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Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Urteil verkündet am 21.08.2001
Aktenzeichen: 5 U 9/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 249
BGB § 823 Abs. 1
1. Zur Diagnostik/Befunderhebung bei Kopfschmerzen und Symptomatik eines aneurysmas der arteria cerebri posterior;

2. Eine Haftung wegen unterbliebener Befunderhebung entfällt, wenn ein Schutzzweckzusammenhang/Rechtswidrigkeitszusammenhang zum eingetretenen Schaden fehlt.

Wenn sich das Auffinden eines aneurysmas nach unterstellter weitergehender Diagnostik als reiner Zufallsbefund dargestellt hätte, fehlt es an einem inneren Zusammenhang zwischen unterstellter Pflichtverletzung wegen unterlassener Befunderhebung und eingetretenem Schaden.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 5 U 9/01

Verkündet am 21. August 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Richter am Oberlandesgericht Geisert, die Richterin am Oberlandesgericht Geib-Doll und die Richterin am Landgericht Orth

auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juli 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 8. Februar 2001 wird zurückgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Klägern wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 7 000,-- DM abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Sicherheitsleistung kann auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft eines in der Bundesrepublik Deutschland als Zoll- und Steuerbürge zugelassenen Kreditinstituts erbracht werden.

4. Die Beschwer der Kläger übersteigt den - Betrag von 60 000,-- DM.

Tatbestand:

Die Kläger sind die Erben der am 14. April 1996 verstorbenen E... G.... Der Kläger zu 1) ist der Witwer, die Kläger zu 2) und 3) sind die Kinder des Klägers zu 1) und der Verstorbenen. Sie begehren aus ererbtem Recht ein Schmerzensgeld, aus eigenem Recht den Ausgleich von Beerdigungskosten und die Feststellung, dass die Beklagte zu 1) (im Weiteren nur noch die Beklagte genannt) ihnen jeglichen weiteren Schaden aus der behaupteten ärztlichen Fehlbehandlung ersetzen müsse.

Die am 27. September 1959 geborene E... G... erlitt im September 1976 bei einem Autounfall eine Schädelfraktur mit einem mittelschweren Schädelhirntrauma, woraufhin sie einen Monat lang im Kreiskrankenhaus K... behandelt wurde. Sie gebar im November 1987 ihr erstes Kind und beendete im Jahre 1988 oder 1989 ein Studium an der Fachhochschule für den gehobenen Dienst in der Finanzverwaltung. Von Oktober bis Dezember 1990 lag sie ebenfalls im Kreiskrankenhaus K... wegen der Geburt ihres zweiten Kindes. Die Familie G... zog im Juni 1994 in ihr neu erbautes Haus mit der Adresse der jetzigen Kläger um. Die Verstorbene arbeitete halbtags, und zwar dergestalt, dass sie von Montag bis Donnerstagsvormittags an ihrem Arbeitsplatz in der Behörde war.

Zumindest von dem erwähnten Unfall an war Dr. M..., R..., ihr Hausarzt. Die Beklagte übernahm im Jahr 1986 die Praxis des Dr. M... und führte sie als allgemeinärztliche und naturheilkundliche Praxis weiter, ab April 1989 mit dem früheren Beklagten zu 2) und ab Juli 1995 mit dem früheren Beklagten zu 3).

Zwischen 1989 und 1996 suchte die Verstorbene die Arztpraxis der Beklagten wegen unterschiedlicher Beschwerden, u.a. wegen Schwindelsymptomen, Kreislaufstörungen, Beschwerden der Halswirbelsäule und wegen Kopfschmerzen auf. Daneben waren insbesondere Allgemein-Infekte, Bronchitis, Sinusitis maxillaris, Tonsillitis und allergische Rhinoconjunktivites Anlass für ärztliche Konsultationen. Zum letzten Arzt-/Patientenkontakt kam es zwischen E... G... und der Beklagten am 1. März 1996; vom drittbeklagten Arzt wurde sie letztmals am 11. März 1996 behandelt. Im Rahmen einer so genannten Eigenblutbehandlung war sie am 10. April 1996 letztmals in der Praxis der Beklagten. In der folgenden Nacht vom 10. auf den 11, April 1996 stellten sich bei E... G... sehr schlimme Kopfschmerzen und andere Symptome ein. Am frühen Morgen des 11. April 1996 brachte sie der Notarzt in das K... Krankenhaus, von wo aus man sie innerhalb weniger Stunden in die Neurologische Klinik in Ka... verlegte. Grund war eine Subarachnoidalblutung. Die lebensgefährlich Erkrankte wurde gleich nach ihrer Einlieferung in das Städt. Klinikum operiert, wobei zwei Hirnkammerdrainagen gelegt wurden, um schlimme Folgen der Blutung zu verhindern. Eine Angiographie ergab die Diagnose eines Aneurymas der arteria cerebri posterior (der rechten hinteren Hirnarterie). Für den darauffolgenden Tag nahmen sich die Ärzte im Klinikum vor, das Aneurysma mit einem Metallclip operativ auszuschalten. Hierzu kam es jedoch nicht, da bei E... G... eine akute Blutdruckkrise auftrat, in deren Folge sich eine schwere Nachblutung entwickelte. E... G... verstarb schließlich am Nachmittag des 14. April 1996 an einem zentralen Herz-/Kreislaufversagen.

