Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 22.08.2007
Aktenzeichen: OVG 11 S 58.07
Rechtsgebiete: AufenthG, VwGO, AGVwGO, VwVfG


Vorschriften:

AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 8 Abs. 1
AufenthG § 30
AufenthG § 30 Abs. 3
AufenthG § 32
AufenthG § 34 Abs. 1
AufenthG § 50 Abs. 1
AufenthG § 81 Abs. 4
AufenthG § 101 Abs. 1
VwGO § 5 Abs. 1 Nr. 1
VwGO § 80 Abs. 1
VwGO § 123
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 3
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
AGVwGO § 4 Abs. 2
AGVwGO § 4 Abs. 2 S. 2
VwVfG § 36 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 11 S 58.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 11. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Laudemann, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Apel und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Jobs am 22. August 2007 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 31. Mai 2007 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde tragen die Antragstellerinnen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin zu 1), türkische Staatsangehörige, heiratete im November 2002 den türkischen Staatsangehörigen S. Y., der sich mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die gemäß § 101 Abs. 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fort gilt, in Deutschland aufhält. In der Folge wiederholt gestellte Visumsanträge zum Zwecke des Ehegattennachzugs wurden jeweils unter Hinweis auf eine fehlende Sicherung des Lebensunterhalts abgelehnt. Die Antragstellerin zu 2) ist deren am 2. November 2004 geborenes Kind. Aufgrund der erneuten Vorlage eines befristeten Arbeitsvertrages vom 15. September 2005 des S. Y. wurde den Antragstellerinnen im Oktober 2005 ein Visum zum Familiennachzug und nach Einreise unter dem 1. Dezember 2005 eine bis zum 30. November 2006 befristete Aufenthaltserlaubnis mit der Nebenbestimmung "erlischt bei Bezug von Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII" erteilt. Gegen die Nebenbestimmung legten die Antragstellerinnen unter dem 20. Januar 2006 Widerspruch ein, der bislang nicht beschieden wurde. Herr S. Y. bezieht laut Mitteilung des JobCenters Berlin-Mitte seit Januar 2006 Leistungen nach dem SGB II. Auf ihren Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erhielten die Antragstellerinnen unter dem 6. November 2006 eine Fiktionsbescheinigung mit dem Hinweis, der Aufenthaltstitel gilt als fortbestehend sowie der Nebenbestimmung "Erwerbstätigkeit gestattet ".

Unter dem 13. November 2006 bewilligte das Jobcenter Berlin-Mitte für die Antragstellerinnen als Teil der Bedarfsgemeinschaft mit Herrn S. Y. ab 12. November 2006 Leistungen nach dem SGB II.

Mit sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 15. November 2006 forderte die Ausländerbehörde Berlin die Antragstellerinnen daraufhin zur Ausreise auf und drohte die Abschiebung mit der Begründung an, die ihnen erteilten Aufenthaltserlaubnisse seien entsprechend der erteilten Nebenbestimmung erloschen, nachdem der Ehemann der Antragstellerin zu 1) mindestens seit Januar 2006 Leistungen nach den SGB II bezöge und für die Antragstellerinnen am 10. November 2006 einen entsprechenden Antrag beim JobCenter Berlin-Mitte gestellt habe.

Den hiergegen gerichteten vorläufigen Rechtsschutzantrag wies das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf den Bezug von Leistungen nach dem SGB II der Antragstellerinnen und das dadurch eingetretene Erlöschen der erteilten Aufenthaltserlaubnis ab. Hieran habe auch die erteilte Fiktionsbescheinigung vom 6. November 2006 nichts geändert, da diese nur deklaratorische Bedeutung habe und keine weitergehende Wirkung entfalten könnte als der bisherige Aufenthaltstitel.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes hat auf der nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO maßgeblichen Grundlage dessen, was diese hierzu in der gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO geforderten Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung fristgemäß dargelegt haben, keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass die den Antragstellerinnen am 1. Dezember 2005 erteilten Aufenthaltserlaubnisse aufgrund der auflösenden Bedingung "erlischt bei Bezug von Leistungen nach SGB II oder SGB XII" mit der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II durch Bescheid des JobCenters Berlin-Mitte vom 13. November 2006 erloschen war und diese damit gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet wurden.

Entgegen der Einlassung der Antragstellerinnen war der Eintritt der auflösenden Bedingung nicht dadurch gehindert, dass sie gegen diese Nebenbestimmung unter dem 23. Januar 2006 Widerspruch eingelegt hatten. Für zweifelhaft hält der Senat mit den Antragstellerinnen allerdings die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Widerspruch gemäß § 4 Abs. 2 AGVwGO Bln unstatthaft gewesen sei und er damit keinen Suspensiveffekt habe auslösen können. Diese Regelung betrifft die eine Ausreisepflicht begründende oder bestätigende Ablehnung eines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels, während die in Rede stehende Nebenbestimmung gerade der Erteilung eines Aufenthaltstitels beigefügt war. Die Nebenbestimmung kann auch nicht als sonstiger Verwaltungsakt im Sinne von § 4 Abs. 2 S. 2 AGVwGO Bln angesehen werden, die die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, weil sie anders als eine Auflage keinen selbstständigen Verwaltungsakt, sondern einen integrierenden Bestandteil der erteilten Aufenthaltserlaubnis darstellt.

