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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 28.01.2009
Aktenzeichen: OVG 9 A 1.07
Rechtsgebiete: KAG, VwGO, SGS, BbgStrG, BGB


Vorschriften:

KAG § 2 Abs. 1 Satz 2
KAG § 6 Abs. 4
VwGO § 47 Abs. 1
VwGO § 47 Abs. 2
SGS § 1 Abs. 2
SGS § 2 Abs. 1
SGS § 2 Abs. 1 Satz 6
SGS § 2 Abs. 4
SGS § 2 Abs. 4 Satz 2
SGS § 5 Abs. 2
BbgStrG § 49 a Abs. 7 Satz 2
BGB § 139
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

OVG 9 A 1.07

Verkündet am 28. Januar 2009

In dem Normenkontrollverfahren

hat der 9. Senat auf die mündliche Verhandlung vom 28. Januar 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Leithoff, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Marenbach, den Richter am Finanzgericht Dr. Beck, die ehrenamtliche Richterin Rothe und den ehrenamtlichen Richter Kusch

für Recht erkannt:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass die Straßenreinigungsgebührensatzung der Landeshauptstadt Potsdam vom 10. November 2006 mit Ausnahme ihres § 5 Abs. 2 nichtig ist.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Antragstellerin ist eine Wohnungsbaugenossenschaft. Sie ist Eigentümerin von Grundstücken im Stadtgebiet von Potsdam (Babelsberg), für die sie zu Straßenreinigungsgebühren herangezogen wird.

Mit ihrem Normenkontrollantrag stellt die Antragstellerin die Straßenreinigungsgebührensatzung der Landeshauptstadt Potsdam von 10. November 2006 (SGS) zur Überprüfung, die im Amtsblatt für die Landeshauptstadt Potsdam vom 5. Dezember 2006 bekannt gemacht worden ist. Mit der Satzung ist die Landeshauptstadt Potsdam wieder zu einer Bemessung der Gebühren für die Straßenreinigung und den Winterdienst nach dem Frontmetermaßstab zurückgekehrt, nachdem sie zwischenzeitlich eine Gebührenbemessung nach dem Quadratwurzelmaßstab geregelt hatte.

Die Satzung hat u.a. folgenden Wortlaut:

"§ 1 Benutzungsgebühren

(1) Die Landeshauptstadt Potsdam erhebt für die von ihr nach Maßgabe der Straßenreinigungssatzung der Landeshauptstadt Potsdam in der jeweils gültigen Fassung durchgeführte Straßenreinigung sowie Winterdienst auf den öffentlichen Straßen Benutzungsgebühren.

(2) Das Gesamtgebührenaufkommen darf 75 vom Hundert der Gesamtkosten der Straßenreinigung nicht übersteigen.

§ 2 Gebührenmaßstab und Gebührensatz

(1) Maßstab für die Benutzungsgebühr sind die Grundstücksseite entlang der gereinigten Straße, durch die das Grundstück erschlossen ist (Frontlänge) und die nach Straßenart, Umfang und Häufigkeit der Reinigung bestimmte Reinigungsklasse nach den Festlegungen der Straßenreinigungssatzung der Landeshauptstadt Potsdam in der jeweils gültigen Fassung.

Grenzt ein durch die Straße erschlossenes Grundstück nicht oder nicht mit der gesamten der Straße zugewandten Grundstücksseite an diese Straße, so wird anstelle der Frontlänge bzw. zusätzlich zur Frontlänge die der Straße zugewandte Grundstücksseite zugrunde gelegt. Zugewandte Grundstücksseiten sind diejenigen Abschnitte der Grundstücksbegrenzungslinie, die mit der Straßengrenze gleich, parallel oder in einem Winkel von weniger als 45 Grad verlaufen. Keine zugewandten Seiten sind die hinter angrenzenden und zugewandten Fronten liegenden abgewandten Seiten.

Grenzt ein durch die Straße erschlossenes Grundstück nicht oder nur zum Teil an diese Straße und weist es im Übrigen keine ihr zugewandte Grundstücksseite auf, so wird die Frontlänge bzw. Grundstücksseite zugrunde gelegt, die sich bei einer gedachten Verlängerung dieser Straße in gerade Linie ergeben würde.

