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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 10.03.2006
Aktenzeichen: 6 WF 41/06
Rechtsgebiete: ZPO, EheVO II (Brüssel IIa), FVGB-Polen


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 261 Abs. 3 Nr. 1
ZPO § 263
ZPO § 606a
EheVO II (Brüssel IIa) Art. 3 Abs. 1
EheVO II (Brüssel IIa) Art. 19 Abs. 1
FVGB-Polen Art. 56 § 1
FVGB-Polen Art. 61/1 § 1
1. Der Anwendungsbereich des die internationale Zuständigkeit begründenden § 606 a ZPO wird durch die vorrangigen Regelungen der Ehe-VO II (Brüssel II a) verdrängt.

2. Ungeachtet des Streitgegenstandes ist ein in der Bundesrepublik Deutschland angestrengtes Scheidungsverfahren auszusetzen, wenn der Ehepartner seinerseits zuvor in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften (hier: Polen) ein Verfahren auf Trennung von Tisch und Bett eingeleitet hat.

3. Führt ein beabsichtigtes Scheidungsverfahren zwingend zur Aussetzung, ist, solange der Aussetzungsgrund fortbesteht, Prozesskostenhilfe wegen Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung zu verweigern.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen: 6 WF 41/06

In der Familiensache

wegen Ehescheidung,

hier: Prozesskostenhilfe für die erste Instanz,

hat der 6. Zivilsenat - Familiensenat - des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken gem. § 568 Satz 2 ZPO in seiner im Gerichtsverfassungsgesetz festgelegten Besetzung durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Morgenroth, die Richterin am Oberlandesgericht Euskirchen und den Richter am Oberlandesgericht Hengesbach auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 22./23. Februar 2006 gegen den seinen Verfahrensbevollmächtigten am 3. Februar 2006 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Landau in der Pfalz vom 24. Januar 2006 ohne mündliche Verhandlung am 10. März 2006

beschlossen:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller hat die Gerichtsgebühr in Höhe von 50,-- € zu tragen; außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland erstrebt mit am 30. Dezember 2005 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz die Scheidung der am 3. August 2001 mit der Antragsgegnerin geschlossenen Ehe. Die Antragsgegnerin ist polnische Staatsangehörige. Sie lebt mit den beiden aus der Ehe hervorgegangenen Söhne seit Weihnachten 2002 in Polen. Dort hat sie vor dem Bezirksgericht in Kadovik am 13. Juli 2005 u.a. Klage auf Trennung von Tisch und Bett erhoben. Diese ist dem Antragsteller am 17. Dezember 2005 zugestellt worden.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Familiengericht Prozesskostenhilfe verweigert. Seiner Ansicht nach ist schon die Internationale Zuständigkeit nicht gegeben. Außerdem liege bereits anderweitige Rechtshängigkeit im Sinne des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO vor.

Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller weiterhin das Ziel, ihm zur Durchführung des Scheidungsverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

II.

Die gem. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO gegen die Versagung der nachgesuchten Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Scheidungsverfahrens statthafte sofortige Beschwerde ist verfahrensrechtlich bedenkenfrei, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 127 Abs. 2 Satz 3, 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO), bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.

Die erstinstanzliche Entscheidung erweist sich jedenfalls im Ergebnis als richtig, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung derzeit mutwillig im Sinne des § 114 ZPO ist.

1. Mit Recht macht die Beschwerde allerdings geltend, dass die internationale Zuständigkeit des Amtsgerichts nicht unter Hinweis auf das Fehlen der Voraussetzungen des § 606 a Abs. 1 ZPO abgelehnt werden kann. Der Anwendungsbereich der Vorschrift wird nämlich durch die vorrangig anwendbaren Regelungen der VO (EG) Nr. 2201/2003 (im Folgendem: EheVO II - Brüssel IIa) verdrängt. Insoweit haben Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaften Vorrang vor entgegenstehenden innerstaatlichen Regelungen zum Kollisionsrecht (vgl. Weinreich/Klein/Rausch, FamR 2. Aufl. § 606 a ZPO Rdnr. 1). Die EheVO II (Brüssel IIa) ist am 23. Dezember 2003 im Amtsblatt der EG/EU verkündet worden, somit in der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedsstaat unmittelbar geltendes Recht und nach Art. 72 Satz 2 der Verordnung ab dem 1. März 2005 anwendbar (vgl. Rausch, FuR 2004, 154, 155). Anknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit ist somit gem. Art. 3 Abs. 1 a Spiegelstrich 2 auch der gewöhnliche Aufenthalt des Antragstellers in Deutschland, wenn beide Ehegatten zuletzt ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten und der Antragsteller dort zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt noch hat (vgl. Rausch aa0 S. 158 unter Ziff. 3). Das ist hier der Fall. Nach dem Vorbringen des Antragstellers haben die Parteien nach ihrer Heirat zunächst gemeinsam in der Bundesrepublik Deutschland gelebt, wo er sich nach der Trennung weiterhin aufhält.

