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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 05.12.2003
Aktenzeichen: OVG 2 S 30.03
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO


Vorschriften:

BauGB § 34 Abs. 2
BauGB § 34
BauNVO § 3
BauNVO § 3 Abs. 2
BauNVO § 3 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 2 S 30.03

Beschluss

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 5. Dezember 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerden des Antragsgegners und der Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 5. September 2003 werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Antragsgegner und die Beigeladene je zur Hälfte.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2 000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist Eigentümer des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks B. Straße in Berlin-Pankow-Heinersdorf. Das Siedlungsgebiet entlang der B. Straße, die in Süd-Nordrichtung von der R.-R.-Straße bis zur F.straße durch Heinersdorf verläuft, ist nicht beplant und hat sich sehr unterschiedlich entwickelt. Im südlichen Abschnitt der B. Straße haben sich ausschließlich Gewerbebetriebe angesiedelt, während weiter nördlich Wohnbebauung und Kleingartengelände folgt. Die Gewerbebebauung endet in Richtung Norden mit einem Lidl-Verbrauchermarkt und einem Möbelmarkt an einer torgesicherten Betriebszufahrt zu der weiter östlich gelegenen Industriebrachfläche, auf der noch eine Asphaltmischanlage sowie eine Bauschuttrecyclinganlage in Betrieb sind. Dieser Zufahrt wird von dem nördlich gelegenen Grundstück B. Straße durch eine 3 m hohe und circa 100 m lange Betonmauer sowie einen kleinen Grünstreifen abgegrenzt. Auf diesem Grundstück sowie den nachfolgenden Grundstücken entlang der Blankenburger Straße befinden sich bis zu der in Höhe der I.straße beginnenden Kleingartensiedlung "F." nur Wohnhäuser; ebenso auf den weiter östlich, beidseits der Straße gelegenen Grundstücken, bei denen es sich teilweise auch um Wochenendhausbebauung handelt. Diese Bebauung setzt sich westlich der B. Straße in dem Dreieck zwischen der Kleingartenanlage "N." und der I.straße fort.

Der Antragsteller wehrt sich im vorliegenden Verfahren gegen die Bebauung des Nachbargrundstücks B. Straße mit einem Wohnhaus mit einer Gaststätte. Hierfür ist der Beigeladenen von dem Antragsgegner die Baugenehmigung vom 6. März 2003 zur Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses mit Gewerbe erteilt worden, wobei die Platzzahl der Gaststätte in einem ersten Nachtrag zu der Baugenehmigung vom 6. März 2002 von 80 auf 40 reduziert worden ist. Der Antragsteller hat hiergegen Widerspruch eingelegt und nachfolgend beim Verwaltungsgericht Berlin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragt.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat dem Antrag mit Beschluss vom 5. September 2003 stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das Baugrundstück und das Grundstück des Antragstellers in einem faktischen reinen Wohngebiet im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 3 BauNVO lägen, in dem eine Gaststätte nicht zulässig sei. Die Grundstücke B. Straße sowie die weiter östlich gelegenen rückwärtigen Grundstücke wiesen ausschließlich Wohnbebauung oder Wochenendhausbebauung auf. Die weiter südlich gelegenen Gewerbebetriebe würden sich nicht prägend auf die Grundstücke B. Straße auswirken, denn die Betriebszufahrt zu der sich östlich anschließenden Industriebrachfläche stelle eine städtebauliche Zäsur zwischen der Wohnbebauung und der gewerblichen Nutzung dar. Umgekehrt hätten auch die Wohngrundstücke keinen prägenden Einfluss auf das Gewerbegebiet gehabt, so dass keine Gemengelage vorliege. Der Antragsteller werde deshalb durch die genehmigte Art der baulichen Nutzung des Nachbargrundstücks mit einer Gaststätte in seinen geschützten Nachbarrechten verletzt.

Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 5. September 2003 haben die Beigeladene und der Antragsgegner Beschwerde eingelegt.

