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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Urteil verkündet am 20.01.2005
Aktenzeichen: OVG 6 B 2.04
Rechtsgebiete: BVFG, VwGO, HHG, KgfEG


Vorschriften:

BVFG § 9 Abs. 2
BVFG § 9 Abs. 2 Satz 1
BVFG § 9 Abs. 2 Satz 2
VwGO § 124 a Abs. 2
VwGO § 124 a Abs. 2 Satz 1
VwGO § 124 a Abs. 3
VwGO § 132 Abs. 2
HHG § 1 Abs. 1
HHG § 1 Abs. 1 Nr. 1
HHG § 1 Abs. 5
HHG § 1 Abs. 5 Satz 1
HHG § 1 Abs. 5 Satz 2
HHG § 9 a
HHG § 9 b
HHG § 9 c
KgfEG § 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 6 B 2.04

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgericht Berlin auf Grund der mündlichen Verhandlung am 20. Januar 2005 durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Kipp, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Silberkuhl, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Bumke sowie die ehrenamtlichen Richter Chwiekowsky und Cimbollek

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4. Februar 2004 geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die am 28. Mai 1934 in Konstantinowka (Ukraine) geborene Klägerin begehrt die Gewährung einer pauschalen Eingliederungshilfe gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 BVFG.

Nach der Besetzung der Stadt Konstantinowka durch die deutsche Wehrmacht arbeitete die Mutter der Klägerin ab Januar 1942 bei der Deutschen Eisenbahn-Kommandantur als Dolmetscherin. Als die Stadt durch die Rote Armee zurückerobert wurde, zog die Familie mit der deutschen Wehrmacht nach Westen und lebte ab Herbst 1943 in Oberschlesien. Von Oberschlesien wurde die Familie nach Österreich evakuiert. In dieser Zeit erwarb die Klägerin - ebenso wie ihre Mutter und ihr älterer Bruder - ausweislich der Einbürgerungsurkunde vom 26. Juni 1944 die deutsche Staatsangehörigkeit.

Nach Kriegsende wurde die Familie, die in Schwedberg bei Linz mit anderen Familien in einem Schulgebäude untergebracht worden war, 1945 von sowjetischen Truppen zwangsweise zurück in die ehemalige Sowjetunion nach Konstantinowka verbracht. Die Rückführungsmaßnahme, die - nach Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung - von der sowjetischen Besatzungsmacht mit dem Hinweis angekündigt worden war, in der Heimat warteten die Ehemänner/Väter - was im Fall der Klägerin nicht stimmte, da ihr Vater 1937 erschossen worden war - betraf nicht nur die Familie der Klägerin, sondern alle in der Schwedberger Schule untergebrachten Personen unterschiedlicher Nationalität.

Die Mutter der Klägerin, die nach der Rückkehr in Konstantinowka Arbeit fand, wurde am 17. Dezember 1948 verhaftet und war knapp sieben Jahre bis zum 18. November 1955 in Karaganda (Kasachstan) in einem Besserungslager inhaftiert. Ausweislich der Rehabilitationsbescheinigung vom 1. Februar 1996 wurde sie durch Beschluss des Kriegstribunals vom 14. Oktober 1955 als "Gehilfe der deutschen Okkupanten" zu fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Die Klägerin lebte in dieser Zeit - mit ihrem älteren Bruder - zunächst weiter in Konstantinowka und seit ihrer Heirat im Dezember 1957 bis zu ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland Ende November 1999 in Karaganda in Kasachstan.

Mit Bescheid vom 7. Juli 2000 erkannte der Beklagte die Klägerin als Spätaussiedlerin an. Ihren Antrag auf Gewährung einer pauschalen Eingliederungshilfe gemäß § 9 Abs. 2 BVFG wies er - mit gesondertem Bescheid vom selben Tag - dagegen ab und führte zur Begründung aus, die Klägerin habe sich nicht in einem Gewahrsam i.S.d. § 9 Abs. 2 BVFG befunden. Der fristgerecht erhobene Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 7. November 2000 zurückgewiesen.

