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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 12.06.2006
Aktenzeichen: OVG 9 N 208.05
Rechtsgebiete: GG, VwGO, KAG


Vorschriften:

GG Art. 20 Abs. 3
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
KAG § 4 Abs. 2
KAG § 6 Abs. 4 S. 3
Hat ein Grundstückseigentümer bei einem durch formell unwirksame Satzung angeordneten Anschluss- und Benutzungszwang die öffentliche Fäkalienentsorgungseinrichtung für die Entsorgung seiner Fäkaliengrube nicht in Anspruch genommen, führt die rückwirkende Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs mittels einer Heilungssatzung nicht dazu, dass nachträglich eine Inanspruchnahme der Vorhalteleistung vorliegt, die zur Erhebung einer Grundgebühr berechtigt.
OVG 9 N 208.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 9. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Schmidt, den Richter am Oberverwaltungsgericht Bath und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Gaube am 12. Juni 2006 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 28. Oktober 2005 wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 205,28 EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen auf der Grundlage der insoweit allein maßgeblichen Darlegungen (vgl. § 124 a Abs. 4 S. 4 VwGO) des die Zulassung des Rechtsmittels begehrenden Beklagten nicht vor. Der Beklagte tritt der Bewertung des Verwaltungsgerichts, dass die Fäkalienentsorgungssatzungen vom 29. Juni 2000 - FES 2000/I - und vom 3. Mai 1993 - FES 1993 - nichtig seien, ausdrücklich nicht entgegen. Deshalb liegt der Zulassungsgrund auch unter Berücksichtigung dessen nicht vor, dass dem Verwaltungsgericht in der Beurteilung nicht gefolgt werden kann, es könne die Frage nach dem äußeren Geltungsanspruch der FES 1993 offenlassen, weil der Satzungsgeber diese Satzung in § 18 FES 2000/I ausdrücklich rückwirkend außer Kraft gesetzt und damit zum Ausdruck gebracht habe, dass er auf die Bestimmungen der FES 1993 auch dann nicht zurückgreifen wolle, wenn sich die FES 2000/I als nichtig erweisen sollte. Ist nämlich - wie das Verwaltungsgericht zuvor ausführt - die FES 2000/I nicht wirksam bekannt gemacht worden, gilt dies auch für die Vorschrift des § 18 FES 2000/I mit der Folge, dass sie die angenommene Wirkung im Hinblick auf die FES 1993 nicht auslösen kann.