Sie sind der Ansicht, dass die Betriebszufahrt zu der Industriebrachfläche südlich des Grundstücks B. Straße keine städtebauliche Zäsur darstelle, die eine getrennte bauplanungsrechtliche Beurteilung erlaube. Die mit dem Grundstück B. Straße beginnende Wohnbebauung sei durch die angrenzenden Gewerbegrundstücke und die weiter östlich gelegene Industriebrachfläche gewerblich mitgeprägt, so dass eine Gemengelage entstanden sei. Diese Grundstücke seien stets dem Lärm des Lkw-Verkehrs auf der Zufahrt zu der Industriebrachfläche ausgesetzt gewesen, die während des Tages von circa 40 Lastkraftwagen befahren worden sei. Trotz der Verlegung einiger Firmen und der Verlagerung der Zufahrt diene diese noch immer als Verbindungsstraße zu den hinteren Parkplätzen eines Bürogebäudes sowie der kurze Abzweig davor der Belieferung des Lidl-Verbrauchermarkts und des Möbelgeschäfts. Hinzu komme der unverändert starke Straßenverkehrslärm von der B. Straße und der Fluglärm in dieser Einflugschneise zum Flughafen Tegel. In dieser Umgebung sei ein Restaurant der von der Beigeladenen geplanten Größenordnung ohne weiteres zulässig, zumal die umgebende gewerbliche Nutzung einen Störungsgrad aufweise, der weit über den von der Gaststätte zu erwartenden Immissionen liege. Bei dieser Situation ginge ein etwaiger Betriebslärm des Restaurants völlig unter und würde keinerlei zusätzliche Belastungen hervorrufen, so dass eine Verletzung des drittschützenden Rücksichtnahmegebots nicht gegeben sein könne. Bauplanungsrechtlich könne eine solche Bestandssituation nicht mit einem reinen Wohngebiet überplant werden, weil die Anforderungen an dessen Zweckbestimmung nicht erfüllt seien. Schließlich hätten die Bewohner eines reinen Wohngebiets einen Anspruch auf größtmögliche Wohnruhe, die aufgrund der Vielzahl der störenden Einflüsse nicht gewährleistet sei. Auch das schließe eine Beurteilung des Gebiets nach § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 3 BauNVO aus.

Darüber hinaus sei das Grundstück der Beigeladenen bis zum Jahr 2000 von einem Dachdeckerbetrieb als Zwischenlager für Baumaterialien, Bauwagen, Schuttcontainer und Nutzfahrzeuge verwendet worden, so dass zumindest insoweit von einer überwirkenden gewerblichen Prägung auszugehen sei, die die Genehmigung einer Gaststätte erlaube. Im Übrigen setze sich der Bebauungszusammenhang, in dem sich die Grundstücke befänden, auch jenseits der B. Straße fort und reiche im Westen bis zu der Industriebahntrasse sowie im Norden bis zur F.straße. In diesem Bereich befänden sich zahlreiche zumindest teilgewerblich genutzte Grundstücke, so dass insgesamt von einem allgemeinen Wohngebiet auszugehen sei, in dem Schank- und Speisewirtschaften zulässig seien. Der Antragsgegner verweist in diesem Zusammenhang auf gewerbliche Nutzungen in dem Siedlungsgebiet beidseits der B. Straße bis zur F.straße, deren Existenz er der Betriebekartei entnommen habe. Auf den vom Antragsgegner eingereichten Lageplan mit insgesamt 26 eingetragenen gewerblichen Nutzungen sowie die beigefügte Legende zum Lageplan mit der Beschreibung der gewerblichen Nutzungen und den Auszügen aus der Betriebekartei wird Bezug genommen.

Die Beigeladene beantragt,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 5. September 2003 zu ändern und den Antrag des Antragstellers, die aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Baugenehmigung des Bezirksamts Pankow von Berlin vom 6. März 2003 in Gestalt der ersten Nachtragsgenehmigung anzuordnen, zurückzuweisen.