Auf ihre Klage vom 6. Dezember 2000 hat das Verwaltungsgericht Berlin den Beklagten mit Urteil vom 4. Februar 2004 unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids verpflichtet, der Klägerin eine pauschale Eingliederungshilfe gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 BVFG zu gewähren. Das Verwaltungsgericht hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts ging - nach Angaben der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung - am 14. April 2004 bei der Hauptpoststelle des Beklagten ein und wurde am 19. April der Referatsleiterin vorgelegt, die es an die zuständige Sachbearbeiterin weiterleitete. Das von der Sachbearbeiterin unterschriebene Empfangsbekenntnis weist den 26. April 2004 als Zeitpunkt der Zustellung aus.

Der Beklagte hat am 19. Mai 2004 Berufung eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 9. Juni 2004 begründet hat. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen: Die Klägerin habe selbst anlässlich des Antrags auf Ausstellung einer Bescheinigung für Spätaussiedler angegeben, dass sie nicht unter der Aufsicht einer Kommandatur gestanden habe. Sie habe auch nicht in einer Sondersiedlung für Volksdeutsche gelebt. Die zwangsweise Rückführung nach Konstantinowka nach Kriegsende sei nicht als Gewahrsam i.S.d. § 9 Abs. 2 BVFG anzusehen.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Berufung sei bereits unzulässig, weil es angesichts des Postlaufs in der Behörde nicht auf das in dem Empfangsbekenntnis vermerkte Datum ankommen könne. Abzustellen sei auf den Eingang am 14. April 2004.

Abgesehen davon sei die Berufung auch unbegründet, da in der Verschleppung eines deutschen Staatsangehörigen stets ein Gewahrsam i.S.d. § 9 Abs. 2 BVFG zu sehen sei. Entscheidend sei die Tatsache der zwangsweisen Verschleppung. Es komme nicht darauf an, an welchen Ort in der ehemaligen Sowjetunion die Klägerin deportiert worden sei. Ob die Klägerin als sowjetische Staatsangehörige angesehen worden sei, sei angesichts ihrer deutschen Staatsangehörigkeit unbeachtlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Streitakte und den Verwaltungsvorgang des Beklagten (3 Halbhefter, 2 Hefter) Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung des Beklagten ist zulässig; sie ist insbesondere fristgerecht gemäß § 124 a Abs. 2 Satz 1 VwGO eingelegt worden. Entgegen der Auffassung der Klägerin begann die Frist nicht bereits mit Eingang des Urteils bei der behördlichen Poststelle am 14. April 2004 zu laufen. Entscheidend ist vielmehr der Zugang bei dem zuständigen Bediensteten der Behörde (BVerwG, Beschluss vom 14. Dezember 1989 - 9 B 466.89 -, Buchholz 340 VwZG § 5 Nr. 13; Beschluss vom 21. Dezember 1979 - 4 ER 500.79 - Buchholz 340 VwZG § 5 Nr. 7; Beschluss vom 28. November 1995 - 4 B 162.95 -, Buchholz 340 VwZG § 5 Nr. 17; VGH Mannheim, Beschluss vom 30. September 1993 - 16 S 1587.93 -, in: juris). Die Frage, ob die Referatsleiterin zustellungsrechtlich als zuständige Bedienstete anzusehen ist, kann dahin stehen, da auch bei Zugrundelegung einer Zustellung am 19. April 2004 mit der am 19. Mai 2004 beim Oberverwaltungsgericht eingegangenen Berufung und der am 9. Juni 2004 eingegangenen Begründung die Fristen des § 124 a Abs. 2 und 3 VwGO gewahrt worden sind.

II. Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung der begehrten Eingliederungshilfe.

Nach § 9 Abs. 2 BVFG erhalten Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion, die - wie die Klägerin - vor dem 1. April 1956 geboren sind, zum Ausgleich für den erlittenen Gewahrsam auf Antrag eine pauschale Eingliederungshilfe. Die pauschalierte Eingliederungshilfe nach § 9 Abs. 2 BVFG ersetzt für die sogenannten Russlanddeutschen die bisher nach §§ 9 a bis 9 c HHG vorgesehenen Eingliederungshilfen (BT-Drs. 12/3212, S. 22). Mit der Eingliederungshilfe wird dem besonderen Schicksal der Russlanddeutschen Rechnung getragen. Russlanddeutsche, die vor dem 1. April 1956 während des Gewahrsams der Eltern geboren sind, erhalten eine pauschale Eingliederungshilfe gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 BVFG gewährt. Russlanddeutsche, die - wie die Klägerin - vor dem 1. April.1946 geboren wurden, sind darüber hinaus meist selbst verschleppt worden und haben die gesamte Zeit des Gewahrsams erlitten. Ihnen ist gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 BVFG eine Eingliederungshilfe in Höhe von - entsprechend der Euro-Umstellung gemäß Nr. 1.2. der Vorläufigen Richtlinie zu § 9 Abs. 2 BVFG - 3.067,75 Euro (6.000 DM) zu gewähren.

1. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003 - 5 C 11.02 -, BVerwGE 118, 310) darauf abgestellt, dass § 9 Abs. 2 BVFG einen "selbst" erlittenen Gewahrsam voraussetzt. Denn Bezugspunkt für den Ausgleich ist nicht das kollektive Schicksal der Volksgruppe der Russlanddeutschen und die dieser Volksgruppe allgemein zugefügten Diskriminierungen, sondern allein der "erlittene" Gewahrsam. Entscheidend ist, dass der Spätaussiedler sich selbst in Gewahrsam befunden hat.

a) Für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "erlittener Gewahrsam" kann auf die Vorgängerbestimmungen des Häftlingshilfegesetzes und des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes zurückgegriffen werden. Denn § 9 Abs. 2 BVFG ist ausdrücklich als Anschlussregelung für die weggefallenen Eingliederungshilfen auf der Grundlage der §§ 9 a bis 9 c HHG und § 3 KgfEG mit dem Ziel der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung konzipiert worden (BT-Drs. 12/3212, S. 22; vgl. auch BVerwGE 118, 301).

Eine Abkehr von dem in §§ 9 a bis 9 c HHG vorausgesetzten und in § 1 Abs. 5 HHG definierten Tatbestandsmerkmal des Gewahrsams lässt sich der gesetzlichen Neuregelung des § 9 Abs. 2 BVFG nicht entnehmen. Die Neuregelung zielte auf eine Verfahrensvereinfachung und Anpassung des Bundesvertriebenengesetzes an die "aktuellen Bedingungen"; Alternativen im Sinne einer Neukonzeption wurden ausdrücklich verworfen (BT-Drs. 12/3212, S. 20). Mit Blick auf das besondere Schicksal der Russlanddeutschen hat der Gesetzgeber mit der Gewährung einer pauschalen Eingliederungshilfe gemäß § 9 Abs. 2 BVFG eine Besserstellung der vor dem Stichtag geborenen Spätaussiedler aus der ehemaligen UdSSR gegenüber Spätaussiedlern aus anderen Ländern festgeschrieben. Gesetzgeberisches Motiv für die Neuregelung war dabei neben der Verfahrensvereinfachung zugleich, durch eine Pauschalierung der Eingliederungshilfe - statt der bisherigen Berechnung nach Gewahrsamsmonaten - die Höhe der Eingliederungshilfe zu "kappen", um "Besserstellungen gegenüber der einheimischen Bevölkerung in vergleichbaren sozialen Lagen" zu vermeiden (BT-Drs. 12/3212, S. 20).

b) Unter Gewahrsam i.S.d. Vorgängerbestimmungen wird gemäß § 1 Abs. 5 Satz 1 HHG ein Festhalten auf eng begrenztem Raum unter dauernder Bewachung verstanden.

Der so genannte Anschlussgewahrsam gemäß § 1 Abs. 5 Satz 2 HHG, wonach dann, wenn eine in § 1 Abs. 1 HHG genannte Person gegen ihren Willen in ein ausländisches Staatsgebiet verbracht wurde oder wird, die gesamte Zeit, während der sie an der Rückkehr gehindert war oder ist, als Gewahrsam gilt, setzt vorausgehenden Gewahrsam nach § 1 Abs. 5 Satz 1 HHG voraus. Denn das Verbringen einer Person in ein ausländisches Staatsgebiet gegen ihren Willen ist nicht denkbar ohne vorheriges Festgehaltenwerden i.S.d. § 1 Abs. 5 Satz 1 HHG (BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1983, Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 26; BVerwG, Urteil vom 3. September 1980, BVerwGE 60, 343; Urteil vom 26. Juli 1978, Buchholz 412.6 § 10 HHG Nr. 12; Urteil vom 28. Juni 1978, Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 22; Urteil vom 22. Juni 1977, Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 17).

