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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 20.11.2006
Aktenzeichen: OVG 2 N 162.05
Rechtsgebiete: BauGB, VwGO


Vorschriften:

BauGB § 35
BauGB § 35 Abs. 1
BauGB § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5
VwGO § 124 Abs. 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 2 N 162.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. K_____, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. B_____ und den Richter am Oberverwaltungsgericht H_____ am 20. November 2006 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beigeladenen auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 16. November 2004 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam wird abgelehnt.

Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt die Beigeladene.

Der Streitwert wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 16. November 2004 für beide Rechtsstufen auf 30.000.- EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Beklagte hat unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens der Beigeladenen eine Baugenehmigung für die Errichtung von zwei Windenergieanlagen im Außenbereich der Gemarkung W____ erteilt. Der genehmigte Anlagentyp hat eine Nabenhöhe vom 65 m und einen Rotordurchmesser von ca. 40 m, wobei die Gesamthöhe einer solchen Anlage bei senkrecht gestelltem Rotorblatt bis zu 86 m reicht. Der vorgesehene Standort des Vorhabens befindet sich ca. 40 m südlich der Landstraße zwischen G_____ und W____. Etwa 2 km weiter südlich von dem geplanten Standort befinden sich hinter einem bewaldeten Höhenzug (ca. 50 m ü. NN.) im so genannten "Windpark Z____-W____" 20 weitere Windenergieanlagen, von denen drei von dem Vorhabenstandort aus mit den Rotorspitzen teilweise über den Baumkronen sichtbar sind.

Die Klägerin hat gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 4. April 2000 in der Fassung der Änderungsgenehmigungen vom 20. und 25. April 2000 / Widerspruchsbescheid vom 29. August 2000 Klage erhoben. Diese hatte - ebenso wie deren Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz im Verfahren 4 L 1127/01 (Beschluss vom 11. Januar 2002, bestätigt durch OVG Bbg, Beschluss vom 27. März 2003 - 3 B 27/02 -) - Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben und dies darauf gestützt, dass die geplanten Windenergieanlagen bauplanungsrechtlich unzulässig seien, weil sie zur Verunstaltung des Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB führen würden. Aufgrund der Feststellungen im Ortstermin sei das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die Errichtung der geplanten Windenergieanlagen einen groben Eingriff in das Landschaftsbild darstellen würde.

Die Beigeladene macht mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung geltend, dass eine Verunstaltung des Landschaftsbildes durch ein privilegiertes Vorhaben im Außenbereich nur im Ausnahmefall angenommen werden könne, wenn es sich um eine wegen ihrer Schönheit und Funktion besonders schutzwürdige Umgebung und einen besonders groben Eingriff in das Landschaftsbild handele. An diesem fehle es hier.

II.

Der Antrag der Beigeladenen auf Zulassung der Berufung (§ 124 a Abs. 4 VwGO) gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 16. November 2004 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam hat keinen Erfolg.

Der Zulassungsantrag der Beigeladenen benennt zwar ausdrücklich keinen der in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe, ist aber in der Sache hinreichend deutlich auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Richtigkeitszweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützt (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 2005, NVwZ 2005, 1176).

Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils liegt jedoch nicht vor. Derartige Zweifel bestehen dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004, BVerfG 110, 77, 83 = NJW 2004, 2510), so dass auch die Richtigkeit des Ergebnisses Zweifeln unterliegt (BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004, Buchholz 310 § 124 Nr. 33). Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss sich deshalb mit den entscheidungstragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen und im Einzelnen substantiiert darlegen, aus welchen Gründen das Gericht bei Vermeidung der gerügten Fehler zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen müssen (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 7. Juni 2001, NVwZ-RR 2002, 74).

Das Verwaltungsgericht hat die Klagestattgabe in dem angefochtenen Urteil bauplanungsrechtlich begründet und auf eine Beeinträchtigung des öffentlichen Belangs der Verunstaltung des Landschaftsbildes gestützt (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB). Hierauf kann sich eine Gemeinde im Rahmen der Anfechtung einer unter Ersetzung ihres Einvernehmens erteilten Baugenehmigung für eine Windenergieanlage im Außenbereich berufen (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 29. November 2005, BauR 2006, 1100 = LKV 2006, 513; Beschluss vom 27. Januar 2006 - OVG 2 S 133.05 -).