Grenzt ein Grundstück mit verschiedenen Grundstücksseiten an verschiedene Straßenteile derselben Erschließungsanlage, so wird die längste Grundstücksseite von den an die verschiedenen Straßenabschnitte grenzenden Grundstücksseiten als Frontlänge zur Bemessung der Straßenreinigungsgebühr zu Grunde gelegt.

(2) Wird ein Grundstück durch mehrere Straßen erschlossen, so werden deren Grundstücksseiten bei der Ermittlung der Frontlänge entsprechend der erschließenden Straßen berücksichtigt. Bei abgeschrägten oder angerundeten Grundstücksgrenzen wird der Schnittpunkt der geraden Verlängerung der Grundstücksgrenzen zugrunde gelegt.

Wird ein Grundstück über eine unselbständige öffentliche Stichstraße oder einen unselbständigen öffentlichen Stichweg erschlossen, ist nur die an den Hauptzug angrenzende bzw. dem Hauptzug zugewandte Seite zugrunde zu legen.

(3) Bei der Feststellung der Frontmeter der Grundstücksseiten werden Bruchteile eines Meters bis zu 50 cm einschließlich abgerundet und über 50 cm aufgerundet.

(4) Die Benutzungsgebühr für die Straßenreinigung beträgt je Frontlängenmeter (Meter Grundstücksseite Absätze 1 bis 3) jährlich bei Grundstücken, die dem Anschluss- und Benutzungszwang unterliegen in der

 RK 1/07 (Hauptbahnhof) 149,55 €
RK 1K/07 13,64 €
RK 2/07 0,00 €
RK 2K/07 0,00 €
RK 3/07 16,50 €
RK 3K/07 9,64 €
RK 4/07 10,82 €
RK 4K/07 3,87 €
RK 5/07 4,72 €
RK 5K/07 2,95 €
RK 6/07 0,00€ (Reinigung durch den Grundstückseigentümer)

Die Benutzungsgebühr für den Winterdienst beträgt je Frontlängenmeter (Meter Grundstücksseite Absätze 1 bis 3) jährlich bei Grundstücken, die dem Anschluss- und Benutzungszwang unterliegen in der

 Winterdienstkategorie 1 3,20 € und in der
Winterdienstkategorie 2 1,90 €.

(5) Die Zugehörigkeit einer Straße zu den in Absatz 4 genannten Reinigungsklassen und Winterdienstkategorien ergibt sich aus dem der gültigen Straßenreinigungssatzung der Landeshauptstadt Potsdam anliegendem Straßenverzeichnis. Die Anzahl und die Art der Reinigung ergibt sich aus § 3 Abs. 2, die Art des Winterdienstes aus § 4 der Straßenreinigungssatzung der Landeshauptstadt Potsdam in der jeweils gültigen Fassung.

[...]

§ 5 Inkrafttreten

(1) Diese Satzung tritt am 01.01.2007 in Kraft.

(2) Gleichzeitig tritt die Straßenreinigungsgebührensatzung der Landeshauptstadt Potsdam vom 14.06.2004, geändert durch die Erste Satzung zur Änderung Straßenreinigungsgebührensatzung der Landeshauptstadt Potsdam vom 11.05.2005 und die Zweite Satzung zur Änderung der Straßenreinigungsgebührensatzung der Landeshauptstadt Potsdam vom 14.12.2005 außer Kraft.

[...]"

Die Antragstellerin wurde auf der Grundlage der angegriffenen Satzung mit Gebührenbescheiden vom 3. Januar 2007 zu Straßenreinigungsgebühren für folgende Grundstücke herangezogen: Gemarkung B_____, Flur, Flurstück (K_____), Flurstück (K_____), Flurstück (K_____). Diese Grundstücke liegen nebeneinander. Sie weisen in etwa folgende Lage und Zuschnitt auf:

Bei der Heranziehung zu den Straßenreinigungsgebühren legte der Oberbürgermeister der Stadt Potsdam nicht nur die gemeinsame Straßenfront der Grundstücke, sondern zusätzlich auch die Strecken A und B zu Grunde; insgesamt setzte er danach eine "Frontlänge" von 157 m an.

Die Antragstellerin ist u.a. der Auffassung, dass der in der Satzung verankerte Frontmetermaßstab - im Gegensatz zum vorher geregelten Quadratwurzelmaßstab - unwirksam sei. Dies zeige ihr Fall. Die nach der Satzung ermittelten Frontmeter (157 m) überstiegen die tatsächliche Länge, mit der die Grundstücke zusammen an die Straße angrenzten (127 m). Die darin liegende "mehrfache" Heranziehung verstoße gegen § 6 Abs. 4 KAG, gegen das Äquivalenzprinzip sowie gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

Die Antragstellerin beantragt festzustellen,

dass die Straßenreinigungsgebührensatzung der Landeshauptstadt Potsdam vom 10. November 2006 nichtig ist.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Die Antragsgegnerin hält die Satzung für gültig. Der in der Satzung verwendete Frontmetermaßstab sei ein anerkannter und sachgerechter Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Dabei sei aus Gründen der Gleichheit der Abgabenbelastung die Anwendung von Projektionen und Fiktionen unerlässlich, um sicherzustellen, dass die nicht an der Straßenfront verlaufenden Grundstücksseiten erschlossener Hinterlieger- bzw. Teilhinterliegergrundstücke vollständig in die Gebührenerhebung einbezogen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der gemäß § 47 Abs. 1 und 2 VwGO zulässige Normenkontrollantrag ist im Wesentlichen begründet. Die angegriffene Straßenreinigungsgebührensatzung ist - mit Ausnahme der Regelung über das Außerkrafttreten der Vorgängersatzung (§ 5 Abs. 2 SGS) - nichtig. Dies folgt aus der Nichtigkeit der Regelungen über die Gebührensätze für die Straßenreinigung und den Winterdienst (§ 2 Abs. 4 SGS). Die Gebührensätze sind überhöht, weil ihre Kalkulation nicht im Einklang mit dem in der Satzung geregelten Frontmetermaßstab steht.

Die Rückkehr der Antragsgegnerin vom Quadratwurzel- zum Frontmetermaßstab ist rechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden. Beide Maßstäbe sind anerkannte und zulässige Maßstäbe für die Bemessung von Straßenreinigungsgebühren, wenn auch der Frontmetermaßstab schwieriger zu regeln und zu vermitteln sein mag (vgl. Lenz, KStZ 2004, Seite 110 ff.). Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Regelung zur Frontmeterberechnung bei Teilhinterliegergrundstücken (§ 2 Abs. 1 Satz 2 bis 4 SGS), auch wenn sie zu den von der Antragstellerin gerügten Ergebnissen führt; dies ist noch vom Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers gedeckt, der bei der Regelung des Frontmetermaßstabes gerade auch die Hinterlieger- und Teilhinterliegergrundstücke einbeziehen muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1993 - 8 NB 5/93 -, juris).

Kehrseite dieses Gestaltungsspielraumes ist, dass der Satzungsgeber den konkret gewählten Frontmetermaßstab auch schon bei der Kalkulation des Gebührensatzes korrekt anwenden muss, um zu zutreffenden Gebührensätzen zu gelangen. Bei der Kalkulation des Gebührensatzes für die Straßenreinigung sind die veranschlagten Reinigungskosten, soweit sie gebührenfähig sind (vgl. § 49 a Abs. 7 BbgStrG), durch die Gesamtzahl der im Satzungsgebiet vorhandenen Maßstabseinheiten zu teilen. Unterschätzt der Satzungsgeber die nach dem gewählten Gebührenmaßstab insgesamt vorhandenen Maßstabseinheiten, führt dies zu überhöhten Gebührensätzen.

