Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 06.10.2006
Aktenzeichen: OVG 2 S 27.06
Rechtsgebiete: VwGO, WHG, BbgWG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 3
VwGO § 80 Abs. 5
WHG § 25a
BbgWG § 78 Abs. 1
BbgWG § 87 Abs. 3
BbgWG § 87 Abs. 6
Die Wasserbehörde handelt nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie Sammelsteganlagen privilegiert und Einzelsteganlagen grundsätzlich nicht ohne das Vorliegen schwerwiegender Gründe genehmigt, um die Zahl der an einem Gewässer vorhandenen Steganlagen und die hiervon ausgehende Beeinträchtigung naturnaher Uferbereiche zu reduzieren,
OVG 2 S 27.06

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht, die Richterin am Oberverwaltungsgericht und den Richter am Oberverwaltungsgericht am 6. Oktober 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 23. Juni 2006 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Verfahren beider Rechtszüge, für den ersten unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts, auf 1500,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist nicht aus den vom Antragsteller dargelegten Gründen, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - beschränkt ist, zu beanstanden.

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 16. Februar 2005, mit der dem Antragsteller die Beseitigung seines Einzelsteges am Ufer des L_____ aufgegeben worden ist, dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 VwGO genügt. Die Begründung der sofortigen Vollziehung enthält eine schlüssige, konkrete und substantiierte Darlegung der wesentlichen Erwägungen, warum aus Sicht der Behörde gerade im vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeben ist und das Interesse des Betroffenen am Bestehen der aufschiebenden Wirkung ausnahmsweise zurückzutreten hat. Insbesondere wird in der Begründung auf die Lage des Steges in einem besonders schutzwürdigen Gebiet sowie darauf verwiesen, dass die Eigentümer und Nutzer weiterer Steganlagen am L_____ ohne die sofortige Vollziehung zu der Auffassung gelangen könnten, dass die wesentliche Erneuerung eines vorhandenen Einzelsteges oder dessen Neuerrichtung ohne die erforderlichen naturschutz- und wasserrechtlichen Genehmigungen möglich wäre. Ob diese Erwägungen die Anordnung der sofortigen Vollziehung tatsächlich rechtfertigen, ist entgegen der Auffassung des Antragstellers keine Frage des Begründungserfordernisses.

Dem Verwaltungsgericht ist auch unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Beschwerdebegründung darin zu folgen, dass die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen hier zu Ungunsten des Antragstellers ausfällt. Dem Antragsteller ist allerdings einzuräumen, dass ein lediglich abstrakter Anreiz zur Nachahmung als Grund für den Sofortvollzug einer Beseitigungsverfügung - anders als bei der den Ordnungspflichtigen weniger belastenden Nutzungsuntersagung - regelmäßig nicht ausreicht, sondern dass sich eine Ausweitung der illegalen Bautätigkeit im Umkreis der ungenehmigten Anlage bereits konkret abzeichnen muss (vgl. OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 26. Juni 2003, LKV 2004, 232, für den Fall einer baurechtlichen Beseitigungsverfügung). Hiervon ist indes angesichts der zahlreichen am Lübbesee vorhandenen und jedenfalls teilweise erheblich reparaturbedürftigen Steganlagen (vgl. die vom Antragsteller erstinstanzlich eingereichten Fotos) sowie der Tatsache, dass das gegen den Antragsteller eingeleitete Verfahren auch die Aufmerksamkeit der Nachbarn auf sich gezogen hat (vgl. Protokoll des von Vertretern u.a. der unteren Wasserbehörde und der unteren Naturschutzbehörde durchgeführten Anhörungstermins am 7. Juli 2004, Bl. 30 des Verwaltungsvorgangs) bei lebensnaher Betrachtung auszugehen. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht im Rahmen der Interessenabwägung zu Recht darauf abgestellt, dass sich die Beseitigungsverfügung vom 16. Februar 2005 bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig erweist:

Nach § 87 Abs. 6 Satz 1 Brandenburgisches Wassergesetz (BbgWG) kann die untere Wasserbehörde die Beseitigung von nicht genehmigten Anlagen anordnen. Für die Steganlage des Antragstellers ist eine wasserrechtliche Genehmigung unstreitig zu keinem Zeitpunkt erteilt worden. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ergibt sich das Genehmigungsbedürfnis aus § 87 Abs. 1 Satz 1 BbgWG, wonach die Errichtung oder wesentliche Veränderung von Anlagen in und an Gewässern der Genehmigung der unteren Wasserbehörde bedarf. Ob bereits seit 1939 ein Steg an gleicher Stelle bestanden hat und ob die Steganlage hinsichtlich ihrer "Größe, Ausdehnung und Funktionalität" nicht verändert worden ist, wie der Antragsteller geltend macht, kann in diesem Zusammenhang dahinstehen. Denn der Antragsteller hat im erstinstanzlichen Verfahren selbst eingeräumt, dass die Steganlage "hinsichtlich ihrer Befestigung am Ufer durch umweltschonende aufgesetzte Träger und durch Auflagen aus Holz modernisiert worden ist". Bei der geschilderten "Modernisierung" handelt es sich um eine Neuerrichtung, mindestens aber um eine wesentliche Veränderung des alten Steges, der sich ausweislich des im Verwaltungsvorgang enthaltenen Schreibens des Antragstellers vom 3. Mai 2004 in einem nicht mehr gebrauchstauglichen Zustand befunden hatte. Auf Bestandsschutz kann sich der Antragsteller nicht berufen, wenn der erforderliche Eingriff in die Bausubstanz so intensiv ist, dass er zu etwas Neuem führt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1974, BVerwGE 47, 126, 129).

