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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 16.10.2009
Aktenzeichen: OVG 6 N 25.08
Rechtsgebiete: VwGO, HeimG, GG


Vorschriften:

VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 124a Abs. 4 Satz 4
VwGO § 124a Abs. 5 Satz 2
HeimG § 17 Abs. 1 Satz 1
GG Art. 13 Abs. 1
Es stellt keinen Mangel im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 HeimG dar, wenn ein Heimvertrag keine Bestimmungen enthält, die Betretensrechte der Heimbeschäftigten für die Privaträume der Heimbewohner regeln. Das gilt unabhängig davon, ob den Heimbewohnern ein Hausrecht hinsichtlich ihrer Privaträume zusteht. Das Fehlen solcher Bestimmungen kann deshalb nicht zum Gegenstand einer Anordnung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 HeimG gemacht werden.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

OVG 6 N 25.08

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Schultz-Ewert, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Scheerhorn und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schreier am 16. Oktober 2009 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Februar 2008 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Cottbus wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Das Verwaltungsgericht hat mit aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Februar 2008 ergangenem Urteil den Bescheid des Beklagten vom 19. August 2004 aufgehoben, mit dem dieser in seiner Funktion als Heimaufsichtsbehörde der Klägerin aufgegeben hatte, in die mit den Heimbewohnern zu schließenden Heimverträge neben anderen Regelungen, über die im vorliegenden Verfahren kein Streit mehr besteht, Regelungen über die Befugnis der Mitarbeiter des Heimträgers zum Betreten der Heimräume aufzunehmen. Die Anordnung sah insoweit vor, dass das Betreten grundsätzlich vom Einverständnis des Bewohners abhänge, das Betreten zu Reparaturzwecken mindestens eine Woche vorher anzukündigen sei und das Betreten ohne Anmeldung nur bei Gefahr im Verzug für Leben und Gesundheit der Bewohner erfolgen dürfe.

Der gegen das Urteil gerichtete und auf die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Der Beklagte zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ernstliche Richtigkeitszweifel bestehen dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, S. 1163, 1164) und nicht nur die Begründung, sondern auch die Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung Zweifeln unterliegt. Dies ist nicht der Fall.

Es kann dahinstehen, ob das Verwaltungsgericht in formellrechtlicher Hinsicht Bedenken an der hinreichenden Bestimmtheit der streitigen heimaufsichtsrechtlichen Anordnung annimmt. Die Anordnung hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis jedenfalls deshalb zutreffend für rechtswidrig gehalten, weil die materiellrechtlichen Voraussetzungen zu ihrem Erlass nicht vorgelegen haben.

Als Rechtsgrundlage der Anordnung kommt allein § 17 Abs. 1 Satz 1 des Heimgesetzes in der zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Widerspruchsbescheids geltenden Fassung (Bek. vom 5. November 2001, BGBl. I S. 2970) - HeimG - in Betracht. Nach dieser Vorschrift können gegenüber den Trägern Anordnungen erlassen werden, die zur Beseitigung einer eingetretenen oder Abwendung einer drohenden Beeinträchtigung oder Gefährdung des Wohls der Bewohnerinnen und Bewohner, zur Sicherung der Einhaltung der dem Träger gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern obliegenden Pflichten oder zur Vermeidung einer Unangemessenheit zwischen dem Entgelt und der Leistung des Heims erforderlich sind, wenn festgestellte Mängel nicht abgestellt werden.

Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das Verwaltungsgericht zutreffend verneint. Dabei hat es im Ergebnis zu Recht angenommen, dass es bereits an der Feststellung eines eine Aufsichtsmaßnahme erforderlich machenden Mangels im Sinne der Vorschrift fehlt. Als solcher Mangel kommt hier allein das Fehlen der vom Beklagten verlangten Bestimmungen in den vom Heimträger mit den Heimbewohnern jeweils abzuschließenden, vom Heimträger vorformulierten Heimverträgen betreffend das Betretensrecht der Wohnräume durch den Heimträger in Betracht. Das Fehlen solcher Abreden stellt keinen Mangel in diesem Sinne dar. Das wäre nur zu erwägen, wenn ohne diese ausdrücklichen Vereinbarungen die Heimbewohner insoweit rechtlos gestellt wären. Das ist nicht der Fall. Denn der den Heimbewohnern ebenso wie jedem anderen Grundrechtsträger zustehende Schutz der Intim- und Privatsphäre besteht gegenüber den Heimbeschäftigten unabhängig davon, ob hierzu Abreden in den Heimverträgen getroffen werden. Entsprechende Klauseln in den Heimverträgen wären demnach rein deklaratorischer Natur. Das Fehlen rein deklaratorischer Bestimmungen ist ohne Hinzutreten weiterer Umstände für sich betrachtet kein Mangel im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 HeimG.

Das Verwaltungsgericht weist in dem angefochtenen Urteil im Übrigen zu Recht darauf hin, dass in jedem Fall der konkrete Vorgang des Betretens des Zimmers zur Vornahme von erforderlichen Überwachungs-, Betreuungs- und Pflegedienstleistungen oder zu anderen Zwecken die Würde des Bewohners zu wahren hat. Ein fehlerfreies Verhalten werde daher - soweit nicht wichtige Gründe, etwa der besonderen Eilbedürftigkeit, entgegenstehen - grundsätzlich Maßnahmen einschließen, die dem Bewohner Gelegenheit geben, seine Privat- und Intimsphäre zu wahren.

