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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 23.02.2007
Aktenzeichen: OVG 11 S 87.06
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60 a Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 11 S 87.06

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 11. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Laudemann, den Richter am Oberverwaltungsgericht Fieting und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Apel am 23. Februar 2007 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. Dezember 2007 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller zunächst für 6 Monate zu dulden.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsgegner.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2500,--EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller reiste als J_____, geb. 1_____ in Beirut, im Jahr 1989 mit seinem unter dem Namen K_____, geb. 1_____, ungeklärter Staatsangehörigkeit, auftretenden Vater, der Mutter F_____ und weiteren acht Geschwistern in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 10. März 1993 abgewiesen. In der Folgezeit erhielt er für den Aufenthalt zunächst Aufenthaltsbefugnisse und anschließend "Fiktionsbescheinigungen" mit der ihm auch durch die Republik Libanon unter dem 8. April 2002 bestätigten Identität als J_____.

Nach dem von der deutschen Botschaft in Ankara im August/September 2003 dem Antragsgegner übersandten türkischen Personenregister geht dieser von der Identität des Antragstellers als H_____, geb. 6_____ in Savur, Sohn von S_____ und F_____, aus. Für eine dort aufgeführte Schwester des Antragstellers, S_____, g_____, lag dem Antragsgegner ein türkischer Pass vor. Am 6. Oktober 2006 hat das türkische Generalkonsulat in Berlin dem Antragsteller einen Pass mit Gültigkeit bis zum 6. Januar 2007 unter der Identität H_____, geb. 6_____ in Savur, ausgestellt.

Der Antragsteller lebt in Berlin bei der Gorba A_____, geb. 1_____ in Beirut, mit der er nach seinen Angaben nach islamischem Recht verheiratet ist. Für diese hat der Libanon unter dem 17. September 1999 einen Personalausweis und am 8. Juli 2005 einen libanesischen Pass ausgestellt. Ausweislich der Geburtsurkunden des Standesamts Neukölln ist G_____ die Mutter der in Berlin geborenen Kinder A_____, geb. 9_____, S_____, geb. 1_____, J_____, g_____. J_____, und D_____, geb. 3_____. Nach Vortrag des Antragstellers ist er der leibliche Vater, für die drei älteren Kinder liegen Vaterschaftsanerkenntnisurkunden vor.

Die Kindesmutter war zuletzt 1982 mit ihren Eltern, die nach dem vorgelegten Laissez-Passer den Namen Z_____, geb. _____ in Beirut, sowie N_____, geb. _____ in Beirut, führten, eingereist. Ihr Vater wurde nach Auskunft der libanesischen Botschaft in Berlin 1994 in den libanesischen Staatsverband eingebürgert und ihm wurde unter dem 30. Juni 2004 ein libanesischer Pass unter dem Namen Z_____ A_____, geb. 1_____ in Beirut, ausgestellt. Unter dem 25. Februar 2004 hatte die deutsche Botschaft dem Antragsgegner ein türkisches Personenstandsregister für den S_____, geb. 5_____ in Ückavak, übermittelt, als dessen Kind unter anderem Z_____, geb. 1_____ in Ückavak, ausgewiesen war; diesem war nach einer Bescheinigung des türkischen Generalkonsulats vom 7. April 2003 im Jahre 2002 die türkische Staatsbürgerschaft entzogen worden. Als Ehefrau des Z_____ A_____ war in einem weiteren Personenstandsregister die N_____, geb. 1_____ 1_____ in Ückavak, mit weiteren Kindern, darunter G_____, geb. 1_____ 1_____ in Savur, benannt. Nach Annahme des Antragsgegners ist N_____ identisch mit der N_____, geb. 1_____, deren Vater danach der H_____, geb. 4_____in Ückavak, ist, für den unter dem 3. August 2001 ein türkischer Pass ausgestellt wurde. Bei G_____ soll es sich hiernach um die G_____ handeln. Vier Geschwister der G_____ sind gemäß Art 2 AG-StlMindÜbk eingebürgert.

Nach Anhörung verfügte der Antragsgegner mit Bescheid vom 22. Juli 2005 gegenüber dem Antragsteller die Rücknahme der ihm zuletzt mit Gültigkeit bis zum 13. November 2001 verlängerten Aufenthaltsbefugnis, dessen Ausweisung und lehnte zugleich den Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels vom 2. Oktober 2001 im Kern mit der Begründung ab, der Antragsteller habe über Jahre hinweg hinsichtlich seiner Identität die deutschen Behörden getäuscht. Hiergegen hat der Antragsteller Klage erhoben (VG Berlin 24 A 213/05).

