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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 08.05.2007
Aktenzeichen: OVG 2 S 47.07
Rechtsgebiete: VwGO, AufenthG, VwVfG


Vorschriften:

VwGO § 86 Abs. 1
VwGO § 123
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 3
AufenthG § 60 a Abs. 2
VwVfG § 28
VwVfG § 28 Abs. 1
VwVfG § 45 Abs. 1 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 2 S 47.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Korbmacher und die Richter am Oberverwaltungsgericht Hahn und Dr. Jobs am 8. Mai 2007 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 27. März 2007 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.

1. Die Beschwerde entspricht bereits nicht den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Danach muss die Beschwerdebegründung einen bestimmten Antrag enthalten, in dem das Rechtsschutzziel der Antragstellerin festgelegt wird. Einen solchen Antrag enthält weder der Schriftsatz vom 12. April 2007 noch die Beschwerdebegründung vom 30. April 2007, in der lediglich die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses beantragt wird, nicht aber positiv das begehrte Rechtsschutzziel festgelegt wird.

2. Die Beschwerde hat selbst dann keinen Erfolg, wenn man auf Grund der Beschwerdebegründung und der in erster Instanz gestellten Anträge im Wege der Auslegung das Rechtsschutzziel der Antragstellerin dahingehend herausarbeitet, dass sie im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO erreichen möchte, dass ihre Abschiebung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG ausgesetzt wird, weil sie wegen einer psychischen Erkrankung reiseunfähig sei. Auf Grundlage der Darlegungen der Antragstellerin besteht kein Grund im Sinne von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO für eine Änderung der Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses.

a. Soweit die Antragstellerin rügt, dass sie vor Erlass des Bescheides vom 23. Oktober 2006 - in dem insbesondere der mit Schriftsatz vom 12. September 2006 gestellte Antrag auf Erteilung einer Duldung nach § 60 a Abs. 2 AufenthG abgelehnt wurde - entgegen § 28 VwVfG nicht angehört worden sei, vermag dies ihrer Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Selbst wenn man vor der Ablehnung einer Duldung eine Anhörung nach § 28 Abs. 1 VwVfG für erforderlich hält, hat sich der Antragsgegner im Rahmen des vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahrens mit den Einwänden der Antragstellerin auseinandergesetzt, so dass ein etwaiger Mangel der unterbliebenen Anhörung jedenfalls nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG als geheilt anzusehen ist.

b. Auch mit ihrem weiteren Vorbringen in der Beschwerdeschrift vermag die Antragstellerin nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit einen dahingehenden Anordnungsanspruch (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO) glaubhaft zu machen, dass sie auf Grund einer psychischen Erkrankung einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung hat.

Eine bestehende individuelle (körperliche oder psychische) Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers kann im Hinblick auf die zu erwartenden negativen Auswirkungen der Abschiebung als solche - und nicht wegen der spezifischen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung - ein inlandsbezogenes Abschiebehindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung (§ 60 a Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) begründen. Dies ist dann der Fall, wenn und solange der Ausländer wegen der Erkrankung transportunfähig ist, d.h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs der Abschiebung wesentlich verschlechtert oder Lebens- bzw. Gesundheitsgefahren entstehen (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn) oder wenn die Abschiebung - außerhalb des eigentlichen Transportvorganges - eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Es muss das ernsthafte Risiko bestehen, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solches sich der Gesundheitszustand des Ausländers in körperlicher oder psychischer Hinsicht wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern wird (vgl. u.a. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 3. April 2007 - OVG 2 M 7.07 -; VGH Mannheim, Beschluss vom 15. Oktober 2004 - 11 S 2297/04 - veröffentlicht in Juris m.w.N.).

Gemessen daran hat die Antragstellerin nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass ihr ein Duldungsanspruch wegen einer Reiseunfähigkeit zusteht. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass eine abschiebungsbedingte Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Antragstellerin nicht durch die (allein vorgelegte) ärztliche Stellungnahme des Arztes I. M_____ glaubhaft gemacht wurde. Es hat dazu sinngemäß ausgeführt, dass diese Stellungnahme nicht den Mindestanforderungen an die Verwertbarkeit von dem Ausländer selbst vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen erfülle. Es werde in der Stellungnahme, die eine depressive Störung und eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziere, weder die Untersuchungsmethode benannt noch dargetan, auf Grund welcher Tatsachenfeststellung der Arzt zu den Schlussfolgerungen gelangt sei, dass die Antragstellerin für die nächsten sechs bis zwölf Monate reiseunfähig sei. Auch die zeitlich weit reichende Prognose zur Dauer der Reiseunfähigkeit lege den Schluss nahe, dass es sich um ein "Gefälligkeitsgutachten" handele (vgl. näher EA S. 4).

