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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 18.09.2006
Aktenzeichen: OVG 10 N 44.06
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB


Vorschriften:

VwGO § 82 Abs. 1 Satz 2
VwGO § 86 Abs. 3
VwGO § 88
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 124 a Abs. 4 Satz 4
VwGO § 144 Abs. 4
BauGB § 30
BauGB §§ 123 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 10 N 44.06

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 10. Senat durch

den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts...., die Richterin am Oberverwaltungsgericht .... und die Richterin am Oberverwaltungsgericht ....

am 18. September 2006 beschlossen:

Tenor:

Auf den Antrag des Klägers wird die Berufung gegen das auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 22. April 2004 ergangene, dem Kläger am 19. Mai 2004 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus zugelassen, soweit es die Verurteilung zur unverzüglichen Herstellung der verkehrstechnischen Erschließung der klägerischen Gründstücke betrifft (Klageantrag zu 1). Im Übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung zurückgewiesen.

Soweit die Berufung zugelassen wird, bleibt die Kostenentscheidung der Schlussentscheidung vorbehalten.

Soweit der Antrag auf Zulassung der Berufung - hinsichtlich des Klageantrags zu 2) - zurückgewiesen wird, trägt der Kläger die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird, soweit der Antrag auf Zulassung der Berufung - hinsichtlich des Klageantrags zu 2) - zurückgewiesen wird, auf 4.000,- € festgesetzt.

Gründe:

Der zulässige Antrag des Klägers ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

I. Die Berufung wird teilweise - hinsichtlich des Klageantrags zu 1) - zugelassen. Der Kläger hat gemäß § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO zutreffend dargelegt, dass das angefochtene Urteil, soweit das Verwaltungsgericht die Klage des Klägers abgewiesen hat, die Beklagte zu verpflichten, "die verkehrstechnische Erschließung des A_____ auf den Grundstücken, F_____ unverzüglich herzustellen" (Klageantrag zu 1), sowohl auf einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) beruhen kann, als auch ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit begegnet (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

1. Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt, in dem es, ohne zuvor einen Hinweis gemäß § 86 Abs. 3 VwGO zu geben, den Klageantrag zu 1) als nicht hinreichend bestimmt und aus diesem Grund nicht vollstreckungsfähig angesehen hat.

Grundsätzlich gilt, dass der Ausspruch des Verwaltungsgerichts, die Entscheidungsformel, so bestimmt sein muss, dass sie vollstreckungsfähig ist für den Fall, dass eine Vollstreckung notwendig werden sollte. Da die Entscheidung des Gerichts bei Stattgabe die Antwort auf das Begehren des Klägers ist, muss dieses sich in einem "bestimmten Antrag" ausdrücken. Die Bestimmtheit des Antrags i.S.d. § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO gewährleistet, dass das Gericht einerseits nicht entgegen § 88 VwGO mehr zuerkennt, als der Kläger begehrt und andererseits über das Begehren des Klägers erschöpfend entscheidet. Nach § 86 Abs. 3 VwGO, der der Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dient, hat der Vorsitzende unter anderem darauf hinzuwirken, dass unklare Anträge erläutert und sachdienliche Anträge gestellt werden. Die Hinweispflicht umfasst dabei gegebenenfalls auch Hilfe bei der Formulierung der Anträge (Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, 86 Rdnr. 23). § 86 Abs. 3 VwGO wird nicht schon dadurch genügt, dass der Vorsitzende den Rechtsuchenden unter dem Aspekt des "bestimmten Antrags" auf Bedenken gegen die gewählte Fassung des Antrags hinweist und ihm Gelegenheit gibt, den Antrag anders zu fassen. Die in § 86 Abs. 3 VwGO normierte Pflicht beinhaltet - richtig verstanden - Formulierungshilfe, gegebenenfalls nach einer klärenden Erörterung des Begehrens mit dem Rechtsuchenden (BVerwG, Beschluss vom 9. November 1976 - V B 80.76 -, Buchholz 310 § 188 VwGO Nr. 6). Die Pflicht, die § 86 Abs. 3 VwGO begründet, darf indes nicht mit Rechtsberatung verwechselt werden. Das gilt insbesondere dann, wenn ein Beteiligter anwaltlich vertreten wird. Das Gericht darf grundsätzlich davon ausgehen, dass ein Rechtsanwalt mit der Sach- und Rechtslage hinreichend vertraut ist (BVerwG, Beschluss vom 6. Juli 2001 - 4 B 50.01 -, juris-Ausdruck S. 3; Beschluss vom 15. April 1998 - 2 B 26.98 - juris-Ausdruck S. 4). Die Hinweispflicht ist damit gegenüber einem anwaltlich vertretenen Kläger nicht von vornherein ausgeschlossen; sie ist aber geringer als sonst (BVerwG, Beschluss vom 26. April 1989 - 2 B 56.89 -, juris-Ausdruck S. 2).

