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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 21.08.2008
Aktenzeichen: OVG 3 S 72.08
Rechtsgebiete: SchulG, GsVO, VwGO


Vorschriften:

SchulG § 54 Abs. 2 Satz 1
SchulG § 54 Abs. 3 Satz 1
SchulG § 54 Abs. 5
SchulG § 55
SchulG § 55 Abs. 1
SchulG § 55 Abs. 1 Satz 1
SchulG § 55 Abs. 1 Satz 2
SchulG § 55 Abs. 2 Satz 3
SchulG § 55 Abs. 3
SchulG § 55 Abs. 3 Satz 2
SchulG § 55 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1
SchulG § 55 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3
SchulG § 55 a
GsVO § 4 Abs. 3
GsVO § 4 Abs. 3 Satz 1
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 3
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 3 S 72.08

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 3. Senat durch die Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Fitzner-Steinmann, den Richter am Oberverwaltungsgericht Burchards und den Richter am Verwaltungsgericht Diefenbach am 21. August 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. Juli 2008 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2 500 € festgesetzt.

Gründe:

I. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, den Antragsteller zum Schuljahr 2008/2009 vorläufig in eine erste Klasse der Hansa-Grundschule aufzunehmen. Die Entscheidung des Antragsgegners, den Antragsteller - dem bei der Anmeldung geäußerten Zweitwunsch entsprechend - der G.-Grundschule zuzuweisen, sei mit den Regelungen des § 55 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2, Abs. 3 Satz 2, § 54 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 SchulG nicht vereinbar. Die der Zuweisung zugrundeliegende Festsetzung eines einheitlichen (gemeinsamen) Einschulungsbereiches für fünf Grundschulen im Ortsteil Moabit, die das Bezirksamt Mitte von Berlin am 3. April (richtig: 20. Juni) 2006 beschlossen habe, könne nicht auf § 4 Abs. 3 Satz 1 der Grundschulverordnung - GsVO - gestützt werden. Insoweit fehle es bereits an der erforderlichen Verordnungsermächtigung; abgesehen davon bedürfe es einer Regelung durch den Gesetzgeber selbst. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sei davon auszugehen, dass die Hansa-Grundschule die für den Antragsteller allein zuständige Grundschule wäre, sodass ihm infolge des fehlerhaften Handelns des Antragsgegners auch dann ein Anspruch auf Aufnahme in diese Schule zustehe, wenn dadurch deren Aufnahmekapazität überschritten werde.

II. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragsgegners ist nicht begründet.

Das Beschwerdevorbringen, das gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Umfang der Prüfung des Oberverwaltungsgerichtes bestimmt, rechtfertigt es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

a) Ohne Erfolg macht der Antragsgegner geltend, die Einrichtung gemeinsamer Einschulungsbereiche stehe den Bezirken bereits nach dem Schulgesetz grundsätzlich offen. Träfe dies zu, wäre zwar den Erwägungen des Verwaltungsgerichts die Grundlage entzogen, weil dann die - ohnehin erst nach der Entscheidung des Bezirksamtes Mitte von Berlin für den gemeinsamen Einschulungsbereich im Ortsteil Moabit um die dahingehende Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 1 ergänzte (vgl. die Erste Verordnung zur Änderung der Grundschulverordnung vom 25. September 2006, GVBl. S. 997) - Grundschulverordnung für die Zulässigkeit eines Einschulungsbereiches für mehrere Grundschulen nicht die maßgebende Rechtsgrundlage wäre. Das diesbezügliche Beschwerdevorbringen des Antragsgegners greift indes nicht durch.

Das Verwaltungsgericht hat aus dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang von § 55 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2, Abs. 3 Satz 2 SchulG - in der nach Artikel IV Abs. 3 des Gesetzes vom 19. März 2008 (GVBl. S. 78) für die das Schuljahr 2008/2009 betreffenden Anmeldungen noch anzuwendenden bisherigen Fassung - sowie § 54 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 SchulG abgeleitet, dass nach den gesetzlichen Vorgaben pro Einschulungsbereich (nur) eine Schule (als zuständige Grundschule) vorgesehen sei (Beschlussabdruck S. 2/3). Hiermit setzt sich der Antragsgegner nicht in der nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO gebotenen Weise auseinander. Er bringt insoweit (S. 2 und 3 der Beschwerdeschrift) lediglich vor, aus dem Wortlaut des § 55 Abs. 1 SchulG folge nicht zwingend, dass es für jeden Wohnort nur eine einzige zuständige Grundschule geben und dass jeder Einschulungsbereich nur eine einzige Grundschule umfassen dürfe. Auf den systematischen Zusammenhang zu § 54 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 SchulG mit § 55 Abs. 1 SchulG, auf den das Verwaltungsgericht ebenfalls abgestellt hat, geht der Antragsgegner nicht ein.