Die Steganlage des Antragstellers ist auch nicht genehmigungsfähig. Nach § 87 Abs. 3 Satz 1 BbgWG darf die Genehmigung nur erteilt werden, wenn von dem beabsichtigten Unternehmen weder eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder der Leichtigkeit der Schifffahrt, noch eine Beeinträchtigung der Bewirtschaftungsziele nach den §§ 25a und 25b, 25d Wasserhaushaltsgesetz (WHG) und den §§ 1 und 24 des Brandenburgischen Naturschutzgesetzes, insbesondere der Erhaltung naturnaher Ufer, oder erhebliche Nachteile für Rechte oder Befugnisse anderer zu erwarten sind. Nach § 25a Abs. 1 WHG sind oberirdische Gewässer, soweit sie nicht als künstlich oder erheblich verändert eingestuft werden, so zu bewirtschaften, dass 1. eine nachteilige Veränderung ihres ökologischen und chemischen Zustands vermieden und 2. ein guter ökologischer und chemischer Zustand erhalten oder erreicht wird. In Umsetzung dieser bundesrahmenrechtlichen Vorgaben regelt § 78 Abs. 1 Satz 2 BbgWG, dass es Aufgabe der Gewässerunterhaltung ist, die Funktionsfähigkeit des Gewässerbetts einschließlich der Ufer bis zur Böschungskante zu erhalten bzw. wieder herzustellen. Hierzu gehören nach § 78 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 bis 3 BbgWG u.a. auch die Erhaltung und Wiederherstellung eines heimischen Pflanzen- und Tierbestandes, die Erhaltung und Verbesserung des Selbstreinigungsvermögens sowie die Freihaltung, Reinigung und Räumung des Gewässerbetts und der Ufer. In der Begründung der Ordnungsverfügung vom 16. Februar 2005 hat der Antragsgegner hierzu im Einzelnen dargelegt, dass für die Entwicklung der Artenvielfalt und die Selbstreinigungsfunktion des Gewässers naturnahe und unverbaute Uferbereiche unverzichtbar sind. Durch die Genehmigung der vom Antragsteller errichteten Einzelsteganlage würden naturnahe Uferbereiche am L_____ permanent gestört, da die Anlage nicht zur natürlichen Ausstattung eines Gewässers gehöre. Die Vielzahl der bereits vorhandenen Einzelstege führe zu einer übermäßigen Beeinträchtigung des naturnahen Uferbereiches. Der Antragsteller ist diesen schlüssigen und überzeugenden Ausführungen in der Beschwerdebegründung nicht entgegengetreten, sondern hat lediglich geltend gemacht, dass sein Steg auch von anderen Familien genutzt werde und im Unterschied zu den benachbarten Steganlagen durch die "moderne Bauweise" das Gewässer und den ufernahen Bereich am wenigsten schädige. Beide Gesichtspunkte sind offensichtlich nicht geeignet, die Annahme einer Beeinträchtigung der wasserhaushaltsrechtlichen Bewirtschaftungsziele, die der Erteilung einer Genehmigung für den Steg des Antragstellers entgegensteht, zu entkräften.

Entgegen der in der Beschwerdebegründung vertretenen Auffassung sind auch die Ermessenserwägungen des Antragsgegners nicht zu beanstanden. Es entspricht regelmäßig ordnungsgemäßer Ermessensbetätigung, unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung und zur Vermeidung von Präzedenzfällen die Beseitigung eines formell nicht legalisierten und materiell illegalen Bauvorhabens anzuordnen. Die Duldung eines rechtswidrigen Zustands kann nur veranlasst sein, wenn ganz konkrete Anhaltspunkte dafür sprechen, ihn ausnahmsweise in Kauf zu nehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2002, NVwZ 2002, 1250, 1252). Solche Anhaltspunkte liegen hier nicht vor. Soweit der Antragsteller geltend macht, der Antragsgegner gehe gegen andere illegale Steganlagen in der Nachbarschaft nicht vor, setzt er sich nicht mit der Begründung des Verwaltungsgerichts auseinander, wonach es in Anbetracht der Tatsache, dass zum Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners zahlreiche Seen gehören und es ihm aus Kapazitätsgründen nicht möglich sei, gleichzeitig für alle Seen ein Beseitigungskonzept zu erarbeiten und durchzusetzen, ermessensfehlerfrei sei, dass er sich bei den Seen, für die noch kein Beseitigungskonzept erarbeitet werden konnte, zunächst auf diejenigen Anlagen beschränke, die neu errichtet bzw. wesentlich verändert wurden. Von diesen Anlagen gehe nämlich eine Vorbildwirkung für die anderen Anwohner aus, die aus dem Nichteinschreiten schließen könnten, dass eine Neuerrichtung bzw. Veränderung auch ohne Genehmigung geduldet werde. Soweit der Antragsteller geltend macht, dass sein Steg im Unterschied zu den benachbarten Steganlagen durch die "moderne Bauweise" das Gewässer und den ufernahen Bereich am wenigsten schädige, stellt dies den Begründungsansatz des Verwaltungsgerichts, der nicht auf die ökologische Schädlichkeit des einzelnen Steges, sondern auf die von der Neuerrichtung ausgehende Präzedenzwirkung abstellt, nicht in Frage.