Unabhängig von der Frage, ob das Gericht dem anwaltlich vertretenen Kläger im vorliegenden Fall konkrete "Formulierungshilfe" bei der Antragstellung hätte nahe legen müssen, hat das Verwaltungsgericht es jedenfalls versäumt, ihn auf die aus Sicht des Gerichts entscheidungserhebliche Frage der Bestimmtheit des Antrags hinzuweisen.

Der Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 22. April 2004 lässt sich zwar entnehmen, dass die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert wurde. Es findet sich jedoch keine Feststellung dazu, dass die Frage der hinreichenden Bestimmtheit des Antrags (zu 1) erörtert worden ist. Da das Verwaltungsgericht diese Frage als allein entscheidungserheblich angesehen hat, hätte jedenfalls vor Stellung der Anträge Anlass bestanden, den anwaltlich vertretenen Kläger gemäß § 86 Abs. 3 VwGO auf die rechtlichen Konsequenzen hinzuweisen, die - nach Auffassung des Verwaltungsgerichts - aus einem Festhalten an dem schriftsätzlich angekündigten Antrag (zu 1) folgten.

Auch die vom Verwaltungsgericht - unter anderem - im Urteil angeführte mehrfache Befragung des Klägers in der Verhandlung, "welche konkrete verkehrstechnische Erschließung seinen Vorstellungen mit Blick auf einen allenfalls bestehenden Anspruch auf eine funktionsgerechte Nutzbarkeit seines Gewerbebetriebes und von Gerichtsseite geäußerten rechtlichen Bedenken bzgl. der Schaffung einer Anbindung an die B 96 entspräche" (UA S. 6), findet sich in der Sitzungsniederschrift nicht dokumentiert. Dass der Kläger einräumt, in der mündlichen Verhandlung "beiläufig" danach befragt worden sei, "wie er sich die verkehrstechnische Erschließung letztendlich vorstelle" (GA Bd. I Bl. 218) und sich - wie vom Verwaltungsgericht im Urteil ausgeführt - dahin gehend eingelassen hat, "dass es ihm letztendlich egal sei", musste vom Verfahrensbevollmächtigten des Klägers nicht als Anhaltspunkt dafür gewertet werden, dass das Gericht Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit des Klageantrags zu 1) habe.

Da der Kläger im vorliegenden Fall seinen Anspruch aus "Erschließungsverdichtung" mit einer mangels Erschließung rechtswidrigen Baugenehmigung zu begründen sucht, musste sich ihm bzw. seinem Verfahrensbevollmächtigten angesichts des gemeindlichen Gestaltungsermessens hinsichtlich der Art und Weise der Erschließung (vgl. nur VGH München, Urteil vom 12. Oktober 2004 - 4 B 01.722 -, juris-Ausdruck S. 5) auch nicht aufdrängen, dass das Verwaltungsgericht die Bestimmtheit des Klageantrags zu 1) in Frage stellen könnte.

2. Abgesehen davon bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils hinsichtlich der Abweisung des Klageantrags zu 1.