Abgesehen davon hält auch der Senat die Festsetzung eines gemeinsamen, mehrere Grundschulen umfassenden Einschulungsbereiches nach derzeitiger Rechtslage nicht für zulässig. Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 SchulG werden schulpflichtige Kinder von ihren Erziehungsberechtigten nach öffentlicher Bekanntmachung in der Regel an der für sie zuständigen Grundschule angemeldet. Zuständige Grundschule ist diejenige Schule, in deren Einschulungsbereich die Schülerin oder der Schüler wohnt (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SchulG). Der Wortlaut dieser Regelungen legt bei unbefangener Betrachtungsweise unmittelbar den Eindruck nahe, jede Grundschule verfüge über einen eigenen, alleinigen Einschulungsbereich. Die Verknüpfung der Zuständigkeit (der Grundschule) mit der Lage des Wohnortes (des Schülers) im Einschulungsbereich dieser Schule schließt die Zusammenfassung mehrerer Grundschulen in einem einheitlichen Einschulungsbereich aus. Denn dann ist eine Mehrzahl von Grundschulen "zuständige Grundschule". Dies ist erkennbar im Wortlaut des § 55 Abs. 1 Satz 1 SchulG nicht vorgesehen. Auch die allgemeinen Vorschriften des § 54 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 SchulG, auf die im Falle von Kapazitätsüberschreitungen an der zuständigen Grundschule bei der Aufnahme schulpflichtiger Kinder zurückzugreifen ist, weil die spezielle Vorschrift des § 55 SchulG hierzu keine Regelungen trifft, sprechen gegen die Annahme, das Schulgesetz lasse die Einrichtung gemeinsamer Einschulungsbereiche für mehrere Grundschulen zu. Nach § 54 Abs. 2 Satz 1 SchulG kann die Aufnahme in eine Schule unter anderem dann abgelehnt werden, wenn ihre Aufnahmekapazität erschöpft ist. In einem solchen Fall kann die zuständige Schulbehörde das Kind nach Anhörung der Erziehungsberechtigten und unter Berücksichtigung altersangemessener Schulwege einer anderen Schule mit demselben Bildungsgang zuweisen. Diese Regelungen sind erkennbar auf eine konkrete Schule - im Zusammenhang mit der Einschulung: die zuständige Grundschule - zugeschnitten. Wie im Falle einheitlicher Einschulungsbereiche verfahren werden soll, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Offen ist dann bereits, wann von einer Kapazitätsüberschreitung auszugehen ist, nämlich ob es insoweit auf die Kapazität aller im Einschulungsbereich gelegener und daher "zuständiger" Grundschulen ankommt oder - wovon der Antragsgegner offenbar ausgeht - auf die Kapazität der einzelnen, von dem Erziehungsberechtigten bei der Anmeldung als Erstwunsch zu benennenden Grundschule.

b) Findet die Einrichtung gemeinsamer Einschulungsbereiche mithin im Schulgesetz keine Grundlage, so kann für die vom Bezirksamt Mitte von Berlin im Juni 2006 getroffene Festsetzung für den Ortsteil Moabit auch nicht § 4 Abs. 3 Satz 1 GsVO herangezogen werden. Zwar wird hierin den Bezirken bei der Festlegung der Einschulungsbereiche nach § 55 Abs. 1 SchulG ausdrücklich die Befugnis eingeräumt, für mehrere Grundschulen einen gemeinsamen Einschulungsbereich zu bestimmen, doch fehlte dem Verordnungsgeber die Kompetenz für den Erlass einer solchen Regelung. Nach Art. 64 Abs. 1 VvB kann der Senat oder eines seiner Mitglieder zum Erlass von Rechtsverordnungen (nur) durch Gesetz ermächtigt werden, das Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmt und in der auf dieser Grundlage erlassenen Rechtsverordnung anzugeben ist. An einer solchen Verordnungsermächtigung fehlt es hinsichtlich der Einrichtung gemeinsamer Einschulungsbereiche. Aus § 55 Abs. 2 Satz 3 SchulG lässt sie sich, wie das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat, nicht ableiten; diese Vorschrift beschränkt Inhalt und Ausmaß ihrer Verordnungsermächtigung auf "das Nähere über die Feststellung des Sprachstands und den vorschulischen Sprachförderkurs ..., insbesondere das Verfahren der Sprachstandsfeststellung". Auch wenn Art. 64 Abs. 1 VvB den Gesetzgeber nicht verpflichtet, Inhalt, Zweck und Ausmaß der Verordnungsermächtigung ausdrücklich im Gesetz zu bestimmen, sondern insoweit die allgemeinen Auslegungsregelungen gelten (VerfGH, Urteil vom 21. März 2003 - 175.01 -, juris, Rz. 17 m.w.N.), bezieht sich § 55 Abs. 2 Satz 3 SchulG erkennbar nicht auf Regelungen, die die Einrichtung eines gemeinsamen Einschulungsbereiches zum Gegenstand haben. Gleiches gilt für § 54 Abs. 5 SchulG, auf den sich die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport bei Erlass der Ersten Verordnung zur Änderung der Grundschulverordnung vom 25. September 2006 gestützt hat (vgl. Begründung zu Art. I Nr. 1 der Vorlage der Senatsverwaltung an das Abgeordnetenhaus von Berlin; im Internet unter: Abgeordnetenhaus Berlin - PARDOK -, Verordnung Nr. 15/379 vom 25. September 2006). Bei der Einrichtung gemeinsamer Einschulungsbereiche handelt es sich nicht um "das Nähere über die Aufnahme und die Zuweisung" in eine Schule, sondern um die diesen Entscheidungen vorgelagerte Bestimmung der zuständigen Grundschule.

