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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Urteil verkündet am 10.10.2000
Aktenzeichen: 5 U 8/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 253
Leitsatz:

1. Ein unbezifferter Sachantrag ist nur im Prozess gegen den Erstschädiger zulässig, sondern auch zur Geltendmachung eines Schadens, der dadurch entsteht, dass ein Geschäftsbesorgungsvertrag - hier mit einem Rechtsanwalt -, der auf die Geltendmachung des Primärschadens gerichtet ist, pflichtwidrig schlecht erfüllt wird.

2. Zur Aufklärungspflicht wenn die vom Arzt bevorzugte Methode eine von dreien ist und alle in den einschlägigen Lehrbüchern als gleichwertig bezeichnet werden.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Im Namen des Volkes! Urteil

5 U 8/00 9 O 801/97 LandG Kaiserslautern

Verkündet am 10. Oktober 2000

Schöneberger, Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes aus Rechtsanwaltshaftung

hat der 5. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch die Richter am Oberlandesgericht Hoffmann, Goldstein und Weisbrodt auf die mündliche Verhandlung vom 26. September 2000

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 27. März 2000 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten dürfen die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 9.000 DM abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Sicherheiten dürfen auch durch Bürgschaft eines in der Europäischen Union als Zoll- und Steuerbürgen zugelassenen Kreditinstituts geleistet werden.

4. Die Beschwer der Beklagten beträgt mehr als 60.000 DM.

Tatbestand:

Die Beklagten waren die Prozessbevollmächtigten der am 7. Juni 1987 (dem Pfingstsonntag) geborenen Klägerin im Rechtsstreit 3 O 292/90 des Landgerichts Kaiserslautern und 5 U 19/97 des Senats, in welchem die Klägerin von ihren Geburtshelfern und dem Krankenhaus, in dem sie geboren wurde, Schadensersatz verlangte. Die Klage war damals durch Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 19. Februar 1997 abgewiesen worden. Innerhalb der Berufungsfrist beantragte die Klägerin beim Berufungsgericht Prozesskostenhilfe zur Einlegung der Berufung. Auf gerichtlichen Hinweis wegen der fehlenden Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse übersandten die Beklagten per Telefax am Tag des Ablaufs der Berufungsfrist, das war der 14. April 1997, eine solche, jedoch vom 5. Juni 1990 datierende Erklärung. In der Meinung, diese genüge nicht den Anforderungen eines ordentlichen Prozesskostenhilfeantrags, nahmen die Beklagten mit Schriftsatz vom 17. April 1997 diesen Antrag zurück. Das Urteil vom 19. Februar 1997 wurde dadurch rechtskräftig. Die Klägerin hatte ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit 1. Juli 1990 und die Feststellung der Haftung der Stationsärztin, des Oberarztes und des Krankenhauses begehrt. Die Klägerin verlangt nunmehr von den Beklagten Schadensersatz wegen fehlerhafter rechtsanwaltlicher Tätigkeit. Im Berufungsverfahren ist nicht mehr streitig, dass die Beklagten ihrer anwaltlichen Sorgfaltspflicht nicht genügt haben. Auch Angriffe gegen die Höhe des zugesprochenen Schmerzensgeldes werden nicht geführt.

Bei der Geburt der Klägerin hatte sich Folgendes ereignet:

