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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 26.04.2005
Aktenzeichen: OVG 2 S 60.04
Rechtsgebiete: BauO Bln, ASOG


Vorschriften:

BauO Bln § 70
BauO Bln § 70 Abs. 1
ASOG § 17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 2 S 60.04 OVG 2 L 54.04

Berlin, den 26. April 2005

In der Verwaltungsstreitsache

Tenor:

wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. September 2004 auf die Beschwerde der Antragsteller teilweise geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen die Duldungsanordnungen vom 17. August 2004 wird wiederhergestellt soweit diese die Punkte 2) bis 4) der Anordnungen betreffen. Im Übrigen werden die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 22. September 2004 sowie die Streitwertbeschwerde OVG 2 L 54.04 zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen 4/5 und der Antragsgegner trägt 1/5 der Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller sind seit 1995 Eigentümer des Grundstücks H. in Berlin. Ihr Vater, R. E., hat als vormaliger Eigentümer mit Zustimmung des Stadtbezirksbauamts vom 15. Juni 1987 einen etwa 4 m x 5 m großen Kohleschuppen in nur 90 cm Entfernung zur hinteren Grundstücksgrenze errichtet. Im Jahre 1997 stellte der Antragsgegner fest, dass der Kohleschuppen für die Unterbringung einer Heizungsanlage zum Teil abgebrochen, neu aufgebaut und erweitert worden war. Mit Bescheid vom 7. Oktober 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. September 2000 erließ er daraufhin gegen R. E. unter Punkt 1) eine Anordnung, den grenznahen ehemaligen Kohleschuppen einschließlich der darin befindlichen Gasheizungsanlage so zu beseitigen, dass die Mindestabstandfläche von 3 m zum Nachbargrundstück H. eingehalten wird. Für den Fall der nicht fristgemäßen Erfüllung wurde ihm die Ersatzvornahme mit veranschlagten Kosten in Höhe von 2 000 DM angedroht. Die übrigen Punkte 2) - 4) der Anordnung waren wegen Erledigung nicht mehr Gegenstand des Widerspruchsverfahrens. Die gegen den Bescheid erhobene Klage (VG 19 A 297.00) wurde zurückgenommen. Kurz nach Ablauf der vereinbarten Beseitigungsfrist teilte R. E. dem Antragsgegner mit, dass er nur Mieter und nach Rücksprache mit den Eigentümern nicht berechtigt sei, den geforderten Rückbau vorzunehmen.

Mit Bescheiden vom 1. April 2004 wies der Antragsgegner die Antragsteller jeweils darauf hin, dass der bestandskräftige Bescheid vom 7. Oktober 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. September 2000 grundstücksbezogen und nunmehr von ihnen als Rechtsnachfolger zu erfüllen sei, wobei der Bescheid den Hinweis enthielt, dass ein etwaiger Widerspruch keine aufschiebende Wirkung haben würde. Unter Fristsetzung drohte der Antragsgegner den Antragstellern die Ersatzvornahme mit veranschlagten Kosten in Höhe von 1 000 € an. Hiergegen haben die Antragsteller jeweils Widerspruch eingelegt und vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Berlin beantragt.

Auf den mit Schriftsatz vom 18. August 2004 erfolgten Hinweis, dass die Antragsteller nicht Rechtsnachfolger, sondern bereits seit 1995 Eigentümer des streitbefangenen Grundstücks seien, erließ der Antragsgegner mit Bescheiden vom 17. August 2004 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung in Abänderung der Bescheide vom 1. April 2004 Duldungsanordnungen gegen die Antragsteller als Eigentümer des Grundstücks betreffend die Maßnahmen zur Befolgung der gegen R. E. gerichteten bestandskräftigen Anordnung vom 7. Oktober 1998. Hiergegen haben die Antragsteller jeweils Widerspruch eingelegt und die Duldungsanordnungen ebenfalls zum Gegenstand des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens gemacht.

Ihren Antrag, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Bescheide vom 1. April 2004 und vom 17. August 2004 anzuordnen bzw. wiederherzustellen, hat das Verwaltungsgericht Berlin mit Beschluss vom 22. September 2004 zurückgewiesen und den Verfahrenswert auf 5 000 € festgesetzt. Auf die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss wird Bezug genommen. Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde der Antragsteller sowie die gesondert erhobene Beschwerde gegen die Wertfestsetzung des Verfahrensgegenstandes mit dem Ziel einer Reduzierung auf 1 000 € (OVG 2 L 54.04).

