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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 24.08.2005
Aktenzeichen: OVG 9 N 91.05
Rechtsgebiete: VwGO, VwVfG Bbg


Vorschriften:

VwGO § 70
VwGO § 124 Abs 2 Nr. 1
VwGO § 124 Abs 2 Nr. 3
VwVfG Bbg § 51 Abs 1
Wird Vorbringen eines verfristeten Widerspruchs im Widerspruchsbescheid unter dem Gesichtspunkt eines Antrages auf Wiederaufgreifen des Verfahrens sachlich beschieden, der Widerspruch jedoch unter Hinweis auf die Verfristung als unzulässig zurückgewiesen, eröffnet dies nicht die Möglichkeit der Anfechtungsklage gegen den Ausgangsbescheid, sondern allenfalls die Möglichkeit der Erhebung einer Verpflich-tungsklage auf Wiederaufgreifen des Verfahrens.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

Aktenzeichen: OVG 9 N 91.05

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Wassernutzungsentgelts;

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung,

hat der 9. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht und den Richter am Oberverwaltungsgericht und der Richterin am Oberverwaltungsgericht am 24. August 2005 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 9. März 2004 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 636,55 EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen, nach § 84 Abs. 3 1. Hs. Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - einem Urteil gleichstehenden Gerichtsbescheides gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, mit dem das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen hat, liegen nicht vor.

Soweit die Klägerin sich darauf beruft, dass ihr Widerspruch trotz seiner - unstreitigen - Verfristung sachlich beschieden worden sei, weil der Widerspruchsbescheid sachlich auf mit dem Widerspruch geltend gemachte Einwände eingehe, soweit darin ausgeführt wird, dass die Behauptung der Betrieb sei erst am 1. Oktober 2002 aufgenommen worden, nicht glaubhaft sei, weil schon im Jahre 2000 anstandslos Wassernutzungsentgelt entrichtet worden sei und eine rechtliche Einordnung der Brennerei als nicht privilegierter landwirtschaftlicher Nebenbetrieb vorgenommen werde, so ist diese Bewertung vor dem Hintergrund der für die Auslegung von öffentlich-rechtlichen Bescheiden allgemein geltenden, dem Bürgerlichen Recht entlehnten Rechtsgrundsätze der Auslegung von Willenserklärungen nach dem wahren Willen sowie nach Treu und Glauben unter Rücksicht auf die Verkehrssitte (§§ 133, 157 BGB) nicht zutreffend. Abzustellen ist insoweit darauf, wie ein verständiger Adressat den Widerspruchsbescheid als dessen Empfänger verstanden hätte. Für die Auslegung ist zunächst von Gewicht, dass die Behörde den Widerspruch in einem von der Begründung abgesetzten Entscheidungsausspruch "als unzulässig" zurückgewiesen und damit zu erkennen gegeben hat, dass eine Überprüfung des angefochtenen Bescheides auf seine Recht- und Zweckmäßigkeit nicht erfolgt sei. Auch der Begründung des Widerspruchsbescheides kann aus dieser Warte nichts eindeutig Gegenteiliges entnommen werden. Die Begründung enthält zunächst einen Sachverhaltsteil, in dem sowohl der Verfahrensgang als auch die wesentlichen, von der Klägerin benannten Einwände gegen den angefochtenen Bescheid wiedergegeben werden. Die rechtlichen Erwägungen der Begründung werden sodann mit dem Satz eingeleitet: "Der Widerspruch, ..., ist nicht fristgerecht erhoben worden und deshalb unzulässig." Diese Aussage wird in den nächsten beiden Absätzen mit Ausführungen zum Lauf der Widerspruchsfrist und zum Zeitpunkt der Widerspruchseinlegung näher erläutert. Diese Erläuterungen werden mit dem Satz abgeschlossen: "Da der Widerspruch nicht fristgerecht erhoben worden ist, war er als unzulässig zurückzuweisen." Darüber hinaus heißt es in dem Widerspruchsbescheid, dass sich damit eine Entscheidung zur Frage der Widerspruchsbefugnis der Klägerin erübrige, wobei erläuternd angegeben wird, dass Frau A. E. die Abgabeschuldnerin sei. Schließlich, so heißt es in einem weiteren Absatz, sei es aufgrund der angegebenen Widerspruchsgründe auch nicht erforderlich, das Verfahren wiederaufzugreifen und in eine erneute sachliche Prüfung einzutreten. Dieser Passus der Begründung kann insgesamt nicht als sachliche Bescheidung des Widerspruchs gegen den Bescheid über die Festsetzung des Wassernutzungsentgelts vom 17. Januar 2003 verstanden werden, weil ein Wiederaufgreifen des Verfahrens begriffsnotwendig zunächst dessen bestandskräftigen Abschluss voraussetzt. Infolgedessen kann auch die innerhalb desselben Absatzes folgende knappe Auseinandersetzung mit der Argumentation der Widerspruchsführerin nicht als sachliche Bescheidung des Widerspruchs, sondern nur als Bewertung des Widerspruchsvorbringens unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens etwaiger Wiederaufgreifensgründe verstanden werden. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann der Begründung des Widerspruchsbescheides nach alledem nicht entnommen werden, dass der Widerspruch in der Begründung, anders als im Entscheidungsausspruch dargestellt wird, trotz seiner Verfristung sachlich beschieden worden wäre. Nur das würde indes - wie auch die Beteiligten nicht verkennen - die Klagemöglichkeit eröffnen (ständige Rechtsprechung des BVerwG, vgl. Urteile vom 16. Januar 1964 - VIII C 72.62 - DVBl. 1965, 89; vom 13. Dezember 1967 - IV C 124.65 - BVerwGE 28, 305; vom 18. September 1970 - IV C 78.69 - DÖV 1971, 393; vom 7. Januar 1972 - VI C 61.69 - DVBl. 1972, 423; vom 21. März 1979 - 6 C 10.78 - BVerwGE 57, 342; ferner Beschlüsse vom 17. April 1968 - IV B 91.67 - RdL 1968, 193 und vom 24. Mai 1969 - VII B 106.67).

