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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 15.02.2008
Aktenzeichen: OVG 5 NC 89.07
Rechtsgebiete: VwGO, KapVO


Vorschriften:

VwGO § 146 Abs. 4 Satz 3
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
KapVO § 7 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 5 NC 89.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Wolnicki, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Ehricke und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Raabe am 15. Februar 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 10. Juli 2007 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

In dem angefochtenen Beschluss ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass über die für das Vergabesemester festgesetzte Zulassungshöchstzahl von 45 Studienplätzen hinaus weitere 15 Studienplätze vorhanden seien, von denen 3 bereits im Wege der Überbuchung kapazitätsrechtlich wirksam vergeben seien. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kapazitätsberechnung der Antragsgegnerin einer rechtlichen Überprüfung nicht in allen Teilen standhalte. Es sei allerdings entgegen deren Berechnung eine Schwundquote nicht anzusetzen, da es an den dafür erforderlichen Voraussetzungen fehle. Es gebe nur noch ein Lehrangebot, das hinter dem, das in der Vergangenheit mit der Folge hoher Zulassungszahlen zur Verfügung gestanden habe, ganz erheblich zurückbleibe, und es sei damit zu rechnen, dass die auch in höheren Semestern niedrige Kapazität nicht ungenutzt bleibe. Es gebe insofern kein ungenutztes Lehrangebot, dessen "Aktivierung" das Kapazitätserschöpfungsgebot verlangen würde. Der Bestand von 612 nicht beurlaubten Studierenden übersteige die für die Regelstudienzeit von 10 Semestern bestehende Kapazität für 593,45 Studierende.

Die Antragstellerin, die im Losverfahren nicht zum Zug gekommen ist, wendet sich mit der Beschwerde gegen den unterbliebenen Ansatz einer Schwundquote.

Sie zweifelt zunächst die sich nach der von der Antragsgegnerin vorgelegten Studienverlaufsstatistik ergebende Belegung des 7. und 8. Fachsemesters an, da beim Übergang vom 7. zum 8. FS eine Zunahme von 52 auf 57 Studienplätze zu verzeichnen sei. Durch das Studierverhalten in den höheren Semestern könne sich dort die Zahl der Studierenden lediglich verringern. Ferner meint sie, dass auch unabhängig davon aus Rechtsgründen eine Schwundquote anzusetzen sei. Insofern stelle sich die Problematik, "wie viele Studierende bei der Schwundberechnung für das 6. bis 10. Fachsemester ... eingerechnet und angesetzt werden können". Problematisch sei, die Studierenden zu berücksichtigen, "die zu keinem Zeitpunkt die vorklinische Prüfung erfolgreich abschließen und zu einem späteren Zeitpunkt, also nach dem 6. Fachsemester, das Studium abbrechen bzw. durch endgültiges Nichtbestehen der vorklinischen Prüfung abbrechen müssen". Diese Studierenden würden im klinischen Ausbildungsteil keine Lehre nachfragen können. Entsprechende Überlegungen würden in der Humanmedizin mit der Folge berücksichtigt, dass dort eine Schwundquote für die Vorklinik und eine für die Klinik berechnet werde. Die oben genannten Studierenden dürften "bei der Belegung der Kapazitätsauslastung für das 6. bis 10. Fachsemester keine Berücksichtigung finden". Es müsse daher die Zahl der Studierenden ermittelt werden, die in den einzelnen Studienjahren (beginnend 2001/2002) die vorklinische Prüfung erfolgreich abgeschlossen hätten. Aus der Differenz zu den Belegungszahlen für die höheren Fachsemester der Antragsgegnerin lasse sich dann prognostizieren, wie viele Studierende tatsächlich die vorklinische Prüfung bestünden. Dieser Wert sei in Relation zu den Belegungszahlen zu setzen. Zu berücksichtigen sei ferner, dass es Studierende gebe, die den klinischen Ausbildungsabschnitt erst nach dem 6. FS erreichten. Im Ergebnis müssten für das erste klinische Semester nur die Studierenden eingerechnet werden, "die im konkreten Semester die ärztliche Vorprüfung bestanden haben". Ein Vergleich der Zahl der Studierenden (Belegungszahlen von 1996/1997 bis 1998/1999) mit der Zahl der Studierenden, die die zahnärztliche Vorprüfung bestanden hätten (Zahlen von 2002 bis 2005), mache den Unterschied zwischen der Ausbildungswirklichkeit und den Belegungszahlen der klinischen Semester deutlich.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Prüfung des Senats beschränkt sich gem. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe. Gem. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerde die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen.

Auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens ist es nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht keine Schwundquote angesetzt hat.

Für eine entsprechende Korrektur der angefochtenen Entscheidung geben die vom Verwaltungsgericht entsprechend der von der Antragsgegnerin vorgelegten Studienverlaufsstatistik berücksichtigten Belegungszahlen für das 7. und 8. Semester keinen Anlass. Soweit die Antragstellerin die dort verzeichnete Zunahme von 52 auf 57 Studierenden mit dem Hinweis anzweifelt, in höheren Fachsemestern könne sich die Zahl der Studierenden nur verringern, verkennt sie bereits, dass es etwa durch die Aufnahme von Studierenden, die in höheren Fachsemestern den Studienort wechseln, zu einem entsprechenden Anstieg der Zahl der Studierenden kommen kann (vgl. entsprechend OVG Saarlouis, Beschluss vom 13. Juni 2006 - 3 B 194.07.NC - u. a., Juris Rn. 26) . Im Übrigen kann auf der Grundlage der den Ansatz einer Schwundquote ausschließenden Berechnung des Verwaltungsgerichts sogar unterstellt werden, dass es beim Übergang vom 7. zum 8. Fachsemester nicht zu einer Zunahme, sondern zu einer deutlichen Abnahme der Studierenden gekommen ist. Das Verwaltungsgericht ist bei einem Bestand von 612 Studierenden von einer errechneten Kapazität für 593,45 Studierende ausgegangen, so dass selbst bei einer Abnahme im Bestand von bis zu 18 Studierenden die für die Regelstudienzeit von 10 Semestern errechnete Kapazität noch immer unterhalb des Bestandes läge.

Soweit die Beschwerde thematisiert, dass in den Beständen der klinischen Semester nicht nur die Studierenden geführt würden, die die zahnärztliche Vorprüfung bestanden hätten und Lehre in den klinischen Semestern nachfragen könnten, gibt dies ebenfalls keine Veranlassung, entgegen der angefochtenen Entscheidung eine Schwundquote anzusetzen. Das Verwaltungsgericht hat vom Ansatz einer Schwundquote abgesehen, weil mit Blick auf den Bestand von 612 nicht beurlaubten Studierenden und eine für die Regelstudienzeit von 10 Semestern bestehende Kapazität für 593,45 Studierende kein ungenutztes Lehrangebot, dessen "Aktivierung" das Kapazitätserschöpfungsgebot verlangen würde, bestehe. Für den vom Verwaltungsgericht gezogenen Vergleich zwischen der für 10 Semester errechneten Kapazität und dem Bestand von Studierenden im 1. bis 10. Fachsemester erscheint es jedoch schon aus tatsächlichen Gründen unerheblich, ob Studierende, die im 6. bis 10. Fachsemester geführt werden, Lehrleistungen des 6. bis 10. Fachsemesters nachfragen oder nachfragen dürfen, solange nicht auszuschließen ist, dass diese Studierenden überhaupt Lehre nachfragen.