Die Kläger haben vorgetragen:

Im November 1995 habe die Verstorbene über wiederholte Schwindelattacken, insbesondere bei Lagewechsel, geklagt. Die Beklagte habe entgegen den Regeln der ärztlichen Kunst die Kreislaufstörungen, Schwindelsymptomatik und die schlimmen und über mehrere Monate hinweg auftretenden Kopfschmerzen nicht aufgeklärt. Die Beklagte hätte das Krankheitsbild aufklären, an einen Neurologen überweisen und ein Computertomogramm (CT) des Schädels veranlassen müssen. Bei langandauernden, starken Kopfschmerzen sei immer an eine cerebrale Genese zu denken. Das gelte erst recht, wenn den Beklagten das cerebrale Geschehen im Unfalljahr 1976 unbekannt gewesen sei. In dem gebotenen Computertomogramm des Schädels hätte sich das Aneurysma gezeigt, und zwar auch ohne Verwendung eines Kontrastmittels. Wäre aber das Aneurysma durch das CT nicht sichtbar geworden, hätte man es mit einer Magnetresonanztomographie (MRT) bzw. einer Kernspintomographie oder einer Angiographie, eventuell sogar mit einer Panangiographie versuchen müssen. Wäre das Aneurysma rechtzeitig diagnostiziert worden, hätte dieses durch eine frühzeitige Operation beseitigt werden können und E... G... hätte überlebt.

Die Kläger haben beantragt,

1. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, ihnen als Erbengemeinschaft nach der am 27.09.1959 geborenen und am 14.04.1996 verstorbenen Finanzinspektorin Frau E... G... ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 2,5 % Verzugszinsen über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank, mindestens jedoch 4 % seit dem 15.10.1997, zu zahlen;

2. die Beklagten zu verurteilen, ihnen 2 472,82 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 15.10.1997 zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihnen jeglichen weiteren Schaden aus der medizinischen Fehlbehandlung der Finanzinspektorin E... G... zwischen 1989 und April 1996 gesamtschuldnerisch zu ersetzen, soweit Ersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergehen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben vorgetragen:

Die Krankengeschichte habe viele Ursachen haben können und habe keinen Verdacht auf eine cerebrale Ursache begründet. Bezogen auf die Zeit ab Herbst 1995 habe E... G... erstmals am 23. Januar 1996 über Schwindel geklagt. Damals seien Muskelverhärtungen bei der HWS ertastet worden. Sechs Tage später habe sie nicht mehr über Schwindel geklagt, auch nicht über Kopfschmerzen, sondern über Schmerzen an der HWS. Erst am darauffolgenden Tag habe Schwindel im Vordergrund gestanden. Die Beklagte habe mehrfach zur röntgenologischen Abklärung des Zustandes der Wirbelsäule geraten. Die den Beklagten bekannt gewesenen Verletzungen aus dem Verkehrsunfall im Jahr 1976 hätten kein Trauma des Gehirns ergeben. Bekannt gewesen sei nur eine leichte bis mittelschwere Gehirnerschütterung ohne kontusionelle Hirnschädigung und ohne eine Schädelfraktur. Schon im Arztbericht des Kreiskrankenhauses Kandel vom 09. November 1976 sei die Fraktur nicht mehr erwähnt worden. Der dortige neurologische Befund sei nicht in die Gemeinschaftspraxis gelangt.

Eine Sinus-Venen-Thrombose, wie sie im Gutachten von Prof. Ri... erörtert worden sei, sei keine Ursache für den Tod gewesen, da sich Umgehungskreisläufe gebildet hätten. Typische Symptome eines Aneurysmas seien in der Behandlungszeit nicht bei der Patientin aufgetreten. Davon abgesehen hätte man auch bei Feststellung eines Aneurysmas nicht sofort eine Operation empfohlen.