Die jeweiligen Anknüpfungspunkte für eine Verdichtung der gemeindlichen Erschließungspflicht beruhen auf unterschiedlichen rechtlichen Ansätzen und vermitteln deshalb auch Erschließungsansprüche mit unterschiedlichem Inhalt (BVerwG, Urteil vom 11. November 1987 - 8 C 4.86 -, BVerwGE 78, 266 <juris-Ausdruck S. 6>; VGH München, Urteil vom 12. Oktober 2004 - 4 B 01.722 -, juris-Ausdruck S. 5).

Ein Erschließungsanspruch, der an eine rechtswidrig erteilte Baugenehmigung anknüpft, beschränkt sich dabei auf die Erschließungsmaßnahmen, die für die funktionsgerechte Nutzbarkeit der auf dem Grundstück vorhandenen baulichen Anlagen nach Lage der Dinge unerlässlich sind (BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1981 - 8 C 4.81 -, BVerwGE 64, 186, 195). Welche konkreten Anforderungen zu stellen sind, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, wobei eine Straße jedoch gewisse Mindestvoraussetzungen erfüllen muss, um eine ausreichend wegemäßige Erschließung zu vermitteln (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl. 2004, § 5 Rdnr. 47; Ernst/Grziwotz, in: Ernst-Zinkahn-Bielenberg, BauGB, § 123 Rdnr. 29 h).

Daraus erschließt sich ohne weiteres, dass es nicht Aufgabe eines Klägers ist, mit seinem Klageantrag eine konkrete Erschließungs-"Variante" zu benennen. Er darf sich vielmehr auch im Rahmen der Leistungsklage auf den insoweit hinreichend bestimmten Antrag beschränken, eine Verurteilung zur Erschließung im Sinne des § 123 BauGB zu fordern. Erweist sich die Klage des Klägers auf wegemäßige Erschließung seines Grundstücks im Sinne der §§ 123 ff. BauGB als begründet, dann ist es - sofern es zu einer Vollstreckung kommen sollte - eine Frage der Auslegung des Titels - mit Blick und auf der Grundlage der Entscheidungsgründe - ob die Gemeinde ihrer Verpflichtung nachgekommen ist oder Vollstreckungsmaßnahmen geboten sind.

3. Es spricht zwar vieles dafür, dass die Klage im Ergebnis keinen Erfolg haben dürfte. Denn der Kläger hat vor Erteilung der (ersten) Baugenehmigung unter dem 21. Juni 1991 - neben der Erklärung, dass er das Vorhaben verwirklichen werde - eine weitere Erklärung abgegeben, in der er sich verpflichtete, die anfallenden Kosten für Planung, Erschließung und Durchführung des Objektes A_____ entsprechend der von der Gemeinde gebilligten Satzung zum Vorhaben- und Erschließungsplan zu tragen. Mit Blick darauf stellt sich die Frage, ob diese Erklärung ein Erschließungsangebot darstellen könnte, mit der Folge, dass von einer "gesicherten" Erschließung i.S.d. § 30 BauGB auszugehen wäre. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob dem Anspruch der Klägers, die Beklagte zu verurteilen, durch geeignete Maßnahmen sein Grundstück zu erschließen, entgegen stehen könnte, dass er selbst eine wesentliche (Mit-) Ursache für die Rechtswidrigkeit der ihm erteilten Baugenehmigungen gesetzt hat. Dabei kommt es für die, ob sich das Urteil des Verwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig erweist, auf die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts an (OVG Münster, Beschluss vom 6. Januar 2005 - 11 A 4346/04.A -). Es entspricht jedoch nicht der Funktion des zulassungsrechtlichen Verfahrens im einzelnen unter Aufbereitung des gesamten Akteninhalts eine umfassende materiell-rechtliche Prüfung vorzunehmen. Von einem Rückgriff auf § 144 Abs. 4 VwGO (in entsprechender Anwendung) im zulassungsrechtlichen Verfahren ist jedenfalls dann abzusehen, wenn das Verwaltungsgericht seinerseits nicht in eine materiell-rechtliche Prüfung eingetreten ist, sondern den Antrag letztlich nur aus formalen Gründen zurückgewiesen hat (vgl. auch Meyer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand April 2006, § 124 a Rn. 125).

