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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Urteil verkündet am 14.10.2003
Aktenzeichen: OVG 6 B 7.03
Rechtsgebiete: AuslG, AsyVfG, VwGO, GG


Vorschriften:

AuslG § 51 Abs. 1
AuslG § 53
AuslG § 50 AuslG
AsyVfG § 26 Abs. 1
AsyVfG § 26
AsyVfG § 1 Nr. 104
AsyVfG § 34
AsyVfG § 38
VwGO § 125 Abs. 1
VwGO § 102 Abs. 2
GG Art. 16 a Abs. 1
GG Art. 16 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 6 B 7.03

Urteil Im Namen des Volkes

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten und des Beteiligten wird der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. Juni 1996 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1965 in Savur, Provinz Mardin, geborene Kläger zu 1. ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Seinen Angaben zufolge verließ er am 1. Juni 1990 die Türkei und gelangte auf dem Landweg am 17. September 1990 in die Bundesrepublik Deutschland. Am 18. September 1990 meldete er sich als Asylbewerber.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) am 13. November 1990 gab er zur Begründung seines Asylantrags an, in der Umgebung seines Heimatdorfes im Osten der Türkei sei die PKK sehr aktiv gewesen und habe sich Nachts im Dorf mit Proviant versorgt. Die türkischen Soldaten hätten daher Dorfschützer einsetzen wollen. Auch er sei hierfür vorgeschlagen worden, habe sich aber geweigert, das Amt zu übernehmen, da ihm bekannt gewesen sei, dass die Dorfschützer von den PKK-Leuten umgebracht würden. Daraufhin sei er von den Soldaten unter Druck gesetzt und einmal in der Kreisstadt Savur mehrere Stunden festgehalten und mit der Eröffnung eines Strafverfahrens bedroht worden. Um dem zu entgehen, habe er sich nach Istanbul abgesetzt und sei von dort mit Hilfe einer Fluchthilfeorganisation nach Berlin gekommen. In den Westen der Türkei habe er nicht gehen können, da er dort niemanden gekannt habe und keine Arbeit hätte finden können. Ein weiterer Grund für seine Flucht sei gewesen, dass seine Familie mit einer anderen Familie des Dorfes in Blutfehde gelebt und er die Rache der anderen Familie, deren Männer als Dorfschützer eingesetzt worden seien, gefürchtet habe.

Am 16. Februar 1992 reiste die im November 1963 nach den Angaben in ihrem türkischen Personalausweis (Nüfus) in Trabzon, nach ihren eigenen Angaben im Asylantrag in Savur geborene Klägerin zu 2., die ebenfalls türkische Staatsangehörige und die Ehefrau des Klägers zu 1. ist, auf dem Landweg zusammen mit ihren damals vier Kindern, den Klägern zu 3. bis 6., in die Bundesrepublik Deutschland ein und meldete sich als Asylbewerberin. In einer ersten Befragung am 27. Februar 1992 beim Landeseinwohneramt Berlin gab sie als Fluchtgrund Hausdurchsuchungen der Polizei nach dem Verschwinden ihres Mannes an. Bei einer dieser Hausdurchsuchungen sei ihr damals vier Monate altes Kind, das auf einem Bett gelegen habe, durch von den Sicherheitskräften über das Bett geworfene Decken erstickt worden. Sie habe sich daraufhin bei ihren Eltern versteckt und sei von einem Schlepper für den Erlös ihres Schmuckes nach Deutschland gebracht worden.

Bei ihrer Anhörung am 7. Dezember 1993 führte die Klägerin zu 2. ergänzend aus, die Sicherheitskräfte seien auf der Suche nach ihrem Mann ca. achtmal gekommen, hätten sie mit Waffen geschlagen und vergewaltigen wollen. In den Westen der Türkei habe sie als alleinstehende Frau mit den Kindern nicht gehen können. Ihre Eltern lebten noch in der Türkei. Ihr Vater sei auf Druck des Militärs Dorfschützer geworden. Für die Antragsteller zu 3. bis 6. lägen keine speziellen Asylgründe vor.