Die in der Ersten Verordnung zur Änderung der Grundschulverordnung aufgeführten weiteren Grundlagen (§§ 20 Abs. 7, 14 Abs. 5, 15 Abs. 4 und 58 Abs. 8 SchulG) stellen ebenfalls im hier interessierenden Zusammenhang keine ausreichende Verordnungsermächtigung dar. Es obliegt folglich dem Gesetzgeber, zunächst eine Grundlage für die Einrichtung gemeinsamer Einschulungsbereiche zu schaffen.

c) Dass von der - vermeintlichen - Möglichkeit der Bildung eines gemeinsamen Einschulungsbereiches im vorliegenden Fall in rechtsfehlerfreier Weise Gebrauch gemacht worden ist, wie der Antragsgegner mit der Beschwerde geltend macht, ist, da nach Vorstehendem eine solche Möglichkeit nicht besteht, unerheblich.

d) Das Verwaltungsgericht hat dem Antragsteller einen Aufnahmeanspruch an der H.-Grundschule unter der Annahme zugebilligt, diese sei bei dem erforderlichen Neuzuschnitt der Einschulungsbereiche aller Voraussicht nach die für ihn zuständige Grundschule. Es hat insoweit ausgeführt, der Antragsteller habe selbst bei einer die Aufnahmekapazität der H.-Grundschule übersteigenden Zahl von Anmeldungen von Kindern aus dem (dann maßgebenden) Einschulungsbereich nach Maßgabe des § 54 Abs. 3 Satz 1 SchulG berücksichtigt werden müssen. Da der mit der Nichtanwendung von § 4 Abs. 3 GsVO einhergehende unsichere Rechtszustand über den Zuschnitt der Einschulungsbereiche nicht zu seinen Lasten gehen dürfe, sei es schon aus diesem Grunde gerechtfertigt, ihm vorläufig einen Platz in einer ersten Klasse der H.-Grundschule zuzuweisen (Beschlussabdruck S. 5/6). Gegen diese Erwägung der angefochtenen Entscheidung wendet sich die Beschwerde nicht, sodass ihr auch insoweit der Erfolg versagt bleibt.

Die weiteren Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu dem aus seiner Sicht fehlerhaften Auswahlverfahren auf der Grundlage von § 55 Abs. 3 SchulG geben dem Senat im Hinblick auf das hiergegen gerichtete Beschwerdevorbringen allerdings Anlass zu der Bemerkung, dass die angefochtene Entscheidung insoweit nicht bedenkenfrei ist. Die Annahme, derjenige Bewerber, der eines der in § 55 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 3 SchulG aufgeführten Kriterien erfülle, stehe demjenigen Bewerber gleich, der ein anderes Kriterium dieser Vorschrift erfülle, dürfte mit der Vorschrift nicht in Einklang stehen. Denn sie bestimmt in ihrem ersten Halbsatz, dass dem Antrag (auf Besuch einer anderen als der zuständigen Grundschule) im Rahmen der Aufnahmekapazität und nach Maßgabe freier Plätze nach den folgenden (im anschließenden Halbsatz unter Nr. 1 bis Nr. 3 genannten) Kriterien in abgestufter Rangfolge stattzugeben ist. Soweit das Verwaltungsgericht meint, hieraus ergebe sich nicht, dass diese Kriterien in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stünden, verkehrt es den eindeutigen Gesetzeswortlaut durch die Wahl einer anderen Formulierung in sein Gegenteil. Dass der Gesetzgeber, der Wendung " in abgestufter Rangfolge" entsprechend, durchaus von einem "hierarchischen" Verhältnis der in Nr. 1 bis 3 aufgezählten Kriterien ausgeht, zeigt sich darin, dass nach § 55 a SchulG in der Fassung des Gesetzes vom 19. März 2008 das bislang als Nr. 2 genannte Kriterium der gewachsenen Bindungen in leicht geänderter Gestalt nunmehr an Nr. 1 aufgeführt wird, während das bisherige Kriterium Nr. 1 (bestimmtes Schulprogramm) künftig lediglich den zweiten Rang einnimmt. Diese Änderungen wären sinnlos, wenn es nur darauf ankäme, dass ein Bewerber überhaupt eines der gesetzlich geregelten Kriterien erfüllt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den Wert des Beschwerdegegenstandes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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