c) Nach den glaubhaften Angaben der Klägerin ist sie mit ihrer Mutter und ihrem (älteren, zwischenzeitlich verstorbenen) Bruder zwangsweise nach Kriegsende 1945 in die ehemalige Sowjetunion nach Konstaninowka verbracht worden. Das wird auch von dem Beklagten nicht bestritten. Dass Konstantinowka nicht unter Militärkommandatur stand und auch nicht als Sondersiedlungsgebiet ausgewiesen war, bestreitet die Klägerin letztlich nicht. Sie selbst hat nicht nur anlässlich ihres Spätaussiedlerantrags vom 13. Dezember 1999, sondern auch in ihrem Schreiben vom 28. Mai 2000 angegeben, dass in Konstantinowka keine Kommandantur eingerichtet gewesen sei. Auch in der einschlägigen Literatur finden sich keine Anhaltspunkte für eine Militärkommandatur in Konstaninowka (vgl. den von der Klägerin eingereichten Bericht von Eisfeldt, Lage der Deutschen in der Urkaine, sowie Eisfeld/Herdt, Deportation, Sondersiedlung, Arbeitsarmee, 1996).

2. Entgegen der Auffassung der Klägerin genügt es jedoch nicht, allein darauf abzustellen, dass eine deutsche Staatsangehörige verschleppt worden ist und zur Begründung auf die so genannte Gewahrsamsfiktion des § 1 Abs. 5 Satz 2 HHG zu verweisen. Denn die Gewahrsamsgründe müssen am Maßstab des Politischen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG bewertet werden.

Auch insoweit ist für die Auslegung auf die Vorgängerbestimmungen des Häftlingshilfegesetzes und die dazu ergangene Rechtsprechung zum Begriff des "politischen" Gewahrsams zurückzugreifen. Anhaltspunkte für eine Abkehr der für §§ 9 a bis 9 c HHG geltenden Grundsätze finden sich auch nicht in der Begründung zur Neuregelung des § 9 Abs. 2 BVFG. Zwar kommt es - anders als in § 9 a HHG - auf Grund der nunmehr normierten Pauschalierung nicht mehr auf die Dauer des Gewahrsams an. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass § 1 Abs. 5 Satz 2 HHG, der nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts "nur" für die Dauer, nicht für den Beginn des Gewahrsams bedeutsam ist (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 26. Juli 1978, Buchholz 412.6 § 10 HHG Nr. 12; Urteil vom 28. Juni 1978, Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 22), als Auslegungshilfe im Rahmen des § 9 Abs. 2 BVFG ausscheidet. Eine solche Besserstellung lässt sich der Neuregelung im Rahmen des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes nicht entnehmen. Dass es sich um einen "politischen" Gewahrsam handeln muss, wird auch in der "Vorläufigen Richtlinie zu § 9 Abs. 2 BVFG-Hilfen" vorausgesetzt, in der als - hier nicht einschlägige - Beispiele für den Gewahrsam der Aufenthalt in der so genannten Trud-Armee, in Sondersiedlungsgebieten oder unter Kommandanturaufsicht genannt werden (abge-druckt in: v. Schenckendorff, Vertriebenen- und Flüchtlingsrecht, Bd. II, Teil C Nr. 30.1.1.7.).