Der betroffene Standort ist nicht förmlich unter Natur- und Landschaftsschutz gestellt, so dass eine Unzulässigkeit der Windenergieanlagen aus ästhetischen Gründen nur bei einer qualifizierten Beeinträchtigung in Form einer Verunstaltung zu bejahen wäre. Eine Verunstaltung des Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB ist gegeben, wenn ein Bauvorhaben dem Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und ein auch für ästhetische Eindrücke offener Betrachter den Gegensatz zwischen dem Vorhaben und dem Landschaftsbild als belastend empfindet (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1997, BRS 59 Nr. 90; OVG NW, Urteil vom 30. November 2001, BRS 64 Nr. 101). Geht es um ein nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegiertes Vorhaben, dann ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Privilegierung derartiger Vorhaben zum Ausdruck gebracht hat, dass sie im Außenbereich in der Regel zulässig sind. Dennoch ist in der Rechtsprechung geklärt, dass öffentliche Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB auch privilegierten Außenbereichsvorhaben, wie Windenergieanlagen (§ 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB), entgegenstehen können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Februar 2000, BRS 63 Nr. 111; OVG NW, Urteil vom 30. November 2001, a.a.O.). Die sich aus den Dimensionen von Windenergieanlagen als technischen Bauwerken zwangsläufig ergebende dominierende Wirkung auf die Umgebung erlaubt zwar für sich allein noch nicht den Schluss auf eine Verunstaltung des Landschaftsbildes (vgl. OVG Rh.-Pf., Urteil vom 18. Mai 2006 - 1 A 11398/04 - juris; OVG NW, Urteil vom 30. November 2001, a.a.O.). Bei der wertenden Einschätzung des Störpotenzials von Windenergieanlagen dürfen aber dennoch die anlagetypischen Drehbewegungen der Rotorblätter als Blickfang nicht außer Betracht gelassen werden (vgl. OVG Rh.-Pf., a.a.O., m.w.N.; OVG NW, Urteil vom 18. November 2004, BRS 67 Nr. 102), die eine entsprechende Unruhe in schützenswerte Landschaftsbilder hineintragen. Die Zulässigkeit von Windenergieanlagen im Außenbereich steht daher unter dem Vorbehalt, dass die Anlage das Orts- und Landschaftsbild im Einzelfall nicht verunstaltet, denn eine Entscheidung über den konkreten Standort der privilegierten Vorhaben im Außenbereich hat der Gesetzgeber in § 35 BauGB nicht getroffen. Eine Verunstaltung durch ein privilegiertes Vorhaben ist ausnahmsweise nur anzunehmen, wenn es sich um eine wegen ihrer Schönheit oder ihrer Funktion besonders schutzwürdige Umgebung oder um einen besonders groben Eingriff in das Landschaftsbild handelt (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 27. Januar 2006 - OVG 2 S 133.05 -; OVG Rh.-Pf., a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25. Juni 1991, BRS 52 Nr. 74). Ob diese Schwelle überschritten ist, hängt von den konkreten Umständen der jeweiligen Situation ab (BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 2001, BRS 64 Nr. 100).

Diese Voraussetzungen für eine Verunstaltung hat das Verwaltungsgericht hier zu Recht als erfüllt angesehen. Die im Ortstermin am 16. November 2004 gefertigten Lichtbildaufnahmen (vgl. Gerichtsakte OVG 2 N 162.05, Bd. I, zwischen Blatt 160 bis 161) bestätigen dessen Feststellungen hinsichtlich der Örtlichkeiten und damit die Rechtsauffassung, dass das geplante Außenbereichsvorhaben der Beigeladenen nicht mit den auf die Bewahrung des Landschaftsbildes vor Verunstaltung im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB gerichteten Belangen der Landschaftspflege vereinbar ist, denn sie zeigen den geplanten Standort der Windenergieanlage in freier Landschaft liegend und von Feldern umgeben. Diese erstrecken sich nördlich und südlich der Landstraße und werden nur von Waldflächen begrenzt, ohne dass irgendwelche störenden baulichen Anlagen sichtbar wären. Gleiches gilt für die 15 Fotos (____), die im Ortstermin des Verwaltungsgerichts am 29. November 2001 gefertigt worden sind.

