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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Urteil verkündet am 21.05.2003
Aktenzeichen: OVG 1 B 1.02
Rechtsgebiete: StVO


Vorschriften:

StVO § 45
StVO § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 2
StVO § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 2 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen OVG 1 B 1.02

Verkündet am 21. Mai 2003

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21. Mai 2003 durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Kipp und die Richter am Oberverwaltungsgericht Seiler und Fieting sowie die ehrenamtliche Richterin Heß und den ehrenamtlichen Richter Klebig

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 1. März 2002 wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen, soweit das Verfahren in die zweite Rechtsstufe gelangt ist.

Der Kläger trägt die bis zum Abschluss der ersten Rechtsstufe entstandenen Verfahrenskosten zu 2/3 und die Verfahrenskosten der zweiten Rechtsstufe in vollem Umfang.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erteilung eines Parkausweises.

Der Kläger nutzt abwechselnd mit seinem Vater den auf diesen zugelassenen Pkw Smart mit dem polizeilichen Kennzeichen ... . Für dieses Fahrzeug besitzt der Vater des Klägers entsprechend seiner Wohnanschrift (Straße) einen Anwohnerparkausweis für die Zone 8. Dessen Antrag, ihm einen weiteren Anwohnerparkausweis für die der Wohnanschrift des Klägers (straße) entsprechende Zone 6 zu erteilen, lehnte der Polizeipräsident in Berlin durch Bescheid vom 31. Mai 1999 ab. Den durch den Vater des Klägers erhobenen Widerspruch wies die Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr durch Bescheid vom 25. August 1999 zurück.

Der Vater des Klägers hat am 1. September 1999 bei dem Verwaltungsgericht Klage erhoben, diese am 3. November 1999 auf den Kläger erstreckt und sie hinsichtlich seiner eigenen Verfahrensbeteiligung im erstinstanzlichen Termin zur mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Die Klage sei begründet, denn Wortlaut, Gesetzeszweck und eine am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG sowie an der umweltpolitischen Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG orientierte Auslegung von § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 2 StVO ergäben, dass hier für ein und dasselbe Fahrzeug zwei Anwohnerparkausweise erteilt werden müssten. Durch Urteil vom 1. März 2002 hat das Verwaltungsgericht den Beklagten unter Aufhebung der genannten Bescheide verpflichtet, dem Kläger einen Anwohnerparkausweis für die Zone 6 auszustellen.

Zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Berufung macht der Beklagte geltend: Auch bei privatem Car-Sharing, wie es von dem Kläger und seinem Vater betrieben werde, werde grundsätzlich nur ein Parkausweis pro Fahrzeug ausgestellt. Lediglich Mitglieder kommerzieller Car-Sharing-Organisationen erhielten jeweils einen eigenen Bewohnerparkausweis, denn dort sei die Gefahr eines Missbrauchs der Parkausweise erheblich geringer.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 1. März 2002 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte, der Streitakte im Verfahren VG 25 A 360.99/OVG 1 SN 15.00, des Verwaltungsvorganges sowie des Widerspruchsvorgangs ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist begründet, so dass das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und die Klage abzuweisen ist.

Allerdings hält auch der Senat die Klage für zulässig. Der Vater des Klägers hat den Antrag auf Erteilung eines Anwohnerparkausweises für die Zone 6 zwar ausdrücklich im eigenen Namen gestellt. Der der Behörde unterbreitete Sachverhalt und die dem Antrag zum Beleg der Wohnanschrift des Klägers beigefügte Kopie seines Personalausweises ließen jedoch keinen Zweifel daran, dass der Parkausweis durch den Kläger genutzt und damit für ihn erteilt werden sollte. Dieses Begehren hat der Beklagte abschlägig beschieden und zudem im Widerspruchsbescheid ausdrücklich ausgeführt, dass ein durch den Kläger selbst gestellter Antrag auf Erteilung des Anwohnerparkausweises ebenfalls keinen Erfolg haben könne. Die angefochtenen Bescheide sind gegenüber dem Kläger auch nicht bestandskräftig geworden. Da sie nicht an ihn adressiert waren und ihm gegenüber folglich nicht bekannt gegeben bzw. zugestellt wurden, liefen insoweit auch keine Rechtsbehelfsfristen.

Die Klage ist aber nicht begründet. Die Entscheidung des Beklagten, für das auf den Vater des Klägers zugelassene Fahrzeug neben der bereits für die Parkzone 8 erteilten Vignette keinen weiteren Parkausweis für die Zone 6 zu erteilen, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§113 Abs. 5 VwGO).

Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen. Die rückwirkende Erteilung eines Parkausweises wird mit der Klage nicht erstrebt. Rechtliche Grundlage des Begehrens des Klägers ist deshalb § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 2 a StVO in der am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Fassung der 35. Verordnung zur Änderung straßenrechtlicher Vorschriften vom 14. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3783). Danach treffen die Straßenverkehrsbehörden u.a. die notwendigen Anordnungen im Zusammenhang mit der Kennzeichnung von Parkmöglichkeiten für Bewohner städtischer Quartiere mit erheblichem Parkraummangel durch vollständige oder zeitlich beschränkte Reservierung des Parkraums für die Berechtigten oder durch Anordnung der Freistellung von angeordneten Parkraumbewirtschaftungsmaßnahmen.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift sind erfüllt. Der Kläger ist unstreitig Bewohner eines Innenstadtquartiers mit erheblichem Parkraummangel und erstrebt die Freistellung von unter anderem seine Wohnstraße erfassenden Parkraumbewirtschaftungsmaßnahmen. Allerdings räumt die Vorschrift den Bewohnern keinen strikten Rechtsanspruch auf Reservierung von Parkraum oder Freistellung von einer angeordneten Parkraumbewirtschaftung ein, sondern stellt entsprechende Maßnahmen in das pflichtgemäße Ermessen der Straßenverkehrsbehörde. Dessen Ausübung ist hier rechtlich nicht zu beanstanden; insbesondere hat sich das behördliche Ermessen nicht zu einem Anspruch des Klägers auf Erteilung des von ihm begehrten Parkausweises verdichtet.

Die Straßenverkehrsbehörde hat ihr Ermessen durch ihre ständige, den bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zur Straßenverkehrsordnung folgende Entscheidungspraxis gebunden. Die Verwaltungsvorschrift zu § 45 StVO (in der hier anzuwendenden Fassung vom 18. Dezember 2001 - BAnz Nr. 242, Seite 25513 = VkBl. 2002, Amtlicher Teil, Seite 144) regelt in Rdnr. 35 den Grundsatz, dass jeder Bewohner nur einen Parkausweis für ein auf ihn als Halter zugelassenes oder nachweislich von ihm dauerhaft genutztes Kraftfahrzeug erhält. Damit ist es grundsätzlich ausgeschlossen, dass für ein und dasselbe Fahrzeug mehrere Vignetten für verschiedene Parkzonen ausgestellt werden. Dies wird, wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, durch technische Vorkehrungen auch wirksam kontrolliert. Eine Ausnahme gilt allerdings für Bewohner, die Mitglied einer Car-Sharing-Organisation sind. Sie erhalten jeweils einen Parkausweis, in dessen Kennzeichenfeld der Name der Car-Sharing-Organisation einzutragen ist. Diese Privilegierung erfasst indes nicht die vom Kläger und seinem Vater praktizierte Form des privaten Car-Sharing. Als Car-Sharing-Organisation sieht der Beklagte in seiner ständigen Verwaltungspraxis, auf die es für die Frage seiner Selbstbindung allein ankommt, nur kommerziell organisierte Unternehmen an, die zudem überregional tätig und allgemein erreichbar sein müssen. Jegliche Form des privaten Car-Sharing, selbst wenn es in Gesellschaftsform organisiert ist, wird von der Privilegierung ausgenommen.

Die (im Übrigen schon vor der Neufassung der Verwaltungsvorschriften zu § 45 StVO) zwischen gewerblichem und privatem Car-Sharing differenzierende Verwaltungspraxis des Beklagten ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie ist insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und der Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG zu vereinbaren. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Die in Rede stehenden Parkbevorrechtigungen dienen dazu, die Parkraumsituation der Anwohner innerstädtischer Wohnstraßen zu verbessern, um die innerstädtischen Wohngebiete wieder attraktiver zu gestalten und einer Abwanderung motorisierter Bewohner in das Stadtumland entgegenzuwirken (vgl. Begründung zu § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 2 StVO a.F., BT-Drs. 8/3150, Seite 9). Gleichzeitig zwingt die Privilegienfeindlichkeit des Straßenverkehrsrechts jedoch dazu, Parkbevorrechtigungen auf das notwendige Maß zu beschränken und Missbrauch vorzubeugen. Würde das Parkvorrecht größere Bereiche oder gar gesamte Stadtviertel erfassen, würde es seinen Charakter wandeln und den Bewohnern eines entsprechenden Bereichs ermöglichen, innerhalb desselben alle Verrichtungen des täglichen Lebens unter bevorzugten Bedingungen mit dem Auto vorzunehmen (vgl. BVerwGE 107, 39, 42). Deshalb soll die maximale Ausdehnung von Bewohnerparkbereichen nicht über 1 000 Meter liegen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drs. 14/4304 S. 8, 11). Demgemäß sollen Innenstadtbereiche von Großstädten in mehrere Bereiche mit Bewohnerparkrechten (Parkzonen) aufgeteilt werden, um einer willkürlichen Ausdehnung von Bewohnerparkbereichen entgegenwirken und gleichzeitig den verfassungsrechtlich geschützten Gemeingebrauch an Straßen sichern (vgl. Begründung der Neufassung des § 45 Abs. 1 b Nr. 2 a StVO, VkBl 2002, Amtlicher Teil, S. 139 f.).

Um eine missbräuchliche Inanspruchnahme anderer Parkzonen möglichst auszuschließen, sieht die zitierte Verwaltungsvorschrift grundsätzlich vor, dass jeder Bewohner nur einen Parkausweis für ein auf ihn als Halter zugelassenes oder nachweislich von ihm dauerhaft genutztes Kraftfahrzeug erhält. Demgegenüber würde sich die Missbrauchsgefahr beachtlich erhöhen, wenn mehrere miteinander bekannte Personen, die in unterschiedlichen Parkraumbewirtschaf-tungszonen wohnen und ein Fahrzeug abwechselnd nutzen (privates Car-Sharing), für dieses Fahrzeug jeweils einen Parkausweis erhielten. Denn hier bestünde die Möglichkeit, dass die Fahrzeugbenutzer einander ihre Parkausweise überlassen (z.B. im Handschuhfach des Autos belassen) und es sich auf diese Weise gegenseitig ermöglichen, in mehreren Zonen scheinbar bevorrechtigt zu parken. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass das Fahrzeug in solchen Fällen immer nur in einer Zone stehen kann, es also nicht zu einer übermäßigen Einschränkung des Gemeingebrauchs kommen kann. Dies träfe auch in dem Fall einer Überdehnung der An- bzw. Bewohnerparkbereiche zu. Dort wie hier bestünde aber die Möglichkeit, die Privilegierung für andere als die vom Normgeber vorgesehenen Zwecke zu nutzen, z.B., um Einkäufe, Arzt- oder Behördenbesuche zu erledigen (vgl. BVerwGE a.a.O.). Im Übrigen könnte die mehrfache Ausgabe von Parkausweisen bei privatem Car-Sharing auch dadurch missbraucht werden, dass Personen, die zwar eine Fahrerlaubnis, aber kein eigenes Kraftfahrzeug besitzen, als angebliche Car-Sharing-Partner vorgeschoben werden, ihren Parkausweis sodann aber von vornherein dem eigentlichen Nutzer des Fahrzeugs überlassen. Es erscheint auch nicht ausgeschlossen, dass diese Möglichkeit des Missbrauchs auch dann noch als lukrativ empfunden wird, wenn der eigentliche Nutzer des Fahrzeugs für die Gebühren sämtlicher Parkausweise aufkommt.