Der Antragsgegner schließt sich dem Beschwerdeantrag der Beigeladenen an.

Der Antragsteller stellt keinen Antrag.

Er wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und führt ergänzend aus, dass die Gaststätte trotz der erheblichen Vorbelastungen durch den Verkehrslärm der B. Straße und den Betriebslärm des Gewerbegebiets zusätzliche Lärmbelastungen hervorrufen würde. Diese würden entgegen der Auffassung des Antragsgegners und der Beigeladenen nicht im allgemeinen Lärm "untergehen", weil die Öffnungszeiten der Gaststätte gerade in den lärmärmeren Phasen des Tages lägen, so dass für den Antragsteller zeitverschoben noch weitere Lärmbelastungen hinzukämen. Er bestreitet die Existenz der von dem Antragsgegner angeführten gewerblichen Nutzungen in dem Wohngebiet. Die Betriebekartei sei veraltet und gebe den Ist-Zustand nicht richtig wieder. Im Übrigen wendet er sich im Rahmen des Beschwerdeverfahrens auch gegen die von ihm festgestellten Maßüberschreitung des genehmigten Vorhabens hinsichtlich der Grundflächenzahl, Geschossflächenzahl und Vollgeschosszahl im Verhältnis zu vergleichbaren Grundstücken in der Umgebung sowie gegen die Unterkellerung der genehmigten Grenzgarage zur Schaffung von Versorgungseinrichtungen für das Haus und die Gaststätte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte und der Verwaltungsvorgänge sowie auf das Protokoll der Augenscheinseinnahme vom 5. Dezember 2003 verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Baugenehmigung vom 6. März 2003 angeordnet, denn die Baugenehmigung ist bei summarischer Prüfung rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten, soweit der Antragsgegner damit die Errichtung einer Gaststätte auf dem Grundstück B. Straße genehmigt hat. Nur in dieser Hinsicht ist die Vollziehbarkeit der Baugenehmigung vom 6. März 2003 noch im Beschwerdeverfahren anhängig geworden, denn soweit die Baugenehmigung die Errichtung eines Gebäudes zur Wohnnutzung betrifft, war die Vollziehbarkeit unabhängig davon, ob sie insoweit im Rechtssinne auch teilbar war (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 22. Mai 1992, OVGE 20, 238), jedenfalls nicht mehr im Streit, weil sich die Beteiligten im Ortstermin des Verwaltungsgerichts vom 5. September 2003 mit dem vorläufigen Weiterbau als Wohngebäude einverstanden erklärt haben.

Die bauplanungsrechtliche Beurteilung des Vorhabens der Beigeladenen richtet sich nach § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 3 Abs. 2 und 3 BauNVO, weil die unbeplante nähere Umgebung des Grundstücks der Beigeladenen nach dem Ergebnis der Augenscheinseinnahme des Senats der Eigenart eines reinen Wohngebiets im Sinne des § 3 BauNVO entspricht (faktisches reines Wohngebiet).

Zu der im vorliegenden Fall maßstabbildenden näheren Umgebung, die den Charakter eines reinen Wohngebiets hat, zählt nach den Feststellungen des Senats bei der Augenscheinseinnahme der Bereich zwischen der Betonmauer an der Grundstücksgrenze B. Straße und der im Norden angrenzenden Kleingartenanlage "F." sowie zwischen der östlich gelegenen Industriebrachfläche und der B. Straße einschließlich des Siedlungsgebiets westlich der B. Straße in dem von der I.straße und der Kleingartenanlage "N." gebildeten Dreieck. Der Bereich zwischen der Kleingartenanlage "F." bis zum Grundstück B. Straße weist ausschließlich Einfamilienhausbauweise mit Gärten neben vereinzelten wochenendhausartigen und laubenartigen Gebäuden auf. Diese Art der Bebauung setzt sich auch westlich der B. Straße - nun wiederum nördlich der Kleingartenanlage "N." - bis zu der I.straße und auch noch teilweise darüber hinaus fort.