Die Mutter der Klägerin, damals fünfundzwanzigjährig und erstmals schwanger, wurde am 29. Mai 1987 wegen starker Oedeme, damals als monosymptomatische Spätgestose diagnostiziert, bei einer Gewichtszunahme von 30 kg in das Krankenhaus der früheren Beklagten zu 2, damals bereits akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Mainz, aufgenommen. Als Geburtstermin war der 5. Juni 1987 errechnet gewesen. Weitere Risikofaktoren waren nicht vorhanden. Der Verdacht einer Placentainsuffizienz war Wochen vorher schon ausgeräumt worden. Sämtliche weiteren Befunde waren durchgehend unauffällig. Am 7. Juni 1997 ordnete der Oberarzt (der frühere Beklagte zu 3) der geburtshilflichen Abteilung des Krankenhauses eine onkosmotische Therapie mit Thomaedex 40 plus Sorbit zur Behandlung der Oedeme an. Eine Aufklärung betreffend den Einsatz dieses Medikamentes hatte die Mutter der Klägerin nicht erhalten. Mit der Infusion begann die Stationsärztin (die frühere Beklagte zu 1) um 11.10 Uhr, die auf Frage der Mutter der Klägerin die Infusion als für das ungeborene Kind ungefährlich bezeichnet hatte, ohne Vortestung mit Promit. Nach nur wenigen Minuten verließ die Stationsärztin das Krankenzimmer, obwohl ihr die Mutter der Klägerin von aufkommender Übelkeit berichtete. Eine Lernschwester übernahm die weitere Überwachung. Bereits gegen 11.15 Uhr kam es bei der Mutter der Klägerin zu einer allergischen Reaktion mit Schocksymptomatik. Nach Kreislaufstabilisierung und Cortisongabe begann der Oberarzt um 11.40 Uhr mit der Sectio. Geboren wurde die Klägerin um 11.48 Uhr. Die Nabelschnur war zweimal oder dreimal um deren Hals geschlungen. Die APGAR-Werte betrugen 1/2/4. Die Klägerin war stark asphyktisch.

Die Klägerin ist seit Geburt schwerstbehindert. Sie kann weder sprechen noch sitzen. Selbständig kann sie keine Bewegungen ausführen. Sie ist inkontinent. Personen kann sie keine erkennen. Sie leidet an Krampfanfällen, die medizinischer Hilfe bedürfen.

Im Jahre 1987 war bekannt, dass Dextranlösungen allergische Reaktionen auslösen können. Vor dem Einsatz hochmolekularer Lösungen war es deshalb bereits 1982 obligat, Promit, ein Dextranhaptens, vorweg zu geben. Universiätskliniken waren damals auch schon davon abgegangen, solche Oedeme, wie sie bei der Mutter der Klägerin, aufgetreten waren, mit Dextranen zu behandeln und strebten statt dessen die Entbindung an.

Die Klägerin hat vorgetragen:

Die Durchführung der Medikation sei genauso wie die Beaufsichtigung nicht lege artis gewesen. Bei gehöriger Aufklärung, die sich auch über andere Behandlungsmethoden zu verhalten gehabt hätte, hätte sie der Infusion nicht zugestimmt, sondern sich für die Einleitung der Geburt entschieden.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie Schadensersatz in Höhe des Betrages zu zahlen, der bei erfolgreicher Klage im Verfahren 3 O 292/90 des Landgerichts Kaiserslautern als angemessenes Schmerzensgeld festzusetzen gewesen wäre, nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 1. Juli 1990,

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihr sämtliche materiellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Vorfall vom 7. Juni 1987 im Städtischen Krankenhaus Kaiserslautern künftig entstehen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen seien.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die 4. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern hat Sachverständigenbeweis erhoben, die Mutter der Klägerin gemäß § 141 ZPO angehört sowie die Akten 3 O 292/90 und 5 Js 2781/88 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht und durch Urteil vom 27. März 2000 die Beklagten verurteilt, an die Klägerin als Schmerzensgeld 200.000 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 1. Juli 1990 zu zahlen und festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihr sämtliche materiellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Vorfall vom 7. Juni 1987 im Städtischen Krankenhaus K... künftig entstehen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen seien. Die Beklagten hätten den Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin sorgfaltswidrig behandelt. Auf die Berufung wären jedenfalls die Stationsärztin und das Krankenhaus verurteilt worden. Weil nicht die Daxtranbehandlung, sondern die Einleitung der Geburt die Methode der Wahl gewesen wäre, außerdem wegen des Risikos der Dextranbehandlung hätte die Mutter der Klägerin insoweit ärztlich aufgeklärt werden müssen.

Die Mutter der Klägerin hätte sich dann nicht für die medikamentöse Behandlung entschieden. Der Nabelschnurvorfall sei als alleinige Ursache für den Schaden der Klägerin auszuschließen. Aufklärungspflichtig sei jedenfalls auch die Stationsärztin gewesen, weil diese die Behandlung durchgeführt habe. Das Krankenhaus habe sich nicht exculpiert, weil es nicht dargelegt habe, dass es auf eine ordnungsgemäße Aufklärung hingewirkt und die Befolgung dieser Anordnung überwacht habe. Ein Schmerzensgeld von 200.000 DM sei auch bei der fehlenden Wahrnehmungsmöglichkeit der Klägerin in sämtlichen Bereichen angemessen. Auf dieses Urteil wird Bezug genommen.