a) Nach den vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätzen zum Begriff des "politischen" Gewahrsams ist im Fall der Verschleppung danach zu unterscheiden, ob es sich um eine "schlichte" Repatriierung als allgemeine - wenngleich rechtsstaatswidrige - Maßnahme zur Bereinigung der Kriegsfolgen gehandelt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1983, Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 26; VGH Mannheim, Urteil vom 23. November 1988 - 6 S 1174.88 -, in: Juris) oder ob man die Betroffenen wegen ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der Deutschen dafür zur Rechenschaft ziehen wollte, dass sie die Sowjetunion verlassen, sich als deutsche Volkszugehörige auf die Seite der Deutschen gestellt und im damaligen Deutschen Reich Zuflucht gesucht und gefunden haben. Nur in diesem zweiten Fall beruht der Gewahrsam auf politischen Gründen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung mit Urteil vom 3. September 1980 klargestellt (BVerwGE 60, 343) und zur Begründung dargelegt, dass - anders als nach der bisher vorgenommen Bewertung des Handelns der Besatzungsmacht (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 8. Juli 1970 - VIII C 64.70 - Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 9; Urteil vom 28. Juni 1978, Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 22) - auch nach den allgemeinen Anschauungen, die im Jahre 1945 in dem sowjetischen Einflussbereich herrschten, es ein nicht vertretbarer Eingriff war, Deutsche, die vor den sowjetischen Truppen aus der Sowjetunion in das Gebiet des ehemaligen Deutschen Reiches geflüchtet waren, gegen ihren Willen in die Sowjetunion zurückzuschaffen, um sie dort als "Feinde" zur Rechenschaft zu ziehen. Ohne rechtliche Bedeutung ist es dabei, ob die Betroffenen in der Sowjetunion ursprünglich ihre Heimat hatten, nach Auffassung der Sowjetunion auch deren Staatsangehörigkeit besaßen und zu dem Gebiet, in dem sie sich bei Kriegsende aufhielten, keine Heimatbeziehung hatten. Denn sie haben durch die Flucht aus dem Gebiet der Sowjetunion ihre Heimatbeziehung dorthin gelöst (BVerwGE 60, 343).

b) Unter Zugrundlegung dieses Maßstabs ist die zwangsweise Verbringung der Klägerin nach Konstantinowka als eine "unpolitische" Rückführung von Umsiedlern in ihren ursprünglichen Aufenthaltsstaat mit dem Ziel der Beseitigung unmittelbarer Kriegsfolgen, mithin als Fall einer echten Repatriierung anzusehen. Das belegen zum einen die anschaulichen Schilderungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu den Umständen der Rückführung. Danach war nicht nur die Familie der Klägerin von der Maßnahme betroffen, sondern die Gruppe bestand aus verschiedenen Nationalitäten, unter anderem auch Menschen aus Polen und Weißrussland. Nach den Erläuterungen der Klägerin wurden die Personen der Gruppe während der ungefähr zwei Monate dauerenden Zugreise auf verschiedene Orte verteilt. Zusammen mit der Familie der Klägerin erreichten zwei oder drei andere Familien Konstantinowka. Auch der Umstand, dass die Gruppe - nach der Erinnerung der Klägerin - lediglich von einem sowjetischen Soldaten begleitet wurde, spricht gegen die Annahme, die Verschleppung sei zur Vorbereitung von Vergeltungsmaßnahmen gegen die Klägerin und ihre Familie als deutsche Staatsstaatsangehörige angelegt gewesen. Zum anderen weisen auch die Lebensumstände der Familie der Klägerin nach der Rückkehr nicht darauf hin, dass (bereits) die Verschleppung aus Österreich Strafcharakter und das Ziel hatte, die Familie zur Rechenschaft zu ziehen. Zwar konnte die Familie nicht wieder in ihre ursprüngliche Wohnung einziehen, weil diese anderweitig besetzt war. Die Familie erhielt jedoch einen Wohnraum und die Mutter der Klägerin konnte zunächst - offensichtlich unbehelligt bis zu ihrer Verhaftung im Jahr 1948 - arbeiten; auch besuchte die Klägerin die Schule. Dass ihre Mutter - nach einer Denunziation - Ende 1948 verhaftet wurde und - ohne dass es zuvor zu einer Verurteilung gekommen wäre - sechs Jahre und 11 Monate in einem Besserungslager gefangen gehalten worden ist, steht in keinem zeitlichen oder sachlichen Zusammenhang mit der zwangsweisen Rückführung im Jahr 1945. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erkennen, dass es Zweck der damaligen Verschleppung war, durch die Rückführung den jederzeitigen unbeschränkten Zugriff auf die Betroffenen zu sichern, um sie als "Feinde" zur Rechenschaft zu ziehen und zur Vergeltung Repressionen zu ergreifen. Die Klägerin und ihre Familie sind nicht im "Stande des politischen Gewahrsams" in ein ausländisches Staatsgebiet gebracht worden, sondern es handelte sich um den Fall einer bloßen, nicht politisch motovierten Rückführung, mithin um eine "echte" Repatriierung. Allein der Umstand der zwangsweisen Verbringung nach Konstantinowka genügt nicht, um einen Anspruch auf die begehrte Eingliederungshilfe zu begründen.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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