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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 30.04.2002
Aktenzeichen: 5 WF 30/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1573 Abs. 2
BGB § 1578
BGB § 1606 Abs. 3 Satz 2
Zum Erfordernis eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen Bedürftigkeit und Scheidung bzw. Wegfall eines anderen Unterhaltstatbestandes beim Aufstockungsunterhalt.

Bei der Berechnung von Aufstockungsunterhalt in einer Doppelverdienerehe ist auch dann das Einkommen des Ehegattenunterhaltsberechtigten um geleisteten Kindesbarunterhalt zu bereinigen, wenn dieser Vorwegabzug des Kindesunterhalts den Ehegattenunterhaltsanspruch erst auslöst.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen: 5 WF 30/02

In der Familiensache

wegen nachehelichen Ehegattenunterhalts,

hier: Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz

hat der 5. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken als Familiensenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hoffmann, den Richter am Oberlandesgericht Geisert und die Richterin am Amtsgericht Heise auf die Beschwerde der Klägerin vom 21./22. März 2002 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Speyer vom 12. Dezember 2001

ohne mündliche Verhandlung am 30. April 2002

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde werden der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Speyer vom 12. Dezember 2001 geändert und der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Speyer vom 22. März 2002 aufgehoben:

Der Klägerin wird zur Durchführung der Klage gemäß Schriftsatz vom 6. März 2002 Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit sie nachehelichen Ehegattenunterhalt in Höhe von monatlich 127,67 EUR begehrt.

Auf die Prozesskostenhilfe sind keine Raten zu zahlen.

Der Klägerin wird antragsgemäß Rechtsanwältin S...-W..., ..., zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts zur Vertretung beigeordnet.

Gründe:

Mit Beschluss vom 12. Dezember 2001 hat das Familiengericht den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß Schriftsatz vom 17. November 2001 zurückgewiesen. Mit weiterem Schriftsatz vom 6. März 2002 hat die Klägerin den Klageantrag erweitert und erneut um die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Klageverfahrens gebeten. Das Familiengericht hat daraufhin der Klägervertreterin mit Schreiben vom 12. März 2002 mitgeteilt, dass der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bereits durch Beschluss vom 12. Dezember 2001 zurückgewiesen worden sei. Daraufhin hat die Klägerin "gegen die Verweigerung der Prozesskostenhilfe gemäß Schreiben des Gerichts vom 12. März 2002" Beschwerde eingelegt. Dieser Beschwerde hat das Familiengericht mit Beschluss vom 22. März 2002 nicht abgeholfen und darüber hinaus den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 6. März 2002 zurückgewiesen.

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin ausdrücklich gegen die Verweigerung der Prozesskostenhilfe, mithin bei verständiger Würdigung ihres Begehrens gegen den Beschluss des Familiengerichts vom 12. Dezember 2001 (nicht etwa gegen die bloße Mitteilung des Verfahrensstandes gemäß Schreiben des Erstgerichts vom 12. März 2002).

Die Beschwerde ist gemäß §§ 127 Abs. 2 ZPO a. F., 26 Nr. 10 EGZPO statthaft und verfahrensrechtlich bedenkenfrei. Auch in der Sache führt sie zum Erfolg.

Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 6. März 2002 den Klageantrag geringfügig erweitert und erneut um Bewilligung von Prozesskostenhilfe nachgesucht hat, ist das darin enthaltene Vorbringen durch den späteren Beschwerdevortrag vom 21. März 2002 prozessual überholt. Dies gilt angesichts des Erfolgs der Beschwerde entsprechend für den Beschluss des Erstgerichts vom 22. März 2002 hinsichtlich der Zurückweisung des weiteren PKH-Antrags der Klägerin vom 6. März 2002. Der Senat erachtet es als angezeigt, diese Entscheidung zur Klarstellung aufzuheben.

Die Klägerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen außerstande, die Kosten der Prozessführung auch nur zum Teil oder nur in Raten aufzubringen. Im Umfang des Beschwerdevorbringens bietet die Rechtsverfolgung auch hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Die Klage erscheint auch nicht etwa deshalb mutwillig, weil die Klägerin gehalten gewesen wäre, den geltend gemachten Aufstockungsunterhalt kostengünstiger im Scheidungsverbundverfahren geltend zu machen. Die Ehe der Parteien ist seit 20. April 2001 rechtskräftig geschieden. Nach Trennung der Parteien im Jahr 1994 wurde die Unterhaltsproblematik zunächst in der Weise gelöst, dass der Beklagte gegen die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung von Kindesunterhalt erhob und die Klägerin ihrerseits gegenüber dem Beklagten keinen Trennungsunterhalt geltend machte. Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass die Klägerin berechtigten Anlass zu der Erwartung hatte, nach Rechtskraft der Ehescheidung könne eine vergleichbare Regelung außergerichtlich herbeigeführt werden.