Gegen dieses ihnen von Amts wegen am 6. April 2000 zugestellte Urteil haben die Beklagten am 8. Mai 2000, einem Montag, Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel am 30. Mai 2000/8. Juni 2000 innerhalb gewährter Fristverlängerung begründet.

Die Beklagten rügen:

Soll der Verstoß gegen die Aufklärungspflicht zum Schadensersatz verpflichten, müsse feststehen, dass die Klägerin bei gehöriger Erfüllung gesund geboren worden sei. Dies habe die Zivilkammer festgestellt, ohne sich mit den Gutachten des vorausgegangenen Verfahrens auseinander zu setzen. Der neuropädiatrische Sachverständige habe es in den Bereich der Spekulation verwiesen, dass die Klägerin gesund geboren worden wäre.

Die Zivilkammer hätte die Verurteilung nur nach einem Hinweis gemäß § 139 ZPO auf die Verletzung der Aufklärungspflicht stützen dürfen.

Die Mutter der Klägerin sei nicht aufklärungsbedürftig gewesen, weil bei ihr keine vom Normalfall abweichende Risikolage bezüglich einer Empfindlichkeit gegen das verwendete Medikament bestanden habe. Dagegen seien das Überwicht und die Ödeme für das Kind besonders gefährlich gewesen. In Anbetracht dessen habe der mutmaßliche Wille der Mutter der Klägerin, sich mit dem Medikament, das mögliches Mittel der Wahl gewesen sei, behandeln zu lassen, unterstellt werden dürfen. Für die Mutter der Klägerin hätte daher ein Entscheidungskonflikt nicht bestanden. Das Absehen vom Ausschwemmen der Ödeme sei damals noch kein Allgemeingut in den Krankenhäusern gewesen. Kontraindiziert sei die Medikamentenbehandlung nicht gewesen.

Auf die fehlerhafte Verabreichung - keine Vortestung mit Promit - habe nicht hingewiesen werden müssen, weil Behandlungsfehler nicht im Wege der Aufklärung bewältigt werden dürften, sondern zu unterbleiben hätten.

Die Nabelschnurumschlingung könne als alternative Ursache nicht ausgeschlossen werden. Auch dies verkenne das angefochtene Urteil.

Auch bei einer Vortestung hätte es nach Auffassung der Sachverständigen zu einem Schock kommen können.

Die Beklagten beantragen,

das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil:

Die Aufklärungspflichtverletzung sei Gegenstand des Beweisbeschlusses vom 17. März 1998 gewesen. Eine Aufklärung hätte auch nach Auffassung des Sachverständigen erteilt werden müssen. Die anaphylaktische Reaktion sei als typisches Risiko bekannt gewesen. Für den Fötus sei eine solche Reaktion mit einem gravierenden Risiko verbunden. Demgegenüber sei die Gestose für den Fötus nicht gefährlich gewesen. Die Behandlung mit Thomaedex 4,0 sei nicht Methode der ersten Wahl gewesen. Es habe keinen Grund gegeben, zwei Tage nach dem errechneten Termin die Geburt noch abzuwarten. Daher habe eine echte Alternative zur Wahl gestanden. In Kenntnis der unterschiedlichen Risiken - einerseits des einer anaphylaktischen Reaktion, andererseits des einer Sectio - hätte sich ihre Mutter für die Entbindung entschieden.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze, Protokolle und die anderen Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage ist zulässig. Der unbezifferte Sachantrag wegen des Schmerzensgeldes ist statthaft, weil auch hier die Bestimmung des Betrags vom billigen Ermessen des Gerichts abhängig ist. Die Zulässigkeit einer solchen prozessualen Verfahrensweise ist nicht auf das Vorgehen gegen den Erstschädiger beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf den Schaden, der dadurch entsteht, dass ein Geschäftsbesorgungsvertrag, der auf die Geltendmachung des Primärschadens gerichtet ist, pflichtwidrig schlecht erfüllt wird.

Die Klage ist auch im zugesprochenen Umfang begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch aus positiver Verletzung des übernommenen Mandats zur Geltendmachung von Schadensersatz gegen die geburtsleitenden Ärzte und das Krankenhaus, in dem die Klägerin geboren wurde.