Seinen Antrag auf weitere Duldung lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 13. Oktober 2006 mit der Begründung ab, dass mit der Erlangung des türkischen Reisepasses die Abschiebungshindernisse entfallen seien. Ein rechtliches Hindernis ergäbe sich auch nicht daraus, dass der Antragsteller nach seinen eigenen Angaben Vater von vier in Berlin geborenen Kindern sei und mit der Kindesmutter zusammen leben würde. Diese hätten ebenfalls kein Aufenthaltsrecht, eine vorübergehende Trennung stelle keine unzumutbare Härte dar. Hiergegen hat der Antragsteller ebenfalls Klage erhoben (VG Berlin 24 A 321/06).

Den auf Untersagung der Abschiebung gerichteten vorläufigen Rechtsschutzantrag lehnte das Verwaltungsgericht durch den angegriffenen Beschluss mit der Begründung ab: Die Abschiebung des Antragstellers sei nach Ausstellung des bis zum 6. Januar 2007 gültigen türkischen Passes nicht mehr unmöglich. Auch ständen Artikel 6 GG und Art 8 EMRK der Abschiebung nicht entgegen, denn die Abschiebung des Antragstellers führe nicht notwendig zur längeren Trennung der Familie. Es sei vielmehr überwiegend wahrscheinlich, dass trotz z. Z. für die Kinder und die Kindesmutter fehlender türkischer Ausweispapiere die Gemeinschaft in der Türkei wieder aufgenommen werden könnte. Diese könnten ihre türkische Registrierung einfach und schnell herbeiführen, denn es sei nach ihrer Abstammung davon auszugehen, dass die Kindesmutter ebenfalls türkische Staatsangehörige sei. Im Übrigen könne diese auch mit ihrem libanesischen Pass die Einreise in die Türkei erreichen. Ferner könne nicht angenommen werden, dass die Familienmitglieder auf Grund ihrer gesamten Entwicklung faktisch wie Inländer verwurzelt wären, da nicht von ihrer wirtschaftlichen und sozialen Integration auszugehen sei. Die drei ältesten Kinder hätten zwar Kindertagesstätten besucht, Schulbesuche seien jedoch nicht nachgewiesen. Es sei ferner nicht erkennbar, dass die Familienmitglieder von dem Land ihrer Staatsangehörigkeit bzw. Herkunft entwurzelt seien. So habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, vor seiner Einreise im Libanon gelebt zu haben. Vielmehr besitze er die türkische Staatsangehörigkeit und es sei davon auszugehen, dass er in die Türkei zurückgehen könne. Es sei auch nicht glaubhaft, dass die Kindesmutter vor ihrer Einreise im Libanon gelebt habe. So seien eine libanesische Geburtsurkunde und Schulzeugnisse nicht vorgelegt worden. Es läge vielmehr die Annahme nahe, dass sie vor ihrer Einreise ebenfalls in der Türkei gelebt habe. Sie besitze jedenfalls auch die türkische Staatsangehörigkeit und sei in einem türkischen Personenstandsregister eingetragen. Auch habe sie sich ausweislich der Ein- und Ausreisestempel in dem deutschen Reisedokument von Ende Juli bis Ende August 2001 in der Türkei aufgehalten. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass ausweislich der Personenstandsregister der Antragsteller und die Kindesmutter aus derselben Region Mardin in der Türkei stammten. Soziale und soziokulturelle Beziehungen zur Türkei bzw. zum Libanon seien ihnen mit Sicherheit durch ihre Familie vermittelt worden. Die Kindesmutter sei mit mehreren Geschwistern bei ihren angeblich aus dem Libanon, wahrscheinlich aber aus der Türkei stammenden Eltern aufgewachsen. Sie sprächen nach eigenen Angaben arabisch. Für die in Berlin geborenen Kinder gelte hiernach im Wesentlichen dasselbe. Mit Blick auf deren geringes Lebensalter sei es gewährleistet, dass sie sich in die Lebensverhältnisse in der Türkei oder im Libanon würden einfügen können. Es sei auch wenig wahrscheinlich dass sie in ihrer Heimat nicht einen weiteren Familienverband zur Unterstützung zur Verfügung hätten.