Das erstinstanzliche Prozessurteil ist auch nicht deshalb zu beanstanden, weil der Widerspruchsbescheid mit den dargestellten Ausführungen zum Wiederaufgreifen des Verfahrens möglicherweise eine selbständige erstmalige Beschwer insoweit enthält, als damit das Begehren der Klägerin, verstünde man es als Antrag im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG Bbg, abgelehnt wird. Denn nach dem ausdrücklichen, anwaltlich formulierten und damit gerichtlicher Auslegung nicht zugänglichen Klageantrag zielte das Klagebegehren nur auf die Aufhebung des Festsetzungsbescheides vom 17. März 2003 "in Form" des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2003, enthielt also kein Verpflichtungsbegehren (vgl. dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 51, Rn. 53), wie es für die gerichtliche Verfolgung der Ablehnung eines Wiederaufgreifensantrages erforderlich gewesen wäre, so dass die Frage des Wiederaufgreifens des Verfahrens nicht Gegenstand des Verfahrens war. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, würde das Übergehen dieses Teils des Prozessgegenstandes nicht das erstinstanzliche Urteil in dem entschiedenen Teil des Prozessgegenstandes fehlerhaft machen, sondern die Rechtsfolgen nach § 120 Abs 2 VwGO auslösen.

Bei der geschilderten Sach- und Rechtslage kann auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO unter Berufung auf die hier aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Heilung eines Fristversäumnisses im Widerspruchsverfahren noch möglich ist, wenn die Behörde in der Widerspruchsbegründung auch im Hinblick auf Gründe für das Wiederaufgreifen des Verfahrens hin prüft, nicht dargetan werden. Die Frage würde sich in einem anschließenden Berufungsverfahren nicht stellen. Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens erfordert zunächst den bestandskräftigen Abschluss des Verwaltungsverfahrens, in dem eine erneute Sachentscheidung begehrt wird. Die Prüfung erfolgt im Übrigen nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag des Betroffenen (vgl. § 51 Abs. 1 VwVfG Bbg); es setzt also im hier vorliegenden Zusammenhang voraus, dass die (hier mit der Erlaßbehörde des Ausgangsbescheides identische) Widerspruchsbehörde den verspäteten Widerspruch als Antrag auf Wiederaufgreifen auffasst, ihn also insoweit gerade nicht als Widerspruch im Sinne der §§ 69, 70 Abs. 1 VwGO bescheidet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 2, § 14 Abs. 1 und Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes (i.F.: GKG a.F.), das hier noch in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung anzuwenden ist (vgl. § 72 Nr. 1 GKG i.d.F. des Art. 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5. Mai 2004. BGBl. I S. 718).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a.F.).

Ende der Entscheidung

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