Im Regelfall erleidet eine Prozesspartei einen Vermögensschaden, wenn sie einen Prozeß verliert, den sie bei sachgemäßer Vertretung gewonnen hätte. Für diese hypothetische Betrachtung ist maßgebend, wie der Vorprozess nach Auffassung des Gerichts, das mit dem gegen den Prozessbevollmächtigten gerichteten Schadensersatzanspruch befasst ist, richtig hätte entschieden werden müssen. Grundsätzlich ist dabei von dem Sachverhalt auszugehen, der dem Gericht des Vorprozesses bei pflichtgemäßem Verhalten des Prozessbevollmächtigten unterbreitet und von diesem Gericht aufgeklärt worden wäre. Die dazu notwendigen Feststellungen sind nach § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu treffen. Die für den Vorprozess geltenden Regeln über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast sind - mit gewissen Erleichterungen für den Geschädigten - auch für den Anwaltshaftungsprozess zu beachten (BGH, BGHR BGB § 675, Anwaltshaftung 2).

Der Senat ist daher nicht auf den hypothetischen Prüfungsumfang des damaligen Zivilprozesses beschränkt.

Mit der Zivilkammer geht auch der Senat davon aus, dass die Ursächlichkeit einer unterstellt kunstfehlerhaften Verabreichung der Infusion mit Thomaedex 40 ohne Vorgabe von Promit R für den Gesundheitsschaden der Klägerin nicht bewiesen ist und von der Klägerin auch nicht bewiesen werden kann. Gutachterlicherseits konnte nicht ausgeschlossen werden, dass auch die Gabe eines niedermolekularen Medikaments den Schock bei der Mutter der Klägerin hätte auslösen können.

Sämtliche - gerichtliche und privatgutachterlich tätige - Sachverständige, die sich hierzu geäußert haben, haben die Entscheidung, anstatt die Geburt anzustreben, eine Ausschwemmung der Wassereinlagerungen vorzunehmen, als im Jahre 1987 zumindest nicht kontraindiziert angesehen. Daher stellt sich auch nicht die Frage eines groben Behandlungsfehlers mit einer der Klägerin hinsichtlich der Kausalität möglicherweise zukommenden Beweiserleichterung. Dass die Oedembildung in der Spätschwangerschaft mittlerweile nicht mehr als erheblicher Gefährdungsfaktor betrachtet wird, ist kein Hinweis auf eine fehlerhafte Bewertung der Situation. Damals wurde an einen solchen Zustand noch die Vermutung einer erhöhten Mortalitätsquote bei Neugeborenen geknüpft. Dies ist inzwischen widerlegt. Der Sachverständige Prof. Dr. S... hat dies ausgeführt.

Die die Mutter der Klägerin betreuenden Ärzte wären aber, - wie von der Zivilkammer zutreffend gesehen - wegen ungenügender Aufklärung zur Leistung von Schadensersatz verurteilt worden.

Der Zivilkammer ist aus den in der Berufungserwiderung zutreffend angegebenen Gründen kein Verfahrensfehler unterlaufen, weil sie ohne (weiteren) Hinweis gemäß § 139 ZPO, von einem Aufklärungsdefizit ausgegangen ist. Die Klage war erstinstanzlich auch auf die unterlassene ärztliche Aufklärung gestützt (s. nur den Schriftsatz vom 8. September 1999, Seite 7).

Es ist unstreitig, dass eine Aufklärung über Risiken des Medikaments Thomaedex 40 der Mutter der Klägerin nicht erteilt wurde. Unstreitig ist weiter, dass der Stationsärztin die Durchführung der vom Oberarzt angeordneten Infusion als eigene Aufgabe oblag und sie daher auch die Aufklärung der Mutter der Klägerin sicherzustellen hatte. Berufungsangriffe werden gegen diese Beurteilung der Zivilkammer nicht geführt.

