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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 09.05.2005
Aktenzeichen: 6 UF 4/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1684
Zu Art und Umfang des Umgangsrechts, wenn die 9 und 10 Jahre alten Kinder aufgrund eines von der Mutter gezielt herbeigeführten PAS-Syndroms den Vater ablehnen und Entfremdungssymptome zeigen.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen: 6 UF 4/05

In der Familiensache

betreffend die Regelung des Umgangs eines Elternteils mit den Kindern N...A..., geboren am ...1995, A... A..., geboren am ...1996, beide wohnhaft bei ihrer Mutter, ..., ...

hat der 6. Zivilsenat - Familiensenat - des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Morgenroth, die Richterin am Oberlandesgericht Euskirchen und den Richter am Oberlandesgericht Reichling auf die befristete Beschwerde des Antragstellers vom 3./10. Januar 2005 gegen den ihm am 21. Dezember 2004 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Germersheim vom 20. Dezember 2004

nach Anhörung der Beteiligten

am 9. Mai 2005

beschlossen:

Tenor:

I. Der angefochtene Beschluss wird teilweise geändert:

1. Dem Antragsteller steht das Recht zum Umgang mit seinen Kindern N... K..., geboren am ... 1995, und A... K..., geboren am ... 1996, zu und zwar alle zwei Wochen sonntags in der Zeit zwischen 15:15 Uhr und 16:15 Uhr. 2. Das Umgangsrecht beginnt am Sonntag den 12. Juni 2005.

3. Das Umgangsrecht ist in den Räumlichkeiten des Deutschen Kinderschutzbundes, Kreisverband G... e.V., ..., ... in Anwesenheit einer vom Kinderschutzbund zu stellenden Fachkraft wahrzunehmen.

4. Die Mutter hat die Kinder N... und A... auf die Besuchstermine vorzubereiten. Sie hat für das pünktliche Erscheinen der Kinder 15 Minuten vor Beginn des Besuchstermins in den Räumlichkeiten des Kinderschutzbundes und das Abholen von dort, 15 Minuten nach dem Ende des jeweiligen Besuchstermins zu sorgen.

5. Beiden Eltern wird aufgegeben, mit den Aufsichtspersonen kooperativ zusammenzuarbeiten und die vom Kinderschutzbund für die Durchführung des betreuten Umgangs erstellten Regeln zu akzeptieren und einzuhalten.

6. Der Mutter wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die ihr aus diesem Beschluss obliegenden Verpflichtungen ein Zwangsgeld in Höhe von 300 € angedroht.

II. Die weiter gehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

III. Das Verfahren über die Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei.

Außergerichtliche Kosten der beteiligten Eltern sind nicht zu erstatten.

IV. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.000 € festgesetzt.

Gründe:

Die befristete Beschwerde des Antragstellers ist statthaft und auch sonst verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden, §§ 621 e Abs. 1 und 3, 621 Abs. 1 Nr. 2, 517, 520 ZPO. In der Sache führt das Rechtsmittel teilweise zum Erfolg.

1. Der Senat ist auf Grund der persönlichen Anhörung der Eltern und der Kinder N... und A... im Termin vom 21. April 2005, der schriftlichen Stellungnahme der Verfahrenspflegerin vom 29. März 2005 und des am 7. April 2005 ergänzten Gutachtens der Sachverständigen Dipl. Psychologin I... R... vom 5. Juli 2004 der Überzeugung, dass im Interesse des Kindeswohls der Kinder N... und A... eine alsbaldige Wiederaufnahme des seit dem Jahr 2000 unterbrochenen Umgangskontakts mit ihrem Vater geboten ist. Im Hinblick auf die eingetretene Entfremdung zwischen den Kindern und ihrem Vater kommt zunächst allerdings nur ein sogenannter betreuter oder beschützter Umgang i.S.v. § 1684 Abs. 4 Satz 3 BGB in Betracht.