Das Bundesamt lehnte die Asylanträge der Kläger durch Bescheid vom 2. Februar 1994 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen und forderte die Kläger unter Androhung der Abschiebung in die Türkei auf, innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung, bei Klageerhebung innerhalb eines Monats nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens, auszureisen. Zur Begründung führte das Bundesamt aus, ob das Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte zur zwangsweisen Rekrutierung von Dorfschützern im Einzelfall asylrelevant sei, könne dahingestellt bleiben, da es den Betroffenen zumindest im Regelfall möglich sei, sich diesem Druck durch Verlassen des Heimatdorfes und Ansiedlung in einer größeren ost- oder westtürkischen Stadt zu entziehen. Die vom Kläger zu 1. befürchteten Racheakte wegen einer Blutfehde stellten Verfolgungshandlungen Dritter und damit keine politische Verfolgung dar. Die von der Klägerin zu 2. geschilderten Repressalien sowie die tragische Tötung ihres Kindes durch das Militär beinhalteten ebenfalls keine politische Verfolgung, jedenfalls sei es den Klägern möglich und zumutbar gewesen, in den Westen der Türkei abzuwandern.

Die Kläger haben am 23. Februar 1994 Klage erhoben und zur Begründung ihres Verfolgungsschicksals ihr bisheriges Vorbringen wiederholt.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 17. Juni 1996 unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2. Februar 1994 verpflichtet, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen und für den Kläger zu 1. festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorlägen. Die Kläger seien als Asylberechtigte anzuerkennen. Zwar sei zweifelhaft, ob sie vor ihrer Ausreise aus der Türkei asylerhebliche politische Verfolgung aus individuellen Gründen erlitten oder zu befürchten gehabt hatten. Es könne auch dahinstehen, ob die Kläger bis zu ihrer Ausreise aus der Türkei einer gruppengerichteten Verfolgung ausgesetzt gewesen seien. Jedenfalls im jetzigen Zeitpunkt hätte der Kläger zu 1. im Falle seiner Rückkehr in der Provinz Mardin und den weiteren Notstandsprovinzen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit zu befürchten. Als aus den Notstandsprovinzen stammendem, nicht assimiliertem Kurden stehe ihm auch keine Fluchtalternative in anderen Landesteilen der Türkei zur Verfügung. Für die Klägerin zu 2. könne dahinstehen, ob sie bei einer Rückkehr in die Türkei wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit eine Gruppenverfolgung ohne inländische Fluchtalternative zu befürchten hätte. Als Ehegattin des Klägers sei sie jedenfalls gemäß § 26 Abs. 1 AsyVfG als Asylberechtigte anzuerkennen. Den Klägern zu 3. bis 6. wurde ebenfalls Familienasyl nach § 26 AsylVfG zuerkannt.

Der Beteiligte und die Beklagte verweisen zur Begründung der mit Beschluss vom 27. August 1996 zugelassenen Berufung darauf, dass die Verfolgungsprognose des Verwaltungsgerichts und die Verneinung einer inländischen Fluchtalternative unzutreffend seien.

Die Beklagte und der Beteiligte beantragen,

den Gerichtsbescheid vom 17. Juni 1996 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise

zu den Behauptungen der Kläger, bei einer Militäraktion im Jahre 1990 sei der kleine Sohn der Familie A. zu Tode gekommen und der Kläger zu 1. sei bekanntermaßen wegen seiner Weigerung, ein Dorfschützeramt zu übernehmen, drangsaliert worden, Herrn B als Zeugen zu vernehmen.

Die Kläger machen ergänzend geltend: Der Kläger zu 1. sei als Mitveranstalter von Protestveranstaltungen in Erscheinung getreten, so beispielsweise am 21. Mai 1997 bei einer Demonstration vor dem türkischen Generalkonsulat. Dort habe er eine kurze Rede über Megaphon gehalten. Die türkischen Sicherheitskräfte hätten die Demonstration beobachtet und teilweise fotografiert. Im Anschluss an die Demonstration sei er wegen des Vorwurfs der versuchten Gefangenenbefreiung festgenommen und mit Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 2. April 1998 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Es sei davon auszugehen, dass die Vorfälle in der Türkei sorgfältig erfasst würden. Angesichts der Kumulation des erhöhten Risikos einer landesweiten Verfolgung nach Ablehnung des Dorfschützeramtes und der exilpolitischen Betätigung sei ein Asylanspruch für ihn und seine Familienangehörigen gegeben.

Die Kläger zu 1. und 2. sind im Erörterungstermin am 27. Mai 2003 und in der mündlichen Verhandlung am 14. Oktober 2003 angehört worden. Auf die Niederschriften wird verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und des Landeseinwohneramtes Berlin sowie die Akten des Amtsgerichts Tiergarten 261 Cs 1018.97 Bezug genommen. Die genannten Akten lagen vor und waren - soweit wesentlich - Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung. Des Weiteren wird Bezug genommen auf die den Verfahrensbeteiligten übersandte Erkenntnissquellenliste des Senats (Liste Türkei, Stand September 2003 nebst Ergänzungen).

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß §§ 125 Abs. 1, 102 Abs. 2 VwGO trotz des Ausbleibens eines Vertreters des Beteiligten zur Sache verhandeln und entscheiden, weil der Beteiligte mit der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

Die zugelassene und auch sonst zulässige Berufung der Beklagten und des Beteiligten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Kläger haben keinen Anspruch darauf, als politisch Verfolgte im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG anerkannt zu werden. Sie können auch nicht die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG oder von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG verlangen.

I.

Eine politische Verfolgung im Sinne von Art. 16 a GG liegt dann vor, wenn der Asylsuchende bei einem Verbleib in seiner Heimat oder bei einer Rückkehr dorthin in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine Volkszugehörigkeit, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, Verfolgungsmaßnahmen zu erwarten hat, die ihn ihrer Intensität nach aus der Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Der eingetretenen Verfolgung steht die unmittelbar drohende Gefahr der Verfolgung gleich (BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 -, BVerfGE 54, 341 [367] und Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 [343 f.]). Als durch die Verfolgungsmaßnahmen verletzte Rechtsgüter kommen insbesondere Leib und Leben, aber auch andere wie die Freiheit der beruflichen und wirtschaftlichen Betätigung in Betracht. Eingriffe, die nicht unmittelbar Leib, Leben oder die persönliche Freiheit betreffen, können einen Anspruch auf Asyl allerdings nur begründen, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaates auf Grund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 1987 - 2 BvR 478/86 -, BVerfGE 76, 143 [157 f.] und Beschluss vom 20. Mai 1992 - 2 BvR 205/92 u.a. -, NVwZ 1992, 1081). Die Verfolgung muss zielgerichtet sein. Hieran fehlt es bei Nachteilen, die jemand auf Grund der allgemeinen Zustände in seinem Heimatland erleidet, wie Hunger, Naturkatastrophen, aber auch bei allgemeinen Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 [335]). Die gezielt zugefügte Rechtsverletzung muss von einer Intensität sein, die sie nicht lediglich als Beeinträchtigung, sondern als ausgrenzende Verfolgung darstellt. Das Maß der Intensität ist nicht abstrakt vorgegeben, es muss der humanitären Intention des Asylrechts entnommen werden, demjenigen Schutz zu gewähren, der sich in einer für ihn ausweglosen Lage befindet (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 [335]).

Politische Verfolgung ist grundsätzlich staatliche Verfolgung. An asylerhebliche Merkmale anknüpfende Maßnahmen von Privatpersonen sind nur dann asylrelevant, wenn der Staat die Verfolgungsmaßnahmen anregt oder derartige Handlungen billigt oder tatenlos hinnimmt (BVerwG, Urteil vom 23. Juli 1991 - BVerwG 9 C 154.90 -, BVerwGE 88, 367 [371]).

Die Asylberechtigung setzt eine individuelle Verfolgungsbetroffenheit des Flüchtlings voraus. Die Gefahr eigener politischer Verfolgung des Asylbewerbers kann sich allerdings auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungswahrscheinlichkeit vergleichbaren Lage befindet (BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83, 216 [231 ff.]; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 [202]).

Eine solche so genannte Gruppenverfolgung hat - wie jede politische Verfolgung - zur Voraussetzung, dass die festgestellten asylrelevanten Maßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Hinzu kommen muss eine bestimmte Verfolgungsdichte, die die "Regelvermutung" eigener Verfolgung jedes einzelnen Gruppenmitglieds rechtfertigt. Hierfür genügt es nicht, dass jedes Gruppenmitglied nur möglicherweise, latent oder potenziell gefährdet ist. Die Gefährdung auf Grund der Gruppenzugehörigkeit muss vielmehr aktuell sein. Die Verfolgungshandlungen müssen im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht (BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1990 - BVerwG 9 C 17.89 -, BVerwGE 85, 139 [142 f.]; Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 -, a.a.O.).

