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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 25.01.2006
Aktenzeichen: 5 WF 2/06
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 1666
ZPO §§ 620 bis 620g
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 621g
1. Die Regelung des einstweiligen Rechtsschutzes nach §§°621g, 620 bis 620g ZPO gilt auch für von Amts wegen eingeleitete und zu betreibende Rechtsfürsorgeangelegenheiten wie die Entziehung der elterlichen Sorge.

Für in der der Rechtsprechung bislang anerkannte, der Verfahrensordnung der Freiwilligen Gerichtsbarkeit unterworfene vorläufige Anordnungen ist insoweit nach dem Kindschaftsreformgesetz kein Raum mehr.

2. § 620c ZPO eröffnet den Beschwerdeweg nur bei einer tatsächlichen vorläufigen Regelung der elterlichen Sorge im Wege der einstweiligen Anordnung, nicht aber bei Abweisung eines dahingehenden Antrages des Jugendamtes.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen 5 WF 2/06

In der Familiensache

betreffend den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts für das Kind F... F..., geboren am ... 2005,

hier: Erlass einer einstweiligen Anordnung,

hat der 5. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken als Familiensenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hoffmann sowie die Richter am Oberlandesgericht Geisert und Kratz auf die als sofortige Beschwerde geltende Mitteilung der Stadtverwaltung Speyer vom 16. Januar 2006, eingegangen am 17. Januar 2006, gegen den ihr nicht förmlich zugestellten Beschluss des Amtsgericht - Familiengericht - Speyer vom 22. Dezember 2005

ohne mündliche Verhandlung am 25. Januar 2006

beschlossen:

Tenor:

I. Die sofortige Beschwerde wird als unzulässig verworfen.

II. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei.

III. Die Antragstellerin hat den Antragsgegnern die notwendigen Auslagen des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

IV. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 500 € festgesetzt.

V. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Das Jugendamt des Rhein-Pfalz-Kreises hat mit Schreiben vom 31. März 2005 beantragt, den Antragsgegnern das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das betroffene Kind F... nach § 1666 BGB im Wege der einstweiligen Anordnung zu entziehen. Gegen den Antragsgegner ist ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs, begangen an Kindern aus einer früheren Beziehung, anhängig. Zur Begründung des Antrags wird weiter geltend gemacht, auch die Antragsgegnerin könne das Wohl des Kindes nicht ausreichend sicherstellen, solange sie an einem Zusammenleben mit dem Antragsgegner festhalte.

Die Antragsgegner sind mit dem betroffenen Kind nach Antragstellung in den Bereich des Stadtjugendamtes ... verzogen.

Das Familiengericht hat die Kindeseltern und Vertreter beider Jugendämter am 12. Dezember 2005 (nach Vorlage eines psychologischen Glaubwürdigkeitsgutachtens im Ermittlungsverfahren) angehört und sodann den Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen zurückgewiesen.

Der Rhein-Pfalz-Kreis, ..., hat gegen die Entscheidung mit Schreiben vom 5. Januar 2006 Beschwerde eingelegt. Die Stadtverwaltung ... hat mit einem am 17. Januar 2006 eingegangenen Schreiben mitgeteilt, dass das Jugendamt des Rhein-Pfalz-Kreises gebeten worden sei, die Beschwerde zu begründen, nachdem man von dem Gutachten, Beschlüssen und Beschwerden erfahren habe..

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist unzulässig.

Die Entscheidung des Familiengerichts, mit welcher der Erlass einer einstweiligen Anordnung die elterliche Sorge betreffend abgelehnt wurde, ist unanfechtbar.

In Verfahren über die Regelung der elterlichen Sorge nach § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO kann das Familiengericht auch außerhalb eines Scheidungsverbundes auf Antrag einstweilige Anordnungen nach den §§ 620a bis 620g ZPO erlassen (§ 621g ZPO). Es ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob diese Bestimmungen entsprechend in Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB anzuwenden sind oder für den einstweiligen Rechtsschutz in diesem Bereich weiterhin die gesetzlich nicht geregelte vorläufige Anordnung heranzuziehen ist.

Nach dem Wortlaut von § 621g ZPO - entsprechend im Verbundverfahren nach § 620 ZPO - ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung von einem Antrag abhängig. Dies passt nicht ohne weiteres auf die von Amts wegen zu betreibenden Verfahren nach § 1666 BGB, für die ein beteiligtes Jugendamt lediglich Anregungen geben kann. Aus der Formulierung von § 621g ZPO wird deshalb zum Teil geschlossen, der Gesetzgeber habe dessen Anwendungsbereich auf die kontradiktorischen Verfahren auf Antrag der Eltern beschränken wollen (OLG Hamm, FamRZ 2004, 1046; Dose, Einstweiliger Rechtsschutz in Familiensachen, 2. Aufl., Rdnr. 192g).