Die Einheitlichkeit der Wohnbebauung in dem genannten Bereich zeigt, dass die sowohl auf den von dem Antragsgegner eingereichten Luftbildern als auch bei der Ortsbesichtigung klar erkennbare andersartige Bebauung südlich der Betriebszufahrt zu der Industriebrachfläche und zu dem Gewerbegebiet nicht mehr zur näheren Umgebung des Baugrundstücks im Sinne des § 34 BauGB gehört (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. April 1997, ZfBR 1997, S. 268 = NVwZ 1998, S. 94). Hier ist die Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen Innenbereich und Außenbereich sinngemäß auf die Feststellung der näheren Umgebung nach § 34 BauGB übertragbar, wonach auch unmittelbar aneinandergrenzende bebaute Grundstücke gleichwohl unterschiedlichen Baugebieten angehören können, wenn bestimmten Besonderheiten eine trennende Funktion zukommt (vgl. BVerwG Beschluss vom 20. August 1998, NVwZ-RR 1999, 105). Im vorliegenden Fall stellt insbesondere die zwischen den Grundstücken B. Straße und der südlich folgenden Gewerbebebauung vorhandene Betriebszufahrt mit der 100 m langen und 3 m hohen Betonmauer eine städtebauliche Zäsur dar, die die scharfe Abgrenzung zwischen den verschiedenen Baugebieten klar zum Ausdruck bringt. Es stoßen hier zwei sehr verschiedene, geradezu unverträgliche bauliche Nutzungen - eine reine Wohnnutzung und eine gewerbliche bzw. industrieartige Nutzung - direkt aufeinander. Eine Übergangsform in der Art einer Vermischung der Nutzungsarten zumindest im Randbereich gibt es nicht, denn die Bebauung des Gebiets zwischen der Straße und der Betriebszufahrt stellt keine Übergangs- oder Gemengelage dar.

Soweit der Antragsgegner in dem Beschwerdeverfahren aus den Unterlagen seiner Betriebekartei auf insgesamt drei verschiedene gewerbliche Nutzungen in dem genannten Bereich hingewiesen hat, handelte es sich nach den Feststellungen des Senats im Ortstermin in allen drei Fällen - wenn überhaupt - offenbar allenfalls um den Wohnsitz der in der Betriebekartei vermerkten Ein zelgewerbetreibenden, denn es war in keiner Weise erkennbar, dass auf den Grundstücken Nr. und Nr. der Straße sowie der I.straße Nr. überhaupt eine gewerbliche Nutzung stattfindet. Auf diesen Grundstücken fanden sich keine Hinweise auf einen Gewerbebetrieb, weder in Form von gewerblichen Nebenanlagen oder Zubehör noch in Form von Werbeaufschriften. In keinem dieser Fälle tritt auch nur ansatzweise nach außen in Erscheinung, dass sich dort überhaupt der "Sitz" einer Firma befinden könnte. Sie hatten ausnahmslos Einfamilienhauscharakter mit Garten. Lediglich vor dem Grundstück Straße Nr. stand ein Klein-Lkw mit dem Firmennamen einer Baufirma sowie mit einer Telefon- und Faxnummernangabe auf der Straße. Diesen Einfamilienhäusern fehlt damit in Bezug auf die gewerbliche Nutzung jegliche maßstabbildende Kraft. In quantitativer und in qualitativer Hinsicht sind sie sowohl nach ihrem Erscheinungsbild als auch nach ihrer Nutzung nicht einmal am Rande als Gewerbe wahrnehmbar und daher nicht geeignet, zu einer abweichenden Prägung des faktischen reinen Wohngebiets beizutragen. Sie unterschreiten die Erheblichkeitsschwelle und sind deshalb - selbst wenn dort der "Sitz" einer der von dem Antragsgegner genannten Gewerbebetriebe wäre - bei der Bestimmung des Charakters der näheren Umgebung wegen Unwesentlichkeit auszusondern (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990, BVerwGE 84, 322 = Buchholz 406.11 § 34 Nr. 134).

