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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 22.09.2005
Aktenzeichen: OVG 1 K 118.05
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 162
VwGO § 164
1. Der sich im Verwaltungsprozess selbst vertretende Hochschullehrer erwirbt keinen erstattungsfähigen Vergütungsanspruch; § 91 Abs. 2 Satz 4 ZO ist auf Hochschullehrer nicht entsprechend anwendbar.

2. Das Kostenfestsetzungsverfahren gem. § 164 VwGO dient dem Ausgleich tatsächlich entstandener, nicht fiktiver Kosten der Rechtsverfolgung.


OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG Beschluss

OVG 1 K 118.05

In der Kostensache

hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Monjé, den Richter am Oberverwaltungsgericht Seiler und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Blumenberg am 22. September 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Erinnerungsgegner gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. Juli 2005 wird zurückgewiesen.

Die Erinnerungsgegner tragen die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 8 275,25 Euro festgesetzt.

Gründe:

In dem dem vorliegenden Kostenstreit zugrunde liegenden vermögensrechtlichen Verwaltungsstreitverfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin hatten sich die Kläger (und jetzigen Erinnerungsgegner des Kostenverfahrens) als Erbengemeinschaft gegen einen Rückerstattungs-/Widerspruchsbescheid des Beklagten (und jetzigen Erinnerungsführers) gewandt. Die Klägerinnen zu 2. und 3. hatten ihren Bruder, den Kläger zu 1., der entpflichteter Honorarprofessor der Technischen Universität Berlin und Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Berlin a.D. ist, mit der Prozessführung des Klageverfahrens bevollmächtigt.

Das Verwaltungsgericht Berlin hatte mit Urteil vom 14. Februar 2002 - VG 22 A 145.97 - die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Auf die Beschwerde der Kläger hatte das Bundesverwaltungsgericht die Revision zugelassen (Beschluss vom 4. Dezember 2002 - 7 B 50.02 -), mit Urteil vom 23. Oktober 2003 - 7 C 64.02 - das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin sowie die Rückübertragungsbescheide des Beklagten aufgehoben und diesem die Kosten des Verfahrens auferlegt.

Im vorliegenden Kostenverfahren streiten die Verfahrensbeteiligten um die Höhe der den Erinnerungsgegnern zu erstattenden notwendigen Aufwendungen für die zweckentsprechende Rechtsverfolgung vor dem Verwaltungsgericht Berlin. Die Erinnerungsgegner beantragten im Januar 2004 die Kostenfestsetzung und bezifferten ihre Erstattungsansprüche der Höhe nach auf Grundlage der Bestimmungen der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 3. März 2004 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die den Klägern von dem Beklagten zu erstattenden Kosten für die Rechtsverfolgung vor dem Verwaltungsgericht Berlin auf 10 859,62 Euro nebst Zinsen fest. Auf die Erinnerung des Erinnerungsführers, die in erster Linie damit begründet worden war, dass die erstattungsfähigen Aufwendungen eines Verfahrensbeteiligten bei Prozessvertretung durch einen Hochschullehrer nicht nach den Bestimmungen der Gebührenordnung für Rechtsanwälte berechnet werden dürften, hat das Verwaltungsgericht Berlin durch Beschluss vom 12. Juli 2005 den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 3. März 2004 teilweise aufgehoben und im Übrigen die Erinnerung zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob ein Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule gegenüber der durch ihn gerichtlich vertretenen Partei stets nach der BRAGO abrechnen und demzufolge die obsiegende Partei entsprechende Aufwendungen vom Kostentragungspflichtigen erstattet verlangen könne. Dem Erinnerungsgegner zu 1. stehe ein Erstattungsanspruch jedenfalls nicht zu, weil er sich im Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht selbst vertreten habe und auf sich selbst vertretende Hochschullehrer § 91 Abs. 2 Satz 4 ZPO keine entsprechende Anwendung finde. Auch die Erinnerungsgegnerinnen zu 2. und 3. könnten eine Kostenerstattung nicht beanspruchen, weil nicht glaubhaft gemacht sei, dass zwischen ihnen und ihrem Bruder, dem Erinnerungsgegner zu 1., eine Vergütungsvereinbarung für die Vertretung im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin bestanden habe. Schuldeten die Erinnerungsgegnerinnen zu 2. und 3. aber kein Honorar für die Prozessvertretung, könnten sie vom Erinnerungsführer auch keine Erstattung verlangen.