Die Anerkennung als Asylberechtigter setzt weiter voraus, dass dem Betroffenen bei einer Rückkehr in seinem Heimatland bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung im oben beschriebenen Sinne droht, wobei die insoweit erforderliche Prognose auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstellen und auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein muss (BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1985 - 9 C 22.85 -, NVwZ 1986, 760; vgl. auch § 77 Abs. 1 AsylVfG). Dem Asylsuchenden muss bei seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung drohen. Das ist der Fall, wenn aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen eine Rückkehr in sein Heimatland nach Abwägung aller bekannten Umstände unzumutbar erscheint (BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162 [169]). Für die Beurteilung dieser Frage ist zu unterscheiden je nachdem, ob ein Asylbewerber seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar bevorstehender Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist. Einem Asylbewerber, der als Verfolgter aus seinem Heimatland ausgereist ist, kann eine Rückkehr nur zugemutet werden, wenn die Gefahr, erneut Opfer von Verfolgung zu werden, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist, mit anderen Worten der Betroffene vor erneuter politischer Verfolgung hinreichend sicher ist (BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341 [360]; Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 [344 ff.]). Insoweit gilt bei vorverfolgten Asylbewerbern ein herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Dieser gilt auch für die Beantwortung der Frage, ob ein Asylsuchender vor erneuter Verfolgung auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden kann.

Asylsuchende hingegen, die ihr Heimatland unverfolgt verlassen haben, können sich auf Art. 16 a GG nur berufen, wenn ihnen bei Zugrundelegung des gewöhnlichen Prognosemaßstabs auf Grund von beachtlichen Nachfluchttatbeständen politische Verfolgung droht (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 [345 f.]). Für die Abgrenzung, ob ein Asylbewerber sein Heimatland vorverfolgt oder unverfolgt verlassen hat, gilt der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1993 - BVerwG 9 C 45.92 -, Buchholz 402.25 § 1 Nr. 166).

II.

Gemessen an diesen Maßstäben haben die Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte.

1. Der Senat hat erhebliche Zweifel, ob der Kläger zu 1. vor seiner Ausreise in seiner Heimat im Südosten der Türkei von einer individuellen asylerheblichen Verfolgung betroffen oder bedroht war.

Dem Asylbewerber obliegt es, von sich aus umfassend die Gründe für das verfolgungsbedingte Verlassen seiner Heimat substanziiert, unter Angabe genauer Einzelheiten und in sich stimmig darzulegen. Sein Vortrag, insbesondere zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, muss geeignet sein, den Asylanspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, Urteil vom 8. Mai 1984 - BVerwG 9 C 141.83 -, NVwZ 1985, 36; BVerwG, Beschluss vom 24. März 1987 - BVerwG 9 C 321.85 -, Buchholz 402.25 § 1 Nr. 64). Die Feststellung einer asylrelevanten Verfolgung setzt voraus, dass sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft, wobei allerdings der typische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat bei der Auswahl der Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrags und der Beweise angemessen zu berücksichtigen ist (BVerwG, Urteil vom 12. November 1985 - BVerwG 9 C 27.85 -, Buchholz 402.25 § 1 Nr. 41). Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Asylvortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann (BVerwG, Urteil vom 12. November 1985 - BVerwG 9 C 27.85 -, a.a.O.; Beschluss vom 21. Juli 1989 - BVerwG 9 C 239.89 -, Buchholz 402.25 § 1 Nr. 113).

