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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 23.12.2005
Aktenzeichen: OVG 2 S 122.05
Rechtsgebiete: VwGO, VwVG Bbg


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 3 2. Alt.
VwVG Bbg § 19 Abs. 1
VwVG Bbg § 39
Die nachträgliche Anforderung der Kosten der Ersatzvornahme durch Leistungsbescheid ist eine Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung i.S.d. § 80 Abs. 2 Nr. 3, 2. Alt. VwGO/§ 39 VwVG Bbg, für die auf Grund landesgesetzlicher Regelung die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage entfällt (im Anschluss an OVG Bln, Beschluss vom 3. März 1997 - OVG 2 S 24.96 - NVwZ-RR 1999, 156 = OVGE 22, 107 zu § 187 Abs. 3 VwGO a.F./§ 4 AG VwGO)
OVG 2 S 122.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Korbmacher, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Broy-Bülow und den Richter am Oberverwaltungsgericht Hahn am 23. Dezember 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 6. Mai 2005 geändert. Der Antrag auf Feststellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 26 386,31 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist Erbe eines leer stehenden ehemaligen Gaststättengebäudes in Lenzen, das unmittelbar an einem öffentlichen Verkehrsweg steht. Es weist zahlreiche bauliche Mängel auf, in deren Folge Gefahren durch herabfallende Gebäudeteile entstanden sind. Dies führte zu der Anordnung verschiedener Sicherungsmaßnahmen am Gebäude selbst sowie der Absperrung des öffentlichen Verkehrsraums auf der Grundlage der Brandenburgischen Bauordnung, die der Antragsgegner nach erfolgloser Zwangsgeldandrohung und -festsetzung auf der Grundlage des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Brandenburg durchsetzte.

Nach der Durchführung der Ersatzvornahme erließ der Antragsgegner drei Leistungsbescheide. Diese betrafen die Erstattung der entstandenen Ersatzvornahmekosten in Höhe von insgesamt 26.386,31 € (Leistungsbescheid vom 20. Juli 2004/Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2004 betreffend Gehwegabsperrung: 386,28 €; Leistungsbescheid vom 27. Juli 2004/Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2004 betreffend weitere Gehwegabsperrungen: 1 000 €; Leistungsbescheid vom 28. Juli 2004/Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 2004 betreffend Gebäudesicherungsmaßnahmen: 25 000,03 €). Hiergegen hat der Antragsteller vor dem Verwaltungsgericht Potsdam jeweils Klagen erhoben (5 K 3545/04, 5 K 3546/04 und 5 K 3547/04). Sein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz mit dem Ziel der Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gegen die vorgenannten Leistungsbescheide hatte mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 6. Mai 2005 Erfolg. Das Verwaltungsgericht sah die nach der Durchführung der Ersatzvornahme erfolgte Anforderung der Kosten der Ersatzvornahme durch Leistungsbescheid mangels Beugefunktion nicht als Maßnahme "in der Verwaltungsvollstreckung" im Sinne des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Brandenburg an und stellte die aufschiebende Wirkung der Klagen fest.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde des Antragsgegners. Er bejaht den verwaltungsvollstreckungsrechtlichen Charakter auch der nachträglichen Anforderung der Kosten der Ersatzvornahme durch Leistungsbescheid und bezieht sich zur Begründung auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 3. März 1997 (NVwZ-RR 1999, 156 = OVGE 22,107). Er betont in diesem Zusammenhang, dass bei der heutigen angespannten Haushaltslage der Länder und Gemeinden im Falle einer aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen nachträgliche Ersatzvornahmekostenanforderungen die Gefahr bestehe, dass die Vollziehung von Verwaltungsakten im Wege einer Ersatzvornahme allein aus finanziellen Erwägungen von vornherein faktisch unterbleibe. Es wirke sich als faktisches Hindernis für die Durchführung einer Ersatzvornahme aus, wenn der Zahlungspflichtige die Beitreibung der Kosten allein durch Ausschöpfung des Rechtsweges über Jahre verzögern könne und damit eine Kostenerstattung nicht kurzfristig zu realisieren sei. Auf die weiteren Ausführungen in dem Beschwerdebegründungsschriftsatz des Antragsgegners vom 2. Juni 2005 wird Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat Erfolg. Das Beschwerdevorbringen führt im Ergebnis zu einer von dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 6. Mai 2005 abweichenden Entscheidung.

Die Klagen des Antragstellers gegen die Leistungsbescheide zur nachträglichen Anforderung der Kosten der Ersatzvornahme des Antragsgegners vom 20. Juli 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2004, vom 27. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2004 sowie vom 28. Juli 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2004 haben keine aufschiebende Wirkung im Sinne des § 80 Abs. 1 VwGO. Die Leistungsbescheide sind sofort vollziehbar.

1. Die Vollziehbarkeit der Leistungsbescheide ergibt sich nicht aus § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, der die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen gegen die Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten ausschließt.