Gerade aus diesem Grund war die Wirkung der Nebenbestimmung aber auch nicht gemäß § 80 Abs. 1 VwGO wegen des dagegen eingelegten Widerspruchs suspendiert. Zwar wird die Frage, ob Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen mit einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage zu erlangen ist, in Rechtsprechung und Literatur durchaus uneinheitlich beantwortet (vgl. nur P. Stelkens/U. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 36 Rn 83 ff., zur Rechtsprechung insbes. 89 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., 2005, Rn. 22 zu § 42, jeweils m. w. N.). Rechtsschutz gegen eine einem Aufenthaltstitel bei Erteilung beigefügte Bedingung oder modifizierende Auflage, die mit diesem selbst untrennbar inhaltlich verbunden ist, ist indes nach - soweit ersichtlich - wohl nahezu einhelliger Auffassung, der auch der Senat folgt, nur durch einen Verpflichtungswiderspruch bzw. eine Verpflichtungsklage zu erlangen (vgl. z.B. Hailbronner, AuslR., Mai 2007, Rn. 3 zu § 12 AufenthG; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 12 Rn 24; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20. September 2000 - 13 S 2260/99 -, NVwZ-RR 2001, 272). Denn da es sich bei einer derartigen Nebenbestimmung um eine inhaltliche Einschränkung des Aufenthaltstitels handelt, reicht eine Anfechtung nicht aus, um die begehrte uneingeschränkte Aufenthaltserlaubnis zu erlangen. Eine bloße Anfechtung könnte lediglich zur Aufhebung des diese ablehnenden Bescheides führen; auf vorläufige Gewährung eines unbeschränkten Aufenthaltstitels gerichteter Rechtsschutz ist in einer derartigen Konstellation grundsätzlich nur über § 123 VwGO möglich (Hailbronner, a.a.O. Rn 3 a.E.).

Davon ausgehend kommt auch dem Widerspruch der Antragstellerinnen gegen die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis unter einer auflösenden Bedingung kein auf letztere beschränkter Suspensiveffekt zu. Die Antragstellerinnen gehen in ihrer Beschwerdeschrift selbst davon aus, dass diese Bedingung integrierender Bestandteil des Aufenthaltstitels war und dieser deshalb weniger weit reicht als beantragt. Die Antragstellerinnen verfolgen mit ihrem Widerspruch mithin eine Rechtskreiserweiterung (vgl. zu diesem Gesichtspunkt der Rechtskreiserweiterung im Rahmen der Beschäftigungsauflage nach neuem Recht OVG NRW, Beschluss vom 18. Januar 2006 - 18 B 1772/05 -, InfAuslR 2006, 222). Dies kann auch mit Blick darauf nicht zweifelhaft sein, dass diese Nebenbestimmung gerade die Erteilungsvoraussetzung für den Aufenthaltstitel, die Sicherung des Lebensunterhalts, gewährleisten sollte und nicht eigenständig durchsetzbar ist.

Es bestehen hier auch keine hinreichenden Bedenken gegen eine solche Nebenbestimmung, die dem Vollzug der Ausreiseaufforderung entgegenstehen würden. Zu der Bedeutung des Erfordernisses der Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 VwGO hat der Senat wiederholt festgestellt, dass dieses zu den wichtigsten Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern gehört (vgl. Beschlüsse des Senats vom 28. April 2006 - 11 N 9.06 - und vom 28. Februar 2006 - 11 S 13.06 -, InfAuslR 2006, 277; Begründung zum Entwurf des Zuwanderungsgesetzes BT-Drs. 15/420, S. 70, zu § 5 Abs. 1). Die §§ 30 Abs. 3, 34 Abs. 1 AufenthG, die in ihrem Anwendungsbereich das Absehen von dem Erfordernis der Unterhaltssicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ermöglichen, worauf auch die Antragstellerinnen verweisen, gelten allein für die dortigen Verlängerungsentscheidungen und setzen gerade voraus, dass zunächst der Tatbestand der Sicherung des Lebensunterhalts gegeben war. Lediglich für die hieran anschließende Verlängerungsentscheidung sollen erleichterte Voraussetzungen gelten. Diese Situation liegt hier nicht vor. Die auflösende Bedingung sollte im vorliegenden Fall ersichtlich wegen verbliebener Zweifel an der Unterhaltssicherung einer Verfestigung des Aufenthalts für den Fall entgegenwirken, dass sich die verbliebenen Zweifel bestätigen. Die Bedingung soll mithin im Sinne von § 36 Abs. 1 VwVfG eine gesetzliche Erteilungsvoraussetzung sicherstellen (vgl. hierzu auch Hailbronner, AuslR., Mai 2007, Rn. 12 zu § 12 AufenthG). Denn die Ausländerbehörde konnte hier im Hinblick auf unregelmäßig erzieltes Erwerbseinkommen der Bezugsperson, das tatsächlich nur knapp zwei Monate nach Einreise der Antragstellerinnen wieder endete, berechtigte Zweifel an dem Vorliegen dieser Erteilungsvoraussetzung haben. In einer solchen Konstellation, bei der sich auch aus den allgemeinen bevölkerungspolitischen Erwägungen der Beschwerdebegründung keine Anhaltspunkte für die Annahme der Ausnahme von einem Regelfall im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ergeben, zumal für die Unzumutbarkeit der Führung der familiären Lebensgemeinschaft in der Heimat der Familie nichts hinreichend erkennbar ist, bestehen nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 6. Juli 2006 - 11 S 33.06 -) keine Bedenken gegen die auflösende Bedingung. Nach der Rechtsprechung des EGMR (Urteil vom 19. Februar 1996, InfAuslR 1996, 245, 246) ist auch Artikel 8 EMRK nicht dahingehend auszulegen, dass er den Staat generell dazu verpflichtet, die Wahl des ehelichen Wohnsitzes eines Ehepaares im Inland zu respektieren.