2. Gemäß § 1684 Abs. 1 BGB hat ein Kind, das nicht mit beiden Elternteilen zusammenlebt, das Recht zum Umgang mit dem von der Ausübung der persönlichen Sorge ausgeschlossenen, abwesenden Elternteil. Dieses Recht besteht vorrangig im Kindesinteresse. Dem Kind soll es ermöglicht werden, die Beziehungen zu beiden Elternteilen aufrecht zu erhalten. Zugleich soll dadurch einer Entfremdung vorgebeugt und dem Liebesbedürfnis beider Elternteile Rechnung getragen werden. Das Kind benötigt zum Aufbau einer gesunden Entwicklung seiner Persönlichkeit beide Elternteile als Identifikationspersonen. Das gilt gerade auch im Hinblick auf den Vater als männliche Bezugsperson, wenn das Kind im Übrigen bei der Mutter aufwächst und von ihr das mütterliche Identifikationsbild erhält (vgl. zu alledem Rauscher in Staudinger, BGB 13. Aufl. Rdn. 7 b zu § 1684 m.w.N.; OLG Braunschweig FamRZ 1999, 185; OLG Bamberg FamRZ 2000, 46; OLG Bamberg MDR 1998, 1167, jew. m.w.N.). Im hier vorliegenden Fall tritt hinzu, dass die Kinder ihre Hautfarbe mit ihrem Vater teilen. Auch unter diesem Gesichtspunkt ermöglicht ihnen das umfassende Kennenlernen ihrer Abstammung ein besseres Selbstverständnis.

a. In der Person des Antragstellers liegen keine Gründe vor, die einer Ausübung des Umgangsrechts unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls (§ 1697 a BGB) entgegenstehen könnten. Soweit sich die Antragsgegnerin auf Gewalttätigkeiten des Antragstellers zu Ehezeiten beruft, handelt es sich um Vorfälle, die nach Art und Intensität streitig sind. Sie liegen lange Zeit zurück und richteten sich nicht unmittelbar gegen die Kinder. Einen Ausschluss des Umgangsrechts vermögen sie nicht zu rechtfertigen. Soweit der Erstrichter das Umgangsrecht im Hinblick auf bestehende Sprachschwierigkeiten abgelehnt hat, handelt es sich schon im Ansatz um keinen Gesichtspunkt, der zum Ausschluss des Umgangsrechts geeignet ist. Im Übrigen ist der Antragsteller nach dem persönlichen Eindruck, den der Senat bei dessen Anhörung gewonnen hat, durchaus in der Lage, sich mit seinen Kindern in der deutschen Sprache zu verständigen. Dass der Antragsteller diese Sprache nicht als Muttersprache spricht, beeinträchtigt das Kindeswohl mit Gewissheit nicht. Der unsichere ausländerrechtliche Status des Antragstellers ist ebenfalls kein Grund, der einem Umgangsrecht unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls entgegensteht. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller das Umgangsrechtsverfahren nur vorschiebt, um die Aufenthaltserlaubnis zu erlangen, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich.

b. Der Umstand, dass die beiden nunmehr neun und acht Jahre alten Kinder den Umgang mit ihrem Vater ablehnen und erhebliche Entfremdungssymptome zeigen, rechtfertigt ebenfalls keinen dauernden oder zeitweisen Ausschluss des Umgangsrechts. Zwar ist dem Willen der Kinder bei der Entscheidung Rechnung zu tragen (vgl. dazu im Einzelnen etwa Palandt/Diederichsen, BGB 64. Aufl. § 1684 Rdn. 23; Oelkers, FA-FamR 5. Aufl. Kapitel 4 Rdn. 585 ff. m.w.N.). Allerdings kann die Willensäußerung - jedenfalls bei Kindern dieses Alters - nicht ungeprüft übernommen werden. Es ist vielmehr die wirkliche Einstellung des Kindes zu erforschen und auf ihrer Grundlage die am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. dazu BVerfG FamRZ 1993, 662, 663; BVerfG FamRZ 2001, 1057; OLG Hamm FamRZ 1994, 57; Palandt/Diederichsen, Oelkers, jew. aaO).