II.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, mit dem die nachfolgenden Erwägungen hinreichend dargelegt sind, rechtfertigt die Änderung des angegriffenen Beschlusses (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO).

Der Senat geht wegen der die bislang nicht hinreichend aufgeklärten aufenthaltsrechtlichen Rechtsstellung und Staatsangehörigkeit der Kinder und Kindesmutter des Antragstellers davon aus, dass diesem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf eine vorübergehende Aussetzung des Abschiebung (Duldung) gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG zusteht; jedenfalls eine Interessenabwägung zunächst für einen weiteren Verbleib des Antragstellers bei seiner Familie spricht (vgl. zum Prüfungsumfang zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei grundrechtsrelevanten Beeinträchtigungen nur BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -, NVwZ 2005, 927 ff.). Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich das Aufenthaltsbegehren später jedoch als begründet, so entstünde voraussichtlich jedenfalls dem Antragsteller durch den Vollzug der Abschiebung mit Blick auf die nach Auffassung des Senats nicht hinreichend verlässlich abschätzbare Dauer der Trennung von seiner Familie ein schwerer Nachteil, der die Nachteile für die öffentliche Hand durch den zunächst verlängerten Aufenthalt des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland überwiegt.

Nach § 60 a Abs. 2 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Eine Abschiebung ist aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen (wie etwa das Fehlen erforderlicher Einreisepapiere oder sonstige Einreiseverbote in den Herkunftsstaat). Hiervon geht der Senat allerdings nicht bereits wegen des Ablaufs der Gültigkeit des dem Antragsteller vom türkischen Generalkonsulat in Berlin ausgestellten Passes mit dem 6. Januar 2007 aus, da dessen Verlängerung im Hinblick auf das den Antragsteller betreffende vorliegende türkische Personenstandsregister wahrscheinlich erscheint. Rechtliche Hindernisse können sich weiterhin aus Umständen ergeben, die die Ausreise als unzumutbar erscheinen lassen und damit der Abschiebung entgegenstehen. Solche können u. a. in inlandsbezogenen Abschiebungsverboten bestehen, zu denen auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 GG ) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK ) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind. Bei solchen Abschiebungsverboten hat die zwangsweise Rückführung des betroffenen Ausländers zu unterbleiben (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 - 1 C 14/05 -, InfAuslR 2007, 4 ff.).

Eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise im Hinblick auf das Recht auf Achtung des Familienlebens aus Art 6 GG oder Art. 8 Abs. 1 EMRK (zur Reichweite der Schutzwirkung des Art. 8 EMRK, soweit sein Anwendungsbereich sich mit dem des Art. 6 GG deckt: vgl. BVerwG, Urteile vom 9. Dezember 1997 - 1 C 19 u. 20.96 -, InfAuslR 1998, 272 ff. und 276 ff; zum Ausschluss inlandsbezogener Tatbestände der EMRK aus dem Geltungsbereich des § 60 Abs. 5 AufenthG vgl. zu § 53 Abs. 4 AuslG: BVerwG, Urteil vom 11. November 1997 - 9 C 13.96 -, BVerwGE 105, 322, 325) besteht allerdings regelmäßig nicht, wenn der gesamten Familie ein Aufenthaltsrecht in Deutschland nicht zusteht und alle Familienmitglieder in ihr Heimatland zurückkehren müssen. Denn aus Art. 6 GG folgt nicht die unbedingte Verpflichtung des Staates, dem Wunsch ausländischer Familienmitglieder auf eine Familieneinheit im Bundesgebiet zu entsprechen. Die in Art. 6 Abs. 1, 2, 5 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie und auch die Rechte nicht ehelicher Kinder zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Gerichte und die Ausländerbehörden jedoch, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen und angemessen zu berücksichtigen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 -, InfAuslR 2006, 122-126 ; BVerfG, Beschluss vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 -, InfAuslR 2002, 171, 173).