Nach dem Beschwerdevortrag errechnet sich der geltend gemachte Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB von 127,67 EUR wie folgt:

Renteneinkommen des Beklagten:

2 155,19 DM = 1 101,93 EUR bereinigtes monatliches Nettoeinkommen der Klägerin: 2 217,13 DM = 1 133.60 EUR Gesamteinkommen beider Parteien: 2 235,53 EUR ./. Bar-Kindesunterhalt für den ehegemeinschaftlichen Sohn: 287,00 EUR bereinigtes Gesamteinkommen: 1 948,53 EUR Unterhaltsbedarf 1/2 = 974,27 EUR ./. eigenes Einkommen der Klägerin: 1 133,60 EUR ./. Kindesunterhalt: 287.00 EUR 846,60 EUR 846.60 EUR ungedeckter Bedarf: 127,67 EUR.

Die Feststellung der genauen Höhe des Einkommens der Klägerin nebst behauptetem Zusatzeinkommen sowie des geltend gemachten Sonderbedarfs des Beklagten bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Dies gilt auch für die Entscheidung über eine eventuelle zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruchs.

Entgegen der Auffassung des Beklagten steht der hinreichenden Erfolgsaussicht der Klage nicht entgegen, dass die Klägerin erstmals mit Schriftsatz vom 17. November 2001 Ansprüche auf Nachscheidungsunterhalt geltend macht. Zwar setzt der Wortlaut des § 1573 Abs. 2 BGB einen bestimmten Einsatzzeitpunkt nicht voraus. Die Gesetzessystematik erfordert aber auch hier einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Bedürftigkeit und Scheidung bzw. Wegfall eines anderen Unterhaltstatbestandes. Ein Aufstockungsunterhalt kommt danach grundsätzlich nicht zur Entstehung, wenn zum Zeitpunkt der Scheidung oder dem Wegfall der Voraussetzungen der übrigen Unterhaltstatbestände tatsächliche oder fiktiv zurechenbare Einkünfte den vollen eheangemessenen Bedarf gedeckt haben. Wenn lange Zeit nach der Scheidung erstmals Aufstockungsunterhalt geltend gemacht wird, muss rückblickend festgestellt werden, ob zu dem maßgeblichen Einsatz-Zeitpunkt eine Bedarfslücke zum vollen eheangemessenen Bedarf bestand oder nicht (vgl. Eschenbruch, Der Unterhaltsprozess, 2. Aufl., Rdnrn. 1167 ff m. w. N.). Ein solcher zeitlicher Zusammenhang ist vorliegend gegeben. Solange der ehegemeinschaftliche Sohn P... von der Klägerin betreut und diese mithin zur Leistung von Kindes-Barunterhalt nicht verpflichtet gewesen ist bzw. später zwischen den Parteien - wie auch immer - Kindes- und Ehegattenunterhalt "verrechnet" wurden, mag der eheangemessene Unterhaltsbedarf der Klägerin in der Tat durch eigene Erwerbseinkünfte gedeckt gewesen sein. Nach der Inanspruchnahme der Klägerin auf Zahlung von Bar-Kindesunterhalt ist dies nunmehr nicht mehr der Fall und vermag die Klägerin deshalb Aufstockungsunterhalt geltend zu machen. Vergleichbar der umgekehrten Situation bei Geltendmachung von Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB bedarf es in diesem Fall keines Einsatzzeitpunktes; der Unterhaltsanspruch kann nachträglich bei einem Wechsel in der Betreuung des Kindes erstmalig entstehen oder wieder aufleben.

Der Senat teilt nicht die Auffassung des Familiengerichts, wonach das Einkommen der Klägerin nicht um den von ihr bar geleisteten Kindesunterhalt zu bereinigen ist, weil dann der Beklagte mittelbar den Kindesunterhalt mit finanzieren würde.

In Literatur und Rechtsprechung wird in der Tat vertreten, dass ein Vorwegabzug des Kindesbarunterhalts beim Einkommen des Ehegattenunterhaltsberechtigten bei der Berechnung des Aufstockungsunterhalts gemäß § 1573 Abs. 2 BGB dann unterbleiben müsse, wenn der Vorwegabzug den Ehegattenunterhaltsanspruch - wie vorliegend - erst auslösen würde. In Doppelverdienerehen finanziere der die Kinder betreuende, gleichwohl aber erwerbstätige und auch erwerbsoblegene Ehegatte bei einem Vorwegabzug entgegen § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB den Kindesunterhalt mit, obwohl er seinen eigenen Unterhaltsbeitrag durch die Kindesbetreuung erbringe. In diesen Fällen sei deshalb von einem Vorwegabzug des Kindesbarunterhalts abzusehen (vgl. Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 7. Aufl., Rdnr. 1011 m. w. N.; MünchKomm/Maurer, BGB, 4. Aufl., § 1578 Rdnr. 5 m. w. N.; OLG Köln, NJW-RR 2001, 1371; OLG Hamburg, FamRZ 1986, 1001; 1986, 1212; 1998, 1585; KG, FamRZ 1997, 1217; nur auf diese Rechtsprechung hinweisend: Eschenbruch, Der Unterhaltsprozess, 2. Aufl., Rdnr. 1245).

