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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 14.09.2005
Aktenzeichen: OVG 11 S 4.05
Rechtsgebiete: VwGO, BGB, KrW-/AbfG, AktG, VwVG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
BGB § 133
BGB § 157
KrW-/AbfG § 3 Abs. 6
AktG § 262 Abs. 1 Nr. 3
AktG §§ 265 ff.
AktG § 269
VwVG § 6 Abs. 1
VwVG § 13 Abs. 1
VwVG § 13 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

OVG 11 S 4.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 11. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Laudemann, den Richter am Oberverwaltungsgericht Fieting und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Apel am 14. September 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. April 2005 geändert.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Bezirksamts Mitte von Berlin vom 10. Februar 2005 wird hinsichtlich der Anordnungen zu Ziffer 1 und 4 wiederhergestellt und hinsichtlich der Zwangsmittelandrohungen angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für beide Rechtsstufen auf je 3 000 ( festgesetzt.

Gründe:

Mit Beschluss vom 22. April 2005 hat es das Verwaltungsgericht abgelehnt, dem Antragsteller gegen seine Inanspruchnahme durch Bescheid des Bezirksamts Mitte von Berlin vom 10. Februar 2005 zur Beseitigung von Abfällen auf dem im Eigentum der G.- und W. AG (i.L.) - G. AG - stehenden Grundstück K. , Berlin, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren.

Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet. Das gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu berücksichtigende Beschwerdevorbringen rechtfertigt es, den angefochtenen Beschluss zu ändern und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 10. Februar 2005 nach Maßgabe der Beschlussformel wiederherzustellen bzw. anzuordnen. Dabei geht der Senat davon aus, dass sich das Begehren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur gegen Ziffer 1 (Entsorgungsanordnung) und 4 (Einzäunungsanordnung) der Grundverfügung sowie die Zwangsmittelandrohungen richtet. Denn wie sich aus der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung ergibt, bezieht sich diese bei sachgerechter Auslegung des angefochtenen Bescheides auf Ziffer 1 und 4 der Grundverfügung, während es sich bei der Nennung der Ziffer 3 (Übersendung der Entsorgungsbelege) in der Anordnung der sofortigen Vollziehung um eine offensichtliche Falschbezeichnung handelt.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist begründet. Das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 10. Februar 2005. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist u.a. den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgebendes Gewicht beizumessen. Deren summarische Vorausbeurteilung ergibt aus den vom Antragsteller angeführten Gründen die offensichtliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides. An der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts kann ein das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegendes öffentliches Interesse nicht bestehen.

Der Antragsteller macht mit Recht geltend, der Antragsgegner habe ihn mit dem angefochtenen Bescheid nicht persönlich in Anspruch nehmen dürfen.

Dass der Antragsgegner den Antragsteller persönlich und nicht etwa die aufgelöste G. AG in Anspruch genommen hat, ergibt sich daraus, dass er seinen Bescheid allein an den Antragsteller, noch dazu unter dessen Privatanschrift, gerichtet hat, und dass er ausweislich der Begründung des Bescheides den Antragsteller selbst als Abfallbesitzer angesehen hat. Auch im vorliegenden Streitverfahren hat der Antragsgegner nicht klargestellt, dass er als Adressaten seines Bescheides die G. AG, vertreten durch den Antragsteller, angesehen wissen will. Abgesehen davon ist Adressat eines Bescheides derjenige, den die Behörde aus verobjektivierter Sicht eines durchschnittlichen Empfängers (vgl. den Rechtsgedanken der §§ 133, 157 BGB; auch Beschluss des OVG Frankfurt (Oder) vom 23. April 1996 - 4 B 63/96 -) inhaltlich in Anspruch nehmen will. Soweit das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, der Antragsgegner habe den Antragsteller in seiner Eigenschaft als Abwickler der G. AG "und damit diese selbst" auf Beseitigung in Anspruch genommen, bleibt diese Aussage völlig unklar, weil das Verwaltungsgericht nicht entsprechende Konsequenz gezogen hat.