Hiernach bedarf es zur Einschätzung der Schutzwirkung von Art 6 GG für den weiteren Verbleib des Antragstellers in der Bundesrepublik zunächst einer im vorliegenden summarischen Verfahren allerdings nicht mit der geforderten Verlässlichkeit zu leistenden Klärung der Aufenthaltsrechte der Kinder des Antragstellers und der Kindesmutter, die in deren anhängigem Klageverfahren - VG 24 A 65/05 - zu erfolgen hat. Im Erfolgsfalle könnte der Antragsteller mit Blick auf seine Kinder, von denen er jedenfalls bislang für die drei älteren die Vaterschaft anerkannt hat, sich auf den Schutz von Art 6 Abs. 2 GG berufen. Der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet die Wahrnehmung der Elternverantwortung im Interesse des Kindeswohls (vgl. BVerfG, Urteil vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 -, BVerfGE 76, 1 ff). Darüber hinaus ist das Zusammenleben auch eines nichtehelichen Vaters mit seinem Kind als geschützte Gemeinschaft nach Art. 6 Abs. 1 GG anzusehen (BVerfG, Urteil vom 24. März 1981 - 1 BvR 1561/78 -, 56, 363, 382; BVerwG, Urteil vom 30. April 1985 - 1 C 33/81 -, BVerwGE 71, 228, 231 f.). Der Schutz des Art. 6 GG greift in der Regel dann ein, wenn die Folgen der Beendigung des Aufenthalts im Hinblick auf eheliche und familiäre Belange unverhältnismäßig hart wären. In diesem Umfang decken sich die Schutzwirkungen des Art. 6 GG und diejenigen des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 1998 - 1 C 8/96 -, NVwZ 1999, 54 ff.). Der durch die in Rede stehende Abschiebung begründete Zwang, eine Trennung von seinen Kindern und damit seiner Familie hinzunehmen, ist geeignet, für Pflege und Erziehung der Kinder erhebliche Belastungen mit sich zu bringen. Dass der Antragsteller in einer Familiengemeinschaft mit den Kindern lebt, ist vom Antragsgegner nicht bestritten, dem entgegen stehende Anhaltspunkte hat auch der Senat nicht.

Danach kommt es letztlich nicht darauf an, ob die nach Vortrag des Antragstellers nach "islamischen Recht" mit der Kindesmutter geschlossene Ehe die Vorraussetzungen von Art. 13 Abs. 3 EGBGB erfüllt und damit ebenfalls unter Art 6 Abs. 1 GG fällt. Angemerkt sei nur, dass auch eine sog. hinkende Ehe, also eine Eheschließung, die zwar nicht nach deutschem Recht, aber nach dem Recht der ausländischen Verlobten rechtswirksam zustande gekommen ist - was hier offen bleibt -, den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG genießt (BVerfG, Beschluss vom 30. November 1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323, 331); jedenfalls kann eine derartige Ehe zumindest für die ausländerrechtliche Ermessensbetätigung Bedeutung gewinnen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 1985 - 1 C 33.81 -, BVerwGE 71, 228 ff.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 1. Februar 2005 - 2 ME 1326/04 -, InfAuslR 2005, 196 f.).

Hinsichtlich der Aufenthaltssituation der Kinder und der Kindesmutter ist zwar festzustellen,

dass der Antragsgegner diesen mit Bescheid vom 9. März 2005 die weitere Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis versagt hat, wogegen diese jedoch vor dem Verwaltungsgericht Berlin Klage (24 A 65/05) erhoben haben. Der Ausgang dieses Verfahrens kann z. Z. nur als offen eingeschätzt werden. Der Kindesmutter war seit Einreise 1982 der Aufenthalt zunächst aufgrund des durchgeführten Asylverfahrens gestattet und nach dessen Abschluss erstmals am 24. Juli 1989 nach der damals geltenden Altfallregelung für Ausländer aus dem Libanon eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden, die zuletzt bis zum 25. November 2003 verlängert worden war. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist wesentlich mit dem Vorwurf versagt worden, dass die Aufenthaltserlaubnis schon 1989 durch falsche Identitätsangaben erlangt worden sei. Ermittlungen hätten ergeben, dass die Kindesmutter entgegen ihrer Behauptung türkische Staatsangehörige mit den Personalien G_____, geb. 1_____ in Savur, sei. Ihr Großvater mütterlicherseits habe bei seiner Vernehmung vor dem Landeskriminalamt angegeben, dass er türkischer Staatsangehöriger und ihre Mutter seine Tochter sei. Durch eine molekulargenetische Untersuchung sei die Vaterschaft zwischen ihrem Großvater und ihrer Mutter zusätzlich nachgewiesen. Ferner liege ein Registerauszug für ihre Eltern vor, in dem sie als Tochter verzeichnet worden sei, womit ihre türkische Staatsangehörigkeit zweifelsfrei nachgewiesen sei.