Die von der Beigeladenen und dem Antragsgegner angeführte Nutzung des Grundstücks B. Straße durch einen Dachdeckerbetrieb für Lagerzwecke bis zum November 2000 stellt diese Beurteilung auch nicht unter dem Aspekt der "nachwirkenden Prägung" in Frage. Danach behält eine bereits vollständig eingestellte Nutzung so lange ihre prägende Wirkung, wie nach der Verkehrsauffassung noch mit einer Aufnahme einer gleichartigen Nutzung gerechnet werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 1986, BVerwGE 75, 34; Urteil vom 27. August 1998, ZfBR 1999, S. 49 = Buchholz 406.11 § 34 Nr. 190). Abgesehen davon, dass nicht nachgewiesen ist, dass diese frühere gewerbliche Nutzung überhaupt genehmigt war, bedarf es für die Annahme, dass sich eine gewerbliche Nutzung des Grundstücks weiterhin aufdrängt, auch eines zeitlichen Zusammenhangs, der zum Zeitpunkt der Erteilung der angefochtenen Baugenehmigung über zwei Jahre nach der Einstellung der Nutzung jedoch schon nicht mehr gegeben war (vgl. zur entsprechenden Anwendung des vom BVerwG entwickelten Zeitmodells zu § 35 Abs.4 Nr.3 BauGB: Urteil des Senats vom 28. Mai 2003 - OVG 2 B 24.98 - m.w.N.).

In diesem Zusammenhang spielt auch weder der von der B. Straße ausgehende Verkehrslärm noch der Fluglärm in der Einflugschneise zum Flughafen Tegel oder der von der Nutzung der Industriebrachfläche ausgehende Gewerbelärm eine Rolle, weil die Frage des Gebietscharakters bauplanungsrechtlich allein anhand der in dem betrachteten Bereich vorhandenen Bebauung und baulichen Nutzung zu beantworten ist. Diese Umgebungsbedingungen mögen zwar einem reinen Wohngebiet nicht zuträglich sein, haben den bodenrechtlichen Charakter der angrenzenden Grundstücke aber offenbar nie geprägt oder beeinflusst, wie die deutliche Unterscheidbarkeit beider Bereiche zeigt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. August 1998, NVwZ-RR 1999, S. 105 = UPR 1999, S. 26). Im Falle aneinandergrenzender Grundstücke, die jeweils verschiedenen Baugebieten angehören, haben diese lediglich ein Mehr an Immissionen hinzunehmen, als es dem eigenen Baugebiet entspricht. Dies führt jedoch nicht dazu, dass im Grenzbereich zugleich auch eine bauplanungsrechtliche "Aufweichung" der Art der baulichen Nutzung erfolgt, sofern sich nicht faktisch gebietsübergreifend solche Übergangsformen oder Gemengelagen gebildet haben. Dies ist hier nicht der Fall. Auch wenn die Anforderungen an die in einem reinen Wohngebiet zu erwartende Wohnruhe hier völlig fehlen, und diese Bestandssituation infolge des im Bauplanungsrecht geltenden Trennungsgrundsatzes (§ 50 BImSchG) so nicht überplanbar wäre, bleibt es aufgrund der ausschließlichen Wohnbebauung in dem maßstabbildenen Bereich bei der bauplanungsrechtlichen Einstufung als reines Wohngebiet. In diesem Gebiet sind gemäß § 3 BauNVO Gaststätten als Art der baulichen Nutzung nicht zulässig. Sie sind weder als Regelbebauung noch als Ausnahmebebauung in reinen Wohngebieten vorgesehen.

