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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 10.10.2005
Aktenzeichen: OVG 8 S 108.05
Rechtsgebiete: VwGO, AufenthG


Vorschriften:

VwGO § 123 Abs. 1
AufenthG § 15 Abs. 2
AufenthG § 15 Abs. 2 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 8 S 108.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg durch die Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schrauder, Buchheister und Weber am 10. Oktober 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist unbegründet. Ungeachtet der Frage, ob das Bundesinnenministerium oder das diesem nachgeordnete Bundespolizeiamt in Frankfurt am Main die für die Vertretung der Antragsgegnerin im Rahmen des vorliegenden Antragsbegehrens auf Untersagung der Zurückweisung an der Grenze zuständige Behörde ist, fehlt es jedenfalls an einem Anordnungsanspruch für die beantragte einstweilige Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO.

Die Antragsteller haben keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Unterlassung einer Zurückweisung der Antragsteller zu 1. und 2. bei deren für den 11. Oktober 2005 beabsichtigten Einreise aus Seoul/Südkorea auf dem Luftwege über den Flughafen Frankfurt/Main. Nach § 15 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG steht die Zurückweisung eines Ausländers an der Grenze im Ermessen der zuständigen Behörde, wenn dieser die Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) nicht erfüllt. So liegt hier der Fall, weil die Antragsteller zu 1. und 2. entgegen Art. 5 Abs. 1 Buchst. d SDÜ zur Einreiseverweigerung nach Art. 96 Abs. 2 SDÜ ausgeschrieben sind. Unter diesen Umständen ist ein durch einstweilige Anordnung sicherungsfähiger Anspruch unmittelbar auf Unterlassung der Zurückweisung nur anzunehmen, wenn das Behördenermessen "auf Null" reduziert, also im konkreten Fall ausnahmsweise derart eingeschränkt ist, dass eine Zurückweisung ausgeschlossen ist, weil jede andere Entscheidung als das Absehen von der Zurückweisung ermessensfehlerhaft wäre. Eine solche Ermessensreduzierung liegt hier nicht vor. Ohnehin setzt die Annahme eines Anordnungsanspruchs durch Ermessensschrumpfung wegen des grundsätzlichen Verbotes einer Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Rechtsschutzverfahren voraus, dass die gegen eine Zurückweisung sprechenden Gründe die dafür sprechenden Gründe eindeutig und offensichtlich überwiegen. Denn anderenfalls ist bereits die nötige Wahrscheinlichkeit eines voraussichtlichen Hauptsacheerfolgs zu verneinen.

Ein derartiges Übergewicht zu Gunsten der Antragsteller besteht nicht. Die Ausschreibung der Antragsteller zu 1. und 2. zur Einreiseverweigerung stellt zwar nicht selbst eine Einreisesperre oder einen materiellen Grund für die Einreiseverweigerung dar. Sie ist aber insofern von den Gründen, auf die sie nach Art. 96 Abs. 2 SDÜ gestützt ist, verselbstständigt, als sowohl das nationale Gesetz als auch das gemeinschaftsrechtliche Übereinkommen für die Zurückweisungsbefugnis nur auf die Ausschreibung zur Ausreiseverweigerung, nicht auf die dafür maßgeblichen Gründe abstellt. Auf Grund dieser Verselbstständigung kann die Rechtmäßigkeit der Ausschreibung im vorliegenden Verfahren nur insoweit Gegenstand gerichtlicher Überprüfung sein, als eine etwa sich aufdrängende Unrichtigkeit eine Ermessensreduzierung ergeben könnte. Für eine offenbare Rechtswidrigkeit der Ausschreibung zur Einreiseverweigerung ist jedoch nichts ersichtlich. Sie war im Gegenteil bereits Gegenstand obergerichtlicher (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 7. Juni 2002, InfAuslR 2002, 402) und höchstrichterlicher (BVerwG, Beschluss vom 4. September 2003, InfAuslR 2004, 38) Rechtsprechung und ist dort im Ergebnis bestätigt worden. Dass sich die Gründe dafür entscheidend geändert hätten, haben die Antragsteller mit dem Hinweis auf den bloßen Zeitablauf und mit ihrem Vorbringen, es würden keine öffentlichen, sondern nur "geschlossene Veranstaltungen" abgehalten, nicht substanziiert dargelegt. Dass die Ausschreibung nunmehr offenbar unrichtig geworden ist, ergibt sich daraus nicht.