Das Vorbringen des Beklagten im Antrag auf Zulassung der Berufung rechtfertigt keine andere Entscheidung. Keiner Klärung bedarf insbesondere die sowohl vom Beklagten als auch vom Verwaltungsgericht ausführlich erörterte Frage, ob den Heimbewohnern hinsichtlich ihrer privaten Heimwohnräume ein Hausrecht, also die Befugnis, anderen Personen den Zutritt hierzu zu verweigern, zusteht. Diese Frage, deren Beantwortung maßgeblich von der Anwendbarkeit und Reichweite des Grundrechts aus Artikel 13 Abs. 1 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) auf Heimbewohner abhängt, ist zwar umstritten (vgl. einerseits: Plantholz, in: LPK-HeimG, 2.A., § 15, Rn. 15; VG Stuttgart, Entscheidung vom 23. August 1993 - 4 K 3613/92 -; andererseits: Kunz, in: Kunz/Butz/Wiedemann, HeimG, 9.A., § 15, Rn 12), für die Rechtmäßigkeit der streitigen aufsichtsrechtlichen Anordnung und damit für das Ergebnis der Entscheidung jedoch ohne Bedeutung. Bejahte man zugunsten der Heimbewohner im Hinblick auf Artikel 13 Abs. 1 GG ein Hausrecht für ihre privaten Wohnräume im Heim, wären die von dem Beklagten verlangten ausdrücklichen Abreden hierzu rein deklaratorischer Natur und damit letztlich überflüssig. Ihr Fehlen würde - wie bereits ausgeführt - ohne Hinzutreten weiterer Umstände den Erlass der streitigen Anordnung nicht rechtfertigen. Verneinte man dagegen ein den Heimbewohnern zustehendes Hausrecht, würden die von dem Beklagten verlangten Vertragsabreden über die Gewährleistungen des Artikels 13 Abs. 1 GG hinausgehen. Die Vertragsbestimmungen hätten dann zwar konstitutive Bedeutung. Sie könnten aber gleichwohl nicht rechtmäßigerweise zum Gegenstand einer heimaufsichtsrechtlichen Anordnung gemacht werden, weil diese die Beeinträchtigung oder Gefährdung bereits bestehender Rechte voraussetzt. Hier würden diese Rechte durch die Anordnung erst begründet werden.

Der Vortrag des Beklagten, ohne die streitigen Vertragsbestimmungen sei zu befürchten, dass die Mitarbeiter des Heimträgers ohne jede Rücksicht die Räumlichkeiten der Heimbewohner permanent beträten, geht am Kern der hier aufgeworfenen Fragestellung vorbei. Sollte die Befürchtung zu Recht bestehen, wäre gleichwohl nicht ersichtlich, weshalb es einen Mangel im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 HeimG darstellen soll, dass solche Regelungen nicht in den Heimverträgen enthalten sind. Der "Mangel" läge dann im Verhalten der Heimbeschäftigten, aber nicht in den vertraglichen Vereinbarungen.

Unbeschadet dessen ist diese Befürchtung auch gänzlich unsubstanziiert und in ihrer Pauschalität nicht geeignet, Gefährdungen des Wohls der Heimbewohner oder Pflichtverletzungen des Heimträgers zu belegen. Hierfür müsste der Beklagte darlegen, dass die geforderte Beeinträchtigung, Gefährdung oder Pflichtverletzung konkret droht. Daran fehlt es.

Sollte sich in einem der betroffenen Heime eine Praxis etablieren oder etabliert haben, die die Privat- und Intimsphäre der Heimbewohner nicht hinreichend beachtet, steht es dem Beklagten im Übrigen frei, nach Maßgabe des § 17 Abs. 1 Satz 1 HeimG eine aufsichtsrechtliche Anordnung zur Behebung dieses Zustandes zu erlassen.

2. Auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) kann sich der Beklagte ebenfalls nicht berufen. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für das erstrebte Rechtsmittelverfahren erhebliche Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit oder Fortbildung des Rechts obergerichtlicher Klärung bedarf (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Oktober 2005 - OVG 5 N 45.05 -, Rn. 16 bei juris). Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO eine solche bestimmte ungeklärte und entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren. Weiter ist die Entscheidungserheblichkeit der betreffenden Frage im Berufungsverfahren aufzuzeigen sowie anzugeben, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Es ist darzulegen, in welchem Sinne und aus welchen Gründen die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Die von dem Beklagten sinngemäß aufgeworfene Frage nach dem "Umfang des Wohn- und Hausrechts der Heimbewohner im Hinblick auf Artikel 13 GG", bedarf schon deshalb keiner Klärung in einem Berufungsverfahren, weil sie - wie die Ausführungen unter 1. belegen - nicht entscheidungserheblich ist. Für die Frage, ob die streitige Anordnung rechtmäßigerweise ergehen konnte, spielt die Frage der Anwendbarkeit und Reichweite des Artikels 13 Abs. 1 GG bezogen auf ein Hausrecht für Heimbewohner aus den dargelegten Gründen keine Rolle.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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