Ohne Erfolg berufen sich die Antragstellerinnen ferner darauf, dass die ihnen am 6. November 2006 erteilte Fiktionsbescheinigung weiterhin zu einem erlaubten Aufenthalt geführt habe, weshalb entgegen dem angegriffenen Bescheid für sie keine Ausreisepflicht bestanden habe. Diese, ohnehin nur deklaratorisch wirkende (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 8. Januar 2004 - 1 B 411/03 -, InfAuslR 2004, 154), Bescheinigung eines gesetzlichen Aufenthaltsrechts führt nach dem eindeutigen Wortlaut von § 81 Abs. 4 AufenthG nur dazu, dass bei Beantragung der Verlängerung eines Aufenthaltstitels dieser bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag als fortbestehend gilt. Diese Regelung will es vermeiden, dass nach Ablauf eines befristeten Aufenthaltstitels durch die Dauer der verwaltungsmäßigen Bearbeitung des Verlängerungsantrags ein illegaler Aufenthalt entsteht. Um diese Situation geht es hier jedoch gerade nicht. Vielmehr waren die den Antragstellerinnen bis zum 30. November 2006 befristet erteilten Aufenthaltserlaubnisse bereits zuvor am 13. November 2006 mit der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II und Eintritt der auflösenden Bedingung erloschen. Diese Wirkung des Erlöschens konnte jedoch nicht durch einen zuvor gestellten Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und die in der Folge am 6. November erteilten Fiktionsbescheinigungen verhindert werden, vielmehr gingen diese gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG für die Zeit ab Ablauf der erteilten Aufenthaltserlaubnisse (1. Dezember 2006) gedachten Fiktionsbescheinigungen nach dem bereits vor Fristablauf erfolgten Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis durch Eintritt der auflösenden Bedingung ins Leere. Insofern kommt es auch gar nicht darauf an, dass § 81 Abs. 4 AufenthG kraft Gesetzes nur die Fortgeltung des bisherigen Aufenthaltstitels vorsieht (vgl. BT-DrS. 15/420 S. 96 zu § 81 AufenthG; Marx, ZAR 2005, 48, 55), was für die Ansicht des Verwaltungsgerichts sprechen dürfte, dass eine erteilte Bedingung auch weiter für den Fiktionszeitraum gilt. Dies hätte nur für einen Bedingungseintritt während der Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG Bedeutung.

Was die Antragstellerinnen in diesem Zusammenhang aus den erteilten Visa zur Einreise, die eine Nebenbestimmung nicht vorsahen, herleiten wollen, erschließt sich dem Senat nicht. Denn diese galten nur befristet für einen Zeitraum von 3 Monaten und die Rechtsposition der Antragstellerinnen leitete sich danach aus den erteilten Aufenthaltserlaubnissen ab.

Soweit die Antragstellerinnen sich weiterhin auf einen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse letztlich gemäß §§ 30, 32 AufenthG in der Annahme der fortbestehenden Fiktionswirkung ihrer Verlängerungsanträge berufen, geht dies, wie oben dargelegt, fehl. Die Folgeausführungen zu einem solchen Anspruch nehmen mithin nicht in den Blick, dass es vorliegend gerade nicht um eine Verlängerungsentscheidung gemäß § 8 Abs. 1 AufenthG geht, sondern um die kraft Gesetzes eingetretene Ausreisepflicht, die Grundlage des angegriffenen Bescheides ist.

Die Antragstellerinnen werden mithin nach Ausreise ihre Einreisebegehren in einem erneuten Sichtvermerksverfahren zur Überprüfung stellen müssen, in dem die Frage der Unterhaltssicherung auf der Grundlage des nunmehr eingereichten befristeten Arbeitsvertrages vom 25. Juni 2007 zu würdigen sein wird. Hierbei geht es nicht um die Verlängerung eines kraft Fiktionswirkung fortbestehenden Aufenthaltstitels, sondern um dessen Neuerteilung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes - GKG -.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück