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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 25.03.2009
Aktenzeichen: OVG 9 S 75.08
Rechtsgebiete: KAG, AO, VwGO, GKG, GO, SWGS


Vorschriften:

KAG § 2 Abs. 1 Satz 2
KAG § 6
KAG § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b
AO § 162
AO § 162 Abs. 1 Satz 2
VwGO § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
VwGO § 80 Abs. 4 Satz 3
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
GKG § 8 Abs. 1
GKG § 8 Abs. 3
GO § 5 Abs. 1 Satz 3
SWGS § 3
SWGS § 3 Abs. 2 Buchst. a
SWGS § 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

OVG 9 S 75.08 OVG 9 S 22.09

In den Verwaltungsstreitsachen

hat der 9. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Leithoff, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Marenbach und den Richter am Finanzgericht Dr. Beck am 25. März 2009 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 24. November 2008 (9 L 270/07) wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Gebührenbescheid des Antragsgegners vom 19. Februar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. März 2007 wird angeordnet, soweit eine Mengengebühr von mehr als 29,00 EUR festgesetzt worden ist.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen der Antragsteller zu 7/10 und der Antragsgegner zu 3/10.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 48,75 EUR festgesetzt.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 24. November 2008 (9 L 55/07) wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Gebührenbescheid des Antragsgegners vom 30. November 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2006 sowie gegen den Gebührenbescheid des Antragsgegners vom 24. Februar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2006 wird angeordnet, soweit jeweils eine Mengengebühr von mehr als 29,00 EUR festgesetzt worden ist.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen der Antragsteller zu 7/10 und der Antragsgegner zu 3/10.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 98,84 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehung dreier Gebührenbescheide, mit denen er zu Schmutzwassergebühren für sein Grundstück herangezogen worden ist. Die Schmutzwassergebühren setzen sich aus Grundgebühren und Mengengebühren zusammen. Da auf dem Grundstück des Antragstellers kein Wasserzähler vorhanden ist, wurden die Mengengebühren auf Grund einer Schätzung der Wassermenge, die u.a. pauschal von einer durchschnittlichen Nutzung des Grundstücks durch 3 Personen ausging, wie folgt berechnet:

9 L 55/07 Potsdam

Gebührenbescheid vom 30. November 2004:

29 cbm Wassermenge x 2,90 EUR/cbm = 84,10 EUR

Gebührenbescheid vom 24. Februar 2006:

30 cbm Wassermenge x 2,90 EUR/cbm = 87,00 EUR

9 L 270/07 Potsdam

Gebührenbescheid vom 19. Februar 2007:

30 cbm Wassermenge x 2,90 EUR/cbm = 87,00 EUR

Das Verwaltungsgericht Potsdam hat die Anträge des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klagen gegen die Gebührenbescheide zurückgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass nach summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Gebührenbescheide bestünden. Die Gebührenbescheide beruhten auf einer offensichtlich ordnungsgemäß ausgefertigten und veröffentlichten Satzung. Die Veranlagung entspreche auch materiell den gesetzlichen Vorgaben, weil die Satzung die in § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG genannten gesetzlichen Mindestbestandteile enthalte, bei deren Ausformung die inhaltlichen Vorgaben des § 6 KAG beachtet worden seien. Gegen die Schätzung des Abwasseranfalls auf dem Grundstück des Antragstellers mit 30 cbm pro Jahr bestünden unter Berücksichtigung des § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b KAG i. V. m. § 162 AO keine Bedenken.

II.

Die Beschwerden, die auf Vollziehungsaussetzung der gesamten Gebührenforderungen (Grund- und Mengengebühren) gerichtet sind, haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Den einstweiligen Rechtsschutzanträgen ist stattzugeben, soweit der Antragsgegner der jeweiligen Festsetzung der Mengengebühren eine geschätzte Wassermenge von mehr als 10 cbm zu Grunde gelegt hat. Im Übrigen greifen die Beschwerden nicht durch.