In diesem Zusammenhang wollen die Beklagten aus dem neuropädiatrischen Sachverständigengutachten herauslesen, dass es in den Bereich der Spekulation zu verweisen sei, dass die Klägerin auch bei gehöriger Erfüllung der Aufklärungspflicht gesund geboren worden wäre. So ist der Sachverständige nicht zu verstehen. Dieser hat sich vielmehr wie folgt geäußert: Außer einem jeder Geburt innewohnenden Risiko sei für das Kind keine Schädigung absehbar gewesen bzw. wäre ohne Schockgeschehen bei der Mutter mit annehmbarer Sicherheit kein Schaden entstanden (BeiA 3 O 292/90, Blatt 267). Das spekulative Element, das der Sachverständige angesprochen hatte, betraf die Möglichkeit und Erfolgsaussicht, nach dem Schockereignis schneller zu reagieren. Dies wäre nicht vonnöten gewesen, wenn die medikamentöse Behandlung unterblieben wäre. Ob dies festgestellt werden kann, hängt aber davon ab, wie das Aufklärungsdefizit zu bewerten ist.

Die Berufung meint, ein Aufklärungsbedarf habe nicht bestanden, weil die damals ergriffenen Maßnahmen Methode der ersten Wahl gewesen seien, mithin die Mutter nicht hätte aufgeklärt werden müssen und deshalb auch in einen Entscheidungskonflikt nicht hätte kommen können.

Allerdings ist die Wahl der Behandlungsmethode primär Sache des Arztes, so dass dieser in aller Regel davon ausgehen darf, der Patient vertraue insoweit seiner ärztlichen Entscheidung und erwarte keine eingehende fachliche Unterrichtung über spezielle medizinische Fragen (BGH, BGHR § 823, Arzthaftung 18). Gibt es indessen für den konkreten Behandlungsfall mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden, die gleichwertig sind, aber unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen haben, besteht mithin für den Patienten eine echte Wahlmöglichkeit, dann muss ihm durch entsprechende vollständige ärztliche Belehrung die Entscheidung darüber überlassen bleiben, auf welchem Weg die Behandlung erfolgen soll und auf welches Risiko er sich einlassen will (z.B. BGHR, BGB § 823, Arzthaftung 14, 18, 27 und 64).

Vom Sachverständigen Professor Dr. S... weiß der Senat, dass es bereits im Jahre 1987 eine anerkannte ärztliche Methode war, die sich mittlerweile auch durchgesetzt hat, Oedeme, wie sie bei der Mutter der Klägerin aufgetreten waren, nicht auszuschwemmen, sondern, jedenfalls wenn der errechnete Geburtstermin erreicht war, die Geburt anzustreben und die Oedeme ohne weitere Behandlung folgenlos im Wochenbett abklingen zu lassen. Diese Methode war 1987 wohl schon Standard in Universitätskliniken. Wenn die Berufung dies nicht für das Krankenhaus gelten lassen will, in dem die Klägerin geboren wurde, übersieht sie, dass dieses schon damals den Standard und Status eines akademischen Lehrkrankenhauses hatte und die Frauenklinik unter Leitung eines Universitätsprofessors stand (vgl. BeiA 5 Js 2731/88 Blatt 8). Bei der Bemessung der Sorgfaltspflicht ist dies nicht außer Acht zu lassen.

Für die Geburt der Klägerin war der Behandlungsstandard eines Facharztes in einem Krankenhaus, das jedenfalls einen höheren Standard als ein allgemeines Eingangskrankenhaus hat, zu gewährleisten. Es handelte sich wegen der Spätgestose um eine Risikogeburt. So war die Situation auch von den behandelnden und geburtsleitenden Ärzten eingestuft worden.

Dies muss aber nicht weiter vertieft werden.

Über die Möglichkeit, die Oedeme nicht auszuschwemmen, sondern nach anzustrebender Geburt abklingen zu lassen, hätte die Mutter der Klägerin jedenfalls aufgeklärt werden müssen.

Ungefragt muss zwar nicht über neue diagnostische und therapeutische Verfahren unterrichtet werden, die sich erst in Erprobung befinden und erst in einigen Großkliniken zur Verfügung stehen (BGH, NJW 1984,1810 = VersR 1984, 470). Darüber hinaus muss eine etwaige Kenntnis über theoretisch in Betracht kommende, möglicherweise anderswo praktizierte Behandlungsalternativen für den Patienten in seiner jeweiligen Situation entscheidungserheblich sein. Das ist etwa dann nicht der Fall, wenn diese anderen, theoretisch in Betracht kommenden ärztlichen Maßnahmen keine besonders ins Gewicht fallenden Vorteile hinsichtlich der Heilungschancen und möglicher Komplikationen derselben Risikogruppe haben und nach medizinischer Erfahrung jedenfalls nicht besser indiziert sind (BGHZ 102, 17, 22 ff).