Der Antragsteller hat als Nachbar auch in faktischen reinen Wohngebieten im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 3 BauNVO einen Anspruch auf die Bewahrung der Gebietsart in seiner näheren Umgebung (Gebietserhaltungs- oder -gewährleistungsanspruch) und ist zur Abwehr solcher Grundstücksnutzungen berechtigt, die ihrer Art nach in dem Baugebiet nicht zulässig sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 1993, Buchholz 406.19 Nr. 118 = BVerwGE 94, 151, 161). Hierzu bedarf es keiner zusätzlichen Feststellung einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung und damit der Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme im Einzelfall (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 1993, a.a.O., sowie Beschluss vom 11. April 1996, ZfBR 1997, S. 51, 52 = Buchholz 406.11 § 34 Nr. 179), so dass es auf die Frage der Lärmvorbelastung sowie eventueller zusätzlicher Belastungen durch die Gaststätte infolge zeitlicher Verlagerungen der Lärmeinwirkungen in die lärmärmeren Phasen des Tages nicht ankommt.

Abgewehrt werden können damit nicht - wie mit dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme - rein tatsächliche, sondern ausschließlich rechtliche Beeinträchtigungen durch die Verwirklichung der Art nach unzulässiger Grundstücksnutzungen, die die Eigenart eines Baugebiets verändern können. Es geht dabei um die Verhinderung einer schleichenden Umwandlung des Baugebiets (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Februar 2000, BRS 63 Nr. 190 = BauR 2000, 1019), denn eine solche Entwicklung könnte dazu führen, dass die Berechtigung, das eigene Grundstück in der vorgesehenen baugebietstypischen Art zu nutzen, mit der Veränderung des Gebietscharakters untergeht. Zwar würde mit der Zulassung einer gebietsfremden Nutzungsart noch nicht das Recht, das eigene Grundstück weiterhin zu den bisherigen Zwecken zu nutzen, verloren gehen. Der Verlust der Gebietsidentität modifiziert jedoch zugleich den Inhalt des Eigentumsrechts an den Grundstücken in dem Baugebiet dahingehend, dass in der Umgebung nunmehr auch andere, bisher gebietsfremde Nutzungen zulässig sind, mögen diese Baugebietsveränderungen die bisherige Wohnnutzung auch - noch - nicht stören. Dies stellt einen Rechtsverlust dar, der sich zugleich in einem städtebaulichen Wertverlust des Grundstücks widerspiegelt, wenn zum Beispiel - wie im vorliegenden Fall - in einem reinen Wohngebiet nunmehr auch gewerbliche Nutzungen zulässig sein würden. Letztlich sichert der Gebietserhaltungsanspruch so das subjektiv-öffentliche Recht, das eigene Grundstück in einer dem Baugebiet zulässigen Art zu nutzen (vgl. Mampel, Der Gebietserhaltungsanspruch im Streit der Meinungen, BauR 2003, 1824, 1831, 1832 m.w.N.).

Der Antragsteller hat deshalb einen Abwehranspruch gegen die mit der Genehmigung der Gaststättennutzung auf dem Nachbargrundstück B. Strasse eingeleitete Gebietsverfremdung, die sich insbesondere durch die unmittelbare Nachbarschaft des östlich und südlich gelegenen weiträumigen Gewerbegebiets als Einfallstor für die sukzessive Ansiedlung weiterer gewerblicher Nutzungen in dem bisherigen reinen Wohngebiet erweisen könnte, die zu dessen Umwandlung führen würde.

Die Frage, ob das genehmigte Vorhaben der Beigeladenen zugleich das Maß der baulichen Nutzung überschreitet und ob der Antragsteller dadurch überhaupt in seinen Nachbarrechten verletzt sein könnte, bedarf deshalb hier keiner Entscheidung. Gleiches gilt für die Einwendungen des Antragstellers gegen die "wahre" Nutzung der Grenzgarage.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO.

Die Festsetzung des Verfahrensgegenstandes folgt aus § 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).



Ende der Entscheidung

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