Gegen diesen Beschluss wenden sich die Erinnerungsgegner mit der vorliegenden Beschwerde. Zur Begründung legen die Erinnerungsgegner unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur im Einzelnen dar, dass seit der Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Januar 1978 - 7 A 3.75 - (NJW 1978, 1173) höchstrichterlich geklärt sei, dass die Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule den gleichen Gebührenanspruch hätten wie ein Rechtsanwalt, so dass dessen Gebühren und Auslagen stets erstattungsfähig seien, wenn er einen Prozessbeteiligten aufgrund des § 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO als Bevollmächtigter vertrete. Das Fehlen einer Vergütungsvereinbarung mit den Erinnerungsgegnerinnen zu 2. und 3. sei rechtlich unerheblich. In intakten Familien, in denen die Geschwister in Eintracht miteinander lebten, sei das Verlangen einer Honorvereinbarung lebensfremd und käme einer Misstrauenserklärung gleich.

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 146 Abs. 1, 147 Abs. 1, 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO), aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass den Erinnerungsgegnern kein im Kostenfestsetzungsverfahren gemäß § 164 VwGO festsetzungsfähiger Erstattungsanspruch für die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung ihrer Klage vor dem Verwaltungsgericht notwendigen Aufwendungen zusteht, weil ihnen durch die Prozessvertretung des Erinnerungsgegners zu 1. erstattungsfähige Kosten nicht entstanden sind.

Die mit der Beschwerde in erster Linie behandelte Rechtsfrage, ob Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne von § 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO, zu denen auch Honorarprofessoren im Ruhestand zählen (Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 67 Rn. 8), gegenüber ihren im Verwaltungsprozess vertretenen Mandanten wie Rechtsanwälte, also auf der Grundlage der Bestimmungen der hier noch maßgeblichen BRAGO abrechnen und diesen Vergütungsanspruch für ihre Mandanten zur Kostenerstattung durch den kostenpflichtigen Prozessgegner festsetzen lassen können, hat das Verwaltungsgericht zu Recht als im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich offen gelassen. Zwar weisen die Erinnerungsgegner zu Recht darauf hin, dass diese Rechtsfrage durch die genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Januar 1978 (a.a.O.) in ihrem Sinn geklärt sein dürfte, wenngleich an der Begründung (entsprechende Anwendung von § 162 Abs. 2 VwGO, vgl. VGH München, NJW 1992, 853 [864]; Schmidt in Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 162, Rn. 11 m.w.N.; Mußgnug, Das Recht der Hochschullehrer zur Liquidation nach der BRAGO, NJW 1989, 2037 [2040]), aber auch am Ergebnis (vgl. Schmidt, a.a.O.; Bader in Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 3. Aufl. 2005, §162 Rn. 14) in der Folgezeit vereinzelt Kritik geäußert worden ist.

Ob sich der Kostenerstattungsanspruch des Mandanten eines Hochschullehrers gegenüber dem unterlegenen Prozessgegner nach den entsprechend anzuwendenden Bestimmungen der BRAGO bemisst - und dadurch zugleich begrenzt wird (vgl. Mußgnug, a.a.O.) -, ist eine Frage der Höhe des Erstattungsanspruchs. Die Beantwortung dieser Frage setzt - was die Beschwerde übersieht - voraus, dass dem Mandanten des Hochschullehrers ein Erstattungsanspruch für die Aufwendungen der Rechtsverfolgung überhaupt entstanden ist. Das hat das Verwaltungsgericht zutreffend verneint.