Die hier maßgebende abfallrechtliche Verantwortlichkeit knüpft an den in § 3 Abs. 6 KrW-/AbfG definierten Begriff des Abfallbesitzers an. Danach ist Besitzer von Abfällen jede natürliche oder juristische Person, die die tatsächliche Sachherrschaft über Abfälle hat. Hier war Abfallbesitzerin die aufgelöste G. AG. Diese Aktiengesellschaft, in deren Eigentum das abfallbelastete Grundstück steht, ist durch die gemäß § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG mit der Eröffnung des Konkursverfahrens über ihr Vermögen am 1. April 1998 erfolgte Auflösung nicht etwa untergegangen, sondern besteht als juristische Person mit der Maßgabe fort, dass an die Stelle des bisherigen, regelmäßig auf Gewinnerzielung durch Betrieb des Gesellschaftsunternehmens gerichteten Zwecks der Abwicklungszweck tritt (vgl. Hüffer, Aktiengesetz, 5. Aufl. 2002, § 262 Rz. 2, m.w.N.; Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, 2. Aufl., 1999, § 66, Rz. 1). Organschaftliche Vertreter der aufgelösten AG sind deren Abwickler im Sinne der §§ 265 ff. AktG (vgl. Hüffer, a.a.O., § 269, Rz. 2); diese vertreten die Gesellschaft gemäß § 269 AktG gerichtlich und außergerichtlich. Ist der Abwickler einer aufgelösten AG - anders als ein Insolvenzverwalter (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 22. Juli 2004 - 7 C 17/03 -, NVwZ 2004, 1360, 1361; BVerwG, Urteil vom 23. September 2004 - 7 C 22/03 -, NVwZ 2004, 1505 f.) - lediglich deren organschaftlicher Vertreter, so übt er auch die tatsächliche Sachherrschaft lediglich für die fortbestehende juristische Person aus, während ausschließlich diese Besitzerin ist. Dieser von der Besitzdienerschaft zu unterscheidende Organbesitz juristischer Personen, also die Ausübung des Besitzes der juristischen Person durch ihre Organe, ist für den bürgerlich-rechtlichen Besitzbegriff anerkannt (vgl. Palandt, BGB, 64. Aufl., 2005, § 854, Rz. 13; Münchener Kommentar, BGB, 1997, § 854, Rz. 32 bis 34, jeweils m.w.N.; BGH, Urteil vom 16. Oktober 2003 - IX ZR 55/02 -, NJW 2004, 217, 219; BGH, Urteil vom 17. Dezember 1953 - IV ZR 39/53 -, bei Juris). Zwar unterscheiden sich der abfallrechtliche und der bürgerlich-rechtliche Besitzbegriff im Hinblick auf ihre jeweils unterschiedliche Funktion. Während der Besitzbegriff im Zivilrecht vorrangig dem Schutz des Besitzers gegen Besitzstörungen dient, kommt ihm im Abfallrecht die Funktion zu, die Verantwortlichkeit für den Abfall zu bestimmen (vgl. Kunig/Paetow/Versteyl, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, 2. Aufl., 2003, § 3, Rz. 57; Frenz, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, 3. Aufl., 2002, § 3 Rz. 88). Auch und gerade unter dem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit für den Abfall und damit für dessen regelmäßig mit entsprechendem Kostenaufwand verbundene Beseitigung erscheint es jedoch geboten, im Abfallrecht ebenfalls die juristische Person als Besitzerin anzusehen, deren tatsächliche Sachherrschaft durch ihre Organe lediglich ausgeübt wird (so im Ergebnis auch Jarass/Ruchay/Weidemann, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, § 3, Rz. 143; Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, § 3, Rz. 315; Hösel/von Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Kommentar KrW-/AbfG § 3 Abs. 6, Rz. 46).

Aus diesen Gründen kommt es auf die weiteren vom Antragsteller in Bezug auf die abfallrechtliche Verantwortlichkeit aufgeworfenen Fragen der Zulässigkeit der Freigabe des Grundstücks aus der Konkursmasse (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 23. September 2004 - 7 C 22/03 -, NVwZ 2004, 1505 f.) sowie des Fortbestandes seines Amtes als Abwickler der G. AG nicht mehr an.

Infolge der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers fehlt es an einer vollziehbaren und damit gemäß § 6 Abs. 1 VwVG vollstreckbaren Grundverfügung für die Androhung der Ersatzvornahme. Die auf Punkt 2 (Anzeige des Entsorgungstermins) der Grundverfügung bezogene Zwangsgeldandrohung ist im Übrigen schon deshalb rechtswidrig, weil der Antragsgegner insoweit offenbar von einer sofortigen Vollziehbarkeit ausgegangen ist, die er nicht angeordnet hat. Anderenfalls hätte er eine an die Bestandskraft des Bescheides anknüpfende Fristsetzung verfügen müssen (vgl. § 13 Abs. 1, 2 VwVG i.V.m. § 5 Abs. 2 VwVfG Bln; vgl. auch OVG Frankfurt (Oder), Urteil vom 18. August 1998 - 4 A 176/96 -, RdL 1998, 317 ff).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 63 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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