Die ärztliche Aufklärungspflicht setzt in Fällen zur Verfügung stehender Behandlungsalternativen andererseits nicht voraus, dass die wissenschaftliche Diskussion über bestimmte Risiken einer Behandlung bereits abgeschlossen ist und zu allgemein akzeptierten Ergebnissen geführt hat. Es genügt vielmehr, dass ernsthafte Stimmen in der medizinischen Wissenschaft auf bestimmte, mit einer Behandlung verbundene Gefahren hinweisen (BGH, BGHR BGB § 823 Abs. 1, Arzthaftung 98). Die Aufklärungspflicht besteht erst recht, wenn es eine Methode gibt, die gefahrlos diese Risiken vermeiden kann.

Um die Pflichten der damals handelnden Ärzte nach diesen Grundsätzen beurteilen zu können, muss nicht weiter aufgeklärt werden, welche Anforderungen damals an ein akademisches Lehrkrankenhaus zu stellen waren, insbesondere, ob der zu erwartende Kenntnisstand über den eines allgemeinen Krankenhauses hinauszugehen hatte und wie weit die Diskussion um die Notwendigkeit der Behandlung einer sogenannten Spätgestose gediehen war. Nach zu gewährendem fachärztlichem Standard hätte die Mutter der Klägerin über alternative Behandlungsmethoden wegen der damals sogenannten Spätgestose aufgeklärt werden müssen.

Anlass zu dieser Feststellung bieten die Ausführungen von Prof. Dr. S. (GA Blatt 114):

"... Das Vorgehen des 07.06.1987 muss jedoch kritisch betrachtet werden. Aus der Sicht des Gutachters war auch im Jahre 1987 mit dem damaligen Stand der Erkenntnisse eine Infusion mit Dextranen nicht die Therapie der ersten Wahl, allerdings auch nicht kontraindiziert, Eine Ausschwemmung vor der Geburt bedeutet lediglich ein Risiko für die Schwangerschaft, sowohl für Mutter als auch für Kind. Die Therapie der Wahl ist die Entbindung. Es gibt keinen zwingenden Grund zwei Tage über den errechneten Termin die Ödeme auszuschwemmen, um dann irgendwann die Geburt abzuwarten.... Aus diesem Grunde kann ich die Indikationsstellung zur Dextraninfusion nicht nachvollziehen..."

Bei der mündlichen Erläuterung des Gutachtens hat der Sachverständige dann noch ausgeführt:

"... In Allgemeinkliniken, die sich nicht besonders mit EPH-Forschung befasst haben, sind solche Erkenntnisse (gemeint: Behandlung bzw. Nichtbehandlung der Oedembildung in der Spätschwangerschaft) später umgesetzt worden als in Spezialkliniken. Im Jahre 1987 war ich in der Universitätsklinik A... tätig. Zu jener Zeit hätten wir die Ödemausschwemmung nicht mehr vorgenommen. Diese Erkenntnis und diese Behandlungsweise war allerdings noch kein Allgemeingut. In der medizinischen Fachliteratur waren zum damaligen Zeitpunkt ohne jegliche Wertung die drei von mir eingangs erwähnten Behandlungsmethoden (GA Blatt 148: Ausschwemmen der Ödeme, Abwarten bis zur Geburt, aktives Vorgehen in Richtung Geburt) vorgesehen.