Das Vorbringen der Beigeladenen im Zulassungsverfahren gibt dem Senat keinen Anlass zu einer hiervon abweichenden Einschätzung. Ohne Erfolg wendet die Beigeladene ein, dass es sich bei der Umgebung der genehmigten Windenergieanlagen um eine eher schlichte, allenfalls als typisch zu bezeichnende, weil in Brandenburg häufig anzutreffende Landschaft aus Freiflächen und Wald im Wechsel handele, die dementsprechend nicht besonders schutzwürdig sei, zumal in 2 km Entfernung der Windpark mit 20 Anlagen dieser Art vorhanden sei. Maßgebend für die Beurteilung der Landschaft durch einen für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter ist nicht die Draufsicht aus der Luft, sondern die horizontale Sicht von verschiedenen Standorten innerhalb dieser Landschaft (vgl. OVG Rh.-Pf., Urteil vom 18. Mai 2006, - 1 A 11398/04 - juris). Damit scheidet alles aus, was von diesen Standorten - wie der "Windpark Z____-W____" - optisch nicht in Erscheinung tritt. Dies kommt auch als anzurechnende Vorbelastung nicht in Betracht. Der hinter dem Höhenzug liegende Windpark kann von dort aus zusammen mit den geplanten Anlagen allenfalls - wie das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil vom 16. November 2004 beschreibt - hinsichtlich einiger Rotorspitzen von drei Windenergieanlagen in den Blick genommen werden. Dies schließt es aus, dass die geplanten Windenergieanlagen optisch mit prägender Wirkung von technischen Einrichtungen "umgeben" erscheinen und es sich bei dieser im Verhältnis zum Windpark isolierten Lage der Anlagen um eine "wünschenswerte Konzentration" handeln könnte.

Vielmehr bietet sich aufgrund der im Ortstermin gefertigten Lichtbilder eine ganz überwiegend unberührte Landschaft dar. Die in dieses Landschaftsbild in ca. 500 m Entfernung eingebettete Ortslage G_____ ist lediglich als durch kleine märkische Wohnhäuser und Scheunen gebildete Silhouette wahrnehmbar (____). Dies ergibt das Gesamtbild einer harmonischen Kulturlandschaft, wie sie für Brandenburg typisch ist. Für ein schutzbedürftiges Landschaftsbild ist entgegen der Auffassung der Beigeladenen nicht nur das besonders Markante von Wert, sondern auch die auf den ersten Blick unspektakuläre Unberührtheit der Landschaft, weil sie die Fähigkeit besitzt, dem Betrachter noch das Bild und die Typizität unverfälschter Landschaftsräume zu vermitteln, deren weiträumige Blickbeziehungen nicht durch bereits bestehende Bebauung an Reiz verloren haben. Hinzu kommt, dass innerhalb dieser Blickbeziehungen und -achsen östlich des geplanten Standorts und diesen förmlich flankierend die Bereiche "M____" und "W____ M____" als geschützte Landschaftsbestandteile ausgewiesen sind, und der Wert dieses Areals vornehmlich in seinem alten Baumbestand besteht (vgl. 2.1. c) des Gemeindevertreterbeschlusses Nr. 16/90 der Gemeinde W____ zur Ausweisung von Gebieten als "Geschützter Landschaftsbestandteil" vom 13. Dezember 1990, Bl.____). In der Summe ergeben danach die Naturbelassenheit der Landschaft mit ihrem beispielgebenden Wert für brandenburgische Landschaftsbilder, die schon vom Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg in der Beschwerdeentscheidung vom 27. März 2003 hervorgehobene Ausstrahlung von Ruhe und die zusätzliche Einbettung in förmlich geschützte Landschaftsbestandteile einen wohltuend harmonischen Hintergrund, vor dem sich die Errichtung der beiden Windenergieanlagen als besonders grober Eingriff in das Landschaftsbild ausnehmen würde, der die Annahme einer Verunstaltung rechtfertigt. Die in der Rechtsprechung (vgl. OVG Rh.-Pf., Urteil vom 18. Mai 2006, - 1 A 11398/04 - juris; OVG NW, Urteil vom 18. November 2004, BRS 67 Nr. 102) wiederholt als belastend hervorgehobenen anlagetypischen Drehbewegungen der Rotorblätter würden in dieses Landschaftsbild unwillkürlich den Eindruck des Ruhelosen und Getriebenen hineintragen. Bei dem Anblick sich optisch überschneidender Rotoren, der bei mehreren Windenergieanlagen aus bestimmten Blickwinkeln immer gegeben ist, würde zusätzlich das beunruhigende Gefühl des ataktisch Mahlenden entstehen, das bei einem so kleinräumlichen Landschaftsbild, wie es hier gegeben ist, dem Verweilen des Auges keinen Raum mehr gibt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes - GKG -. Bei der Bewertung des Interesses der Klägerin an der Anfechtung des Vorhabens der Beigeladenen ist von Ziffer 9.7.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von Juli 2004 (DVBl. 2004, 1525) auszugehen, der für die Klage einer Nachbargemeinde gegen eine Baugenehmigung einen Streitwert von 30.000,- € vorsieht. Der vorliegende Fall, dass sich eine Gemeinde gegen eine unter Ersetzung ihres verweigerten gemeindlichen Einvernehmens erteilte Baugenehmigung richtet, ist entsprechend zu behandeln (vgl. Beschluss des Senats vom 27. Januar 2006 - OVG 2 S 133.05 -). Die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung war deshalb nach § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG von Amts wegen zu ändern.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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