Die Berufung des Beklagten auf die nach Ergehen des angefochtenen Urteils mit Rückwirkung zum 1. August 1995 erlassene Satzung für die öffentliche Fäkalienentsorgung über die dezentrale öffentliche Schmutzwasserentsorgung vom 7. November 2005 - FäkEntS - und den in § 5 angeordneten Anschluss- und Benutzungszwang vermag ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht zu begründen. Die rückwirkende Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs vermag nämlich unabhängig von der Vereinbarkeit einer solchen Rückwirkung mit höherrangigem Recht die Wirkung, die ihr der Beklagte offenbar im Hinblick auf das für die Erhebung einer Grundgebühr tatbestandlich erforderliche Merkmal der Inanspruchnahme der Vorhalteleistung in dem hier streitbefangenen zurückliegenden Leistungszeitraum beimisst, nicht auszulösen. Die Inanspruchnahme der Vorhalteleistung setzt bei der dezentralen Entsorgung des Schmutzwassers aus Grundstücksentwässerungsanlagen wie etwa abflusslosen Gruben voraus, dass das auf dem Grundstück anfallende Schmutzwasser in dem Bewusstsein in der Grube gesammelt wird, dass es - jederzeit - bei Entleerungsbedarf der Einrichtung des Beklagten zur Entsorgung überlassen werden kann, muss und soll. Bei der Erhebung von Grundgebühren lässt § 6 Abs. 4 Satz 3 KAG nämlich nur zu, dass sie grundsätzlich unabhängig vom Umfang der Inanspruchnahme erhoben werden können, es wird aber nicht auf die Inanspruchnahme der Leistung als solche, wie sie nach § 4 Abs. 2 KAG für Benutzungsgebühren kennzeichnend ist, verzichtet. Im Gegensatz zur leitungsgebundenen Schmutzwasserentsorgung kann die Inanspruchnahme der Vorhalteleistung danach jedoch nicht schon allein im Ableiten des Schmutzwassers gesehen werden, denn es fehlt an der bei leitungsgebundenen Einrichtungen gegebenen festen Verbindung mit den vorgehaltenen Entsorgungsanlagen und der dadurch bereits mit dem Ableiten bewirkten Inanspruchnahme sämtlicher Leistungen der Schmutzwasserentsorgung, die einen Mangel im Willen auch hinsichtlich der Inanspruchnahme der Vorhalteleistung tatsächlich und rechtlich ausschließt. Insofern ist es im Sinne einer Vorverlagerung einer im weiteren Verlauf notwendig werdenden Entsorgung des Inhalts der Grundstücksentwässerungsanlage als für die Inanspruchnahme der Vorhalteleistung bereits ausreichend angesehen worden, wenn der Betroffene aufgrund eines wirksam angeordneten Anschluss- und Benutzungszwangs verpflichtet ist, das Schmutzwasser aus der Grube der Kommune (oder dem Zweckverband) zu überlassen. Die Beschränkung der Eigentümerbefugnisse durch den Anschluss- und Benutzungszwang ersetzt insoweit das für die willentliche Inanspruchnahme der Einrichtung erforderliche tatsächliche Moment bei dem potentiellen Nutzer der Einrichtung (grundlegend OVG Bbg, Urteil vom 27. März 2002 - 2 D 46/99.NE -, zuletzt Urteil des Senats vom 1. Dezember 2005 - OVG 9 A 3.05 -). Deshalb genügt es nicht, wenn nachträglich nur die rechtliche Verpflichtung zur Benutzung der Einrichtung statuiert wird. Eine Inanspruchnahme in einem früheren Leistungszeitraum kann in dem hier beschriebenen Sinne nur fingiert werden, wenn die sich aus dem Benutzungszwang ergebende Überlassungspflicht aktuell in dem jeweiligen Leistungszeitraum bereits bestanden hat. Im Nachhinein lässt sich die erforderliche Verhaltenspflicht nicht begründen, weil damit von dem Betroffenen etwas Unmögliches verlangt wird. Durfte er eine Überlassungspflicht negieren und hat er sie negiert, indem er die Leerung seiner abflusslosen Grube durch ein privates Unternehmen durchführen ließ, so dass es auch nicht zu einer Inanspruchnahme der Vorhalteleistungen der öffentlichen Einrichtung gekommen ist, wäre es mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar, solchermaßen im Zeitpunkt seiner Vornahme rechtmäßiges Verhalten nachträglich durch die rückwirkende Begründung einer Überlassungspflicht als rechtswidrig zu bewerten, womöglich als ordnungswidrig mit einem Bußgeld zu belegen oder auch nur durch die Erhebung einer Grundgebühr zu sanktionieren. Der rückwirkende Satzungserlass vermag daher am Fehlen einer Inanspruchnahme der Vorhalteleistung als Voraussetzung für die Erhebung einer Grundgebühr, wie es das Verwaltungsgericht festgestellt hat, nichts zu ändern.

Besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sind danach ebenfalls nicht gegeben. Auf die Wirksamkeit der Satzung vom 7. November 2005 kommt es aus den dargelegten Gründen nicht an; tatsächliche Fragen, die im Zulassungsverfahren nicht zu klären wären, stellen sich deshalb ebenfalls nichts. Auch die rechtlichen Erwägungen, aus denen der Senat die rückwirkende Anordnung eines Anschluss- und Benutzungszwangs in der nachträglich erlassenen Satzung für rechtlich nicht erheblich erachtet, begründen eine besondere rechtliche Schwierigkeit nicht (auf die sich der das Problem nicht erkennende Beklagte im Übrigen auch nicht berufen hat), weil sie sich lediglich als Konsequenz aus der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung zu den Anforderungen an die Inanspruchnahme der Vorhalteleistung bei der Fäkalienentsorgung darstellen und deshalb bereits im Zulassungsverfahren zuverlässig beantwortet werden können.

Der - mit dem Originalschriftsatz offenbar ohnehin nicht mehr weiter verfolgte - in der fristwahrenden Fernkopie der Zulassungsbegründungsschrift noch benannte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ist nicht dargelegt, da schon die (drei) Divergenzentscheidungen nicht konkret benannt sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 und 3 des Gerichtskostengesetzes - GKG -.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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