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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 02.01.2009
Aktenzeichen: OVG 6 S 4.08
Rechtsgebiete: HeimG


Vorschriften:

HeimG § 1 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

OVG 6 S 4.08

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat durch die Richterin am Oberverwaltungsgericht Scheerhorn sowie die Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Oerke und Dr. Raabe am 2. Januar 2009 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 14. Januar 2008 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsgegner.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird unter Änderung der erstinstanzlichen Festsetzung für beide Rechtszüge auf jeweils 2.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde gegen den Beschluss vom 14. Januar 2008, mit dem das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26. April 2007 wiederhergestellt bzw. angeordnet hat, hat nach dem maßgeblichen Beschwerdevorbringen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) keinen Erfolg.

1. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei der von der Antragstellerin betriebenen Wohn- und Betreuungseinrichtung in P_____ nicht um ein Heim im Sinne des Heimgesetzes (HeimG) in der am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Neufassung vom 5. November 2001 (BGBl. I S. 2960) handelt. Das Interesse der Antragstellerin, vom Vollzug der angefochtenen Feststellung vorerst verschont zu bleiben, überwiegt schon deshalb das öffentliche Interesse an deren sofortigen Vollziehung.

Heime im Sinne des Heimgesetzes sind Einrichtungen, die dem Zweck dienen, ältere Menschen oder pflegebedürftige oder behinderte Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner unabhängig sind und entgeltlich betrieben werden (§ 1 Abs. 1 Satz 2 HeimG).

Von den genannten Voraussetzungen ist im Beschwerdeverfahren allein umstritten, ob die Antragstellerin für die Bewohner der von ihr betriebenen Einrichtung (volljährige Menschen mit geistiger Behinderung und/oder psychischer Erkrankung) auch Verpflegung vorhält, so dass zusammen mit den angebotenen Betreuungsleistungen von einer "umfassende Rundumversorgung" im Sinne einer "heimmäßigen Versorgungsgarantie" auszugehen ist (vgl. Begr. zur Neufassung des HeimG, BT-Drs. 14/5399, S. 16, 18 f.). Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung spricht auch in Ansehung des Beschwerdevorbringens wenig dafür, dass es sich bei der Einrichtung der Antragstellerin um ein Heim handelt.

In Ziff. 2.1.1 der "Konzeption (der Antragstellerin) für einen stationären Betreuungsverbund ..." heißt es hierzu: "Die 'betreute Wohngruppe' ist eine stationäre Einrichtung im Sinne des § 97 SGB XII, in der ein ... Leistungsangebot unter der Gesamtverantwortung des Einrichtungsträgers vorgehalten wird. ... Es ist keine vollstationäre Einrichtung im Sinne einer Rund-um-die Uhr-Betreuung. Sie bildet die Übergangsform von der vollstationären Betreuung zur ambulanten Betreuung." Ziff. 2.1.3 ergänzt insofern: "In die 'betreute Wohngruppe' werden vorrangig ... Menschen aus vollstationären Einrichtungen ... aufgenommen. Die ... Klienten aus diesen Einrichtungstypen sollten vorher auf eine selbständige Lebens- und Haushaltsführung vorbereitet werden (z.B. Trainingswohnung). Wichtigstes Aufnahmekriterium ist ein gewisses Maß an Selbständigkeit und Fähigkeiten und Fertigkeiten, um den Lebensbereich überwiegend ohne fremde Hilfe bewältigen zu können."

Hieraus geht hervor, dass die von der Antragstellerin betriebene Einrichtung keine Menschen aufnimmt, die eine garantierte Rundumversorgung anstreben, welche nach den Vorstellungen des Gesetzgebers (BT-Drs. 14/5399, a.a.O.) gerade typisch für ein Heim im Sinne des Heimgesetzes ist. Vielmehr ist die Einrichtung ausdrücklich solchen Bewohnern vorbehalten, die zwar Unterstützung (auch) bei der eigenen Versorgung benötigen, diese aber grundsätzlich selbst bewerkstelligen können und sollen. Im Falle fehlender Bereitschaft oder der Fähigkeit hierzu kann die Antragstellerin den jeweiligen Betreuungsvertrag gemäß dessen Ziff. 1. b) und d) kündigen.

Die konkrete Umsetzung der Konzeption wird in der Leistungs- und Qualitätsbeschreibung der Antragstellerin für die "Stationär Betreute Wohngruppe für geistig behinderte und psychisch kranke Menschen" in P_____ unter den Überschriften "Alltägliche Lebensführung" (vgl. Ziff. 4.1.1) bzw. "Grundversorgung" (vgl. Ziff. 4.1.2 Nr. 3) dahin gehend näher beschrieben, dass sich die Unterstützung im Bereich der Ernährung auf eine Beratung und Hilfe bei der praktischen Planung, die (Stärkung der) Motivation, eine übende Begleitung sowie die Anleitung bei Einkauf und Zubereitung/Vorbereitung von Mahlzeiten beschränkt, jeweils verbunden mit dem Hinweis (vgl. Ziff. 4.1.1 bzw. Ziff. 3 des Betreuungsvertrages): "Beachte: Es erfolgt keine zentrale Essensversorgung durch den Träger!"

Danach kann von einem zur-Verfügung-stellen oder einem Vorhalten von Verpflegung im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 HeimG für die Bewohner, die über die finanziellen Mittel für den Ankauf ihrer Verpflegung eigenverantwortlich verfügen, keine Rede sein; denn die Antragstellerin nimmt auf die Versorgung der Bewohner keinen Einfluss im Sinne einer Versorgungsgarantie. Die vertraglichen Regelungen sehen eindeutig vor, dass die Antragstellerin insofern keine Verantwortung übernehmen will. Die mit den Bewohnern bestehenden Untermietverträge beinhalten ebenfalls keine Verpflichtung, Verpflegungsleistungen von bestimmten Anbietern zu beziehen (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 3 HeimG). Soweit die Mitarbeiter der Antragstellerin im Rahmen der Betreuungsleistungen an der Versorgung der Bewohner tatsächlich beteiligt sind, erfolgt dies nur in beratender und unterstützender Form, ohne dass den Bewohnern hierdurch die eigenverantwortliche Versorgung abgenommen wird. Aus dem Umstand, dass es sich bei den Bewohnern um stationär zu betreuende Personen handelt, folgt nicht zwingend, dass sie auf eine Versorgung durch die Antragstellerin angewiesen sind. Dass die vorstehend zitierte Konzeption und die darauf aufbauenden Verträge wie beschrieben auch tatsächlich umgesetzt werden, stellt der Antragsgegner, dessen Mitarbeiter die Einrichtung - soweit ersichtlich - bisher nicht in Augenschein genommen haben, nicht substantiiert in Frage.

Die von der Antragstellerin geschilderten räumlichen Umstände, wonach die Bewohner ein abgeschlossenes Ein- oder Zwei-Personen-Appartement mit eigener Küche und Bad von der Antragstellerin mieten, ohne dass es innerhalb oder außerhalb des Wohnobjekts eine der Antragstellerin zuzurechnende Versorgungseinrichtung (Laden, Restaurant, Gemeinschaftsküche oder Essenssaal, etc.) gäbe, sprechen ebenfalls gegen das Vorliegen von heimmäßigen Versorgungsbedingungen. Das Vorhandensein eines Gemeinschaftsraums ist kein Indiz für die Anwendung des Heimgesetzes (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. September 2003 - 14 S 718/03 -, DVBl 2004, 140 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien).

Der Einwand des Antragsgegners, dass ein Vorhalten von Verpflegung im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 HeimG (schon) bei einer Versorgungsübernahme im Fall einer eintretenden Versorgungsunfähigkeit der Bewohner und wegen der allgemeinen Gesamtverantwortlichkeit der Antragstellerin gegeben sei, überzeugt nicht. Die Antragstellerin hat auch bei grundlegender Verschlechterung des Gesundheitszustands oder bei eintretender Pflegebedürftigkeit eines Bewohners die Übernahme der Versorgung ausdrücklich ausgeschlossen und sich eine Kündigungsmöglichkeit von Untermiet- und Betreuungsvertrag vorbehalten. Ihre Erklärung, das Betreuungspersonal würde im Notfall einer eintretenden Versorgungsunfähigkeit selbstverständlich Hilfe leisten und die Versorgung vorübergehend sichern, betrifft eine für die grundsätzliche Versorgungsregelung der Einrichtung atypische Situation und prägt nicht deren Charakter; hierdurch wird keine Lebenssituation "wie im Heim" geschaffen.

2. Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen ist mit dem Verwaltungsgericht (vgl. Beschlussabdr. S. 4 f.) ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung im Sinne von § 80 Abs. 3 VwGO nicht auszumachen. Dass die Bewohner der Einrichtungen in der Vergangenheit konkreten Gefahren bzw. finanziellen oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen ausgesetzt gewesen wären oder diese bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu befürchten sind, behauptet der Antragsgegner nicht. Die Bewohner der Einrichtung sind ohne die einstweilige Anwendung des Heimgesetzes auch nicht schutzlos. Zivilrechtlich greifen die Bestimmungen des Bürgerlichen Rechts und die allgemeinen Verbrauchervorschriften ein. Ferner bestehen auch außerhalb des Heimrechts behördliche Kontroll- und Einflussmöglichkeiten für die Einrichtungen des Betreuten Wohnens. Gewerblich geführte Betriebe sind nach § 14 Gewerbeordnung (GewO) der zuständigen Behörde anzuzeigen, die Kontrollbefugnisse (§ 29 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 GewO) hat und gegebenenfalls die Gewerbeausübung gemäß § 35 GewO untersagen kann (vgl. dazu Bayerischer VGH, Beschluss vom 14. August 2003 - 22 CS 03.1664 -, juris Rn. 13). Ähnliches gilt aufgrund der Leistungsvereinbarungen zwischen der Antragstellerin mit dem überörtlichen Sozialhilfeträger gemäß § 75 ff. SGB XII. Auch danach bestehen staatliche Möglichkeiten zur Überwachung und Kontrolle der Einrichtung der Antragsteller, die einen Sofortvollzug der angefochtenen Feststellung entbehrlich machen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG. Der Senat hält die Festsetzung des halben Auffangwerts für angemessen. Dass in dem angefochtenen Bescheid neben der Grundverfügung zugleich ein Zwangsgeld angedroht wurde, wirkt sich auf den Streitwert nicht erhöhend aus (vgl. die Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, S. 1327, Ziff. 1.5 und 1.6.2). Die erstinstanzliche Festsetzung war daher von Amts wegen zu ändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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