So liegt es hier. Die von der Antragsgegnerin konkret vorgenommene Ausgestaltung des Frontmetermaßstabes weist zwar insoweit ein Bestimmtheitsproblem auf, als die Bedeutung des § 2 Abs. 1 Satz 6 SBS im Gesamtgefüge der Regelungen in Rede steht. Ungeachtet dessen ist aber klar und eindeutig geregelt, dass bei Vollanliegergrundstücken auf die Grundstückseite abstellt wird, die an die Straße angrenzt (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 SBS), dass bei Hinterliegergrundstücken auf die Grundstücksseite abgestellt wird, die der Straße zugewandt ist und dass bei Teilhinterliegergrundstücken auf die Länge der an die Straße angrenzenden und zusätzlich auf die Länge der der Straße zugewandten Seite abgestellt wird (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 bis 4). Wie die Erläuterungen der Vertreter der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung gezeigt haben, ist die Antragsgegnerin bei der Kalkulation des Gebührensatzes indessen nicht durchgängig von dem solchermaßen verstandenen Gebührenmaßstab ausgegangen, sondern teilweise auch von einem Verfahren "lotrechter Projektion auf die Straße", für dessen Anwendung die tatsächlich getroffene Maßstabsregelung nicht den geringsten Anhalt bietet. Die angewandte Projektion betrifft dabei keineswegs seltene und deshalb zu vernachlässigende Grundstückszuschnitte, sondern im Gegenteil häufig auftretende Fallgestaltungen. Die Projektion führt bei Hinterliegergrundstücken und Teilhinterliegergrundstücken, bei denen die der Straße zugewandte Grundstücksseite schräg zur Straße verläuft, zu Frontmeterzahlen, die unter denen liegen, die der in der Satzung tatsächlich gewählte Frontmetermaßstab ergibt.

Die kalkulatorische Unterschätzung der im Satzungsgebiet vorhandenen Frontmeter und mithin die überhöhte Festsetzung des Gebührensatzes liegt danach auf der Hand. Der überhöhte Gebührensatz hat zur Folge, dass die Verwaltung die Straßenreinigungsgebührensatzung nicht rechtsfehlerfrei anwenden kann. Wird beim Erlass von Gebührenbescheiden der Frontmetermaßstab so gehandhabt, wie er im Rahmen der Gebührenkalkulation praktiziert worden ist (also mit den genannten Projektionen), dann weicht die Lastenverteilung zwischen den einzelnen Gebührenpflichtigen von der Lastenverteilung ab, die der Satzungsgeber mit dem in der Satzung in Wahrheit geregelten Frontmetermaßstab festgelegt hat. Dies führt im Übrigen zu einer relativen Mehrbelastung der Antragstellerin, weil ihre Grundstücke durch das Projektionsverfahren nicht begünstigt werden. Würde die Verwaltung hingegen beim Erlass von Gebührenbescheiden den in Wahrheit geregelten Frontmetermaßstab anwenden, käme es insgesamt zu einer Gebührenüberhebung, die nach § 49 a Abs. 7 Satz 2 BbgStrG, aber auch nach § 1 Abs. 2 SGS unzulässig wäre.

Der gleiche Fehler liegt auch der Regelung über die Gebührensätze für den Winterdienst (§ 2 Abs. 4 SGS) zu Grunde, weil über den Verweis in § 2 Abs. 4 Satz 2 SGS auch für den Winterdienst die hier vom der Antragsgegnerin verkannte Maßstabsregelung des § 2 Abs. 1 SGS gilt.

Die Nichtigkeit der Gebührensatzregelungen in § 2 Abs. 4 SGS für die Straßenreinigung und den Winterdienst zieht die Unwirksamkeit der zur Überprüfung gestellten Satzung insgesamt nach sich, weil eine Abgabensatzung ohne gültigen Abgabensatz nicht den nach § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG vorgeschriebene Mindestinhalt aufweist und keine gesetzliche Abgabe zum Entstehen bringen kann.

Die Unwirksamkeitsfolge gilt indessen nicht für die Regelung in § 5 Abs. 2 SGS, mit der die vorausgegangene Satzung und ihre Änderungen ausdrücklich außer Kraft gesetzt worden sind. Eine solche Aufhebungsregelung indiziert den Willen des Satzungsgebers, auf Vorgängersatzungen auch dann nicht zurückgreifen zu wollen, wenn sich die Nachfolgesatzung als ungültig erweisen sollte. Nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB hat die Außerkraftsetzung der Vorgängersatzung regelmäßig selbst dann Bestand, wenn die abgabenrechtlichen Regelungen der Nachfolgesatzung nichtig sind. Hier gilt nichts anderes, weil der Satzungsgeber mit der vorliegenden Satzung bewusst vom Quadratwurzelmaßstab abrücken wollte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit dem hier entsprechend anwendbaren § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Ende der Entscheidung

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