Die Antragsteller machen geltend, für die Bescheide vom 1. April 2004 fehle bereits die Rechtsgrundlage. Dies gelte auch für die Duldungsanordnungen vom 17. August 2004, denn die bauliche Anlage an der hinteren Grundstücksgrenze sei im Jahre 1987 genehmigt worden und genieße Bestandsschutz, der nicht durch die Umbaumaßnahmen entfallen sei. Der grenznahe Teil im 3 m-Bereich, der nunmehr abgerissen werden solle, sei lediglich von der Dacherneuerung mitbetroffen gewesen und habe eine Wärmedämmung erhalten. Die eigentlichen Umbauten hätten außerhalb des rückzubauenden Teils im freizuhaltenden 3 m-Bereich stattgefunden. Die Beseitigungsanordnung sei auch ermessensfehlerhaft, weil der Abriss lediglich einen Teil von 8 m² an der Grundstücksgrenze betreffe, in dem sich jedoch die Heizungsanlage befinde, sodass der Abriss dieses Schuppenteils unverhältnismäßige Folgen hätte.

Die Antragsteller beantragen,

unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. September 2004

1. die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen die Bescheide des Bezirksamts Marzahn-Hellersdorf von Berlin vom 1. April 2004 anzuordnen,

2. die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen die Bescheide des Bezirksamts Marzahn-Hellersdorf von Berlin vom 17. August 2004 anzuordnen bzw. wiederherzustellen.

Die Antragsteller beantragen darüber hinaus, den erstinstanzlich festgesetzten Verfahrenswert auf 1 000 € zu vermindern.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerden zurückzuweisen.

Der Antragsgegner ist der Ansicht, die Bescheide vom 1. April 2004 seien nach der Kenntniserlangung von den Eigentumsverhältnissen an dem Grundstück durch die Bescheide vom 17. August 2004 ersetzt worden und entfalteten keine Rechtswirkungen mehr, sodass den Antragstellern insoweit schon das Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung des Verfahrens fehle. Hinsichtlich der Duldungsanordnungen vom 17. August 2004 beurteile sich die Bestandsschutzfrage nicht nur nach den von der Beseitigunsanordnung betroffenen Gebäudeteilen, sondern nach den Veränderungen, die das Gebäude insgesamt erfahren habe. Im Übrigen sei der Mieter mit dem Abriss des Schuppens in dem streitbefangenen Umfang in dem Verfahren VG 19 A 297.00 einverstanden gewesen und habe die Klage zurückgenommen, sodass eine bestandskräftige Grundlage für die Duldungsanordnungen vorliege.

II.

Die Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Hinsichtlich der Bescheide vom 1. April 2004 hat die Beschwerde keinen Erfolg. Diese entfalten gegen die Antragsteller keine Rechtswirkungen mehr, weil die Duldungsanordnungen vom 17. August 2004 ausdrücklich in Abänderung der Bescheide vom 1. April 2004 ergangen sind. Den Antragstellern fehlt insoweit schon das Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens.

Hinsichtlich der Duldungsanordnung zu 1. im Bescheid vom 17. August 2004 hat die Beschwerde keinen Erfolg. Eine Duldungsanordnung ist ein statthaftes Mittel, um Hindernisse auszuräumen, die sich aus zivilrechtlichen Rechtspositionen Dritter für die Befolgung oder Durchsetzung bauaufsichtlich verfügter Handlungs- oder Unterlassungspflichten ergeben können. Hierbei handelt es sich nicht um eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung, sondern um eine Ordnungsverfügung, deren Rechtsgrundlage § 70 Abs. 1 BauO Bln i.V.m. § 17 ASOG ist (vgl. Beschluss des Senats vom 28. Februar 1997, BRS 59 Nr. 208 m.w.N.; OVG Saarlouis, Urteil vom 18. Juni 2002, NVwZ-RR 2003, 337, 338). Eine Duldungsanordnung ist deshalb nur zulässig, wenn auch der Ausgangsverwaltungsakt, dessen Befolgung oder Durchsetzung sie ermöglichen soll, rechtmäßig ist. Dass der Ausgangsverwaltungsakt - wie hier der Bescheid vom 7. Oktober 1998 - Bestandskraft erlangt hat, genügt allein nicht, um von der Rechtmäßigkeit der Duldungsanordnung auszugehen, denn die Bestandskraft äußert keine Bindungswirkung gegenüber den Antragstellern, die weder Adressat des Bescheids noch im Verfahren VG 19 A 297.00 beigeladen waren. Sie sind deshalb nicht gehindert, die Rechtswidrigkeit der gegen den Mieter gerichteten Anordnung geltend zu machen und dadurch eine inhaltliche Nachprüfung des Bescheids vom 7. Oktober 1998 zu bewirken (vgl. OVG Saarlouis, a.a.O.). Die Antragsteller bleiben dabei allerdings darauf beschränkt, nur etwaige mit der Beseitigungsanordnung verbundene rechtswidrige Eingriffe in ihre schutzwürdigen Rechtspositionen geltend zu machen oder etwaige Ermessensfehler, die der Duldungsanordnung selbst anhaften (vgl. Beschluss des Senats vom 28. Februar 1997, a.a.O.).