Die Zivilkammer hat Beweis erhoben durch Beauftragung des Direktors der Neurochirurgischen Klinik und Poliklinik der Johannes-Gutenberg-Universität M..., Prof. Dr. med. P... als Sachverständigen, der eine weitere gutachterliche Stellungnahme in Ergänzung seines im Ermittlungsverfahren der StA Landau in der Pfalz (7111 Js .../..) erstatteten Gutachtens - dort neben Prof. Dr. med. Ri... als weiteren Sachverständendigen - vorgelegt hat und die schriftlichen Gutachten in der mündlichen Verhandlung vom 07. Dezember 2000 weiter erläutert hat. Die Kammer hat darüber hinaus Beweis erhoben, indem sie im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 07. Dezember 2000 den Arbeitskollegen D, die Schwester der Verstorbenen S... St... sowie die Schwiegermutter der Verstorbenen in Anwesenheit des Sachverständigen zu körperlichen Beschwerden der Verstorbenen vernommen hat.

Mit Urteil vom 08. Februar 2001 hat die Zivilkammer die Klage abgewiesen. Die Kammer hat im Wesentlichen ausgeführt: Es stehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht fest, dass die Beklagte eine ihr objektiv gebotene Behandlung oder Untersuchung fahrlässig unterlassen oder dass sie eine durch Fachärzte gebotene Behandlung oder Untersuchung fahrlässig nicht in die Wege geleitet und dass ein derartiges Versäumnis den Tod der Verstorbenen verursacht habe. Das den Beklagten bekannt gewordene Beschwerdebild habe keine Untersuchungen geboten, welche das Aneurysma in seiner nachgewiesenen Größe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit sichtbar oder auf andere Weise nachgewiesen hätte. Die von den Zeugen geschilderten Kopfschmerzen und Schwindel seien nach den Feststellungen des Sachverständigen keine spezifischen Symptome eines Aneurysmas gewesen. Die Zeugen hätten auch keine Kopfschmerzsymptomatik geschildert, die nach Auffassung des Sachverständigen eine weitere Abklärung im Hinblick auf die Halswirbelsäule geboten hätten. Aber auch ein solches Beschwerdebild hätte nicht auf ein Aneurysma schließen lassen müssen. Eine CT der Halswirbelsäule mit dem angrenzenden Bereich, in dem sich das Aneurysma befunden hätte, wäre nicht in der Lage gewesen, das Aneurysma aufzudecken. Wegen der weiteren Begründung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Gegen dieses ihnen am 12. Februar 2001 von Amts wegen zugestellte Urteil haben die Kläger am 12. März 2001 Berufung eingelegt und diese - nach Rücknahme der Berufung gegen die Zweit- und Drittbeklagten - innerhalb zweifach verlängerter Berufungsbegründungsfrist am 21.05.2001 begründet.

Die Kläger tragen vor:

Die Kammer habe die wesentlichen Erkenntnisse der bisher mit der Sache befassten medizinischen Sachverständigen missverstanden. Beide Sachverständige hätten keine Zweifel daran gelassen, dass eine Pflicht der Beklagten zur weitergehenden Diagnostik bei dem als richtig zu unterstellenden Vortrag der Kläger zur Beschwerdesymptomatik bestanden habe. Es sei nicht nachvollziebar, wie die Zivilkammer zu der Auffassung gelangt sei, sie, die Kläger, hätten kein Beschwerdebild vorgetragen, welches die Beklagte zu weitergehender Diagnostik hätte veranlassen müssen: Tatsache sei, dass die Verstorbene seit November 1995 und auch schon lange zuvor immer wieder über intermittierende, schwerste Kopfschmerzen mit Ausstrahlung in den Nackenbereich, verbunden mit Schwindelattacken geklagt habe.

Die Kammer habe des Weiteren die medizinische Diskussion hinsichtlich der tatsächlichen Erkennbarkeit des Aneurysmas missverstanden bzw. den Umstand verkannt, dass das Aneurysma bereits durch einfaches CT am 11.04.1996 im Klinikum Ka... tatsächlich erkannt worden sei. Schließlich habe die Kammer bei der Diskussion der Beweislast bei unterlassener, zweifelsfrei erforderlicher Befunderhebung die neuere Rechtsprechung des 6. Zivilsenats des BGH außer Acht gelassen.