Beschwerden in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes werden in zwei Stufen geprüft. Auf der ersten Stufe wird untersucht, ob die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung erschüttert worden ist. Hierbei wird wegen § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein auf diejenigen Darlegungen des Beschwerdeführers abgestellt, die innerhalb der einmonatigen Beschwerdebegründungsfrist eingegangen sind. Erschüttern diese Darlegungen die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung, wird auf der zweiten Stufe nach allgemeinem Maßstab untersucht, ob der im Streit stehende vorläufige Rechtsschutz zu gewähren oder zu versagen ist. Bei der Prüfung von Beschwerden in Bezug auf vorläufigen Rechtsschutz gegen Abgabenbescheide ist zu beachten, dass im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kein Raum für aufwändige Tatsachenfeststellungen und die Beantwortung schwieriger Rechtsfragen ist und dass die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Klage mit Blick auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 80 Abs. 5 und § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO - vorbehaltlich des Vorliegens eines Härtefalls - nur anzuordnen ist, wenn an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ernstliche Zweifel bestehen, d.h. der Bescheid bei überschlägiger Prüfung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist.

Hiervon ausgehend ist die erstinstanzliche Entscheidung teilweise zu ändern. Der Antragsteller vermag die Entscheidung des Verwaltungsgerichts allerdings nicht schon mit dem Hinweis zu erschüttern, dass die angefochtenen Bescheide den "Abgabenempfänger" nicht erkennen ließen. Die Gebührenbescheide weisen den vom Antragsgegner vertretenen Zweckverband unmissverständlich als Abgabengläubiger aus und genügen damit den Anforderungen, die insoweit an die hinreichende Bestimmtheit eines Abgabenbescheides gestellt werden.

Auch der gegen die formelle Wirksamkeit der Schmutzwassergebührensatzung (SWGS) gerichtete Einwand der mangelnden Genehmigung und Ausfertigung der Satzung verfängt nicht. Nach § 8 Abs. 1 und 3 GKG i. V. m. § 5 Abs. 1 Satz 3 GO bedürfen kommunale Satzungen einer Genehmigung nur, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Ein derartiges gesetzliches Genehmigungserfordernis besteht für die in Rede stehende Satzung nicht. Der Vorwurf einer fehlerhaften Satzungsausfertigung ist bereits zu unsubstanziiert, um ihm weiter nachzugehen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner es versäumt hat, die Satzungsurkunde im Original zu unterzeichnen.

Angesichts der tatsächlichen und rechtlichen Trennung von Schmutzwasser- und Niederschlagswasserentsorgung im Verbandsgebiet ist der Vorhalt einer fehlenden Entwässerungssystementscheidung und einer sich daraus ergebenden Undurchsichtigkeit der Gebührensätze nicht geeignet, die Wirksamkeit der SWGS in materieller Hinsicht in Frage zu stellen.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers zieht die Schätzung der seinem Grundstück zugeführten Wassermenge weder die Richtigkeit des in § 4 SWGS normierten Mengengebührensatzes noch die Bestimmtheit der in § 3 SWGS getroffenen Maßstabsregelung in Zweifel.

Wenn der Antragsteller die Fehlerhaftigkeit des Mengengebührensatzes damit zu begründen versucht, dass die Frischwassermaßstabsregelung in § 3 Abs. 2 Buchstabe a SWGS ausschließlich die durch Wasserzähler ermittelte Wassermenge als Maßstabseinheiten erfasse, verkennt er die Schätzungsbefugnis des Satzungsgebers im Rahmen der Gebührensatzkalkulation, die keine rechnerisch genaue Bestimmung der gebührenfähigen Kosten und Maßstabseinheiten verlangt. Vielmehr reicht eine prognostische Ermittlung aus, der naturgemäß Schätzungen und Wertungen zu Grunde liegen. Derartige Prognosen sind durch das Gericht nur daraufhin überprüfbar, ob die der Kalkulation zu Grunde gelegten Berechnungsfaktoren vertretbar angenommen werden konnten. Demgemäß wird die Richtigkeit des Gebührensatzes nicht schon dadurch in Frage gestellt, dass in einem Einzelfall wie dem vorliegenden die dem Grundstück zugeführte Wassermenge letztlich nicht durch einen Wasserzähler, sondern lediglich im Wege der Schätzung ermittelt werden kann.