4. Einer Prüfung, ob der des Weiteren geltend gemachte Gehörsverstoß, der damit begründet wird, das Gericht sei dem - wie der Kläger vorträgt - "ausdrücklichen", indes nicht in der Sitzungsniederschrift enthaltenen Beweisantrag nicht nachgegangen, den Anforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargetan ist und vorliegt, bedarf es nicht mehr.

II. Dagegen führen die Einwände des Klägers hinsichtlich des Klageantrags zu 2) nicht auf den geltend gemachten Zulassungsgrund der Richtigkeitszweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass für das zeitliche Entstehen eines ausnahmsweise gegebenen Erschließungsanspruchs nicht (bereits) auf den Zeitpunkt der baulichen Realisierung des genehmigten Vorhabens bzw. der Nutzungsaufnahme abgestellt werden könne, entspricht - ungeachtet dessen, dass die Ausführungen in der Zulassungsschrift nicht den Darlegungsanforderungen genügen - der maßgeblichen Sach- und Rechtslage.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1981 - 8 C 4.81 -, BVerwGE 64, 186, juris-Ausdruck S. 7) festgestellt, dass für das Entstehen eines Anspruchs auf funktionsgerechte Erschließung im Fall der Erteilung und Verwirklichung einer (rechtswidrigen) Baugenehmigung "ein bei weitem größerer Zeitraum angesetzt werden muss, als es sich in anderen Fällen der Pflichtverdichtung rechtfertigt". Bereits daraus ergibt sich, dass der Zeitpunkt, zu dem frühestens die Herstellung einer funktionsgerechten Erschließungsanlage auf Grund einer "Erschließungsverdichtung" gefordert werden kann, nicht identisch sein kann mit dem Zeitpunkt, in dem das auf dem Verpflichtungsgrund der (rechtswidrigen) Baugenehmigung beruhende Vorhaben verwirklicht worden ist. Angesichts der Rügen des Klägers hinsichtlich der vom Verwaltungsgericht angeführten Fundstellen ist anzumerken, dass das Gericht die Quellen zutreffend als Beleg für die in der Literatur vertretene Auffassung zitiert hat, dass ein Zeitraum von etwa zehn Jahren als angemessen erscheint (Ernst/Grziwotz, in: Ernst/Zinkahn-Bielenberg, BauGB, § 123 Rdnr. 29 g <Mitte>). Auch Driehaus vertritt diese Auffassung, wobei sich in das Zitat des Verwaltungsgerichts offensichtlich ein Schreibfehler eingeschlichen hat (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Aufl., 2001, § 5 Rdnr. 33 statt Rdnr. 22 <S. 81> bzw. nun 7. Aufl., 2004, § 5 Rdnr. 33 <S. 85>; vgl. auch Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl., 2002, § 123 Rdnr. 6 bzw. nun 9. Aufl., 2005, § 123 Rdnr. 6, der auf Driehaus Bezug nimmt und darauf abstellt, dass "ein erheblich größerer Zeitraum zugrunde gelegt werden" müsse).

Die Kostenentscheidung beruht, soweit der Antrag zurückgewiesen worden ist (Klageantrag zu 2), auf § 154 Abs. 2 VwGO. Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung der Schlussentscheidung vorbehalten.

Die Streitwertfestsetzung hinsichtlich des Klageantrags zu 2) beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 a.F. GKG, das hier in der noch bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung anzuwenden ist (§ 72 Nr. 1 GKG i.d.F. des Art. 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5. Mai 2004, BGBl. I S. 718). Der Senat folgt der erstinstanzlichen Wertfestsetzung.

Ende der Entscheidung

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