Die erforderliche Ermessensreduzierung zu Gunsten der Antragsteller ergibt sich ebenso wenig aus ihrer Berufung auf das Grundrecht der Religionsfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Die Antragsteller zu 1. und 2. können schon nicht vor ihrer Einreise vom Ausland aus beanspruchen, dieses Grundrecht im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland wahrnehmen und zu diesem Zweck einreisen zu wollen. Zwar ist nicht von vornherein auszuschließen, dass auch das Interesse des Antragstellers zu 3. als eines religiösen Vereins an der persönlichen Anwesenheit seines ausländischen Oberhauptes bei religiösen Veranstaltungen durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützt sein kann. Daraus folgt ggf. jedoch lediglich die Pflicht des Staates, die schützenswerten Interessen der Religionsgemeinschaft auch einreiserechtlich mit dem ihnen zukommenden Gewicht zu berücksichtigen, sofern die Verweigerung der Einreise religiöse Belange der Gemeinschaft nach ihrem eigenen Glaubensverständnis nicht unerheblich beeinträchtigt (vgl. BVerwGE 114, 356, 362 f.). Ein Anspruch darauf, zu religiösen Verrichtungen einreisen zu dürfen, im Sinne eines absoluten Übergewichts der gegen eine Zurückweisung sprechenden Gründe gegenüber den Wirkungen einer Ausschreibung zur Einreiseverweigerung ergibt sich daraus indes nicht.

Fehlt es aber an einer vollständigen Ermessensschrumpfung zu Gunsten der Antragsteller und verbleibt der Antragsgegnerin daher bei der Entscheidung über die Zurückweisung an der Grenze ein Ermessensspielraum, kommt als Anordnungsanspruch nach § 123 Abs. 1 VwGO nur das subjektive Recht der Antragsteller auf ermessensfehlerfreie Entscheidung in Betracht. Es kann auf sich beruhen, ob und ggf. unter welchen Umständen dieses Recht im Wege einstweiliger Anordnung sicherungsfähig ist. Denn wenn das der Fall ist, kann insoweit entsprechend einem Bescheidungstenor in der Hauptsache allenfalls eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zu ermessensfehlerfreier Bescheidung in Betracht kommen. Eine derartige Bescheidungsverpflichtung durch das Gericht ist indes nur dann veranlasst, wenn anderenfalls eine ermessensfehlerhafte Bescheidung zu befürchten ist. Das ist typischerweise dann der Fall, wenn bereits eine ermessensfehlerhafte Behördenentscheidung getroffen worden ist und eine Wiederholung des Ermessensfehlers bei erneuter Entscheidung vermieden werden soll. Daran fehlt es hier, denn die Anreise der Antragsteller zu 1. und 2. und die Entscheidung der Einreisebehörde der Antragsgegnerin über eine Zurückweisung stehen noch aus. Auch ist gegenwärtig nicht anzunehmen, dass diese Entscheidung ermessensfehlerhaft ergehen wird. Zwar ist zu erwarten, dass die Antragsgegnerin bestehende Ausschreibungen zur Einreiseverweigerung berücksichtigen wird. Das ist aber nicht zu beanstanden, sondern geboten. Nach Art. 5 Abs. 2 SDÜ muss einem Drittausländer, der nicht alle Voraussetzungen nach Art. 5 Abs. 1 SDÜ erfüllt, grundsätzlich die Einreise verweigert werden. Ebenso zu erwarten ist aber, dass die Antragsgegnerin die in dieser Vorschrift vorgesehenen Ausnahmen von dem genannten Grundsatz nicht unberücksichtigt lassen und im Rahmen ihrer Ermessensausübung nach § 15 Abs. 2 AufenthG auch die schützenswerten religiösen Belange der Antragsteller mit dem ihnen gebührenden Gewicht in die gebotene Abwägung einstellen wird. Dafür, dass schon jetzt anzunehmen wäre, dass diese Abwägung im maßgeblichen Zeitpunkt der Einreiseentscheidung unterbleibt oder unzutreffend vorgenommen wird, fehlt jeder Anhalt. Dass sie gleichwohl wahrscheinlich zu Ungunsten der Antragsteller ausgehen wird, stellt keinen solchen Anhalt dar, sondern liegt im Wesen des Behördenermessens, das zudem dem Grundsatz des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 SDÜ folgend hier seiner Tendenz nach zu Ungunsten der Antragsteller auszuüben ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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