Der Kläger zu 1. hat als fluchtauslösendes Geschehen den auf ihn ausgeübten Druck zur Übernahme des Dorfschützeramtes geltend gemacht. Seiner Schilderung in der unmittelbar nach seiner Ausreise durchgeführten Anhörung ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die türkischen Sicherheitskräfte ihn gezielt zur Übernahme des Dorfschützeramtes aufgefordert haben. Vielmehr haben sie - nach vorausgegangenen PKK-Aktivitäten in der Nähe des Heimatdorfes des Klägers zu 1. - von der Dorfgemeinschaft als Kollektiv die Aufstellung von Dorfschützern verlangt. Auch in seiner Anhörung vor dem Berichterstatter und in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zu 1. nicht von einer gezielten und individuellen Inanspruchnahme durch die türkischen Sicherheitskräfte gesprochen, sondern angegeben, dass die Dorfbewohner auf dem Dorfplatz versammelt und dort zur Übernahme des Dorfschützeramtes gedrängt worden seien. Soweit der Kläger zu 1. über Festnahmen in diesem Zusammenhang berichtet, weisen seine Angaben erhebliche Widersprüche auf. So hat er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt nur von einer folgenlosen Festnahme gesprochen, im Erörterungstermin dagegen von mehreren Festnahmen, bei denen er zudem geschlagen worden sein soll. In der mündlichen Verhandlung hat er schließlich angegeben, er habe sich Festnahmen und anderen Bedrohungen durch Flucht in die Berge entziehen können. Eine plausible Erklärung, warum die Angaben so stark voneinander abweichen, hat der Kläger zu 1., der im Erörterungstermin auf die damals bestehenden Widersprüche ausdrücklich hingewiesen worden ist, nicht geben können. Eine solche ist auch nicht ersichtlich. Insbesondere sind die unterschiedlichen Darstellungen im Erörterungstermin und in der mündlichen Verhandlung nicht durch den großen zeitlichen Abstand zwischen dem tatsächlichen Geschehen und den Anhörungen erklärlich. Der Senat hat daher erhebliche Zweifel, dass der Kläger überhaupt individuell asylerheblichen Übergriffen durch die Sicherheitskräfte ausgesetzt war oder ihm solche drohten. Der Senat vermag dem Kläger zu 1. auch nicht zu glauben, dass er als Oberdorfschützer oder gar als Bürgermeister vorgesehen gewesen sein soll, wie er - wiederum nur - im Erörterungstermin am 27. Mai 2003 behauptet hat. Angesichts seines damaligen Alters von 24 bis 25 Jahren und des Fehlens eines plausiblen Grundes, warum gerade er in diesem Alter eine solche herausgehobene Position hätte einnehmen sollen, sieht der Senat in diesem Vorbringen eine Steigerung, die nicht den tatsächlichen Geschehensablauf wiedergibt, sondern allein in der Absicht erfolgt, dem Asylbegehren zum Erfolg zu verhelfen. Entsprechendes gilt für die angeblichen Unterstützungshandlungen für die PKK, die der Kläger zu 1., nachdem er bei der ersten Anhörung noch betont hat, keine politischen Kräfte zu unterstützen, erst im Laufe des Verfahrens nachgeschoben hat.

Die Frage, inwieweit die Angaben des Klägers zu 1. der Wahrheit entsprechen, kann letztendlich allerdings dahingestellt bleiben. Auch wenn der Senat auf Grund der Darstellungen des Klägers zu 1. und unter Hinzunahme der Angaben der Klägerin zu 2. eine individuelle Vorverfolgung des Klägers zu 1. durch Verhaftungen und dabei erlittene Misshandlungen wegen der Weigerung, das Dorfschützeramt zu übernehmen, unterstellt, drohten dem Kläger zu 1. im Zeitpunkt seiner Ausreise nicht landesweit asylrelevante Maßnahmen. Er war im Westen der Türkei vor politischer Verfolgung hinreichend sicher und dort auch keinen sonstigen vergleichbaren Nachteilen und Gefahren ausgesetzt (unten 2.).

Der Senat unterstellt weiterhin, dass die Klägerin zu 2. nach der Ausreise des Klägers zu 1. die von ihr dargestellten Übergriffe der türkischen Sicherheitskräfte erlitten hat und der kleine Sohn der Familie dabei unter den im Erörterungstermin dargestellten Umständen ums Leben gekommen ist. Ob für die Klägerin zu 2. und die Kläger zu 3. bis 6. im damaligen Zeitpunkt, also nach der Ausreise des Klägers zu 1., eine inländische Fluchtalternative im Westen der Türkei bestand, sie insbesondere eine ausreichende Existenzgrundlage hätten finden können, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn jedenfalls sind sie im jetzigen Zeitpunkt bei einer Rückkehr in die Türkei vor Verfolgung hinreichend sicher, weil ihnen im Westen weder Verfolgung noch eine existenzielle Gefährdung drohen (unten 3.). Einer Vernehmung des vorsorglich benannten Zeugen bedurfte es daher nicht.