2. Im Ergebnis zu Recht hat das Familiengericht jedoch Prozesskostenhilfe unter Hinweis auf das vor dem Bezirksgericht in Kadovik (Polen) von der Antragsgegnerin eingeleitete Verfahren auf Trennung abgelehnt. Anders als das deutsche Recht sieht das polnische Familien- und Vormundschaftsgesetzbuch vom 25. Februar 1964 neben der Scheidung (Art. 56 § 1 FVGB) bei vollständiger Zerrüttung eine Trennung von Tisch und Bett vor (Art. 61/§ 1 FVGB). Im Unterschied zur Scheidung lässt die Trennung von Tisch und Bett die Ehe als solche fortbestehen (vgl. Bergmann/Ferid/Gralla, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Polen S. 30). Für die zu treffende Entscheidung kann indes dahinstehen, ob die Streitgegenstände identisch sind, also wegen anderweitiger Rechtshängigkeit ein Prozesshindernis vorläge (vgl. etwa BGH FamRZ 1992, 1060, 1061; OLG München FamRZ 1992, 73, 74; für die Trennung von Tisch und Bett nach italienischem Recht AG Siersburg NJW-RR 1997, 388 f.). Denn auch insoweit ist gegenüber der Regelung des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO im deutschen Recht vorrangig auf die Verordnung der Europäischen Gemeinschaften abzustellen. Danach gilt - was im Rahmen der Zulässigkeit von Amts wegen zu prüfen ist - hinsichtlich Rechtshängigkeit und abhängiger Verfahren der Prioritätsgrundsatz. Gem. Art. 19 Abs. 1 EheVO II (Brüssel IIa) - ebenso schon zuvor Art. 11 Abs. 2 EheVO I (Brüssel II) - hat das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen bis zur Klärung der Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts auszusetzen, wenn bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Anträge auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigkeitserklärung einer Ehe zwischen denselben Personen gestellt werden. Diese Regelung führt hier dazu, dass das im Mitgliedsstaat Polen früher eingeleitete Verfahren auf Trennung das nunmehr angestrebte Scheidungsverfahren blockiert (vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO 27. Aufl. Art. 19 EuEheVO Rdnr. 3; Baumbach/Lauterbach/Albers, ZPO 63. Aufl. Anhang 1 zu § 606 a Art. 11 Rdnr. 11; AnwK-BGB/Gruber, Anh I. zum III. Abschnitt EGBGB Rdnrn 7f; HK-ZPO/Dörner Art. 19 EheGWO Rdnr. 3; Rauscher, EuZPR Art. 11 Brüssel II - VO Rdnrn 21, 24ff). Demzufolge ist bei dem hier zu Beurteilung stehenden Sachverhalt nach den vorrangigen Regelungen des Europäischen Rechts nicht allein der Streitgegenstandsbegriff der ZPO maßgebend (vgl. Musielak/Borth, ZPO 4. Aufl. § 606 a Rdnr. 32; Gruber, FamRZ 2000, 1129, 1131 f.; Hau, FamRZ 2000, 1333, 1339).

Wenn die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts noch nicht feststeht, vgl. Art. 19 Abs 3 EheVO II (Brüssel IIa), ist zunächst das spätere Scheidungsverfahren gem. § 19 Abs. 1 der Verordnung auszusetzen, bis das erstbefasste Gericht seine Unzuständigkeit festgestellt hat, den Antrag als unbegründet abgewiesen oder ihn nicht im Umfang des beim zuletzt befassten Gerichts gestellten Antrags entschieden hat (vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege aa0 Art. 19 Rdnr. 9). Danach wird spätestens im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft der Entscheidung über die Trennung das hier eingeleitete Scheidungsverfahren wieder möglich sein (vgl. Gruber, FamRZ 2000 1129, 1135; ders. AnwK-BGB aaO Rdnrn 4, 27ff; Musielak/Borth aaO).

Könnte demzufolge der beabsichtigte Scheidungsantrag derzeit lediglich zu einer Aussetzung des Verfahrens führen, erweist sich die Rechtsverfolgung als mutwillig. Denn eine vermögende Partei anstelle des Antragstellers würde bei dieser Sachlage - solange der Aussetzungsgrund besteht - aus Kostengründen davon absehen, das Scheidungsverfahren in der Bundesrepublik Deutschland einzuleiten.

III.

Die Kostenfolge beruht auf Nr. 1811 zum GKG n.F. und § 127 Abs. 4 ZPO.

Ende der Entscheidung

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