Diese Annahmen sind in dem anhängigen Klageverfahren weiter klärungsbedürftig. Nach dem vorliegenden libanesischen Reiseausweis und dem libanesischen Pass der Kindesmutter handelte es sich bei ihr um die G_____, geb. 1_____ in Beirut. Insofern kann in der Angabe dieser Personalien z. Z. nicht mit Sicherheit von einer Täuschung deutscher Behörden ausgegangen werden. Diese könnte allerdings auch in einem Verschweigen einer gleichzeitigen türkischen Identität bestehen. Für diese sprechen in der Tat die vom Antragsgegner im Bescheid vom 9. März 2005 angeführten Umstände insbesondere mit Blick auf das vorliegende Personenstandsregister, sofern davon auszugehen ist, dass die Kindesmutter die dort aufgeführte G_____, geb. 1_____ in Savur, ist. Nach türkischem Staatsangehörigkeitsrecht hätte sie mit der Geburt eine türkische Staatsangehörigkeit ihrer Eltern erworben (vgl. Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Türkei S. 6, 9). Die Personenstandsregistereintragung widerspricht jedoch dem libanesischen Pass, wonach die Kindesmutter in Beirut geboren ist. Im Übrigen erscheint die Verlässlichkeit dieses Personenstandsregister mit Blick auf die dort aufgeführten Eintragungen hinsichtlich der Daten nicht unzweifelhaft. So fällt auf, dass die unter dem 21. November 1984 vorgenommenen Personenstandsregistereintragungen die Kindesmutter nebst zwei weiteren Geschwistern jeweils als am 15. November eines Jahres (1978, 1980, 1982) in Savur geboren angeben. Ähnliche gleichmäßige Daten finden sich im Personenstandsregister betreffend den Antragsteller unter dem 6. Juli 1987, wonach jeweils 2 Geschwister als am 6. Juli und weitere 6 Geschwister jeweils am 7. Juli eines Jahres in Savur geboren sein sollen. Gegen eine solche gehäufte Zufälligkeit dürfte die Lebenswahrscheinlichkeit sprechen. Welche Aussagekraft danach diesen Personenstandsregistern insbesondere auch mit Blick auf den Geburtsort zukommt, vermag der Senat im vorliegenden Verfahren nicht einzuschätzen. Denn hinzu kommt, dass der Vater der Kindesmutter, der im Jahr 2002 die türkische Staatsangehörigkeit verloren haben soll, im Jahr 1994 in den libanesischen Staatsverband eingebürgert wurde und ihm unter dem 30. Juni 2004 ebenfalls ein libanesischer Pass ausgestellt worden ist, nach dem er in Beirut geboren ist, während das türkische Personenstandsregister für ihn als Geburtsort Ückavak ausweist. Der Kindesmutter ist im Übrigen ebenso wie ihren Kindern bislang kein türkisches Ausweispapier ausgestellt worden.

