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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 06.06.2007
Aktenzeichen: OVG 1 S 55.07
Rechtsgebiete: FeV, VwGO, StVG


Vorschriften:

StVG § 3 Abs. 1
FeV § 11 Abs. 4 Nr. 3
FeV § 11 Abs. 8
FeV § 13 Nr. 2 b
FeV § 46 Abs. 1 S. 1
FeV § 46 Abs. 3

Entscheidung wurde am 30.11.2007 korrigiert: die Rechtsgebiete und die Vorschriften wurden geändert, Stichworte, Sachgebiete, Orientierungssatz und ein amtlicher Leitsatz wurden hinzugefügt
Zur Frage, wann erhebliche oder wiederholte Verstöße im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung rechtfertigen (Einzelfall bei gleichzeitiger Notwendigkeit einer Begutachtung nach § 13 Nr. 2 b FeV).
OVG 1 S 55.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat durch den Richter am Oberverwaltungsgericht Bath, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Peters und die Richterin am Verwaltungsgericht Tänzer am 6. Juni 2007 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 27. März 2007 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 6. 250 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Der Antragsteller wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung des Antragsgegners vom 12. Dezember 2006, mit der ihm die Fahrerlaubnis der Klassen A und C1E nebst eingeschlossener Klassen gemäß § 6 Abs. 3 Fahrerlaubnisverordnung - FeV - entzogen und die Ablieferung seines Führerscheins aufgegeben wurde, und begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Der Antragsgegner stützt seine Verfügung darauf, dass der Antragsteller der mit Schreiben vom 12. Juli 2006 erfolgten Aufforderung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Klärung der Fragen, ob zu erwarten sei, dass der Antragsteller auch zukünftig erheblich und wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften verstoßen werde (§ 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV) und dass der Antragsteller auch künftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird und/oder, ob als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums Beeinträchtigungen vorliegen, die das sichere Führen eins Kraftfahrzeuges der Klassen A1, A, B, C1, BE, C1E, M und L in Frage stellen, keine Folge leistete und das Gutachten nicht fristgerecht beibrachte. Deshalb werde gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf seine Nichteignung geschlossen, worauf als Folge einer Weigerung in der Aufforderung auch hingewiesen worden sei. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Anordnung der Begutachtung rechtmäßig sei, weshalb aus der Nichtbeibringung des Gutachtens auf die Nichteignung geschlossen werden dürfe. Was die Alkoholproblematik angehe, sei die Anordnung zwingend vorgeschrieben, nachdem der Antragsteller verschiedentlich alkoholisiert beim Führen von Kraftfahrzeugen aufgefallen sei, nämlich am 26. August 2000 bei einer Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration - BAK - von 0,76 Promille, am 13. Januar 2001 durch eine Trunkenheitsfahrt mit Unfallfolge mit einer BAK von 1,73 Promille, wegen der ihm strafgerichtlich die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von 7 Monaten angeordnet wurde und am 14. April 2006 wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,43 mg/l. Hinsichtlich der wiederholten Verkehrsverstöße , bestehe Ermessen, was die Behörde auch erkannt und ausgeübt habe. Insoweit seien drei mit Geldbuße und jeweils einem Punkt geahndete Geschwindigkeitsübertretungen (10. Juni 2003, 17. März 2004 und 1. März 2005) sowie die Inbetriebnahme eines Kfz mit abgefahrener Bereifung am 11. Mai 2002 neben der jüngsten Trunkenheitsfahrt zu berücksichtigen und auch gesondert berücksichtigungsfähig, weil sie die Begutachtung nach § 13 Nr. 2 FeV und diejenige nach § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV an unterschiedliche Zweifel an der Eignung anknüpften.

Mit der Beschwerde macht der Antragsteller für das Überwiegen seines Interessses, von der Vollziehung der angefochtenen Verfügung vor der endgültigen Klärung ihrer Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, im Kern geltend, dass die Gutachtensanordnung rechtswidrig sei und deshalb aus der Nichtbeibringung keine für ihn nachteiligen Folgen gezogen werden dürften. Seine Fahrten unter Alkoholeinfluss vor der Neuerteilung der Fahrerlaubnis am 22. April 2002 könnten ihm nicht mehr entgegen gehalten werden, so dass es an wiederholten Zuwiderhandlungen unter Alkoholeinfluss im Sinne von § 13 Nr. 2 b) FeV fehle, weil einzig die Ordnungswidrigkeit vom 14. April 2006 verbleibe, bei der die festgestellte Atemalkoholkonzentration auch nicht hoch genug sei, um eine Gutachtensanforderung nach § 13 Nr. 2 c zu rechtfertigen. Seine weiteren Verkehrsverstöße seien dagegen nicht so schwerwiegend, dass eine Begutachtung zwingend notwendig sei; sie verteilten sich über mehrere Jahre und ihm werde die im Rahmen des sog. Punktesystems gegebene Möglichkeit der Teilnahme an einem Aufbauseminar verwehrt, auf den bei einem Stand von acht Punkten hinzuweisen sei.