Demgegenüber bestehen die aufgezeigten Missbrauchsmöglichkeiten bei Mitgliedern gewerblicher Car-Sharing-Organisationen in aller Regel nicht. Da diese untereinander gewöhnlich keinen Kontakt haben, sondern das Fahrzeug jeweils über die Car-Sharing-Organisation beziehen, und es sich dabei auch nicht immer um dasselbe Fahrzeug handelt, besteht keine nennenswerte Gefahr, dass sie sich ihre Parkausweise zur gegenseitigen Nutzung überlassen. Überdies ist angesichts des oft nicht unerheblichen Mitgliedsbeitrags anders als beim privaten Car-Sharing nicht zu besorgen, dass angebliche Car-Sharing-Teilnehmer vorgeschoben werden. Schließlich ist für eine hinreichende Kontrollierbarkeit gesorgt, denn das Bewohnerparkvorrecht gilt nach der Verwaltungsvorschrift nur dann, wenn das Fahrzeug etwa durch eine Aufschrift oder einen Aufkleber von außen deutlich erkennbar der Car-Sharing-Organisation zuzuordnen ist.

Art. 20 a GG führt zu keinem für den Kläger günstigeren Ergebnis. Diese Verfassungsnorm ist als objektiv-rechtlich wirkende Staatszielbestimmung ausgestaltet und enthält keinen subjektiv-rechtlichen Anspruchstatbestand. Sie ist allerdings bei der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe und der Betätigung behördlichen Ermessens zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19. Dezember 1997 - 8 B 234/97 -, NVwZ 1998, 1080 f.; Sommermann in v. Münch, GG, 4./5. Aufl., Art. 20 a, Rdziff. 10, 30 f.). Diesem Auftrag ist hier Rechnung getragen. Die Privilegierung des gewerblichen Car-Sharing zeigt, dass der im Verzicht auf ein eigenes Auto liegende Beitrag zum Umweltschutz bei der Festlegung der straßenverkehrsbehördlichen Verwaltungspraxis durchaus gesehen und honoriert worden ist. Der Senat vermag aber nicht zu erkennen, dass die Straßenverkehrsbehörden im Ergebnis der von ihnen zwischen der Gefahr eines Mißbrauchs und dem Umweltschutzauftrag vorzunehmenden Abwägung letzterem zwingend das größere Gewicht einräumen müssen.

Schließlich kommt es rechtlich nicht darauf an, dass gerade bei dem Kläger und seinem Vater ein Missbrauch der im Rahmen eines privaten Car-Sharing eingeräumten Bewohnerparkvorrechte nicht zu besorgen ist. Die Straßenverkehrsbehörde darf sich bei der Ausübung des ihr eingeräumten Ermessens auch von Gründen der Verwaltungspraktikabilität leiten lassen. Gerade auf Gebieten sogenannter Massenverwaltung wie der Zuteilung von Bewohnerparkausweisen muss ihr eine gewisse Pauschalierung erlaubt sein, die es entbehrlich macht, in jedem Einzelfall der Frage nachzugehen, ob die generell begründete Besorgnis eines Missbrauchs hier ausnahmsweise zu verneinen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 ZPO. Eines Vollstreckungsschutzausspruchs gemäß § 711 ZPO bedurfte es nicht.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Ende der Entscheidung

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