Die hiernach bei der Kalkulation des Gebührensatzes zulässige Schätzung der Maßstabseinheiten lässt die Vollständigkeit und Bestimmtheit des in § 3 SWGS verankerten modifizierten Frischwassermaßstabes unberührt. Der gewählte Maßstab muss zwar eine vollständige gebührenrechtliche Erfassung der Schmutzwassermenge gewährleisten, die von den angeschlossenen Grundstücken in die öffentliche Schmutzwasseranlage gelangt. Im Hinblick darauf, dass die im Satzungsgebiet des Antragsgegners angeschlossenen Grundstücke regelmäßig mit Wasserzählern auszustatten sind, ist es dem Satzungsgeber jedoch unbenommen, mit seiner Frischwassermaßstabsregelung an diesen Regelfall anzuknüpfen und als Maßstabseinheiten die durch Wasserzähler ermittelte Wassermenge zu bestimmen. Dagegen ist der Satzungsgeber nicht gehalten, auch für regelwidrige Ausnahmefälle - wie hier des fehlenden Wasserzählers auf dem Grundstück des Antragstellers - eine ausdrückliche Maßstabsregelung zu treffen. Solche Ausnahmefälle sind bei der Kalkulation des Gebührensatzes von dem Schätzungsspielraum des Satzungsgebers gedeckt. Etwaige schätzungsbedingte Unsicherheiten betreffen die Anzahl der Maßstabseinheiten im Abrechnungsgebiet und damit die kalkulatorischen Berechnungsgrundlagen, lassen jedoch die Vollständigkeit und Bestimmtheit des gewählten Gebührenmaßstabes unberührt.

Auch gegen die Befugnis des Antragsgegners zur Schätzung im Rahmen der Gebührenfestsetzung bestehen keine grundsätzlichen rechtlichen Bedenken. Die bei der Gebührenfestsetzung für das jeweilige Grundstück anzusetzenden Maßstabseinheiten (Wassermenge) sind Teil der Bemessungsgrundlage (vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b KAG i.V.m. § 157 Abs. 2 AO) und deshalb gemäß § 162 AO zwingend zu schätzen, wenn sie sich - wie hier - mangels Wasserzählers nicht ermitteln lassen. Allerdings hat der Antragsgegner die Schätzung hier nicht korrekt durchgeführt. Die aus § 162 AO folgende Schätzungsbefugnis des Antragsgegners im Gebührenfestsetzungsverfahren gilt nicht uneingeschränkt. Vielmehr hat der Antragsgegner nach § 162 Abs. 1 Satz 2 AO bei der Schätzung der Bemessungsgrundlagen alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Dies hat der Antragsgegner nicht getan. Zwar verfängt der Vorhalt des Antragstellers nicht, dass sich die Schätzung an den belegten Schmutzwasserabfuhrmengen von jährlich circa 1 cbm in den Jahren 2001 bis 2003 hätte orientieren müssen, die auch nicht etwa auf eine Undichtigkeit der Fäkalienanlage zurückzuführen seien. Denn die Frage, inwieweit der Antragsgegner bei seiner Schätzung an derartige Umstände gebunden ist, lässt sich angesichts des bestehenden Schätzungsspielraums im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht beantworten und ist daher einer Klärung im Hauptsacheverfahren vorzubehalten.

Jedoch hat der Antragsteller mit seinen Beschwerden insoweit Erfolg, als er die Richtigkeit der festgesetzten Mengengebühren mit dem Einwand ernstlich in Zweifel zieht, dass sich die in den angefochtenen Gebührenbescheiden schätzungsweise angesetzte Wassermenge von jährlich etwa 30 cbm auf eine Nutzung des angeschlossenen Grundstücks durch 3 Personen beziehe, während er - der Antragsteller - sein Grundstück tatsächlich allein nutze. Die Zahl der das Grundstück nutzenden Personen beeinflusst die anfallende Wassermenge erfahrungsgemäß erheblich. Angesichts der Bedeutung dieses Umstandes für die Schätzung wird sich die bisherige Schätzungspraxis des Antragsgegners, die bei der Schätzung der Wassermenge stets von einem Nutzerkreis von 3 Personen ausgeht, unter den Gesichtspunkten der Verwaltungspraktikabilität und Typengerechtigkeit nicht rechtfertigen lassen. Dies gilt umso mehr, als es hierbei nicht um - im Einzelfall kaum zu überprüfende - individuelle Nutzungsgewohnheiten, sondern um eine Schätzungsgröße geht, die für den Antragsgegner durch Befragung der Grundstückseigentümer ermittelbar und gegebenenfalls durch stichprobenartige Kontrollen überprüfbar ist. Vor diesem Hintergrund ist es im Hinblick auf die vom Antragsgegner nicht ausdrücklich bestrittene alleinige Nutzung des Grundstücks durch den Antragsteller geboten, die aufschiebende Wirkung der Klagen insoweit anzuordnen, als der jeweiligen Festsetzung der Mengengebühren eine geschätzte Wassermenge von mehr als 10 cbm zu Grunde gelegt worden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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