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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 19.12.2008
Aktenzeichen: OVG 4 N 77.07
Rechtsgebiete: BGB, 2. BesÜV


Vorschriften:

BGB § 204 Abs. 1 Nr. 12 n.F.
BGB § 210 a.F.
2. BesÜV § 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

OVG 4 N 77.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Lehmkuhl, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Blumenberg und den Richter am Verwaltungsgericht Rüsch am 19. Dezember 2008 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 25. Juli 2007 wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 7.329,60 Euro festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Darlegungen des Beklagten, auf die sich die Prüfung des Oberverwaltungsgerichts beschränkt (vgl. § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO), rechtfertigen eine Zulassung der Berufung nicht.

Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten verpflichtet, der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 1996 bis zum 31. Dezember 1998 einen Zuschuss nach § 4 der 2. BesÜV nebst Zinsen zu zahlen. Es hat angenommen, der - im Übrigen zwischen den Beteiligten nicht streitige - Anspruch der Klägerin sei nicht verjährt. Die Verjährung sei durch den Widerspruch der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid der Oberfinanzdirektion Cottbus - Zentrale Bezügestelle des Landes Brandenburg - vom 26. Juni 2000 unterbrochen worden. Die Unterbrechung dauere als Hemmung der Verjährung an, da der Beklagte über diesen Widerspruch der Klägerin nicht entschieden habe. Das Schreiben der Oberfinanzdirektion Cottbus vom 3. Dezember 2003 sei kein Widerspruchsbescheid und habe den Widerspruch der Klägerin auch nicht auf andere Weise erledigt.

1. Aus den Darlegungen des Beklagten ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Gemessen an den geltend gemachten Aspekten hat das Verwaltungsgericht der Klage mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu Recht stattgegeben.

a. Der Beklagte macht - wenn auch unter dem Gesichtspunkt grundsätzlicher Bedeutung - sinngemäß geltend, bei dem Schreiben der Oberfinanzdirektion Cottbus vom 3. Dezember 2003 handele es sich um einen (bestandskräftig gewordenen) Widerspruchsbescheid. Dieser nicht näher begründete Einwand greift nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin dieses Schreiben nicht als Entscheidung über ihren Widerspruch, sondern nur als allgemeinen Hinweis auf die Rechtslage und die (vermeintliche) Aussichtslosigkeit der Weiterverfolgung von Besoldungsansprüchen verstehen konnte. Dafür spricht schon die äußere Form des Schreibens, das keinen Entscheidungstenor, keine Kostenentscheidung und keine Rechtsmittelbelehrung enthält. Es richtet sich zudem nicht an die Klägerin als Widerspruchsführerin, sondern erkennbar an alle Besoldungsempfänger des Landes, unabhängig davon, ob sie Widerspruch gegen die Kürzung ihrer Besoldung erhoben haben oder nicht (vgl. schon den "Betreff" des Schreibens: "Eventueller Widerspruch gegen die Ablehnung"). Die Oberfinanzdirektion Cottbus bittet schließlich ausdrücklich um Verständnis, dass sie "wegen der überaus großen Zahl von Widersprüchen von einem Widerspruchsbescheid in jedem Einzelfall wegen des großen Verwaltungsaufwandes absehen" müsse. Dies verdeutlicht, dass ein Widerspruchsbescheid nicht einmal aus Sicht der Behörde ergehen sollte.

b. Auch die Richtigkeit der Auffassung des Verwaltungsgerichts, das Schreiben der Oberfinanzdirektion Cottbus vom 3. Dezember 2003 habe die durch den Widerspruch der Klägerin eingetretene Unterbrechung (gemäß § 210 Satz 1 BGB a.F.) bzw. Hemmung (ab 1. Januar 2002: § 204 Abs. 1 Nr. 12 Halbs. 1 BGB i.V.m. Art. 229 § 6 Abs. 2 EGBGB) der Verjährung ihrer Besoldungsansprüche nicht beendet, unterliegt keinen ernsthaften Zweifeln.

Nach § 204 Abs. 1 Nr. 12 Halbs. 1 BGB wird die Verjährung gehemmt (zuvor gemäß § 210 Satz 1 BGB a.F. unterbrochen) durch die Einreichung des Antrags bei einer Behörde, wenn die Zulässigkeit der Klage von der Vorentscheidung dieser Behörde abhängt und innerhalb von drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs die Klage erhoben wird. Der Beklagte stellt den rechtlichen Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts, das Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO sei ein solches, die Verjährung unterbrechendes bzw. hemmendes behördliches Vorverfahren, nicht in Frage (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 1996 - 2 C 23.95 -, juris Rn. 27; Urteil vom 15. Juni 2006 - 2 C 17.05 -, juris Rn. 23).

Ohne Erfolg macht der Beklagte geltend, die Hemmung der Verjährung sei beendet, weil die Klägerin nach Erhalt seines Schreibens vom 3. Dezember 2003, welches eine "Erledigung des Gesuchs" im Sinne der genannten Vorschriften des BGB darstelle, nicht binnen drei Monaten Klage erhoben habe. Die "Erledigung" eines Widerspruchs kann nicht dadurch eintreten, dass die Widerspruchsbehörde dem Widerspruchsführer - wie hier - mitteilt, sie halte den Widerspruch für aussichtslos, werde aber wegen des großen Verwaltungsaufwandes hierüber keine Entscheidung treffen. Hält die Widerspruchsbehörde den Widerspruch für aussichtslos, so ist sie gehalten, das Widerspruchsverfahren durch Erlass eines Widerspruchsbescheides abzuschließen (vgl. § 73 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und dem Widerspruchsführer so die Möglichkeit der Klageerhebung zu eröffnen. Eine "faktische Erledigung" des Widerspruchs durch (ausdrückliche) Verweigerung einer Entscheidung sieht das Gesetz nicht vor. Dieses Verhalten ist deshalb auch nicht geeignet, verjährungsrechtliche Folgen zu Lasten des Widerspruchsführers auszulösen.

Schon der Wortlaut der Verjährungsvorschriften (§ 210 Satz 1 BGB a.F. bzw. § 204 Abs. 1 Nr. 12 BGB n.F.) spricht gegen die Auffassung des Beklagten, es reiche aus, das Widerspruchsverfahren in der genannten Weise ohne Widerspruchsbescheid "zu erledigen". Die im Gesetz vorgesehene Voraussetzung für die Hemmung der Verjährung (Klageerhebung innerhalb von drei Monaten "nach Erledigung des Gesuchs") bezieht sich offensichtlich auf die davor genannte (wenn die Zulässigkeit von der "Vorentscheidung" dieser Behörde abhängt); eine "Erledigung des Gesuchs" setzt demnach eine "Entscheidung" der angegangenen Behörde voraus.

Auch die Systematik des Gesetzes spricht dagegen, dass die Hemmung durch den (verlautbarten) Willen des Gläubigers zur Untätigkeit enden soll. Die Wirkung der Untätigkeit der Parteien ist im zivilrechtlichen Verjährungsrecht in § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB (früher: § 211 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F.) geregelt. Gerät das Verfahren dadurch in Stillstand, dass die Parteien es nicht betreiben, endet die Hemmung der Verjährung sechs Monate nach der letzten Verfahrenshandlung der Parteien, des Gerichts oder der sonst mit dem Verfahren befassten Stelle. Dies gilt indes nicht, wenn das Gericht - oder die sonst zur abschließenden Entscheidung berufene Stelle - von Amts wegen für den Fortgang des Verfahrens zu sorgen hat (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 1977 - 3 ZR 19.75 -, juris Rn. 17, 20; Grothe in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl., 2006, § 204 Rn. 105; Motive zu dem Entwurfe eine Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, 1888, Band 1, S. 332 f.). Das Widerspruchsverfahren ist ein solches von Amts wegen zu führendes Verfahren, so dass die Untätigkeit des Widerspruchsführers die Hemmung der Verjährung nicht beendet. Auch wenn sich - wie der Beklagte mit dem Zulassungsantrag mit Recht geltend macht - der dem zitierten Urteil des Bundesgerichtshofs zugrunde liegende Sachverhalt von dem vorliegenden unterscheidet, lassen sich die allgemeinen Erwägungen der Entscheidung übertragen. Die Tatsache, dass die Behörde in jenem Fall ihren Willen zur Untätigkeit - anders als hier - offenbar nicht verlautbart hatte, ändert nichts an der rechtlichen Beurteilung. Es gibt auch in diesem Fall keinen Grund zu der Annahme, es solle der Disposition des Widerspruchsgegners überlassen werden, das Widerspruchsverfahren ohne Sachentscheidung zu beenden und den Widerspruchsführer durch eigene Untätigkeit zur Klageerhebung zu zwingen.

Sinn und Zweck der zitierten Vorschriften über die Hemmung der Verjährung ist es, den Gläubiger - hier die Klägerin - davor zu schützen, dass sein Anspruch verjährt, nachdem er angemessene und unmissverständliche Schritte zu dessen Durchsetzung ergriffen hat (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 111 f.). Die Einlegung eines Widerspruchs stellt das Gesetz insoweit der Klageerhebung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) gleich. Bezweckt ist hingegen nicht, den Schuldner - hier den Beklagten - dadurch zu schützen, dass er von der Verjährung profitiert, wenn er gegenüber dem Widerspruchsführer deutlich macht, das Widerspruchsverfahren nicht weiter betreiben zu wollen. Für die Auffassung des Beklagten, der mit der Einlegung des Widerspruchs dokumentierte ernstliche Wille zur Durchsetzung des geltend gemachten Anspruchs entfalle schon dann, wenn der Widerspruchsführer danach untätig bleibe, spricht vor diesem Hintergrund nichts.

Im Übrigen ist die Klägerin - worauf schon das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen hat - nach Erhalt des Schreibens vom 3. Dezember 2003 nicht untätig geblieben. Vielmehr hat sie mit Schreiben vom 18. Dezember 2003 (erneut) Widerspruch gegen die Festsetzung ihrer Dienstbezüge eingelegt. Dieser Widerspruch war (ebenso wie der vorangegangene vom 26. Juli 2000) im Ergebnis auf die Gewährung ungekürzter (West-)Bezüge gerichtet. Im Hinblick auf die Hemmung der Verjährung ist es unerheblich, dass die Klägerin ihren Anspruch ursprünglich auf die Verfassungswidrigkeit der Absenkung der Bezüge gestützt hatte und später mit dem Begehren auf Gewährung eines Zuschusses nach § 4 der 2. BesÜV weiter verfolgt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juni 2006 - 2 C 17.05 -, juris Rn. 24). Ob die Beteiligten des vorliegenden Verfahrens oder andere Gerichte zu dieser Frage eine abweichende Ansicht vertreten haben, bevor die zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ergangen war, ist entgegen der Auffassung des Beklagten ohne Belang.

Mit der weiteren Bedingung in § 204 Abs. 1 Nr. 12 BGB, dass der Gläubiger innerhalb von drei Monaten nach "Erledigung des Gesuchs" Klage erheben muss, um die Hemmung der Verjährung zu erhalten, soll verhindert werden, dass es zu einer "heimlichen" Hemmung der Verjährung kommt; diese wäre beispielsweise zu besorgen, wenn der Gläubiger einen Antrag, der Zulässigkeitsvoraussetzung für die Klage ist, bei einer Behörde stellt und der Schuldner hiervon keine Kenntnis erlangt (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 115 f.). Diese Regelung ist ersichtlich zugeschnitten auf die weiteren, von § 204 BGB erfassten Fälle (vgl. die Beispiele bei Heinrichs in: Palandt, BGB, 68. Aufl., 2009, § 204 Rn. 27), hat aber keine eigenständige Bedeutung für das Vorverfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung, bei dem es nicht zu einer "heimlichen" Hemmung kommen kann, weil in diesen Fällen der Widerspruchsgegner als "Schuldner" des geltend gemachten Anspruchs stets Kenntnis vom Widerspruch erlangt. Der weitere Zweck dieser Regelung, die Hemmung der Verjährung nur dann vorzusehen, wenn der Gläubiger die Angelegenheit anschließend (nach Erledigung des Gesuchs) weiter betreibt (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 116), läuft im vorliegenden Zusammenhang ebenfalls leer, weil der Widerspruchsführer nach einer ablehnenden Entscheidung über seinen Widerspruch ohnehin binnen eines Monats Klage erheben muss (§ 74 VwGO), um die Bestandskraft zu verhindern (vgl. Grothe, a.a.O., Rn. 57).

Schließlich spricht auch die gesetzliche Regelung über die Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) gegen die Rechtsansicht des Beklagten. Denn auch bei dieser Norm handelt es sich um eine Schutzvorschrift zugunsten des Antragstellers bzw. Widerspruchsführers, der die Möglichkeit erhält, trotz Untätigkeit der Behörde eine (zulässige) Klage zu erheben. Er ist jedoch prozessual zur Erhebung einer solchen Klage nicht verpflichtet. In der Konsequenz der Rechtsauffassung des Beklagten würde den Widerspruchsführer jedoch gerade eine solche dem System der Verwaltungsgerichtsordnung fremde Verpflichtung zur Klageerhebung treffen, um den Eintritt der Verjährung zu verhindern.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die vom Beklagten als grundsätzlich bezeichneten Fragen, "ob es sich bei dem Schreiben der Zentralen Bezügestelle vom 3. Dezember 2003 um einen Widerspruchsbescheid handelt", oder ob dieses Schreiben "jedenfalls geeignet war, das Widerspruchsverfahren anderweitig im Sinne des § 210 BGB a.F. zu erledigen mit der Folge, dass die Betroffenen gehalten waren, ihren Anspruch innerhalb der in der Vorschrift genannten Frist von drei Monaten klageweise geltend zu machen", bedürfen keiner Klärung in einem Berufungsverfahren. Sie lassen sich vielmehr auch angesichts der großen Zahl paralleler Fälle ohne weiteres im Zulassungsverfahren (negativ) beantworten (vgl. die Ausführungen unter 1.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG. Für die zweite Rechtsstufe war der Zweijahresbetrag der Differenz zwischen gekürzten und ungekürzten Bezügen am Ende des beim Oberverwaltungsgericht allein noch streitigen Zeitraums (1998) anzusetzen. Die Differenz betrug damals monatlich 597,31 DM (305,40 Euro) und setzt sich zusammen aus der Kürzung des Grundgehalts um 580,50 DM (A 10 West, Stufe 6: 4.299,99 DM x damalige Kürzung Ost: 86,5 %) und der Kürzung der allgemeinen Stellenzulage um 16,81 DM (124,54 DM x 86,5 %). Der Zweijahresbetrag der Differenz beträgt mithin (305,40 Euro x 24 Monate) 7.329,60 Euro.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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