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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 09.06.2005
Aktenzeichen: OVG 1 S 14.05
Rechtsgebiete: VwGO, StVG, FeV


Vorschriften:

VwGO § 146
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
VwGO § 147
StVG § 24 a Abs. 2
StVG § 25 Abs. 1 Satz 2
FeV § 46 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 1 S 14.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Monjé , den Richter am Oberverwaltungsgericht Seiler und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Gaube am 9. Juni 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. Dezember 2004 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die nach §§ 146, 147 VwGO zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Die von dem Antragsgegner dargelegten und nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfenden Beschwerdegründe rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern.

Das Verwaltungsgericht hat die offensichtliche Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis verneint, weil der Antragsteller unwiderlegt geltend gemacht hatte, seit dem 29. Juni 2004 keine Drogen konsumiert zu haben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es zweifelhaft sei, ob ein lediglich für die Vergangenheit nachgewiesener Konsum von Drogen für das Vorliegen des Mangels "Einnahme" von Betäubungsmitteln i.S.d. Ziffern 9.1 und 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ausreiche, um die Fahrerlaubnis ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen zu entziehen. Diese Zweifel hat es auf eine Auslegung des Begriffs "Einnahme", einen möglichen Wertungswiderspruch zu §§ 25 Abs. 1 Satz 2, 24 a Abs. 2 StVG und das Tatbestandsmerkmal "vorliegen" des § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gestützt.

Das Vorbringen des Antragsgegners, dass Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV auf den einmaligen Konsum "harter Drogen" (hier Kokain) abstelle, um die Fahrerlaubnisbehörde von einer Einzelfallprüfung zu entbinden, setzt sich mit den - auf der Dauer des seit der letzten nachgewiesenen Drogeneinnahme verstrichenen Zeitraumes gegründeten - Zweifeln des Verwaltungsgerichts nicht auseinander. Der Antragsgegner lässt zudem die Vorbemerkung zu Anlage 4 der FeV außer Acht. Wenn der Verordnungsgeber dort klarstellt, dass in der Regel ein ärztliches Gutachten Beurteilungsgrundlage ist, die in der Anlage vorgenommenen Bewertungen nur für den Regelfall gelten und Kompensationen (u.a.) durch besondere Verhaltensumstellungen möglich sind, so legt dies nahe, dass bei länger zurückliegender einmaliger Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) die Fahrerlaubnisbehörde gerade nicht auf Aufklärungsmaßnahmen verzichten kann. Da die Vorbemerkung keine Einschränkungen enthält, gilt sie auch für den Mangel nach Ziffer 9.1. Damit trägt der Verordnungsgeber dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung, der jedenfalls bei Vorliegen besonderer Umstände auch bei denjenigen Betäubungsmitteln behördliche Aufklärungsmaßnahmen gebieten kann, die eine hohe Gefährlichkeit aufweisen. Dass zu diesen besonderen Umständen eine längere Drogenabstinenz gehören kann, hat der Verordnungsgeber nicht nur durch die in Ziffer 3 der Vorbemerkung als Kompensationsmöglichkeit aufgeführte Verhaltensumstellung geregelt, sondern auch durch das in Ziffer 9.5 der Anlage normierte Erfordernis der Abstinenz. Wenn dieses Kriterium bei Abhängigkeit von "harten Drogen" relevant ist, so muss dies erst Recht bei deren einmaliger Einnahme gelten. Bereits aus diesem Grunde geht der Einwand des Antragsgegners, dass Ziffer 9.1 gerade keine Abhängigkeit erfordere, fehl. Hinzu kommt, dass nach Ziffer 9.5 bei Drogenabhängigkeit nicht nur eine - einjährige - Abstinenz erforderlich ist, sondern auch der Nachweis einer Entgiftung und Entwöhnung.

Nach alledem kommt es nicht darauf an, ob der von dem Verwaltungsgericht als möglich angesehene und von dem Antragsgegner in Abrede gestellte Wertungswiderspruch zu §§ 25 Abs. 1 Satz 2, 24 a Abs. 2 StVG besteht. Ebenso wenig greift der Hinweis des Antragsgegners auf den Beschluss des erkennenden Senats vom 16. August 2004 - OVG 1 S 44.04 - durch. Wie bereits das Verwaltungsgericht hervorhob, hatte der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen, ob das Vorbringen des dortigen Antragstellers, "zu keiner Zeit bewusst und zielgerichtet Drogen eingenommen zu haben" glaubhaft war. Zudem enthält der Beschluss den selbstständig tragenden Grund, dass das Verwaltungsgericht unter eingehender Abwägung der Umstände des dortigen Falles zu Recht ein überwiegendes Vollzugsinteresse bejaht habe.

Die Richtigkeit der im vorliegenden Fall von dem Verwaltungsgericht durchgeführte Interessenabwägung stellt der Antragsgegner mit seinem Beschwerdevorbringen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) nicht schlüssig in Frage. Wenn das Gericht, wie hier, Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes hat, die Erfolgsaussichten mithin offen sind, ist das Aussetzungsinteresse des Antragstellers gerade unabhängig von der Prüfung der Rechtmäßigkeit (sei es der behördlichen Verfügung, sei es der Anordnung des Sofortvollzuges) gegen das Vollzugsinteresse des Antragsgegners abzuwägen. Dabei ist hier, wie aus dem Vorstehenden folgt, die geltend gemachte Dauer der Drogenabstinenz des Antragstellers nicht erst für ein Neuerteilungsverfahren von Belang.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Beschwerdegegenstandes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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