2. Kurdischen Volkszugehörigen stand bei der gebotenen generalisierenden Betrachtung in der Vergangenheit (Ausreisezeitpunkt des Klägers zu 1.) und steht gegenwärtig und in absehbarer Zukunft eine Fluchtalternative in der Türkei zur Verfügung (a - e). Die im Westen der Türkei bestehende Fluchtalternative entfällt nicht allein deswegen, weil ein Kurde es abgelehnt hat, das Dorfschützeramt zu übernehmen (f). Der Kläger zu 1. war im Zeitpunkt der Ausreise im Westen der Türkei keinen existenziellen Gefahren in wirtschaftlicher Hinsicht ausgesetzt. Solche drohen ihm auch heute nicht (g).

a) Eine inländische Fluchtalternative setzt voraus, dass dem Asylsuchenden in den in Betracht kommenden Gebieten unter Anlegung des so genannten herabgestuften Prognosemaßstabs keine politische Verfolgung droht (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 [342]; BVerwG, Urteil vom 9. September 1997 - BVerwG 9 C 43.95 -, BVerwGE 105, 204 [207, 211 f.]; vgl. auch VGH Kassel, Urteil vom 5. August 2002 - 12 UE 2982/00.A - S. 17, juris). Auch nach dem herabgestuften Prognosemaßstab genügt für die Bejahung einer Verfolgungsgefahr nicht bereits jede noch so geringe Möglichkeit abermaligen Verfolgungseintritts, d.h. jeder - entfernt liegende - Zweifel an der künftigen Sicherheit des Verfolgten, sondern es müssen hieran mindestens ernsthafte Zweifel bestehen, die einen Übergriff auf Grund objektiver Anhaltspunkte als durchaus "reale" Möglichkeit erscheinen lassen (BVerwG, Urteil vom 9. April 1991 - BVerwG 9 C 91.90 -, NVwZ 1992, 270). Die Verneinung einer Verfolgungsgefahr setzt mithin nicht voraus, dass die Gefahr erneuter Übergriffe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann (BVerwG, Urteil vom 30. April 1996 - BVerwG 9 C 170.95 -, BVerwGE 101, 123).

b) Die Türkei erlebt seit Mitte des 20. Jahrhunderts auf Grund des starken Bevölkerungswachstums eine erhebliche Binnenmigration vom Osten der Türkei in deren Westen. Die Kurden sind von diesem Prozess stark betroffen. Ab Mitte der sechziger Jahre sind Kurden in signifikantem Maße in den Westen, insbesondere die industriell entwickelten Städte migriert. Die in den Westen zugewanderten Kurden haben sich überwiegend am Rande von Großstädten in den dortigen Kurdenvierteln angesiedelt. Dabei spielen verwandtschaftliche Beziehungen eine ausschlaggebende Rolle für die Wohnortwahl. Sie bilden die Grundlage für alle sozialen Beziehungen in der Stadt-Land-Migration (ausführlich: Strohmeier, S. 181 f.).

Die Binnenmigration von Kurden in die westlichen Landesteile, insbesondere die dortigen Großstädte, hat durch die militärische Auseinandersetzung mit der PKK zugenommen und die vorhandenen kurdisch geprägten Stadtviertel stark anwachsen lassen. Durch den massiven Zustrom - genannt werden monatlich bis zu 20.000 Zuwanderer allein für Istanbul - ist es zur Anlage von ohne behördliche Genehmigung errichteten Siedlungen (Gecekondu-Viertel) gekommen (vgl. Rumpf, Gutachten vom 3. August 1998 an VG Freiburg, A VIII 20 c; Oberdiek, Gutachten vom 20. Dezember 1996 an OVG Schleswig, A VII 9 e; Gesellschaft für bedrohte Völker, Gutachten vom 23. September 1993 an VG Frankfurt/Main, A III 20 a). Folge der starken Zuwanderung ist ein hoher Assimilationsdruck für die östlichen Zuwanderer, die sich an großstädtische und damit moderne Verhältnisse anpassen müssen mit der Gefahr des Verlustes der eigenen kulturellen Identität. Auf der anderen Seite besteht aus der Sicht der angestammten Bevölkerung die Gefahr, dass die Zuwanderer im Alltag das soziale Leben beherrschen und ihre Kultur prägend in das Großstadtleben einbringen (Rumpf, Gutachten vom 8. Oktober/15. September 1992 an VG Bremen, A II 48). Teilweise wurde bereits Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts eine Dominanz der östlichen Zuwanderer z.B. im Alltag von Istanbul konstatiert (Rumpf, a.a.O. S. 22 f.).