Der Ermessensausübung des Antragsgegners kann der Antragsteller auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass sein Steg nicht nur von ihm selbst, sondern auch von anderen Familien genutzt werde und er sich zudem darum bemüht habe, weitere Mitnutzer für seinen Steg zu finden. Mit diesem Einwand bezieht sich der Antragsteller erkennbar auf die Ausführungen in der Begründung der Ordnungsverfügung vom 16. Februar 2005, wonach die Genehmigungspraxis des Antragsgegners darauf abziele, die Vielzahl von meist illegalen Einzelstegen an dadurch unzulässig belasteten Ufern durch die Errichtung und Nutzung von gemeinschaftlichen Steganlagen im Interesse des Allgemeinwohles zu verringern, und grundsätzlich keine Einzelstege ohne das Vorliegen schwerwiegender Gründe - an denen es hier fehle - genehmigt würden. Im Beschwerdeverfahren hat der Antragsgegner hierzu präzisierend ausgeführt, dass die Genehmigung einer Sammelsteganlage neben der Nutzung durch mehrere Parteien entsprechende Rückbaumaßnahmen hinsichtlich anderer Steganlagen beinhalten muss. Diese Genehmigungspraxis, die nach den Angaben des Antragsgegners auf der Erwägung beruht, dass die Errichtung mehrerer Einzelsteganlagen das Gewässer nachhaltiger schädigt als die Errichtung einer die Beeinträchtigung konzentrierenden Sammelsteganlage, ist nicht zu beanstanden. Zweifel daran, dass der Antragsgegner sich bei der Erteilung von Genehmigungen an diese Praxis hält, sind nicht ersichtlich. Bei dem Steg des Antragstellers handelt es sich auch nicht um eine Sammelsteganlage im Sinne dieser Verwaltungspraxis. Soweit der Antragsteller geltend macht, dass sein Steg auch von anderen Familien genutzt werde, hebt er selbst hervor, dass es sich hierbei nicht um Anlieger des Sees handelt, so dass die gemeinsame Nutzung nicht zum Rückbau benachbarter Stege führt. Soweit der Antragsteller im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 23. Dezember 2005 den Namen eines Steginhabers mitgeteilt hat, der bereit sei, auf seinen Steg zu verzichten, kann dies schon deshalb außer Betracht bleiben, weil eine Sammelsteganlage offensichtlich nur dann die vom Antragsgegner angestrebte Konzentrationswirkung entfalten kann, wenn im Gegenzug mehr als nur ein einziger Einzelsteg beseitigt wird. Auch der Umstand, dass der Antragsgegner es abgelehnt haben soll, dem Antragsteller bei der Suche nach Mitnutzern seines Steges durch die Mitteilung der Daten der Steginhaber zu helfen - was schon aus datenschutzrechtlichen Gründen bedenklich wäre -, führt nicht etwa nachträglich zur Fehlerhaftigkeit der Ermessensauübung. Ohne Erfolg bleibt auch der Hinweis des Antragstellers auf die angebliche "einjährige Duldung" des Antragsgegners. Dass der Antragsgegner in Bezug auf den illegal errichteten Steg ein Verhalten gezeigt hat, nach dem der Antragsteller darauf vertrauen konnte, eine Beseitigungsverfügung werde nicht mehr ergehen, ist nicht erkennbar.

Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung zur Sicherstellung der Beseitigung des Steges hat der Antragsteller weder Einwendungen erhoben noch sind Bedenken ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1, des Gerichtskostengesetzes - GKG -. Bei der Bewertung des Interesses des Antragstellers an der Aufhebung der Beseitigungsverfügung ist von Ziffer 9.5 des - im Interesse der Vorhersehbarkeit der Kostenfolgen und damit der Rechtssicherheit sowie der Gleichbehandlung - vom Senat regelmäßig herangezogenen Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von Juli 2004 (DVBl. 2004, 1525) auszugehen, der für die Klage gegen eine Beseitigungsanordnung einen Streitwert in Höhe des Zeitwerts der zu beseitigenden Substanz plus Abrisskosten vorsieht. Das Zwangsgeld bleibt entsprechend Ziffer 1.6.2 des Streitwertkataloges außer Betracht. Hiervon ausgehend hält der Senat einen Betrag von 3000,- Euro für angemessen, der im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entsprechend der Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren ist. Die erstinstanzliche, nicht näher begründete Streitwertfestsetzung ist gemäß § 63 Abs. 3 GKG entsprechend zu ändern.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück