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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 04.09.2009
Aktenzeichen: OVG 4 S 29.09
Rechtsgebiete: VGG


Vorschriften:

VGG § 6 Abs. 4 Satz 1
VGG § 6 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

OVG 4 S 29.09

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Lehmkuhl, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Oerke und den Richter am Verwaltungsgericht Dicke am 4. September 2009 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. März 2009 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, die durch den Auswahlvermerk vom 15. September 2008 erfassten 107 Stellen eines Oberbrandmeisters mit einem der Beigeladenen zu besetzen, bevor über die Bewerbung des Antragstellers erneut entschieden wurde.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat auf der für den Senat maßgeblichen Grundlage der Beschwerdebegründung (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) dem Antragsteller zu Unrecht einstweiligen Rechtsschutz verweigert.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Das bisherige Auswahlverfahren zur Besetzung der insgesamt 107 streitgegenständlichen Stellen verletzt ihn in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG. Nach dieser Vorschrift hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Ein Beförderungsbewerber kann dementsprechend beanspruchen, dass der Dienstherr über seine Bewerbung ermessens- und beurteilungsfehlerfrei entscheidet. Die Entscheidung des Dienstherrn darüber, welcher Beamte der Bestgeeignete für einen Beförderungsdienstposten ist, kann als Akt wertender Erkenntnis des für die Beurteilung zuständigen Organs gerichtlich nur eingeschränkt überprüft werden. Die Auswahl beruht auf der Bewertung der durch Art. 33 Abs. 2 GG vorgegebenen persönlichen Merkmale, die in Bezug zu dem Anforderungsprofil des jeweiligen Dienstpostens gesetzt werden. Erst dieser Vergleich ermöglicht die Prognose, dass der in Betracht kommende Beamte den nach der Dienstpostenbeschreibung anfallenden Aufgaben besser als andere Interessenten gerecht werden und damit auch für ein höherwertiges Statusamt geeignet sein wird. Durch die Bestimmung des Anforderungsprofils eines Dienstpostens legt der Dienstherr die Kriterien für die Auswahl der Bewerber fest. An ihnen werden die Eigenschaften und Fähigkeiten der Bewerber um den Dienstposten bemessen, um eine optimale Besetzung zu gewährleisten (vgl. auch § 6 Abs. 3 VGG). Erst wenn mehrere Bewerber allen Anforderungskriterien gerecht werden, haben - in der Regel durch dienstliche Beurteilungen ausgewiesene - Abstufungen der Qualifikation Bedeutung. Unter dieser Voraussetzung bleibt es der Entscheidung des Dienstherrn überlassen, welchen der zur Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung zu rechnenden Umständen er das größere Gewicht beimisst (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. August 2001 - 2 A 3.00 -, juris Rn. 31 f.).

Mit der Auswahlentscheidung zugunsten der Beigeladenen hat sich der Antragsgegner von den Anforderungen gelöst, die er selbst für die Besetzung der streitgegenständlichen Stellen aufgestellt hat. Nach dem Anforderungsprofil obliegen dem Oberbrandmeister in einer Feuerwache unter anderem die Vertretung des Truppführers und die Funktion eines Wachhabenden im Brandsicherheitswachdienst. Dementsprechend wird das Merkmal "Führungsfähigkeit" in der Liste der erforderlichen Kompetenzen als "wichtig" bewertet. Da bei der Stellenbesetzung nur ein Bewerber zum Zuge kommen darf, der alle Kriterien des Anforderungsprofils erfüllt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. August 2005 - 2 B 6.05 -, juris Rn. 7), hätte sich die Eignungsbeurteilung auch auf die Führungsfähigkeit erstrecken müssen. Dies ist jedoch nicht geschehen.

Der Antragsgegner hat auf der Grundlage der Geschäftsanweisung 06/2006 diejenigen Brandmeister in das Auswahlverfahren einbezogen, die nach Beendigung ihrer Probezeit eine Dienstzeit von mindestens fünf Jahre absolviert haben. Für den Leistungsvergleich wurden die in den aktuellen dienstlichen Beurteilungen enthaltenen Einzelnoten unter Berücksichtigung des Gewichts des Leistungsmerkmals in Punktwerte umgerechnet. Die Auswahl der Bewerber erfolgte in der Rangfolge der sich durch Addition ergebenden Gesamtpunktzahl. In diesem Punktsystem konnte das Merkmal "Führungsfähigkeit" nicht berücksichtigt werden. Es gehört nicht zum Anforderungsprofil des Brandmeisters in einer Feuerwache und wurde dementsprechend in den dienstlichen Beurteilungen nicht bewertet. Eine prognostische Einschätzung der Führungsfähigkeit ist damit indessen nicht entbehrlich geworden. Es handelt sich um das einzige Merkmal, durch das sich die Anforderungsprofile der von den Bewerbern zurzeit ausgeübten und der angestrebten Funktion unterscheiden. Gerade weil der Oberbrandmeister in einer Feuerwache zusätzlich Führungsaufgaben übernimmt, ist seine Stelle mit der Zuordnung zur Besoldungsgruppe A 8 höher bewertet als die eines Brandmeisters.

Soweit der Brandmeister lediglich als Truppmann agiert, ohne im Bedarfsfall den Truppführer zu vertreten, kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch aus dem in einer fünfjährigen Routine gewonnenen Leistungsbild nicht ohne weiteres auf die Kompetenz geschlossen werden, eine Vorbildfunktion auszuüben und sich selbst und andere zu motivieren. Erforderlich ist daher eine ergänzende Einschätzung zur Führungsfähigkeit, wenn die dienstliche Beurteilung eine solche nicht ausnahmsweise - über das Anforderungsprofil des innegehabten Amtes hinausgehend - enthält, und eine Berücksichtigung dieser Einschätzung im Rahmen der Auswahlentscheidung.

Ohne Erfolg beruft sich der Antragsgegner darauf, die unzureichende Berücksichtigung dieses Eignungsmerkmals sei nicht relevant. Wird das Recht auf fehlerfreie Entscheidung über die Bewerbung verletzt, folgt daraus, dass der unterlegene Beamte eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung zumindest dann beanspruchen kann, wenn seine Aussichten, beim zweiten Mal ausgewählt zu werden, offen sind, d.h. wenn seine Auswahl möglich erscheint (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. September 2002 - 2 BvR 857/02 -, juris Rn. 13). Das ist hier der Fall. Mit seinem Einwand, der Antragsteller habe ohnehin nicht ausgewählt werden können, weil der Abstand von 50 Punkten zu dem Bewerber auf Rangplatz 107 unüberwindbar sei, verkennt der Antragsgegner, dass es dem Gericht wegen des dem Dienstherrn zustehenden Beurteilungs- und Ermessensspielraums verwehrt ist, eine eigene Prognose der Erfolgsaussichten der Bewerbung vorzunehmen. Der Antragsgegner unterstellt, dass das in der Geschäftsanweisung 06/2006 vorgesehene Punktsystem auch auf das Merkmal "Führungsfähigkeit" angewandt wird und damit einen Gewinn von maximal 20 Punkten ermöglicht (Differenz zwischen den Noten "A" und "E"). Die Anwendung dieses Systems ist jedoch keineswegs zwingend. Die Bewertung nach der für die dienstliche Beurteilung üblichen Notenskala liegt schon deshalb nicht nahe, weil sich diese auf bereits erbrachte Leistungen und nicht auf Leistungsprognosen bezieht. Bei einer analogen Anwendung der Notenstufen bestünden zudem erhebliche Bedenken, diejenigen Beigeladenen in das weitere Auswahlverfahren einzubeziehen, die im Punkt "Führungsfähigkeit" beispielsweise entsprechend der Note "E" (Der Beamte/die Beamtin wird voraussichtlich Leistungen zeigen, die den Anforderungen nicht entsprechen) zu beurteilen wären.

Zu den weiteren Rügen der Beschwerde merkt der Senat an:

Entgegen der Auffassung des Antragstellers steht die Vorgehensweise des Antragsgegners in Einklang mit den Vorgaben des Verwaltungsreform-Grundsätze-Gesetzes (VGG). Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 VGG ist die Auswahl bei Personalentscheidungen unter Zugrundelegung des beruflichen Werdegangs in geeigneten Auswahlverfahren zu treffen und schlüssig und nachvollziehbar zu dokumentieren. Die Norm verlangt nicht, dass eines der dort im Einzelnen genannten Auswahlverfahren (Auswahlinterviews, strukturierte Auswahlgespräche oder gruppenbezogene Auswahlverfahren) angewandt wird. Zwar könnte diese Aufzählung dem Wortlaut nach als abschließend verstanden werden, weil der in § 6 Abs. 5 VGG in der Ursprungsfassung vom 17. Mai 1999 (GVBl. S. 171) enthaltene einschränkende, eine bloße Exemplifizierung andeutende Zusatz ("wie") mit der Änderung durch das 4. Verwaltungsreformgesetz vom 3. November 2005 (GVBl. S. 686) entfallen ist. Dies wäre jedoch ein Missverständnis, wie die Entstehungsgeschichte der Neufassung belegt. Nach der Begründung zu der Gesetzesänderung sollten in der Vorschrift zur Personalauswahl formale Vorgaben reduziert werden, um eine praxisgerechtere Anwendung zu ermöglichen. Dies erfolge vor dem Hintergrund der Spruchpraxis der Gerichte des Landes Berlin (Abg.-Drs. 15/3888, S. 9). Weder der Spruchpraxis der Verwaltungsgerichte Berlins noch der Verwaltungspraxis zu § 6 Abs. 5 VVG in der bis zum 15. November 2005 geltenden Fassung ließ sich entnehmen, dass statt der dienstlichen Beurteilungen das Auswahlverfahren für die Auswahlentscheidung ausschlaggebend sein sollte (vgl. Senatsbeschluss vom 30. Mai 2007 - 4 S 13.07 -, juris Rn. 8). Das Oberverwaltungsgericht Berlin hat im Beschluss vom 8. Dezember 2000 - 4 SN 60.00 - (NVwZ-RR 2001, 395, 396) im Gegenteil die Auffassung vertreten, gemessen an dem hohen Stellenwert einer dienstlichen Beurteilung könne ergänzenden Eignungsfeststellungen (gemeint waren schriftliche Tests und Auswahlverfahren mit Assessment-Center-Elementen) allenfalls die Bedeutung eines Auswahlkriteriums neben anderen zukommen. Die Forderung nach einem "geeigneten Auswahlverfahren" in § 6 Abs. 4 Satz 1 VGG zielt daher nicht auf die äußere Form; vielmehr ist dem Gesetzgeber an der Anwendung leistungsorientierter Auswahlverfahren gelegen (vgl. Abg.-Drs. 13/3415, S. 8). Die daraus abzuleitenden Anforderungen dürfen bei Massenbeförderungen nicht überspannt werden, insbesondere wenn - wie hier - sich das derzeitige Amt der Bewerber und das Beförderungsamt nur punktuell unterscheiden.

Daran gemessen ist das vom Antragsgegner konkret praktizierte Auswahlverfahren nicht zu beanstanden. Dieses Verfahren lief mehrstufig ab. Zunächst wurden solche Bewerber ausgeschieden, die bestimmte Mindestanforderungen (hinsichtlich der laufbahnrechtlichen Voraussetzungen, der Dienstdauer und der gesundheitlichen Eignung) nicht erfüllten. Sodann wurden die aktuellen dienstlichen Beurteilungen im Wege des dargestellten Punktsystems verglichen. Schließlich erfolgte eine weitere Auswertung der Personalakten unter Berücksichtigung älterer dienstlicher Beurteilungen. Dabei nahm der Antragsgegner die Leistungsentwicklung, die Gesamtleistung und die Leistung in den geforderten wesentlichen Kompetenzen in den Blick. Diese Verfahrensschritte genügen im gegebenen Fall den Anforderungen an ein leistungsgerechtes Auswahlverfahren im Sinne des § 6 Abs. 4 Satz 1 VGG.

Die Frage, ob die für die Auswahlentscheidung herangezogene dienstliche Beurteilung des Antragstellers für den Beurteilungszeitraum 1. Juni 2005 bis 31. Oktober 2007 mängelbehaftet ist, ist im Hinblick auf den bereits festgestellten Auswahlfehler im Punkt "Führungsfähigkeit" im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich und kann daher offen bleiben.

Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Der Antragsteller ist auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes angewiesen, um die Besetzung der streitbefangenen Stellen und damit einen endgültigen Rechtsverlust zu verhindern.

Der Antragsgegner darf diese 107 Stellen vorläufig nicht besetzen, bis er über die Bewerbung des Antragstellers auf der Grundlage einer (ordnungsgemäßen) dienstlichen Beurteilung erneut entschieden hat. An den von der Entscheidungsformel abweichenden Antrag des Antragstellers, dem Antragsgegner aufzugeben, lediglich (mindestens) eine Planstelle freizuhalten, ist der Senat nicht gebunden (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 938 Abs. 1 ZPO). Im Hinblick auf die Ungewissheit, welchem der Beigeladenen der Antragsteller bei einer erneuten Durchführung des Auswahlverfahrens möglicherweise vorzuziehen wäre, ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes die vorläufige Freihaltung sämtlicher vom Beförderungsverfahren erfassten Stellen erforderlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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