Mit diesen Einwänden gegen die angefochtene Entscheidung, die im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO alleiniger Prüfungsgegenstand dafür sind, ob die Begründung des angefochtenen Beschlusses dessen Ergebnis trägt, ist ein Änderungsbedarf nicht dargelegt.

Das Verwaltungsgericht hat es zutreffend als rechtmäßig angesehen, dass die Behörde aus der Nichtbeibringung des von ihr angeordneten Gutachtens nach § 11 Abs. 8 FeV den Schluss auf die mangelnde Eignung des Antragstellers gezogen und ihm die Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 FeV entzogen hat, weil die Aufforderung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, rechtlich nicht zu beanstanden ist.

Die Auffassung des Antragstellers, wonach frühere Verkehrsverstöße und Straftaten und Alkoholeinfluss bei der Anwendung des § 13 Nr. 2 b FeV außer Betracht bleiben, wenn sie zur strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis geführt haben und dem Betroffenen inzwischen eine neue Fahrerlaubnis erteilt worden ist, findet im Gesetz keine Stütze. Frühere Verstöße werden nicht dadurch gleichsam verbraucht, dass die Verwaltungsbehörde anschließend die Kraftfahreignung - wie hier - auf der Grundlage einer medizinisch-psychologischen Untersuchung und dem Besuch eines Nachschulungskurses wieder bejahen konnte. Denn die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wie die Entziehungsvorschriften zeigen, eine Eigenschaft, die dauerhaft in der Person des Fahrerlaubnisinhabers gegeben sein muss, und - soweit es dabei um nicht exakt messbare innere Tatsachen geht - eine prognostische Einschätzung, der Unwägbarkeiten anhaften und die deshalb auf der Grundlage neu hinzutretender Erkenntnisse überprüfungsbedürftig werden kann. Insoweit würden bewertungserhebliche Elemente der Tatsachengrundlage ausgeblendet, wenn vor einer früheren Entziehung der Fahrerlaubnis liegende Trunkenheitsfahrten bei der Klärung von alkoholbedingten Eignungszweifeln unberücksichtigt blieben. Nach § 13 Nr. 2 b FeV bedarf es der wiederholten Zuwiderhandlung unter Alkoholeinfluss, was mindestens zwei derartige Verstöße voraussetzt. Dafür können sämtliche Verstöße verwertet werden, die nicht nach § 29 StVG getilgt sind und dem Betroffenen im Entziehungsverfahren noch vorgehalten werden können. Hiernach hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die Aufforderung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Klärung der Alkoholproblematik nach Begehung der Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 1 StVG am 14. April 2006 unter Berücksichtigung dessen, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit zwei Zuwiderhandlungen unter Alkoholeinfluss begangen hatte, gemäß § 13 Nr. 2 b FeV zwingend war.

Die Beschwerdebegründung erschüttert den angefochtenen Beschluss auch nicht, soweit sie die Aufforderung zur Beibringung des Gutachtens angreift, die der Antragsgegner auf § 11 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 Nr. 4 FeV stützt. Nach diesen Vorschriften darf die Eignung nicht dadurch ausgeschlossen sein, dass der Bewerber erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen hat; zur Klärung von Eignungszweifeln kann seit Änderung des § 11 Abs: 3 Nr. 4 FeV durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 9. August 2004 (BGBl. I S. 2092) die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für die Fahreignung angeordnet werden bei erheblichen oder wiederholten Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder bei Straftaten, deren Qualifizierung in der Verordnung im Einzelnen näher bezeichnet wird. Diese Möglichkeit, eine Begutachtung der Kraftfahreignung herbeizuführen, muss - wie das Verwaltungsgericht nicht verkannt hat - im Lichte des Punktsystems nach § 4 StVG und der Abweichungsregelung in § 4 Abs. 1 Satz 2 StVG gesehen werden, wonach das Punktsystem keine Anwendung findet, wenn sich die Notwendigkeit früherer oder anderer Maßnahmen aufgrund anderer Vorschriften, insbesondere der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG, ergibt. Sie kann systematisch nur dahin verstanden werden, dass besondere Gründe dafür vorliegen müssen, dass ein Fahrerlaubnisinhaber auch schon, bevor er 18 Punkte erreicht und ohne die Möglichkeit, von den nach dem Punktesystem vorgesehenen Angeboten und Hilfestellungen Gebrauch zu machen, als fahrungeeignet angesehen werden kann (vgl. noch zur früheren Fassung der Vorschrift: BayVGH, Beschluss vom 2. Juni 2003 - 11 CS 03.743 - zitiert nach Juris).