Anders als die Antragstellerin meint, ist diese gerichtliche Bewertung nicht zu beanstanden. Zwar ist es den Gerichten regelmäßig verwehrt, eigene medizinische Bewertungen, etwa zur Schwere und zum Ausmaß einer psychischen Erkrankung vorzunehmen, ohne die hierfür erforderliche Sachkunde zu besitzen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. März 2006, NVwZ 2007, S. 346; OVG Bln-Bbg, Beschlüsse 19. März 2007 - 2 S 20.07 - und vom 26. April 2007 - OVG 2 N 48.06 - m.w.N.). Das hindert das Verwaltungsgericht aber nicht, in eigener Beurteilung Mindestanforderungen an die Verwertbarkeit ärztlicher Stellungnahmen zu stellen und im konkreten Einzelfall zu überprüfen. Wie in der Rechtsprechung (vgl. u.a. VGH Mannheim, Beschluss vom 15. Oktober 2004, a.a.O) zutreffend herausgearbeitet wurde, müssen solche vom Betroffenen selbst vorgelegten Stellungnahmen ("Privatgutachten") nämlich nachvollziehbar die tatsächlichen Umstände angeben, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt (Befundtatsache). Gegebenenfalls müssen auch die Methoden der Tatsachenerhebung benannt werden. Ferner ist die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose) nachvollziehbar ebenso darzulegen wie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus krankheitsbedingten Situationen voraussichtlich in Zukunft - als Folge einer Abschiebung - ergeben (prognostische Diagnose).

Die Darlegungen der Antragstellerin zeigen hingegen nicht auf, dass die ärztliche Stellungnahme vom 29. November 2006 abweichend von der Auffassung des Verwaltungsgerichtes diese fachlichen Mindestanforderungen erfüllt. Die Behauptung, dass Herr M_____ ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sei, dessen Autorität geschätzt werde und der eine Fachperson sei, vermag nicht zu verdecken, dass die konkrete Stellungnahme die Befundtatsachen unzureichend angibt. Insbesondere wird das traumatisierende Ereignis, auf das die posttraumatische Belastungsstörung eine Reaktion sein soll, nicht benannt. Zwar wird der Tod des Ehemanns der Antragstellerin am 17. August 2006 erwähnt, es bleibt aber unklar, ob dieser oder ein anderes Ereignis, etwa im Herkunftsland der Antragstellerin, das Trauma ausgelöst haben soll. Zudem fällt auf, dass die Bescheinigung bereits am ersten Tag der Behandlungsaufnahme, dem 28. November 2006, ausgestellt wurde, weshalb es zumindest einer erklärenden Darlegung bedurft hätte, dass bereits nach diesem kurzen Diagnose- und Behandlungszeitraum eine so weit reichende prognostische Beurteilung zu den Folgen der Abschiebung möglich war. Überdies wird zwar die medikamentöse und psychotherapeutische Behandlungsbedürftigkeit der Antragstellerin ausgeführt, aber nicht ansatzweise nachvollziehbar dargelegt, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche sich der Gesundheitszustand der Antragstellerin wesentlich verschlechtern würde.

Auch soweit die Antragstellerin in diesem Kontext einen Verfahrensfehler wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO geltend macht, weil das Verwaltungsgericht kein amtsärztliches Gutachten eingeholt habe, rechtfertigt dies keine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses. Zum einen obliegt es im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in erster Linie dem Antragsteller selbst, die Tatsachen und präsenten Beweismittel vorzulegen, aus denen sich ein Rechtsanspruch auf Gewährung einer Duldung ergeben soll. Im Übrigen ist nach ständiger Rechtsprechung (vgl. u.a. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 25. Januar 2007 - OVG 2 N 17.07 - m.w.N.) die Tatsacheninstanz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren trotz des Amtsermittlungsgrundsatzes nicht verpflichtet, eine Beweiserhebung vorzunehmen, die - wie hier - eine anwaltlich nicht vertretene Partei nicht beantragt hat. Dass sich hier dem Verwaltungsgericht eine weitere Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, da weder der Vortrag der Antragstellerin noch die ärztliche Stellungnahme greifbare Anhaltspunkte dafür enthalten, dass sich unmittelbar durch die Abschiebung der Gesundheitszustand der Antragstellerin in psychischer Hinsicht wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern wird. Auch der Vortrag, dass der Antragsgegner derzeit eine amtsärztliche Begutachtung vornehmen lasse, trifft ausweislich dessen Mitteilung vom 2. Mai 2007 nicht zu.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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