Zugewanderte assimilierte Kurden können in der türkischen Gesellschaft in Industrie, Wissenschaft, Gesellschaftsleben und Militär in herausgehobene Funktionen aufsteigen. Eine große Zahl von Parlamentsabgeordneten ist kurdischer Abstammung (Auswärtiges Amt, Lagebericht, August 1996, S. 5, C I 22). Sie konnten und können außerhalb der (ehemaligen) Notstandsprovinzen unbehelligt leben.

c) Auch aus dem Osten der Türkei stammende nichtassimilierte Kurden konnten im Zeitpunkt der Ausreise der Kläger und können gegenwärtig im Westen der Türkei leben, ohne politische Verfolgung in Form einer gruppengerichteten staatlichen Verfolgung befürchten zu müssen. Soweit das Verwaltungsgericht in seinem grundlegenden Urteil vom 27. Oktober 1995 - VG 36 X 211.95 -, auf das in der angegriffenen Entscheidung verwiesen wird, aus Gutachten von amnesty international, medico international, der Gesellschaft für bedrohte Völker sowie den Stellungnahmen der Gutachter Rumpf, Kaya und Taylan den Schluss zieht, nicht assimilierte Kurden seien auch außerhalb der Notstandsgebiete in ihrem Heimatstaat vor politischer Verfolgung nicht hinreichend sicher, vermag dem der Senat nicht zu folgen.

Aus der im Urteil des Verwaltungsgerichts aus dem Gutachten von amnesty international vom 28. Januar 1994 (A IV 2) wiedergegebenen Formulierung, dass jeder erwachsene Kurde verdächtigt werde, den kurdischen Widerstand und den bewaffneten Kampf der PKK zu unterstützen "dessen Aufenthalt aus türkischer Sicht über längere Zeit ungeklärt ist", ergibt sich nicht, dass allein die kurdische Volkszugehörigkeit Anknüpfungspunkt für einen solchen Verdacht ist. Im Gegenteil wird deutlich, dass die türkischen Kräfte eine - wenn auch grobe - Differenzierung vornehmen und allein die kurdische Volkszugehörigkeit nicht zum Anlass von Verdächtigungen nehmen. Die im Gutachten von amnesty international vom 20. April 1994 (A IV 8 a) wiedergegebenen Vorfälle lassen ebenfalls erkennen, dass die geschilderten Übergriffe - den Wahrheitsgehalt der Schilderungen unterstellt - nicht allein wegen der kurdischen Volkszugehörigkeit erfolgten, sondern auf Grund als separatistisch eingestufter Bekundungen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bereits die Verwendung kurdischer Farben und/oder Symbole, das Singen kurdischer Lieder, das Lesen kurdischer Veröffentlichungen und insbesondere das Begehen kurdischer Festtage, hierbei wiederum in erster Linie des Newrozfestes, in der Vergangenheit von der türkischen Seite als politische Bekundung im Sinne einer Solidarisierung mit den separatistischen Bestrebungen verstanden worden ist und vielfach auch so verstanden werden sollte (amnesty international, Gutachten vom 21. August 1997 an VG Berlin, A VII 13 d; zur gegenwärtigen Situation: Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 12. August 2003, C I 35; OVG Münster, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A - S. 97). Auch aus dem vom Verwaltungsgericht in seinem Grundsatzurteil wiedergegebenen Bericht der Gesellschaft für bedrohte Völker vom 1. Februar 1995 (A IV 26 f) ergibt sich nicht, dass die kurdische Volkszugehörigkeit Anknüpfungspunkt für asylerhebliche Übergriffe im Westen der Türkei ist. Vielmehr geht aus diesen Ausführungen deutlich hervor, dass die Gefahr von Festnahmen und asylerheblichen Übergriffen gegen Leib und Leben an den Verdacht des Separatismus oder der Unterstützung separatistischer Bewegungen anknüpft. Die von amnesty international angeführten Fälle willkürlicher Festnahmen in der Westtürkei sind zudem ohne eigene Überprüfung aus der türkischen Presse weitergegeben worden und auch von daher nur mit Zurückhaltung zu bewerten (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 14. Dezember 1995 - A 12 S 2279.93 - S. 23). Die Schilderungen betreffen darüber hinaus in einem nicht unerheblichen Teil Vorfälle aus den unmittelbar an die Notstandsprovinzen angrenzenden Regionen. Dies gilt vor allem für die Berichte aus den Städten Adana und Mersin, die ebenfalls einen starken Zustrom von vor den Auseinandersetzungen im Osten flüchtenden Kurden erfahren haben. Für die Beurteilung einer Fluchtalternative im Westen der Türkei, von dem die beiden Städte rund 800 - 900 km (Entfernung Istanbul - Adana: 940 km) entfernt liegen, geben Berichte aus dieser Region nichts her.