Die Bewertung des Verwaltungsgerichts, wonach der Antragsgegner im konkreten Fall hinsichtlich der jeweils erheblichen, d.h. in der Ahndung punktbewerteten Geschwindigkeitsübertretungen, des Verstoßes gegen die Betriebssicherheit des Fahrzeugs und hinsichtlich der alkoholbezogenen Zuwiderhandlungen bereits zum Anlass nehmen durfte, abweichend vom Punktsystem eine Begutachtung anzuordnen, greift die Beschwerde nicht substantiiert an. Sie spricht lediglich in eigener Bewertung von "nicht so schwerwiegenden" Verstößen, dass eine Anordnung zwingend geboten wäre, und verweist im Übrigen darauf, dass zwischen den Ordnungswidrigkeiten lange Zeiten liegen und Anzeichen dafür fehlten, dass der Antragsteller erneut in schwerwiegender Weise Vorschriften verletzen und zu einer Gefahr für die Allgemeinheit werde. Darin liegt keine hinreichende Auseinandersetzung mit der Begründung des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss; insbesondere fehlen weitergehende Erläuterungen, die schlüssig gegen einen Zusammenhang der vorliegenden Verstöße mit der charakterlichen Eignung des Antragstellers sprechen. Ob nämlich die Anordnung des Gutachtens unter dem diskutierten Aspekt zwingend war, ist für ihre Rechtmäßigkeit nicht notwendig; erforderlich, aber auch ausreichend sind erhebliche oder wiederholte Verstöße gegen verkehrsrechtliche Vorschriften, die eignungsrelevante Anhaltspunkte geben, und die Freiheit von Ermessensfehlern. Das hat das Verwaltungsgericht zutreffend zugrunde gelegt und ausgeführt, dass die Gutachtensanordnung diesen Anforderungen "noch gerecht" werde, womit es deutlich gemacht hat, dass der von ihm zu beurteilende Lebenssachverhalt durchaus nicht im Kernanwendungsbereich der Norm liegt. Es verhält sich aber im konkreten Fall so, dass der vorhandene zeitliche Abstand zwischen den Zuwiderhandlungen nicht von solchem Gewicht ist, dass von nur vereinzelten Verstößen gesprochen werden könnte. Der Antragsteller ist mit einer gewissen Regelmäßigkeit durch nicht geringfügige Geschwindigkeitsübertretungen aufgefallen, zudem ist - wenn auch schon länger zurückliegend - eine gefährliche Nachlässigkeit in Bezug auf den verkehrssicheren Zustand des genutzten Fahrzeuges aufgetreten und möglicherweise liegt trotz der Vorgeschichte keine ausreichende Akzeptanz der Verbotsvorschriften bezüglich des Führens von Kraftfahrzeugen unter Alkoholeinfluss vor, was die Schlussfolgerungen der Beschwerde für die Begehung weiterer Verstöße und das Fehlen einer Gefährlichkeit nicht als ausreichend gesichert erscheinen lässt. Vielmehr ist die Bewertung des Antragsgegners nachvollziehbar, dass Zweifel an der charakterlichen Eignung im Sinne einer erhöhten Risikobereitschaft unter Hintanstellung der zum Schutz der Allgemeinheit und von Individualrechtsgütern Dritter im Straßenverkehr erlassenen Vorschriften bestehen: Diese Bewertung wird von der Beschwerde in ihrer Vertretbarkeit nicht widerlegt, und es kann auch nicht als unverhältnismäßig beanstandet werden, wenn der Antragsgegner diese Zweifel an der charakterlichen Eignung im Zusammenhang mit der ohnehin begutachtungspflichtigen Frage nach einer im Übrigen bestehenden Alkoholproblematik gutachtlich klären lassen wollte. Sollten sich hinsichtlich der Alkoholproblematik gegenüber der vorliegenden Vorbegutachtung und unter Berücksichtigung der Teilnahme an einem Nachschulungskurs für alkoholauffällige Kraftfahrer keine neuen Erkenntnisse ergeben, stellte sich nämlich die Frage, ob die Ordnungswidrigkeit nach § 24 a StVG möglicherweise als Ausdruck einer anderweitigen charakterlichen Ungeeignetheit zu begreifen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG, wobei für die nähere Begründung auf die entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts, die auch für das Beschwerdeverfahren zutreffen, Bezug genommen werden kann.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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