Die Kläger beantragen,

auf ihre Berufung das am 8. Februar 2001 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz abzuändern:

1. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Kläger als Erbengemeinschaft nach der am 14. April 1996 verstorbenen Frau E... G...

a) ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gericht gestellt wird, nebst 4 % Zinsen p. a. aus dem zuerkannten Betrag seit dem 15. Oktober 1997,

b) einen Betrag von 2 472,82 DM nebst 4 % Zinsen p. a. hieraus seit dem 15. Oktober 1997

zu bezahlen;

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, den Klägern den weiteren, sich aus §§ 844, 845 des Bürgerlichen Gesetzbuches ergebenden Schaden wegen der Tötung der Frau E... G... zu ersetzen, soweit Ersatzansprüche nicht auf den Dienstherrn der Frau E... G... und/oder auf sonstige Dritte übergangen sind oder übergehen werden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor:

Weder der Rechtsmediziner Prof. Dr. Ri... noch der Sachverständige des vorliegenden Prozesses, Prof. Dr. P..., hätte einen schuldhaften Verstoß ihrerseits, der Beklagten, gegen Behandlungspflichten darin gesehen, dass sie keine weiteren Diagnosemaßnahmen wie CT, MRT, Angiographie habe durchführen lassen noch sei bei dem Beschwerdebild der Verstorbenen die Wahrnehmung solcher Diagnosemöglichkeiten objektiv geboten gewesen.

Zur Frage der Erkennbarkeit sei darauf hinzuweisen, dass die Größe des Aneurysmas ungeklärt sei. Soweit Untersuchungen am 11. April 1996 ein ausgedehntes Aneurysma ergeben hätten, seien sie nach dem Platzen des Aneurysmas erfolgt, das sich daraufhin ausgedehnt habe. Bei seiner Anhörung habe der Gutachter erklärt, ein Aneurysma sei im Nativ-Verfahren eigentlich nur dann zu sehen, wenn es verkalkt sei oder im Rahmen einer Thrombosierung, also bei einem Spontanverschluss, eine höhere Gewebedichte bekomme. Das Urteil verkenne auch nicht die Rechtsprechung des BGH über die Beweislast. Die Kläger seien für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers beweisbelastet. Zu einer Umkehr der Beweislast oder zur Beweiserleichterung bestehe kein Anlass.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Landau in der Pfalz (Az.: 7111 Js .../..) haben vorlegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Kläger ist form- und fristgerecht eingelegt und in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. In der Sache führt das Rechtsmittel nicht zum Erfolg. Die Kläger haben gegen die Beklagte keinen Anspruch aufgrund eines Fehlers im Rahmen der ärztlichen Behandlung aus eigenem oder übergegangenem Recht.

Die Kläger haben den ihnen obliegenden Nachweis eines Behandlungsfehlers der Beklagten durch Unterlassen weiterer Befunderhebung nicht erbracht. Auf der Grundlage der sachverständigen Äußerungen des von der Zivilkammer hinzugezogenen Prof. Dr. P... sieht der Senat keine Pflicht der Beklagten zur weiterführenden Diagnostik als gegeben an.

Dieser hat für den Fall, dass die in der Krankenkartei dokumentierte Beschwerdesymptomatik zuträfe, ausgeführt, dass die über Jahre hinweg bestehenden Beschwerden als Spätfolgen nach dem erlittenen Schädel-Hirntrauma vom 04. November 1976 in Verbindung mit einer vegetativen Dystonie sowie wiederkehrenden Belastungssyndromen aufgefasst werden konnte. Die Beklagte habe davon ausgehen können, dass die Kopfschmerzen durch die Unfallfolgen, die bestehende vegetative Dystonie sowie die allgemeinen persönlichen Belastungsfaktoren hinreichend ursächlich geklärt gewesen seien, zumal der Gesamtsymptomatik offensichtlich keine Progredienz innegewohnt habe.

Die von den Klägern in erster Instanz behauptete Verschärfung der Symptomatik im November 1995 ist durch die ärztliche Dokumentation der Beklagten nicht belegt. Die Kläger haben eine solche auch nicht durch Zeugenbeweis nachgewiesen, wie die Zivilkammer festgestellt hat. Ein hiergegen gerichteter substantiierter Berufungsangriff der Kläger liegt nicht vor; die Kläger weisen vielmehr darauf hin, die Verstorbene habe immer wieder über intermittierende, schwerste Kopfschmerzen mit Ausstrahlung in den Nackenbereich, verbunden mit Schwindelattacken geklagt, und zwar seit November 1995 und auch schon vorher.