Selbst wenn sich im Laufe des Klageverfahrens der Kindesmutter erweisen sollte, dass diese (eventuell auch) türkische Staatsangehörige sein sollte, erscheint es zweifelhaft, ob ihr gegenüber, die als Kleinkind in die Bundesrepublik gekommen und in einer wohl arabisch sprechenden Familie aufgewachsen ist, unter diesen Umständen ein Vorwurf der Täuschung deutscher Behörden gemacht werden könnte, der für sich die Versagung einer weiteren Aufenthaltserlaubnis rechtfertigte. Gerade auf diesen Vorwurf stellt der Antragsgegner aber mit seiner Antragserwiderung mit Blick auf Verhältnismäßigkeitserwägungen weiterhin maßgeblich ab. Es dürfte deshalb in diesem Klageverfahren voraussichtlich auf weitere Fragen des Aufenthaltsrechts für den Personenkreis der M_____ aus dem Mardin ankommen, dem die Familie des Antragstellers möglicherweise zuzurechnen ist, wozu der Antragsgegner im Klageverfahren der Kindesmutter mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2006 umfänglich Stellung genommen hat (vgl. hierzu nur OVG Lüneburg, Urteil vom 20. Mai 2005 - 11 B 35/03 -, in Juris; Oberdiek, Gutachten zur Situation arabisch-stämmiger Bewohner der Provinz Mardin, Flüchtlingsrat 2001, 72 ff.). Dabei wird voraussichtlich von Bedeutung sein, inwiefern insbesondere der Kindesmutter und den Kindern auch unter Berücksichtigung von Artikel 8 EMRK eine Rückkehr in ihre Heimat bzw. in den Staat ihrer Staatsangehörigkeit zumutbar ist. Dem in Art. 8 Abs. 2 EMRK verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Hinblick auf die Folgen für den Ausländer widersprechen, durch behördliche Maßnahmen die Voraussetzungen für sein weiteres Zusammenleben mit seiner im Vertragsstaat ansässigen Familie zu beseitigen (vgl. EGMR, Urteile vom 26. März 1992 - 55/1990/246/317 - Beldjoudi, InfAuslR 1994, 86 ff. und vom 26. September 1997 - 85/1996/704/896 - Mehemi, InfAuslR 1997, 430). Eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kommt danach etwa bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist. Dabei ist nicht zu verkennen, dass Art. 8 EMRK den Vertragsstaaten auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hinsichtlich des Begriffs der Achtung des Familien- und Privatlebens einen weiten Ermessensspielraum belässt und das Recht eines Staates, über die Einreise, den Aufenthalt und die Abschiebung fremder Staatsangehöriger zu entscheiden, ausdrücklich anerkennt (z. B. Urteil vom 28. Mai 1985, - 15/1983/71/107-109, Abdulaziz u.a. -, NJW 1986, 3007 ff., vgl. auch Urteil vom 7. Oktober 2004 - 33743/03, Dragan -, NVwZ 2005, 1043 ff.). Die Konvention verbietet die Abschiebung eines fremden Staatsangehörigen deshalb nicht allein deswegen, weil dieser sich eine bestimmte Zeit im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates aufgehalten hat (z.B. EGMR, Urteil vom 7. Oktober 2004 - 33743/03, Dragan -, Urteil vom 16. September 2004 - 11103/03; Ghiban -, NVwZ 2005, 1046 ff.). Allein der Umstand, dass ein Ausländer als Kind in den Vertragsstaat eingereist, dort aufgewachsen und zur Schule gegangen ist, vermag nicht ohne weiteres eine Unzumutbarkeit der Ausreise in den Herkunftsstaat zu begründen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Januar 2006 - 13 S 2220/05 -, ZAR 2006, 142-145 m.w.N.). Für die Feststellung, dass eine Rückkehr nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unzumutbar ist, bedarf es vielmehr weiterer Anhaltspunkte (vgl. den Überblick über die nach der stark einzelfallbezogenen Rechtsprechung des EGMR maßgeblichen Gesichtspunkte im Beschluss der 1. Kammer des 2. Senats des BVerfG vom 1. März 2004 - 2 BvR 1570/03 -, NVwZ 2004, 852 ff.). In diesem Rahmen wäre zugleich von Bedeutung, ob entsprechend der Annahme des Antragsgegners die Türkei als Heimat der Kindesmutter angesehen werden kann. Nach bisheriger Erkenntnislage kann - wohl entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts - nicht angenommen werden, dass sie sich überhaupt jemals in der Türkei, allenfalls aber bis zum dritten Lebensjahr, dort aufgehalten hat. Der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf eine fehlende Vorlage von Schulzeugnissen aus dem Libanon in diesem Zusammenhang geht mit Blick auf das Alter der Kindesmutter zum Zeitpunkt der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland fehl. Konkrete Feststellungen zu den künftigen Lebensumständen für die Familie einschließlich der sprachlichen Verständigungsmöglichkeiten sind bislang nicht getroffen worden, die Einschätzung bleibt rein spekulativ. Der Hinweis auf kurzfristige Besuchsaufenthalte in der Türkei, die vom Antragsteller als Urlaubsreisen bezeichnet werden, geben jedenfalls keine Grundlage für eine verlässliche Einschätzung einer Integrationsmöglichkeit der Familie des Antragstellers in die türkischen Lebensverhältnisse, selbst wenn jedenfalls der Antragsteller aus der Türkei stammen sollte. Ihre vier Kinder sind in Berlin geboren, die älteren besuchen oder besuchten Kindertagesstätten und - soweit schon schulpflichtig, wie nunmehr nachgewiesen - die Grundschule. Die Kindesmutter hält sich seit nunmehr gut 24 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland auf. Vier ihrer Geschwister sind hier eingebürgert worden. Die Voraussetzungen einer Reintegration bzw. erstmaligen Integration in den Herkunftsstaat der Familie, falls dieser überhaupt die Türkei sein sollte, können auch nach den Vermutungen des Antragsgegners zu möglichen sozialen Bindungen nur als ungeklärt bezeichnet werden. Hinweise auf Unterstützungsmöglichkeiten durch weitere Familienmitglieder sind nicht konkret belegt, sondern bleiben auch mit der Darstellung des Antragsgegners im Schriftsatz vom 19. Februar 2007 rein spekulativ. Wenn der Herkunftsstaat der Kindesmutter jedoch der Libanon ist, kann trotz ihres libanesischen Passes z. Z. nicht einmal mit Sicherheit die dauerhafte Rückkehrmöglichkeit für sie und ihre Kinder dorthin angenommen werden. Die weitere Erforderlichkeit einer Bescheinigung der Rückkehrberechtigung hat der Antragsgegner dem Senat unter Hinweis auf Auskünfte der Klärungsstelle für Passbeschaffung und Abschiebung Rheinland-Pfalz vom 30. Januar und 29. April 2004 in anderen Verfahren (vgl. nur Beschluss vom 25. Januar 2007 - 11 S 5.06 -) dargelegt.