Der Hinweis auf § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB, wonach der Elternteil, der ein minderjähriges unverheiratetes Kind betreut, seine Verpflichtung zum Unterhalt des Kindes beizutragen, in der Regel durch die Pflege und die Erziehung des Kindes erfüllt, geht in vorliegendem Zusammenhang nach Auffassung des Senats fehl. Die Folge der grundsätzlichen Gleichwertigkeit von Barunterhalt und Betreuungsunterhalt besteht in der Befreiung des das Kind betreuenden Elternteils von der Beteiligung am Barunterhalt, für welchen in der Regel der andere Elternteil aufzukommen hat, hat aber keine weitergehenden Auswirkungen auf mögliche Ansprüche der Ehegatten untereinander auf Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB.

Die persönlichen Verhältnisse des Unterhaltsverpflichteten im Sinne von § 1578 BGB werden auch durch die Existenz eines ihm gegenüber barunterhaltsberechtigten Kindes bestimmt. Insoweit handelt es sich um eine besondere typisierte Form der Berücksichtigung eheprägender Verbindlichkeit. Bei der Bemessung des Unterhalts nach einer Quote vom Einkommen des Unterhaltspflichtigen ist deshalb ein Vorwegabzug des Barkindesunterhalts im Regelfall gängige Praxis. Leistet ein Ehegatte (Bar-)Unterhalt für ein Kind und hat dies die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt, so wird sein Einkommen um diesen Kindesunterhalt, und zwar den Tabellenbetrag, bereinigt (siehe nur SüdL Nr. 16 b in FamRZ 2001, 1433, 1435; DüTab, Stand: 01.07.2001, Anmerkung B III in FamRZ 2001, VIII).

Der - tatsächliche - Betreuungsaufwand für das Kind indes ist bei der Bestimmung des Unterhaltsbedarfs des Ehegatten nach den ehelichen Lebensverhältnissen gemäß § 1578 BGB aber nicht etwa zu monetarisieren und in dieser Weise dem Kindesbarunterhalt rechnerisch gleichzusetzen. Soweit der Kindesbarunterhaltspflichtige auch Ehegattenunterhalt schuldet, wird dies - soweit ersichtlich und ausgenommen die Situation bei überobligationsmäßiger Erwerbstätigkeit - weder in Rechtsprechung noch Literatur vertreten. Gründe dafür, bei Auseinanderfallen von Kindes- und Ehegattenunterhaltsverpflichtung anders zu verfahren, sind schlechterdings nicht erkennbar.

Aus Gründen der Gleichbehandlung gilt der Vorwegabzug des bar geleisteten Kindesunterhalts nicht nur beim Ehegattenunterhaltspflichtigen, sondern auch, wenn der Ehegattenunterhaltsberechtigte Barunterhaltsleistungen an Kinder erbringt (vgl. Palandt/Brudermüller, BGB, 61. Aufl., § 1578 Rdnr. 50; Wendl/Staudigl/Gerhardt, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 5. Aufl., § 4 Rdnr. 188; BGH FamRZ 1999, 367, 370 sowie NJW 1991, 2703). In diesem Zusammenhang zwischen dem Ehegattenunterhaltsverpflichteten und dem Berechtigten zu unterscheiden, besteht keine Veranlassung. Der kindesbetreuende Ehegatte finanziert damit keineswegs in unangemessener Weise den Kindesunterhalt mit. Dies erhellt die Situation bei Kindes- und Ehegattenunterhaltsverpflichtung ein und desselben Unterhaltsverpflichteten. Der Ehegattenunterhaltsbedarf orientiert sich an den eheprägenden Einkünften und Verbindlichkeiten beider Ehegatten, auch an einer Kindesbarunterhaltsverpflichtung. Soweit ein Elternteil insbesondere wegen des Alters des Kindes tatsächliche Betreuungsleistungen zu erbringen hat, ist diesem Umstand durch eine entsprechend eingeschränkte Erwerbsobliegenheit Rechnung zu tragen. Wenn und soweit diesem Elternteil eine Erwerbstätigkeit mangels Betreuungsbedarfs des Kindes zuzumuten ist, wird er durch den Vorwegabzug des Kindesbarunterhalts beim anderen Ehegatten und der damit einhergehenden Kürzung des Ehegattenunterhalts nicht in unangemessener Weise benachteiligt.

Nebenentscheidungen sind nicht veranlasst, § 127 Abs. 4 ZPO.

Ende der Entscheidung

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