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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 29.09.2009
Aktenzeichen: OVG 6 N 36.08
Rechtsgebiete: VwGO, VOVbF, LPflGG, SGB XII, VvB, GG


Vorschriften:

VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 124a Abs. 4 Satz 4
VOVbF § 13 Abs. 2
LPflGG § 1 Abs. 1
SGB XII § 35 Abs. 2
SGB XII § 72 Abs. 4
VvB Art. 10 Abs. 1
VvB Art. 11 Satz 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 3 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

OVG 6 N 36.08

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Schultz-Ewert, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Scheerhorn und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schreier am 29. September 2009 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. Februar 2008 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Gründe:

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 20. Februar 2008 die Klage abgewiesen, mit der die Klägerin sich gegen mehrere Bescheide wendet, mit denen ihr die Berechtigung zur Nutzung des besonderen Fahrdienstes für behinderte Menschen (sog. Telebus) entzogen wurde, weil sie die insoweit vorgesehene Eigenbeteiligung nicht gezahlt hatte, und außerdem ihr Antrag auf Befreiung von der Eigenbeteiligung abgelehnt wurde. Sie vertritt die Auffassung, nicht zur Zahlung einer Eigenbeteiligung verpflichtet zu sein.

Der gegen das Urteil gerichtete und auf die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Die Klägerin zeigt mit ihren Darlegungen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ernstliche Richtigkeitszweifel bestehen dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, S. 1163, 1164) und nicht nur die Begründung, sondern auch die Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung Zweifeln unterliegt. Das ist hier nicht der Fall.

Zu Recht ist das Verwaltungsgericht im Ergebnis davon ausgegangen, dass eine rechtswidrige Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber anderen Heimbewohnern nicht vorliegt. Zwar ist die Klägerin von der Eigenbeteiligung des besonderen Fahrdienstes letztlich nur deshalb nicht gemäß § 13 Abs. 2 der Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes vom 31. Juli 2001 (GVBl. S. 322), zuletzt geändert durch Verordnung vom 22. Juni 2005 (GVBl., S. 342) - VOVbF - befreit, weil sie Blindenpflegegeld nach dem Landespflegegeldgesetz bezieht und damit den Anspruch auf den Barbetrag nach § 35 Abs. 2 SGB XII einbüßt (§ 72 Abs. 4 Satz 1 und 3 SGB XII). Hierin liegt jedoch weder ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des Artikels 11 Satz 1 VvB bzw. des Artikels 3 Abs. 3 Satz 2 GG noch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in Artikel 3 Abs. 1 GG bzw. Artikel 10 Abs. 1 VvB. Das in Artikel 3 Abs. 3 Satz 2 GG bzw. Artikel 11 Satz 1 VvB festgelegte Verbot, Behinderte zu benachteiligen soll den Schutz des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Artikel 3 Abs. 1 GG bzw. Artikel 10 Abs. 1 VvB für bestimmte Personengruppen dahingehend verstärken, dass der staatlichen Gewalt insoweit engere Grenzen vorgegeben werden, als die Behinderung nicht als Anknüpfungspunkt für eine - benachteiligende - Ungleichbehandlung dienen darf (BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1997 - 1 BvR 9/97 -, BVerfGE 96, 288 ff.). Der allgemeine Gleichheitssatz des Artikels 3 Abs. 1 GG bzw. des Artikels 10 Abs. 1 VvB verbietet es, dass eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfG, Urteil vom 17. November 1992 - 1 BvL 8/87 -, BVerfGE 87, 234). Daran gemessen liegt hier keine Benachteiligung oder sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung vor.

Anknüpfungspunkt der VOVbF für die Heranziehung der Klägerin zur Eigenbeteiligung bei der Nutzung des besonderen Fahrdienstes ist nicht ihre Blindheit, sondern der Bezug des Blindenpflegegeldes. Dies stellt einen hinreichend gewichtigen sachlichen Anknüpfungspunkt für die Ungleichbehandlung gegenüber solchen Heimbewohnern dar, die den Barbetrag nach § 35 Abs. 2 SGB XII erhalten. Denn das Blindenpflegegeld in der von der Klägerin bezogenen Höhe (234,00 Euro) übersteigt den Barbetrag nach § 35 Abs. 2 SGB XII von 89,50 Euro um 144,50 Euro. Der Klägerin stehen damit deutlich mehr Mittel zur Verfügung als Heimbewohnern, die lediglich den Barbetrag nach § 35 Abs. 2 SGB XII erhalten. Dies rechtfertigt es, auch im Lichte des verfassungsrechtlich verbürgten Benachteiligungsverbotes wie des allgemeinen Gleichheitssatzes der Klägerin - wie allen anderen Heimbewohnern, die den Barbetrag nicht erhalten - die in § 13 Abs. 2 Satz 2 und 3 VOVbF vorgesehene Eigenbeteiligung abzuverlangen.

Dem lässt sich nicht entgegenhalten, die Klägerin sei gehindert, das Blindengeld zweckentsprechend zu verwenden, wenn sie es für die Eigenbeteiligung zur Benutzung des besonderen Fahrdienstes aufwenden müsse. Das der Klägerin nach § 1 Abs. 1 des Landespflegegeldgesetzes gewährte Blindenpflegegeld dient - ebenso wie die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII - dem Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen. Unter Mehraufwendungen in diesem Sinne ist in erster Linie der finanzielle Aufwand zu verstehen, den die durch die Blindheit hervorgerufene Pflege verursacht. Dazu gehört allerdings auch der finanzielle Aufwand, der nicht unmittelbar durch die eigentliche Pflege entsteht, der aber gleichfalls auf die Blindheit zurückzuführen ist, z.B. besondere und zusätzliche Kleidung, Blindenschriften oder Blindenliteratur, soweit diese Mittel nicht bereits der Eingliederung des Blinden in das gesellschaftliche Leben dienen (VGH Mannheim, Urteil vom 20. Februar 1998 - 6 S 1090/96 -, Rn. 28 bei juris m.w.N. zum zweckgleichen § 1 Abs. 1 des Baden-Württembergischen Landesblindenhilfegesetzes). Dem Blinden soll dadurch die Möglichkeit eröffnet werden, sich trotz Blindheit mit seiner Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen (BVerwG, Urteil vom 14. Mai 1969 - V C 167.67 -, Rn. 18 bei juris). Das Blindenpflegegeld dient damit jedenfalls auch der Förderung der Mobilität der Betroffenen, da Kontakt zur Umwelt und Teilnahme am kulturellen Leben typischerweise durch Besuche von Veranstaltungen oder bei Personen erfolgt. Dabei liegt die Annahme nahe, dass der Blinde durchaus häufiger etwa Aufwendungen für Taxifahrten zu tätigen haben wird, um ein mit einem Sehenden annähernd vergleichbares Maß an Mobilität zu erreichen. Die hier in Rede stehende Nutzung des besonderen Fahrdienstes ist mit der Nutzung eines Taxis vergleichbar. Diese Annahme rechtfertigt sich einerseits aus dem Umstand, dass die Eigenbeteiligung der Höhe nach beim durchschnittlichen Benutzer ein Ausmaß erreicht, das den finanziellen Aufwand für gelegentliche Taxifahrten nicht übersteigt: Für Bezieher von Sozialleistungen beträgt die Eigenbeteiligung für die ersten acht Fahrten 1,53 Euro je Fahrt, für die nächsten acht Fahrten sind 3,50 Euro je Fahrt zu entrichten und ab der 17. Fahrt beträgt die Eigenbeteiligung 7,00 Euro. Zum anderen erscheint die Vergleichbarkeit mit Taxifahrten, die den Kontakt zur Umwelt und der Teilnahme am kulturellen Leben dienen, gerechtfertigt, weil die Eigenbeteiligung letztlich ausschließlich für Freizeitfahrten in Rede steht, denn für Arzt-, Rehabilitations- und Arbeitsfahrten besteht die Möglichkeit der Erstattung der Fahrtkosten durch andere Kostenträger.

Dass die Klägerin mitunter einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Blindenpflegegeldes für den besonderen Fahrdienst einsetzt, rechtfertigt keine andere Einschätzung. Zwar verfolgt das Blindenpflegegeld neben der Mobilitätsförderung auch andere Zwecke, die die Klägerin aufgrund der in manchen Monaten relativ hohen Aufwendungen für den Fahrdienst nicht mehr in gleichem Maße verfolgen kann. Es obliegt jedoch der freien Entscheidung des Blindenpflegegeldempfängers, in welchem Umfang und zu welchen der verschiedenen Zwecke er das als Pauschale gewährte Geld verwendet. Der Leistungsempfänger hat es damit selbst in der Hand, die Zwecke, zu denen er das Geld verwenden will, zu bestimmen. Im Übrigen verbleibt der Klägerin auch bei Berücksichtigung der Eigenbeteiligung regelmäßig noch immer ein Anteil ihres Blindenpflegegeldes, der deutlich über dem Barbetrag des § 35 Abs. 2 SGB XII liegt. Sie hatte etwa im Juli 2005 40,24 Euro, im September 2005 6,12 Euro, im April 2006 68,50 Euro, im Mai 2006 41,74 Euro und im Mai 2006 10,65 Euro für die Eigenbeteiligung des besonderen Fahrdienstes aufzuwenden (Bl. 15 und 91 R der Streitakte sowei Bl. 5 der "Prozesshandakten 900 K 06").

Sollte sich gleichwohl im Einzelfall herausstellen, dass die Grenzen der zumutbaren Eigenbeteiligung aufgrund besonderer Umstände überschritten sind, steht es dem Betroffenen frei, sich deswegen an die gemäß § 13 Abs. 10 der VOVbF für Härtefälle zuständige Stelle zu wenden.

2. Auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) kann sich die Klägerin ebenfalls nicht berufen. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für das erstrebte Rechtsmittelverfahren erhebliche Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit oder Fortbildung des Rechts obergerichtlicher Klärung bedarf (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Oktober 2005 - OVG 5 N 45.05 -, Rn. 16 bei juris). Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO eine solche bestimmte ungeklärte und entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren. Weiter ist die Entscheidungserheblichkeit der betreffenden Frage im Berufungsverfahren aufzuzeigen sowie anzugeben, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Es ist darzulegen, in welchem Sinne und aus welchen Gründen die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist (OVG Lüneburg, Beschluss vom 3. Juli 2006 - 5 LA 347/04 - zum gleichlautenden § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG, Rn. 5 bei juris m.w.N.).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Dabei kann dahinstehen, ob es den Darlegungsanforderungen genügt, wenn - wie hier - im Zulassungsantrag keine Rechts- oder Tatsachenfrage ausdrücklich formuliert wird, sondern lediglich die Frage des "Anwendungsbereichs und damit der Verfassungsmäßigkeit" einer Regelung (hier des § 13 Abs. 2 VOVbF) aufgeworfen wird. Jedenfalls bedarf es zur Klärung der insoweit zumindest sinngemäß gestellten Frage, ob § 13 Abs. 2 VOVbF auch Heimbewohner erfasst, die Blindenpflegegeld und deswegen keinen Barbetrag nach § 35 Abs. 2 SGB XII erhalten, nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens. Die Frage lässt sich aus den unter 1. dargelegten Gründen vielmehr ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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