Die Duldungsanordnungen bezüglich der Maßnahmen zur Beseitigung der grenz-nahen Bebauung zum Grundstück H. einschließlich der Heizungsanlage (Pkt. 1 des Bescheids vom 7. Oktober 1998) dürfte zwar rechtswidrig sein, weil sich die Beseitigungsanordnung (§ 70 Abs. 1 BauO Bln) auf einen teilweisen Rückbau des 90 cm von der Grundstücksgrenze errichteten Gebäudes mit der Heizungsanlage auf einen Abstand von 3 m zu der Grundstücksgrenze bezieht und damit einen baurechtlich nicht genehmigungsfähigen Torso hinterlassen würde, obwohl gemäß § 70 BauO Bln mit einer Beseitigungsanordnung rechtmäßige Zustände hergestellt werden sollen. Denn ein Teilabbruch kommt als milderes Mittel in der Regel nur in Betracht, wenn es nach der Struktur des Bauwerks möglich erscheint, durch Wegnahme bestimmter Teile einen genehmigungsfähigen Zustand zu erreichen, nicht aber, wenn ein weder bautechnisch noch nach den Vorstellungen des Bauherrn abteilbarer Gebäuderest übrig bliebe (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. August 1996, BRS 58 Nr. 90 ; OVG NRW, Beschluss vom 18. März 1997, BRS 59 Nr. 209; Simon/Busse, BayBO, Stand: November 2004, Art. 82 Rdnr. 238). In solchen Fällen ist die Baubehörde grundsätzlich gehalten, den vollständigen Abriss zu verlangen. Es ist dann Sache des Bauherrn, den Rückbau auf ein rechtlich zulässiges und deshalb genehmigungsfähiges Maß als Austauschmittel anzubieten.

Im vorliegenden Fall haben die Antragsteller jedoch in keiner Weise zum Ausdruck gebracht, dass der dann verbleibende Restbaubestand für sie keinen Wert mehr haben würde. Vielmehr hat der Vater der Antragsteller schon im Widerspruchsschreiben vom 6. November 1998 gegen den zunächst von der Behörde verhängten Baustopp ausdrücklich gefordert, diesen hinsichtlich des nicht von dem angegriffenen Bescheid umfassten Schuppenteils aufzuheben. Ebenso hat er im Verfahren VG 19 A 297.00 mit der Klagerücknahme vom 29. Mai 2001 zugesagt, "den Abriß des in den 3-Meter-Grenzbereich befindlichen Schuppenteils" innerhalb der ihm gewährten Frist vorzunehmen.

Ein etwaiger Bestandsschutz steht der Duldungsanordnung hinsichtlich der geforderten Teilbeseitigung nicht entgegen, denn die Umbauarbeiten waren ausweislich der in dem Verwaltungsvorgang befindlichen Fotodokumentation (Bl. 27 - 30) derartig umfangreich, dass von der alten Bausubstanz insgesamt gesehen kaum noch etwas übrig blieb. Diese gingen unter Verwendung neuer Wiederherstellungsmaterialien weit über die vom Bestandsschutz noch umfasste Beseitigung von Mängeln unter Wahrung der Identität des bestehenden Gebäudes hinaus, sodass praktisch ein neues Gebäude entstanden ist (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 1996, NVwZ-RR 1997, 521; VGH BW, Urteil vom 5. Juli 1996, NVwZ-RR 1997, 464, 465).

Die Duldungsanordnungen sind jedoch rechtswidrig, soweit sie die Punkte 2) bis 4) mit umfassen, obwohl diese auf Grund ihrer Erledigung ausdrücklich schon nicht mehr Gegenstand des Widerspruchsbescheides vom 19. September 2000 waren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.

Die Verfahrenswertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Sie entspricht der Wertfestsetzung in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 22. September 2004. Diese ist nicht zu beanstanden, sodass die Streitwertbeschwerde OVG 2 L 54.04 zurückzuweisen ist. Die streitgegenständlichen Duldungsanordnungen vom 17. August 2004 betrafen die Duldung der Teilbeseitigung der grenznahen Bebauung einschließlich der Heizungsanlage sowie auch die Nutzungsuntersagung und die Beibringung von Bauvorlagen und Sachverständigenbescheinigungen, auch wenn sich diese Punkte schon erledigt hatten. Die Bescheide vom 1. April 2004 betrafen die Teilbeseitigung der grenznahen Bebauung durch die Antragsteller. Diese Bescheide sind mit einem Verfahrenswert in Höhe von 5 000 € zutreffend bewertet, denn anders als die von den Antragstellern in der Streitwertbeschwerdebegründung vom 7. Oktober 2004 nur angeführten Ersatzvornahmekosten in Höhe von 1 000 € geht die wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens für die Antragsteller angesichts des auch zu berücksichtigenden Substanz- und Nutzungswertverlustes weit über die reinen Beseitigungskosten hinaus.

Das Verfahren über die Streitwertbeschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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