebot der Klägerin vom 29. April 1999 handelte es sich um ein zulässiges Nebenangebot im Sinne von § 21 Nr. 3 VOB/A. Abweichend von den Ausschreibungsunterlagen der Beklagten, die Lichtstellenanlagen "Focus NT" und "Iris NT" der Firma T... vorsahen, bot die Beklagte Anlagen der Marke "Phönix 2" und Phönix 5" nebst dazugehörendem Zubehör an. Am Charakter als "Nebenangebot" änderte sich dadurch nichts, dass die Klägerin kein Hauptangebot abgeben konnte, weil die Firma T... ihr als Mitbieterin eine Auskunft über ihre Produktpreise verweigert hatte. Es ist möglich, dass ein Bieter nur ein Nebenangebot abgibt (vgl. Ingenstau/Korbion, VOB, 14. Aufl. § 25 VOB/A Rdnr. 89).

Die Beklagte musste das Nebenangebot deshalb werten, ob es "gleichwertig" im Sinne von § 21 Nr. 2 VOB/A war. Entscheidend hierfür war, ob das Angebot der Klägerin den vertraglich vorausgesetzten Zweck unter allen technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfüllte und für die Beklagte geeignet war. Die geforderte Gleichwertigkeit des Nebenangebotes musste sich sowohl auf den Preis als auch die Qualität des Hauptangebots beziehen. Die Kriterien der Wertung des Nebenangebots ergaben sich wie bei einem Hauptangebot aus § 25 Nr. 3 VOB/A (vgl. zu allem Brinker/Ohler Beck'scher VOB-Kommentar § 25 VOB/A Rdnr. 141, 142 m.w.N.).

Das Verfahren der Beklagten war fehlerhaft, weil der Zuschlag nicht dem wirtschaftlichsten Angebot der Klägerin, sondern der Firma T... erteilt wurde. Nach dem festgestellten Sachverhalt endete das Angebot der Klägerin mit einem Preis von 378 635,60 DM, wohingegen sich das Angebot der Firma T... GmbH auf 465 245,43 DM belief. Dieser niedrigere Preis der Klägerin hätte als ausschlaggebendes Kriterium berücksichtigt werden müssen. Zwar ist der Ausschreibende - wie sich aus § 25 Nr. 3 Abs. 3 Satz 3 VOB/A ergibt - nicht verpflichtet, dem Angebot mit dem niedrigsten Preis in jedem Falle den Vorzug zu geben. Der Zuschlag ist nach § 25 Nr. 3 Satz 2 VOB/A vielmehr auf das unter Berücksichtigung aller technischen, wirtschaftlichen, gegebenenfalls auch gestalterischen und funktionsbedingten Gesichtspunkten annehmbarste Angebot zu erteilen (BGH NJW 2000, 137, 661).

Berücksichtigungsfähige, durchgreifende Gründe, von dem günstigsten Angebot abzuweichen, hat das Landgericht nicht festgestellt. Gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen Baumgärtner hat es ausgeführt, dass es sich bei den Geräten der Klägerin entgegen den Behauptungen des Streithelfers nicht um "im Praxisalltag" noch nicht bewährte komplette Neuentwicklungen, sondern um Weiterentwicklungen der von der Klägerin bisher hergestellten "Vision"-Geräte handele und die Geräte der Klägerin gleichwertig seien. Diese Beweiswürdigung lässt einen Rechtfehler nicht erkennen. Die Beklagte bzw. ihr Streithelfer, deren Verschulden sie sich nach § 278 BGB a. F. zurechnen lassen muss, sind deshalb von einem nicht zutreffenden Sachverhalt ausgegangen.

Die Gleichwertigkeit ihres Produkts hatte die Klägerin der Beklagten auch rechtzeitig nachgewiesen. Zwar hat der Bieter die Gleichwertigkeit seines Fabrikats grundsätzlich mit der Angebotsabgabe darzutun (§ 21 Nr. 2 Satz 3 VOB/A), wohingegen die Klägerin der Beklagten die diesbezüglichen Unterlagen erst (auf Aufforderung der Beklagten) nach dem Eröffnungstermin vom 30. April 1999 mit Schreiben vom 3. und 6. Mai 1999 vorgelegt hatte. Der nachträgliche Nachweis der Gleichwertigkeit war aber nach § 24 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A zulässig, weil es sich dabei nicht um eine inhaltliche Änderung des Angebots handelte (vgl. Beck'scher VOB-Kommentar/Jasper, § 24 VOB/A Rdnr. 26, 27; Heiermann/Riedel/Rusam, VOB, 10. Aufl., § 24 VOB/A Rdnr. 7; Ingenstau/Korbion aaO, § 24 Rdnr. 7).

3. Es ist ferner nicht zu beanstanden, dass das Landgericht dem Kläger, gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen B... vom 28. Juni 2002, Schadensersatz in Höhe ihres Erfüllungsinteresses über 41 666,18 EUR zuerkannt hat. Zwar ist der Anspruch bei einem Verstoß gegen das Vergabeverfahren auf den Ersatz der Schäden gerichtet, die der Bieter infolge seines Vertrauens darauf erlitten hat, dass die Ausschreibung nach den Vorschriften der VOB/A abgewickelt wird, was ihn grundsätzlich auf den Ersatz des sog. negativen Interesses, d.h. auf den Ausgleich der durch die Teilnahme an der Ausschreibung entstandenen Aufwendungen beschränkt. In besonderen Fällen kann er darüber hinaus jedoch auch den infolge der Nichterteilung des Auftrages entgangenen Gewinn beanspruchen. Das gilt insbesondere dann, wenn der Auftrag vergeben wurde und er bei richtiger, d.h. rechtmäßiger Handhabung des Verfahrens allein dem Kläger hätte erteilt werden dürfen (vgl. BGH NJW 2000, 661, 663 m.w.N.).

Ein solcher Sachverhalt ist hier gegeben. Einzige Bieter waren die Klägerin und die Firma T... GmbH. Wie ausgeführt hätte der Auftrag der Klägerin erteilt werden müssen, weil ihr Angebot technisch gleichwertig und wirtschaftlich preisgünstiger war.

4. Der Streithelfer der Beklagten kann im Berufungsverfahren gem. §§ 554, 295 ZPO nicht mehr damit gehört werden, dass ihm das Schadensgutachten des Sachverständigen Baumgärtner vom 28. Juni 2002 nicht "zugänglich" gemacht worden sei. Selbst wenn das Gutachten - wie er behauptet - seinem Prozessbevollmächtigten entgegen der Verfügung des Einzelrichters vom 23. Juli 2002 nicht zugegangen wäre, hätte dieser die fehlende Zuleitung in der letzten mündlichen Verhandlung am 25. Oktober 2002 beanstanden müssen. Denn aus den Schriftsätzen des Klägervertreters vom 5. August 2002 und des Beklagtenvertreters vom 9. August 2002, in denen das Gutachten erwähnt wurde, ergab sich, dass das Gutachten vorlag. Der durch die rügelose Verhandlung des Streithelfers in erster Instanz eingetretene Rügeverlust (§ 295 ZPO) wirkt für das Berufungsverfahren fort (§ 534 ZPO).

5. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

6. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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