aa. Nach den Feststellungen der Sachverständigen Dipl. Psychologin I... R... haben beide Kinder Beziehungswünsche an den Vater und stehen ihm in ihren eigenen Empfindungen und Wahrnehmungen mit positiven Gefühlen gegenüber. Schlechte Erfahrungen mit ihrem Vater mussten die Kinder nicht machen. Dessen negative Sichtweise wird ihnen allein durch die Mutter und das mit ihr verbundene Umfeld vermittelt. Die Mutter wertet den Vater im Beisein der Kinder stark ab. Sie vermittelt den Kindern dadurch den Eindruck, dass sie den Vater nicht schätzt. Die Kinder können ihre Beziehungswünsche zum Vater nicht ungestört äußern, ohne in Konflikt zu ihrer Mutter und deren Umfeld, den Großeltern, zu geraten. Sie befinden sich dadurch in einem massiven Koalitions- und Solidaritätsdruck, der sich als emotional äußerst belastend darstellt und zu Somatisierungen und Auffälligkeiten geführt hat. Dadurch wird den Kindern eine spannungsfreie Auseinandersetzung mit der durch die Scheidung ihrer Eltern veränderten familiären Situation unmöglich gemacht. Gerade diese Situation würde es aber erfordern, dass die Kinder kontinuierliche, in ihren zeitlichen Abschnitten überschaubare Kontakte zum getrennt lebenden Elternteil ausüben dürfen.

bb. Die Feststellungen der Sachverständigen R..., die auf einer eingehenden Exploration der Kinder und der Beteiligten beruhen, sind in jeder Hinsicht überzeugend und halten den Angriffen der Antragsgegnerin und der Verfahrenspflegerin der Kinder in allen Punkten stand. Die Feststellungen werden durch den Eindruck bestätigt, den der Senat anlässlich der Anhörung der Beteiligten im Termin vom 21. April 2005 gewonnen hat. Soweit die Kinder den auch bei ihrer Anhörung durch den Berichterstatter wiederholten Wunsch äußern, ihren Vater nicht sehen zu wollen, vermögen sie dafür keine nachvollziehbare Begründung zu geben. Sie haben ein Negativbild von ihrem Vater entwickelt und verinnerlicht, weil sie sich mit ihrer Mutter und mit deren Familie solidarisieren. Dabei versuchen sie, ihren Vater aus ihrem Leben zu streichen. Diese Einstellung beruht nach der Überzeugung des Senats auf einer bewussten Steuerung durch ihre Mutter. Auch sie vermag keine überzeugenden Gründe anzuführen, die einem Umgang zwischen ihren Kindern und deren Vater entgegenstehen könnten. Sie lässt sich bei der Frage solcher Kontakte im Wesentlichen von ihren eigenen Bedürfnissen leiten und ist zu einer Einsicht in die emotionale Befindlichkeit ihrer Kinder nicht im Stande.

cc. Aus alledem und aus seiner eigenen Sachkunde folgert der Senat, dass die Kinder unter einer ausgeprägten psychischen Störung leiden, die bereits Krankheitswert erreicht hat und in der Fachliteratur als so genanntes PAS (Parenteal Alienation Syndrome) bezeichnet wird. Das so genannte PAS beschreibt eine in ihren Symptomen jedem Familienrichter als solche bekannte kindliche Verhaltensweise im Elternkonflikt. Das Kind wendet sich einem - in aller Regel dem betreuenden - Elternteil zu, den es kritiklos und kritikunfähig als den "guten" Elternteil idealisiert, während es den anderen unreflektiert und begründungsunfähig ablehnt, aus seinem Leben streicht und dies meist unter Verwendung altersunangemessener Ausdrucksformen als "eigene" Meinung präsentiert. Dabei ist das Verhalten des Kindes von einem hochgradigen Wahrnehmungsverlust getragen, der durch eine Solidarisierung mit dem bewusst oder unbewusst die Trennung nicht verarbeitenden und das Kind programmierenden Elternteil verursacht wird. Diese Programmierung kann schuldlos sein; sie kann - wie im hier vorliegenden Fall - aber auch gezielt stattfinden, indem z. B. das Bild des anderen Elternteils im realen und übertragenen Sinn entfernt wird. Das Kind wird instrumentalisiert, um die eigenen emotionalen Bedürfnisse des betreuenden Elternteils zu befriedigen und dessen (negative) Emotionen auszudrücken (vgl. Rauscher aaO Rdn. 37 zu § 1684 BGB m.w.N.).