Auch dies alles zu klären, kann aber nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sein und wird voraussichtlich rechtlichen Einfluss auch auf das Klageverfahren des Antragstellers haben müssen. Dass der z. Z. geduldete Aufenthalt der Kindesmutter und der Kinder nunmehr kurzfristig - ohne Klärung der aufgezeigten Fragen in einem Klageverfahren - zu beenden wäre, dürfte hingegen eher unwahrscheinlich sein. Dies hat aber mit Blick auf das Alter der Kinder von zwei bis elf Jahren gravierende Bedeutung für die voraussichtliche Trennung des Antragstellers von seiner Familie, die der Senat nicht verlässlich einzuschätzen vermag. Für die Annahme einer nur kurzfristigen Trennung der Familie kann der Senat auch dem Beschluss des Verwaltungsgerichts keine hinreichend konkreten Feststellungen entnehmen. Für den Senat kommt es, worauf noch einmal deutlich hingewiesen werden soll, nicht darauf an, ob in einem "überschaubaren Rahmen", wie der Antragsgegner meint, für die Kinder des Antragstellers eine türkische Personenstandsregistereintragung erlangt werden könnte, dies vorliegend durch nicht ausreichende Mitwirkungshandlungen der Eltern verzögert wird und ob dies für deren Einreise in die Türkei überhaupt gefordert ist. Die Prämisse des Antragsgegners, dass maßgeblich die Beschaffung von türkischen Ausweispapieren die Dauer der Trennung bestimmen würde, trifft nach Einschätzung des Senats nicht zu; vielmehr geht es um die verlässliche Klärung eines möglichen Aufenthaltsrechts der Kindesmutter und der Kinder in deren anhängigem Klageverfahren. Hierzu sei nur weiterhin angemerkt, dass sich das Bestehen einer aufenthaltsrechtlich schützenswerten Gemeinschaft des Antragstellers zu seinen Kindern nicht mit einem Verweis auf die Möglichkeit der Betreuung im erforderlichen Umfang auch durch die Mutter verneinen lässt. Es kommt - jedenfalls hier wegen der nur als unbestimmt anzusehenden Dauer der Trennung - nicht darauf an, ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte. Der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters wird grundsätzlich nicht durch die Betreuung des Kindes durch die Mutter entbehrlich (BVerfG, Beschluss vom 31.08.1999 - 2 BvR 1523/99 -, InfAuslR 2000, 67 ff.).

Zur Sicherung der Rechte des Antragstellers hält der Senat in Anlehnung an die Praxis des Antragsgegners (vgl. Vorläufige Anwendungshinweise der Ausländerbehörde Berlin zum Aufenthaltsgesetz vom 5. Februar 2007, 60a.1.1.) zunächst die Aussetzung der Abschiebung (Duldung) für 6 Monate für ausreichend. Allerdings geht der Senat von einer darüber hinausgehenden Duldung aus, sofern bis dahin keine weitere verlässliche Klärung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen erfolgt ist. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes - GKG -.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 2 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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