Der Erinnerungsgegner zu 1. hatte im Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht keine vertretungsbedingten Aufwendungen für seine Rechtsverfolgung. Er hatte keinen Prozessbevollmächtigten bestellt, sondern seinen Prozess kraft eigener Sach- und Rechtskunde selbst geführt. Ein Hochschullehrer, der seine Interessen im Prozess selbst vertritt, erwirbt dadurch indes keinen erstattungsfähigen Vergütungsanspruch. § 91 Abs. 2 Satz 4 ZPO, der dem in eigener Sache auftretenden Rechtsanwalt einen erstattungsfähigen Gebühren- und Auslagenersatzanspruch zuerkennt, ist auf Rechtslehrer an deutschen Hochschulen nicht entsprechend anwendbar. Dieser in Rechtsprechung und Literatur überwiegenden Auffassung (BVerfGE 71, 23 [24]; OVG Münster, NJW 1976, 1333 f.; Olbertz in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 162 Rn. 58; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl. 2004, § 91 Rn. 56 und 303) schließt sich der Senat an. Bei der - rechtspolitisch nicht bedenkenfreien (vgl. Hartmann, a.a.O., Rn. 58) - eng auszulegenden Sonderregelung des § 91 Abs. 2 Satz 4 ZPO handelt es sich um eine Ausnahmevorschrift zugunsten der rechtsberatenden Berufe, deren Interessenlage nicht der eines Rechtslehrers an einer deutschen Hochschule entspricht. Dies wird in der Entscheidung des OVG Münster (a.a.O.) überzeugend ausgeführt. Soweit die Erinnerungsgegner gegen die Übertragbarkeit jener Entscheidung auf den hiesigen Sachverhalt einwenden, der vom OVG Münster entschiedene Fall betreffe einen Fachhochschullehrer, übersehen sie, dass das OVG bei seiner Entscheidung gerade unterstellt hat, der dortige Kläger sei Rechtslehrer an einer Hochschule im Sinne von § 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO gewesen. Auch der Einwand gegen die Übertragbarkeit der vom Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) genannten Grundsätze - bei § 91 Abs. 2 Satz 4 ZPO handele es sich um eine nicht analogiefähige Ausnahme zugunsten eines bestimmten Berufsstandes -, vor dem Bundesverfassungsgericht bestehe außerhalb mündlicher Verhandlungen kein Vertretungszwang, überzeugt nicht; abgesehen davon, dass dies auch für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin galt, beruht die Entscheidung des Verfassungsgerichts ersichtlich nicht auf Besonderheiten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens. Schließlich kann der Erinnerungsgegner zu 1. nicht mit Erfolg einwenden, dem Erinnerungsführer dürfe kein Vorteil daraus erwachsen, dass der sachkundige Hochschullehrer sich selbst vertreten und auf die Bevollmächtigung eines Anwalts verzichtet habe. Dieser Einwand verkennt, dass das Kostenfestsetzungsverfahren nur dem Ausgleich tatsächlich entstandener, nicht fiktiver Aufwendungen für die prozessuale Rechtsverfolgung dient und im Übrigen die unterbliebene Bevollmächtigung eines Anwalts für die Erinnerungsgegner den Vorteil eines verminderten eigenen Kostenrisikos zur Folge hatte.

Auch für die Erinnerungsgegnerinnen zu 2. und 3. sind erstattungsfähige Kosten nicht entstanden. Der Senat entscheidet diese Frage aus Gründen der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung bereits im hiesigen Verfahren, obwohl angesichts der beantragten Kostenfestsetzung (Geltendmachung einer um 6/10 erhöhten Prozessgebühr gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO für die Vertretung auch der Erinnerungsgegnerinnen zu 2. und 3.) diese (noch) keine Kostenfestsetzung aus eigenem Recht beantragt haben. Die Erinnerungsgegnerinnen zu 2. und 3. sind zwar im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin vom Erinnerungsgegner zu 1. vertreten worden; ob sie wegen dieser Prozessvertretung vom Erinnerungsführer eine Erstattung ihrer Aufwendung für die Rechtsverfolgung - in derselben Höhe wie bei Vertretung durch einen Anwalt - beanspruchen könnten, hängt davon ab, ob sie mit dem Erinnerungsgegner zu 1. im Innenverhältnis eine Vergütungsvereinbarung für die Prozessvertretung getroffen hatten, mithin Aufwendungen für die Rechtsverfolgung hatten oder noch schulden. Denn wie bereits ausgeführt, dient das Kostenfestsetzungsverfahren dem Ausgleich tatsächlich entstandener, nicht fiktiver Aufwendungen. Eine Vereinbarung, dass dem Erinnerungsgegner zu 1. die mit der Prozessführung verbundenen Leistungen vergütet werden sollten, bestand nach dem Beschwerdevorbringen - aus nahe liegenden Gründen familiärer Verbundenheit - gerade nicht. Schuldeten die Erinnerungsgegnerinnen zu 2. u. 3. ihrem prozessbevollmächtigten Bruder aber kein Honorar für die Prozessvertretung, ist für eine Erstattung tatsächlich nicht entstandener Aufwendungen kein Raum.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Wertes des Beschwerdegegenstandes beruht auf §§ 52 Abs. 3, 47 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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