Der Umstand, dass nicht alle Studierenden, die im Bestand der klinischen Semester geführt werden, Lehre in der Klinik nachfragen dürfen, rechtfertigt auch im Übrigen den Ansatz einer Schwundquote nicht. Auf der Grundlage der Berechnung des Verwaltungsgerichts könnte er allenfalls erheblich sein, wenn die Studierenden, die den Nachweis der bestandenen zahnärztlichen Vorprüfung nicht führen können, vollständig aus dem Bestand auszuklammern wären und dies dazu führen würde, dass die für 10 Semester errechnete Kapazität über dem Bestand von Studierenden im 1. bis 10. Fachsemester liegen würde. Gegen die erstgenannte Voraussetzung spricht bereits, dass eine entsprechende Ausblendung eingeschriebener, nicht beurlaubter Studierender aus dem Bestand im Kapazitätsrecht keine Grundlage findet. Einer solchen Rechtsauffassung vermag der Senat auch nach erneuter Prüfung nicht zu folgen (vgl. hierzu schon den Beschluss vom 29. Januar 2007 - OVG 5 NC 128.06 - [Zahnmedizin, SS 2006], BA S. 3 f. m. w. Nachw.). Das geltende Recht der Hochschulzulassung wird vom Grundsatz pauschalierender und abstrahierender Ermittlung der Ausbildungskapazitäten beherrscht (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Dezember 1982 - BVerwG 7 C 99.81 u. a., Juris Rn. 14). Die KapVO berechnet die Zulassungszahlen nach der personellen Ausbildungskapazität (vgl. § 1 KapVO) und den sich daraus ergebenden Studienplätzen insbesondere unabhängig von der wahrscheinlichen tatsächlichen Lehrnachfrage einzelner Studierender. Es wird vielmehr zu Berechnungszwecken - kapazitätsfreundlich - unterstellt, der Student verhalte sich so, wie es Studienplan und Ausbildungsordnung vorsehen, um zu erreichen, dass abweichende und ohne unverhältnismäßigen Aufwand allenfalls statistisch erfassbare tatsächliche Verhaltensweisen, wie die Wiederholung von Kursen oder der Nichtbesuch lehrplanmäßig vorgesehener Veranstaltungen, vernachlässigt werden können (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Dezember 1982 - BVerwG 7 C 99.81 u. a., Juris Rn. 14). Eine Prognose über die Lehrnachfrage findet erst im Rahmen der Schwundberechnung statt. Geschäftsgrundlage dafür ist jedoch auch insoweit die Entwicklung des Studentenbestandes in einem bestimmten Beobachtungszeitraum (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20. November 1987 - BVerwG 7 C 103.86 u. a. -, Juris Rn. 11).

Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar für Doppelstudenten (Zahnmedizin/Humanmedizin) entschieden, dass ihr geringerer Ausbildungsaufwand bei der Kapazitätsberechnung mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG zu berücksichtigen sei (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Dezember 1982 - BVerwG 7 C 99.81 u. a., Juris Rn. 12 ff.). Maßgebend war dafür jedoch, dass es insoweit schon im Ansatz am Bedürfnis nach abstrahierender/pauschalierender Betrachtung fehlt, da die Nachfrageentlastung durch Doppelstudenten ohne Anschauung der konkreten Studienwirklichkeit stets und ohne weiteres zu beantworten ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht, a. a. O. Rn. 14; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20. November 1987 - 7 C 103.86 u. a. -, Juris Rn. 14). Eine vergleichbare Situation besteht vorliegend nicht. Es ließe sich die mit der Beschwerde geltend gemachte Nachfrageentlastung nicht ohne Anschauung der konkreten Studienwirklichkeit berücksichtigen. Diese müsste zudem auf der Grundlage einer Prognose einfließen. Es gibt jedoch schon keine tragfähigen Anhaltspunkte für die Einschätzung des Studierverhaltens Studierender im 6. oder höheren Fachsemester, die die zahnärztliche Vorprüfung nicht bestanden oder sich ihr nicht gestellt haben und später ihr Studium abbrechen. Die vorliegend zumindest erforderliche Annahme, diese Studierenden fragten insgesamt überhaupt keine Lehre mehr nach (s. o.), erscheint nicht gerechtfertigt. Insbesondere dürften darunter auch Studierende sein, die sich der zahnärztlichen Vorprüfung erst nach dem 6. Semester stellen werden oder dies zumindest beabsichtigen, so dass sie bis dahin noch Lehre aus dem vorklinischen Ausbildungsabschnitt nachfragen und es daher auch aus tatsächlichen Gründen nicht gerechtfertigt wäre, sie in der vom Verwaltungsgericht angestellten Vergleichsberechnung nicht zu berücksichtigen. Dies dürfte auch für Studierende gelten, die die zahnärztliche Vorprüfung einmal nicht bestanden haben, aber noch Lehre aus dem vorklinischen Ausbildungsabschnitt nachfragen, weil sie die Prüfung wiederholen wollen (vgl. § 29 der Approbationsordnung für Zahnärzte; dazu auch VGH München, Beschluss vom 15. Juni 2007 - 7 CE 07.10098 -, Juris Rn. 7). So genannte "Karteileichen", die die zahnärztliche Vorprüfung ein zweites und damit letztes Mal (vgl. § 30 Abs. 2 der Approbationsordnung für Zahnärzte) nicht bestanden haben, dürfte es zudem nur für kurze Zeit geben, da sie ohne Antrag innerhalb von 2 Monaten nach Abschluss der Prüfung exmatrikuliert werden müssen (vgl. § 12 Abs. 2 Ziff. 4 der Satzung für Studienangelegenheiten der Charité-Universitätsmedizin Berlin, Amtl. Mitteilungsblatt der HU Nr. 27/2004 sowie FU-Mitteilungen 25/2004 vom 30. 07.2004). Entsprechendes dürfte auch für die Studierenden gelten, die das Studium faktisch aufgeben, nachdem sie die Vorprüfung einmal nicht bestanden haben (§§ 22 Abs. 3, 29 Abs. 3 der Approbationsordnung für Zahnärzte i. V. m. § 12 Abs. 2 Ziff. 4 der Satzung für Studienangelegenheiten der Charité-Universitätsmedizin Berlin).

Schließlich vermag auch der Hinweis auf Parallelen zum Studiengang Humanmedizin der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Wie sie selbst zutreffend darlegt, trifft die Kapazitätsverordnung selbst zwischen den Studiengängen Medizin und Zahnmedizin eine Unterscheidung, indem sie - entsprechend der Gliederung des Studiums in einen vorklinischen und einen klinischen Ausbildungsabschnitt - für den Studiengang Humanmedizin mehrere Lehreinheiten vorsieht, während sie für den ebenfalls in Vorklinik und Klinik zerfallenden Studiengang Zahnmedizin nur eine Lehreinheit bereit stellt. Die Untergliederung der medizinischen Lehreinheiten nach § 7 Abs. 3 KapVO ist indessen nicht Konsequenz der "prüfungsrechtlichen Hürde" des Physikums, wie die Beschwerde offenbar meint. Sie ist vielmehr vorrangig der Gliederung der ärztlichen Ausbildung nach § 1 der Ärztlichen Approbationsordnung geschuldet, die, wie sich übrigens auch an der grundsätzlich obligatorischen Zuordnung von Fächern zu den medizinischen Lehreinheiten entsprechend der Anlage 3 absehen lässt, gegenüber anderen Ausbildungsordnungen wesentlich einschneidender ist. Indem sie dem durch Aufteilung des Studiengangs auf mehrere Lehreinheiten Rechnung trägt, durchbricht die Kapazitätsordnung ihr - übrigens nicht nur im Verhältnis zur Zahnmedizin, sondern auch zu allen anderen, etwa in Grund- und Hauptstudium gegliederten Studiengängen - sonstiges System. Von daher verbietet sich die von der Beschwerde gezogene Parallele.

Für die nach der angefochtenen Entscheidung maßgebliche Frage, ob der Bestand der Studierenden im 1. bis 10. FS. höher als die Kapazität ist, gibt es aus den genannten Gründen keine Veranlassung, die von der Antragstellerin bezeichnete Gruppe von Studierenden aus dem Bestand auszuklammern. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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