Der Sachverständige P... bejahte in seinem schriftlichen Gutachten vom 10. September 1998 zwar eine Pflicht zu weitergehender Diagnostik und Abklärung organischer Ursachen nur für den Fall, dass über Monate hinweg seit November 1995 eine gegenüber dem Vorzeitraum deutlich veränderte Symptomatik mit Nackenschmerzen, die in den Kopf ausstrahlten, und schweren Schwindelattacken bestanden hätten. In diesem Fall hätte zunächst durch röntgenologische Untersuchungen eine Ursache im Bereich der Halswirbelsäule abgeklärt werden müssen. Ferner wäre zur Abklärung von Kopfschmerzen ein ursächlicher Zusammenhang mit einer cerebralen Durchblutungsstörung aufgrund der Kombination von Antikonzeptiva und Nikotin zu untersuchen gewesen, ferner die Möglichkeit einer Migräneerkrankung. Darüber hinaus wären hals-, nasen- und ohrenärztliche sowie fachneurologische Untersuchungen, letztere insbesondere zur Abklärung einer Tumorerkrankung, indiziert gewesen. In diesem Zusammenhang" wäre auch eine bildgebende Diagnostik in Form der Computertomographie veranlasst gewesen.

Es kann für die Entscheidung des Rechtsstreits dahingestellt bleiben, ob der Sachverständige in der mündlichen Erläuterung vom 7. Dezember 2000 von dieser Einschränkung abgerückt ist, da er dort eine Abklärung von Folgeveränderung im Hinblick auf die bestehenden "hartnäckigen Symptome" befürwortet hat. Auch im schriftlichen Gutachten vom 10. September 1998 (GA S. 41) gab es bereits eine Andeutung des Sachverständigen, dass die Abklärung organischer Ursachen mittels eines Schädel-CT nahegelegen habe.

Aber auch auf der Grundlage einer Verletzung der Pflicht zur Erhebung der vorgenannten Befunde scheidet eine Haftung der Beklagten für den eingetretenen Schaden aus.

Eine Abklärung der Symptomatik auf das Vorliegen eines Aneurysmas wäre in jedem Fall nicht indiziert, denn Warnhinweise auf diese Erkrankung haben nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht vorgelegen. Weder Schwindelanfälle noch über mehrere Monate bestehende Kopfschmerzen seien typisch für Aneurysmen oder typische Vorboten einer Subarachnoidalblutung. Vielmehr seien Patienten mit nicht rupturierten Aneurysmen regelmäßig beschwerdefrei.

Zur Häufigkeit des Vorkommens intrakranieller Aneurysmen hat der Sachverständige in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass in der Gesamtbevölkerung diese auf 1-5 % geschätzt werde; in der Bundesrepublik Deutschland erlitten von 100 000 Menschen 7-12 innerhalb eines Jahres eine Subarachnoidalblutung. Aufgrund der diagnostischen Möglichkeiten und Zunahme der so genannten Zufallsbefunde sei bekannt, dass bei einer Population von einer Million man etwa mit so genannten Aneurysmaträgern in Höhe von etwa 10 000 rechnen müsse.

Manchmal allerdings könnten die Aneurysmen durch ihre Größe so genannte Nachbarschaftssymptome auslösen (Hirnnervenausfälle wie z. B. eine Lähmung des dritten Hirnnervs mit der Folge der Erweiterung der Pupille und einem Herabhängen des Augenlides).

Eine Studie aus dem Jahre 1973 habe auch gezeigt, dass fast die Hälfte aller Patienten so genannte Warnsymptome zeigten, die normalerweise 6-20 Tage vor der eigentlichen Blutung aufgetreten seien. Hierfür gebe es drei Ursachen, den drei Symptomgruppen korrelierten. Zur - einzig für den Fall der Verstorbenen diskussionswürdigen - Symptomgruppe 2 zählten generelle Kopfschmerzen, Übelkeit, Nacken- und Rückenschmerzen, Schläfrigkeit, Lichtscheue. Diese Symptome seien festgestellt worden bei der Ursachengruppe 2, bei der in der Phase vor der eigentlichen Blutung kleine Blutungen, vorab aufgetreten seien. Der Sachverständige weist jedoch darauf hin, dass in keinem bekannten Fall ein Aneurysma basilaris - wie bei Frau G... gegeben - derartige Symptome verursacht habe, mit Ausnahme von sehr großen Aneurysmen der Aorta basilaris und der beiden Vertebralarterien, wie sie bei der Verstorbenen indes nicht vorgelagen.