Demgegenüber ist nach anderer Auffassung § 621g ZPO auf Amtsverfahren entsprechend anwendbar (OLG Dresden, FamRZ 2003, 1306; OLG Karlsruhe, FamRZ 2005, 120; Johannsen/Henrich/Sedemund-Treiber, Eherecht, 4. Aufl., § 621g Rdnr. 4; Gießler/Soyka , Vorläufiger Rechtsschutz in Ehe-, Familien- und Kindschaftssachen, 4. Aufl., Rdnr. 261).

Der letztgenannten Ansicht schließt sich der Senat an.

Der Wegfall von § 620 Satz 2 ZPO durch das Kindschaftsrechtsreformgesetzes 1998, wonach betreffend die elterliche Sorge eine einstweilige Anordnung auch von Amts wegen erlassen werden konnte, steht im Zusammenhang mit der Neuregelung, dass über die elterliche Sorge im Verbund mit einer Ehesache nicht mehr von Amts wegen, sondern nur auf Antrag zu entscheiden ist (§ 623 Abs. 3 ZPO alter Fassung und § 623 Abs. 1 Satz 3 n. F.). Die Befugnis zum Erlass einer einstweiligen Anordnung von Amts wegen ohne Antrag in der Hauptsache wäre mit der gesetzgeberischen Absicht, mit der Neuregelung die elterliche Verantwortung zu stärken, nicht vereinbar gewesen. Zugleich hat der Gesetzgeber bestimmt, dass Folgesachen auch rechtzeitig eingeleitete Verfahren nach § 1666 BGB sind (§ 623 Abs. 3 ZPO n. F.), ohne zu regeln, dass der einstweilige Rechtsschutz gegenüber Folgesachen nach § 623 Abs. 2 ZPO (Regelung der elterlichen Sorge auf Antrag der Eltern) unterschiedlich ausgestaltet sein soll. Dies spricht dafür, dass es der Gesetzgeber übersehen hat, dass das Antragserfordernis (in § 620 Satz 1 ZPO) dem Wortlaut nach einer Anwendung für einstweilige Anordnungen in Amtsverfahren entgegensteht. Die Annahme einer unbewussten Regelungslücke wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass § 620 b Abs. 1 ZPO eine Befugnis zur Änderung einer einstweiligen Anordnung über die elterliche Sorge von Amts wegen vorsieht (so aber Dose a. a. O.), denn diese Vorschrift wurde von den gesetzlichen Änderungen nicht berührt. Für § 621g ZPO, mit dem der Anwendungsbereich der einstweiligen Anordnung u. a. auf isolierte Sorgerechtsverfahren ausgedehnt wurde, gilt nichts anderes. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die vorliegende Streitfrage hierbei regeln wollte.

§ 620c Satz 1 ZPO eröffnet den Beschwerdeweg nur bei einer vorläufigen Regelung des Sorgerechts im Wege der einstweiligen Anordnung, nicht aber wenn - wie vorliegend - ein Antrag der Eltern oder des Jugendamtes abgelehnt wird (OLG Karlsruhe a. a. O.; OLG Frankfurt/Main, MDR 2003, 1251; Gießler/Soyka a. a. O. Rdnr. 1060; Johannsen/Henrich/Sedemund-Treiber a. a. O. § 620c Rdnr. 2; Hoppenz/Zimmermann, Familiensachen, 8. Aufl., § 620c Rdnr. 7; Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., 621g Rdnr. 6).

Der Rhein-Pfalz-Kreis, dem die Entscheidung des Familiengerichts förmlich zugestellt wurde, der jedoch nach dem Wohnortwechsel des Kindes und seiner Eltern im Sommer des Jahres 2005 nicht mehr örtlich zuständig ist, hat sich zwar durch Einlegung des Rechtsmittels weiterhin formell am Verfahren beteiligt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass mit der »Einverständniserklärung« der jetzt zuständigen Stadtverwaltung ... diese das Beschwerdeverfahren betreiben will. Ihr gegenüber wurde die Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde nicht wirksam in Lauf gesetzt, so dass ihre Erklärung jedenfalls rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist.

III.

Das Beschwerdeverfahren ist gem. § 131 Abs. 3 Kostenordnung gerichtsgebührenfrei. Die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Auslagen beruht auf § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes folgt aus § 24 RVG.

Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 3 ZPO zu (zur Zulässigkeit siehe Zöller/Gummer, a. a. O., § 620c Rdnr. 22a; Musielak/Borth, ZPO, 4. Aufl., § 620c Rdnr. 9; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 27. Aufl., § 620c Rdnr. 1; anderer Ansicht: Gießler/Soyka, a. a. O., Rdnr. 196). Die Rechtssache hat einmal grundsätzliche Bedeutung. Angesichts der oben dargestellten unterschiedlichen Auffassungen zur Zulässigkeit der Beschwerde erfordert auch die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Rechtsbeschwerde.

Ende der Entscheidung

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