dd. Vor diesem Hintergrund muss davon ausgegangen werden, dass die Äußerung der Kinder N... und A..., keinen Kontakt mit ihrem Vater zu wollen, manipuliert ist und nicht ihrem natürlichen Willen entspricht. Die Ausübung des Umgangsrechts ist zum Wohl der Kinder erforderlich. Im Hinblick auf die zwischen ihnen und ihrem Vater eingetretene Entfremdung muss das Umgangsrecht - auch insoweit in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der Sachverständigen R... - vorerst allerdings auf die Form eines betreuten oder geschützten Umganges im Beisein fachkundiger Personen beschränkt werden (vgl. dazu auch Rauscher aaO Rdn. 317 und 318 zu § 1684 BGB m.w.N.).

3. Die Mutter als Sorgeberechtigte trifft eine aktive Mitwirkungspflicht zur Förderung des Umganges der Kinder N... und A... mit ihrem Vater (vgl. Rauscher aaO Rdn. 215 zu § 1684 BGB). Soweit die Antragsgegnerin dagegen einwendet, eine Umgangsregelung sei perspektivlos, verkennt sie, dass der sorgeberechtigte Elternteil allein durch die Formulierung einer hartnäckigen Ablehnung sämtlicher Umgangskontakte das Umgangsrecht nicht unterlaufen kann (vgl. auch OLG Köln FamRZ 2003, 952). Gleiches gilt, soweit die Antragsgegnerin und die Verfahrenspflegerin der Kinder auf psychische und physische Auffälligkeiten der Kinder verweisen, deren Steigerung bei der Anordnung eines Umgangsrechts zu erwarten sei. Solche Auffälligkeiten beruhen gerade auf der Konfliktsituation, in welche die Kinder durch das Verhalten ihrer Mutter und des mütterlichen Umfeldes geführt worden sind. Das Taktieren der Mutter mit den Folgen der selbst heraufbeschworenen Konfliktsituation darf im Interesse des Kindeswohls nicht hingenommen werden. Ein solches Verhalten verdeutlicht eine partielle Einschränkung der Erziehungseignung und Förderkompetenz des sorgeberechtigten Elternteils, wie sie der Mutter durch die Sachverständige R... zu Recht bescheinigt wird. Diese Einschränkung des Erziehungsvermögens kann ihrerseits Anlass zu gerichtlichen Maßnahmen gegenüber dem sorgeberechtigten Elternteil bieten. Zur Vermeidung einer solchen Entwicklung der Dinge wird es Sache der Antragsgegnerin sein, der Empfehlung der Sachverständigen R... zu folgen und Beratung in Anspruch zu nehmen. Der Senat erwartet, dass es ihr dann gelingen wird, an der Verbesserung ihrer Erziehungseignung zu arbeiten und zu einem angemessenen Umgang mit den kindlichen Bedürfnissen und Befindlichkeiten zu gelangen.

4. Bei der Festlegung der Ausübungszeiten für das betreute Umgangsrecht hat der Senat berücksichtigt, dass die Kinder und auch die Eltern durch vorbereitende Einzelgespräche seitens der zur Mitwirkung bereiten Stelle psychologisch auf die Besuchsituation vorbereitet werden müssen. Die vom Senat angeordneten Modalitäten der Besuchsregelung sind mit der Vertreterin des Kinderschutzbundes Germersheim abgesprochen und bewegen sich im Rahmen der dazu vorhandenen Möglichkeiten. Der Senat erwartet von den Eltern, dass sie die getroffenen Anordnungen respektieren, dass sie die ihnen vom Kinderschutzbund angebotene Hilfe bei der Durchführung des Umgangsrechts in der Weise akzeptieren, wie sie üblicherweise dort ausgeübt wird und dass sie den Vorgaben des Kinderschutzbundes folgen, soweit sie die gerichtlich getroffenen Anordnungen ausfüllen und ergänzen.

5. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei, § 131 Abs. 3 KostO.

Die Anordnung einer Kostenerstattung i.S.v. § 13 a Abs. 1 Satz 1, 2 FGG ist nicht geboten. Den Wert des Beschwerdegegenstandes hat der Senat gemäß §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 KostO festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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