Als in Betracht kommende Methoden in der Diagnostik der nicht gebluteten Aneurysmen hat der Sachverständige die Magnetresonanztomograhie (MRT) bezeichnet, insbesondere bei Anfertigung einer MRT-Angiographie sowie eine Computertomographie unter Verwendung eines Kontrastmittels (Nativ-CT). Solche Untersuchungen sind nach Darlegung des Sachverständigen bei fehlendem Hinweis auf ein Aneurysma aber normalerweise nicht indiziert. Gleiches gilt hiernach für die digitale Subtraktionsangiographie (Gefäßdarstellung der Hirngefäße <DAS>). Eine einfache Computertomographie ohne Kontrastmittel hingegen, die zur Abklärung z.B. einer Tumorerkrankung indiziert gewesen wäre, wäre nach Auffassung des Sachverständigen zur Auffindung eines Aneurysmas grundsätzlich ungeeignet gewesen. Es hätte nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit bestanden, hiermit ein Hirngefäßaneurysma nachzuweisen.

Auch der mit der Berufung vorgetragene Einwand, der positive Befund des Natio-Schädel-CT bei Aufnahme im Klinikum Ka... belege die ohne weiteres gegebene Erkennbarkeit des Aneurysmas, ist durch die vorliegenden Gutachten widerlegt.

Nach dem im Ermittlungsverfahren erstatteten Ergänzungsgutachtens vom 19. Juli 1999 (Bl. 261 ff d. BA) ist es völlig unsicher, ob das gezeigte rundliche, hyperdeuse Gebilde dem Aneurysma oder etwa dem Blutclot entsprochen habe.

Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass eine CT-Untersuchung vor der Ruptur des Aneurysmas zum gleichen Befund geführt hätte.

Selbst wenn man jedoch davon ausgehen könnte, dass das Aneurysma durch eine schließlich wegen möglicher anderer Ursachen veranlasste Computertomographie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit hätte entdeckt werden können, so wäre dies gleichwohl nicht geeignet, eine Haftung der Beklagten zu begründen.

Nach der im Schadensrecht allgemein anerkannten Lehre vom Schutzzweckzusammenhang, der zum Teil auch unter dem Aspekt des Rechtswidrigkeitszusammenhangs diskutiert wird (vgl. MüKo/BGB, 4. Aufl., § 249 Rdnr. 115), genügt es nämlich nicht, dass zwischen dem Schaden und der durch einen Schädiger geschaffenen Gefahrenlage eine bloß zufällige äußere Verbindung besteht; vielmehr muss ein innerer Zusammenhang bestehen. Denn der Schädiger haftet nur für solche Schäden, die sich als Verwirklichung der Gefahr darstellen, weswegen ein bestimmtes Verhalten untersagt bzw. geboten ist. Dies gilt sowohl bei deliktischer als auch vertraglicher Haftung (vgl. etwa BGHZ 116, 209, 212).

An diesem inneren Zusammenhang zwischen unterstellter Pflichtverletzung und eingetretenem Schaden fehlte es hier. Das Auffinden des Aneurysmas nach weitergehender, eventuell mehrstufiger Diagnostik hätte sich als reiner Zufallsfund dargestellt.

Soweit ersichtlich, ist es zwar bisher höchstrichterlich nicht entschieden, dass eine Haftung wegen unterbliebener Befunderhebung entfällt, falls ein Schutzzweckzusammenhang zum eingetretenen Schaden fehlt.

Allerdings ist der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Haftung des Arztes wegen unterbliebener Risikoaufklärung zu entnehmen, dass - soweit nicht die erforderliche Grundaufklärung in Frage steht - die Haftung auf den Schutzbereich der verletzten Verhaltensnorm begrenzt ist (BGHZ 106, 391, 399 = NJW 1989, 1583; NJW 1996, 777, 779; NJW 2000, 1784, 1786).

Für den Bereich unterlassener Befunderhebung kann nichts Anderes gelten.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 515 Abs. 3 ZPO. Das Urteil ist gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO vorläufig vollstreckbar. Die Beschwer der Kläger hat der Senat nach § 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO festgesetzt.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 102 472.00 DM

(Antrag Nr. 1: 50 000,-- DM; Antrag Nr. 2: 2 472,-- DM; Antrag Nr. 3: 50 000,-- DM)

festgesetzt, §§ 12 Abs. 1 GKG, 3 ZPO.



Ende der Entscheidung

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