Angesichts dieser Aussagen ist festzuhalten: Maßgeblich ist, dass die damals handelnden Ärzte die Diskussion um die Behandlung der damals als Spätgestose bezeichneten Komplikation kennen mussten. Dazu gehört auch das Wissen, dass die Nichtbehandlung zu keiner Risikoerhöhung geführt hätte. Aus der vorzitierten Bemerkung des Sachverständigen ist zu entnehmen, dass das Unterlassen einer Öedemausschwemmung damals nicht mehr in einer Forschungs- oder Probephase war, sondern an der Klinik, an der der Sachverständige damals tätig war, schon Standard. Daher mussten - siehe auch die Inhalte der auszugsweise in Kopie zu den Akten gereichten Lehrbücher - wenigstens die unterschiedlichen Vorgehensweisen allgemein bekannt sein. Es geht hier mithin nicht um den geübten Standard und die mittlerweile vorgenommene, damals noch fehlende Bewertung der Methoden, sondern um das Kennenmüssen dreier Methoden, die wertungsfrei dargestellt wurden. Das heißt, jedenfalls war auch die Nichtausschwemmung eine mögliche Methode, die - anders als heute - damals lediglich noch nicht die der ersten Wahl war. Weil sie aber gleichwohl als den anderen gleichwertig anzusehen war, war die Ausschwemmung ebenfalls nicht Methode der Wahl. An diese Feststellung knüpft sich dann der Standard der zu Gebenden Aufklärung.

Unstreitig ist der Klägerin eine Aufklärung nicht erteilt worden. Vergeblich machen die Beklagte geltend, die Mutter der Klägerin hätte sich nicht gegen die Infusionsbehandlung entschieden. Dies ist der Einwand, der mutmaßlich erteilten Einwilligung. Hiervon ausgehen zu dürfen setzt voraus, dass die Ärzte damals nicht nur auf den Vorteil der Ausschwemmung hingewiesen hätten, sondern auch auf das - angesichts der bei Verwirklichung drohenden schweren Folgen - aufklärungsbedürftige Risiko hingewiesen habe(zur Rspr., dass das spezifische Risiko und dessen Eignung für eine besondere Belastung der Lebensführung maßgeblich siehe z.B. BGH, VersR 1994, 104; BGHR BGB § 823 Abs. 1, Arzthaftung 96). Dass die Ärzte von ihrer Methode überzeugt gewesen sein mögen, davon geht der Sachverständige aus, befreit nicht von einer so genügenden Darstellung anderer Möglichkeiten, dass der Patient eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen kann. Zweifel, ob eine Einwilligung mutmaßlich erteilt worden wäre, gehen zu Lasten der Arztseite (vgl. BGH, VersR 1981, 677). Hinzukommt, dass vom Patienten, der der Verteidigung des Arztes mit dem Einwand der mutmaßlichen Einwilligung entgegentritt, keine genauen Angaben verlangt werden, wie er sich wirklich verhalten hätte. Er muss nur einsichtig machen, dass ihn die vollständige Aufklärung über das Für und Wider - hier der Infusion - ernsthaft vor die Frage gestellt hätte, ob er der Maßnahme zustimmen solle oder nicht (vgl. in std. Rspr. BGH, VersR 1990, 1238; BGHR BGB § 823 Abs. 1, Arzthaftung 57). Der Klägerin ist abzunehmen, dass sich ihre Mutter hier in einem solchen Entscheidungskonflikt befunden hätte, wenn sie gewusst hätte, dass es nicht nur die Möglichkeit der medikamentösen Behandlung gibt und andere Vorgehensweisen andernorts bereits standardmäßig praktiziert werden. Auch insoweit gilt wieder, dass an den Kenntnisstand eines akademischen Lehrkrankenhauses die entsprechende Erwartung geknüpft werden kann. Angesichts dessen braucht auf die Rechtzeitigkeit der Aufklärung insbesondere in einer Entbindungssituation nicht eingegangen zu werden (siehe hierzu BGH, BGHR BGB § 823 Abs. 1, Arzthaftung 74 und dazu allerdings kritisch Franzki, MedR 1994, 171, 177).

Der Frage der Ursächlichkeit der Nabelschnurumschlingung muss nicht weiter nachgegangen werden.