Zu den Kosten zählen rechtsnormativ bestimmte und bestimmbare, regelmäßig anfallende öffentlich-rechtliche Geldforderungen zur Abgeltung eines behördlichen Aufwandes. Hierbei hat die entfallende aufschiebende Wirkung den Zweck der finanziellen Sicherung der öffentlichen Aufgabenerfüllung, indem die erforderlichen Einnahmen der öffentlichen Hand zunächst einmal zur Verfügung stehen (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 9. Dezember 2005 - OVG 2 S 127.05 - m.w.N.). Ersatzvornahmekosten sind dagegen weder nach ihrem Anfall noch nach ihrer Höhe annähernd voraussehbar und können damit nicht Teil der auf Erfahrungssätzen beruhenden Haushaltsplanung sein. Allein der Umstand, dass die Vermeidung von finanziellen Deckungsproblemen auch in diesen Fällen erstrebenswert wäre (so BayVGH, Beschluss vom 15. November 1993, NVwZ-RR 1994, 471, 472), macht sie nicht zu Kosten im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

2. Die Vollziehbarkeit der Leistungsbescheide ergibt sich jedoch aus § 80 Abs. 2 Nr. 3, 2. Alt. VwGO, denn bei der nachträglichen Anforderung von Ersatzvornahmekosten handelt es sich um eine Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung im Sinne des § 39 Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Brandenburg vom 18. Dezember 1991 (GVBl. S. 661, zul. geänd. durch Gesetz vom 17. Dezember 2003 (GVBl. I S. 298) - VwVG Bbg -, gegen die Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben. Der verwaltungsvollstreckungsrechtliche Charakter der Kostenanforderung durch Leistungsbescheid ist - unabhängig davon, ob diese vor oder nach der Durchführung der Ersatzvornahme erfolgt - schon regelungssystematisch integraler Bestandteil des landesrechtlich in § 19 Abs. 1 VwVG Bbg geregelten Zwangsmittels der Ersatzvornahme. Diese strukturelle Verzahnung der Kostenanforderung mit dem Zwangsmittel der Ersatzvornahme verleiht diesem erst die Beugefunktion und zwar umso mehr, als die nachwirkende Zahlungsverpflichtung aus dem Vollstreckungsverhältnis auch zeitnah realisiert werden kann. Der Senat schließt sich der bisherigen Rechtsprechung des OVG Berlin an und verweist zur Begründung hierauf (OVG Berlin, Beschluss vom 3. März 1997, NVwZ-RR 1999, 156 = OVGE 22, 107). Jede Entkoppelung von Vollstreckungsmaßnahme und Kostenersatz durch die formale vollstreckungsrechtliche Betrachtung, dass nur die Vollstreckungsmaßnahme selbst das eigentliche Zwangsmittel mit Beugecharakter sei, mit dem die behördliche Anordnung durchgesetzt werde, und nicht die nachträgliche Kostenanforderung, zumal Rechtsbehelfe gegen diese die Vollstreckung nicht mehr hindern könnten (so OVG RP, Beschluss vom 28. Juli 1998, NVwZ-RR 1999, 27 = BRS 60 Nr . 172; SächsOVG, Beschluss vom 21. Februar 2003, NVwZ-RR 2003, 475; OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 3. August 2005 - OVG 9 S 1.05 - zum Berliner Vollstreckungsrecht), berücksichtigt nicht das daraus möglicherweise folgende faktische Vollzugshindernis für die mit der Vollstreckung belasteten Behörden. Denn bei ungewisser Aussicht auf einen zeitnahen Kostenersatz dürften diese - insbesondere bei kostenintensiven Ersatzvornahmen und in Zeiten knapper finanzieller Kassen - eher dazu neigen, von der Durchführung einer Ersatzvornahme abzusehen. Zudem dürfte sich der Zahlungspflichtige zur Rechtsbehelfseinlegung geradezu ermuntert fühlen, wenn er sich auf diese Weise ein entsprechendes Druckpotential gegenüber der Behörde verschaffen könnte. Dieser schon in der Entscheidung des OVG Berlin aus dem Jahre 1997 (OVG Bln, Beschluss vom 3. März 1997, NVwZ-RR 1999, 156 = OVGE 22, 107) genannte maßgebende Gedanke, der nicht nur in Fällen der vorzeitigen Anforderung der Ersatzvornahmekosten trägt (vgl. HessVGH, Beschluss vom 6. Juni 1997, NVwZ-RR 1998,534), und dem in heutiger Zeit verstärktes Gewicht zukommen dürfte, wie auch die geschilderte Verwaltungspraxis des Antragsgegners bestätigt hat, ist vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (a.a.O.), auf das sich das Verwaltungsgericht Potsdam in seiner Entscheidung gestützt hat, nicht berücksichtigt worden. Insbesondere in Eilfällen wird so eine effektive, weil nicht von einer vorherigen zeitraubenden Kostenanforderung zur eigenen Kostenabsicherung abhängige Vollstreckung in der Gewissheit ermöglicht, nachfolgend zügig zu einer Kostenerstattung zu gelangen und hierdurch ihre Handlungsfähigkeit zu erhalten.

3. Eine materielle Rechtswidrigkeit der Leistungsbescheide, die Anlass für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen sein könnte (§ 39 Satz 2 VwVG Bbg, § 80 Abs. 5 VwGO), ist nicht erkennbar. Insoweit hat der Antragsteller auch nichts vorgetragen, weil die Beteiligten vorrangig um die Frage der sofortigen Vollziehbarkeit der Leistungsbescheide stritten.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG n.F.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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