Allerdings steht die Mitursächlichkeit haftungsrechtlich einer Alleinursächlichkeit gleich (BGH, Urteile vom 27. Juni 2000, VI ZR 201/99 und vom 26. Januar 1999, VI ZR 374/97). Ist ein Schaden durch zwei aufeinanderfolgende Ereignisse mit unterschiedlichen Zurechnungszusammenhängen eingetreten, die qualitativ näher bestimmbare Schäden ausgelöst haben, und lassen sich Beweisschwierigkeiten zum Umfang des jeweils verursachten Schadens nicht mit § 830 BGB überwinden, wenn feststeht, dass die Handlung des Verursachers des zweiten Kausalverlaufs - wegen des bereits eingetretenen Vorschadens - nicht geeignet war, den Gesamtschaden herbeizuführen, ist dieser quantitativ durch gerichtliche Schadensschätzung gemäß § 254 BGB und § 287 ZPO zu zerlegen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 354/95 - mwNw; zur Beweislast bei der Möglichkeit einer Vorschädigung BGH, Urteil vom 16. Mai 2000, VI ZR 321/98; OLG Hamm, Urteil vom 7. Juni 1995 - 3 U 248/94 - n.v.; KG in Juris dokumentiert zu 12 U 2629/92; Staudinger-Schäfer, BGB, 12. Auflage, § 830, Rdn. 35). Diese Folge ist unabhängig von der Frage der Beweislast oder "einer Beweislastumkehr, so dass sich bei einer nach § 287 BGB vorzunehmenden Schätzung an der Beweislastverteilung nichts ändert. Daher obliegt es demjenigen, der den Beweis zu führen hat, genügend greifbare Anhaltspunkte vorzutragen, die gesicherte Grundlagen bieten, damit eine Schätzung nicht "völlig in der Luft hängt" (vgl. BGH aaO; Zöller-Greger, ZPO, 19. Auflage, § 287, Rdn. 1, 4).

Es kann hier aber nicht festgestellt werden, dass mehrere Ursachen nebeneinander, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, den Schaden verursacht haben. Der Sachverständige Prof. Dr. S... hat ausgeführt, dass die Nabelschnurumschlingung, die erst bei der Geburt bemerkt werden konnte, vor dem Schockereignis keine schädigende Wirkung gehabt hatte. Die dazu aussagekräftigen vorgeburtlichen Untersuchungen seien allesamt unauffällig gewesen (GA Blatt 152). Soweit er im schriftlichen Gutachten (GA Blatt 114) noch gesagt hatte, "die Asphyxie... (sei) in erster Linie auf das Schockereignis zurückzuführen", ist das nach der mündlichen Erörterung nicht mehr dahingehend zu verstehen, dass daneben, mit minderer Wirkungskraft eine andere Ursache - hier die Nabelschnurumschlingung - als relevant in Betracht zu ziehen sei. Ausschließlich die Schockreaktion der Mutter als maßgeblich erachtet haben auch die anderen gerichtlichen Sachverständigen, der Privatgutachter im Vorprozess spricht ebenfalls nur von einem nicht verifizierten Verdacht (BeiA 3 O 292/90 Blatt 42). Der im Vorprozess hinzugezogene Sachverständige Prof. Dr. H... hat es als wenig wahrscheinlich erachtet, dass diese Komplikation schadensursächlich geworden ist (BeiA 3 O 292/90 Blatt 165). Insofern zitieren die Beklagten für ihre gegenteilige Lesart des Gutachtens aus den allgemeinen Erörterungen des Sachverständigen zu Risiken und Wirkungsweise einer Nabelschnurkomplikation. Die Subsumtion des Sachverständigen an den Tatsachen des konkreten Falles übergehen sie. Der neuropädiatrische Sachverständige Prof. Dr. A..., in dessen Fachgebiet diese Frage gehört, ist mit seiner Bewertung noch darüber hinausgegangen. Er schließt eine wesentlich beitragende Wirkung nach aller Erfahrung ohne vernünftige Zweifel aus (BeiA 3 O 292/90 Blatt 266).

Aus diesem Grund erweist sich der Verstoß gegen die Aufklärungspflicht nicht wegen der Wirkung einer Reserveursache als folgenlos.

Gegen die Höhe des zu leistenden Schadensersatzes werden keine Berufungsangriffe geführt. Die Zivilkammer hat die Bemessung unter Beachtung der maßgeblichen Tatsachen und Rechtsgrundsätze vorgenommen. Der Senat nimmt insoweit auf die Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil Bezug und macht sie sich zu eigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Das Urteil ist gemäß §§ 708 Nr. 10, 712 ZPO vorläufig vollstreckbar. Die Beschwer der Beklagten ist gemäß § 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO festgesetzt worden.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird im Anschluss an die Festsetzung in erster Instanz und den im angefochtenen Urteil zugesprochenen Schmerzensgeldbetrag auf 220 000 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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