Dass nicht die kurdische Volkszugehörigkeit, sondern das aktive Eintreten im Rahmen prokurdischer Organisationen und Parteien Ausgangspunkt für Maßnahmen der Sicherheitskräfte war, wird deutlich aus der vom Verwaltungsgericht wörtlich wiedergegebenen Passage aus dem genannten Bericht der Gesellschaft für bedrohte Völker vom 1. Februar 1995 (A IV 26 f). In diesem schildert der Vorsitzende der verbotenen Demokratiepartei (DEP) ausführlich Maßnahmen gegen diese Partei bzw. deren Vorgängerorganisationen. Dass Funktionäre und Mitglieder kurdenfreundlicher Parteien und Organisationen in der Vergangenheit und gegenwärtig durch Festnahmen und Folter sowie durch Zensurmaßnahmen auch im Westen der Türkei stark gefährdet sind, bezweifelt der Senat nicht. Asylerhebliche Maßnahmen gegen diese Gruppe lassen aber keinen Rückschluss auf eine politische Verfolgung nichtassimilierter Kurden in Anknüpfung allein an die kurdische Volkszugehörigkeit zu. Die Häufigkeit asylerheblicher Übergriffe gerade gegen diesen Personenkreis belegt vielmehr, dass differenziert wird zwischen "einfachen" Kurden und politisch verdächtigen. Konkret belegte Fälle von Übergriffen, die ausschließlich oder zumindest maßgeblich an die kurdische Volkszugehörigkeit anknüpfen, lassen sich auch der vom Verwaltungsgericht zitierten Stellungnahme von medico international nicht entnehmen. Die dort aufgeführten, vom Verwaltungsgericht als Referenzbeispiele genannten Berichte, lassen oft schon nach den Schilderungen der Betroffenen erkennen, dass die Festnahmen nicht allein wegen der kurdischen Volkszugehörigkeit erfolgten. Dies gilt beispielsweise für die erwähnten Verhaftungen von Mitgliedern der prokurdischen Partei HEP oder die geschilderten Festnahmen im Anschluss an Demonstrationen aus Anlass des kurdischen Neujahrsfestes oder des Jahrestages der Gründung der PKK oder im Anschluss an illegale Demonstrationen. Auch hinsichtlich dieses Berichtes ist darüber hinaus festzustellen, dass vielfach Ereignisse außerhalb der hier interessierenden Gebiete der Westtürkei geschildert werden. Die umfangreiche Auflistung von Vorfällen in den Gutachten von Oberdiek vom 2. November 1994 (A IV 26 b) und vom 26. Mai 1995 (A V 20 a) führt zu keinem anderen Ergebnis. In diesem Gutachten werden ebenfalls zahlreiche Fälle, die die Städte Mersin und Adana sowie die an das Kurdengebiet angrenzenden Regionen betreffen, zitiert. In den für die Beurteilung der inländischen Fluchtalternative vor allem interessierenden Regionen von Istanbul und Umgebung verbleibt die Zahl der konkret geschilderten Vorkommnisse demgegenüber vergleichsweise klein. Zudem lassen die angeführten Verhaftungsfälle vielfach nicht oder nur ungenügend die Ursache der Polizeiaktionen erkennen. Auf diesen Mangel der Zusammenstellung hat das Verwaltungsgericht bereits hingewiesen. Außerdem liegen in einer Reihe der Fälle konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass die betroffenen Personen auf Grund ihres politischen Engagements für die kurdische Sache, nicht aber allein auf Grund ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit, über die in vielen Fällen keine Aussage gemacht wird, betroffen waren. Auch die vom Gutachter Rumpf in seinem Gutachten vom 21. März 1995 (A IV 26 h) geschilderten Vorfälle lassen nicht erkennen, dass die Opfer - soweit es sich um Kurden handelt - allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit polizeilichen Maßnahmen ausgesetzt waren. So gilt dies beispielsweise für die erwähnten 37 Familien, die sich darüber beklagt haben sollen, dass sie keine Wohnungen fänden und auch nicht durch offizielle Stellen dabei unterstützt würden. Berichte über "Polizeiaktionen" in kurdisch bewohnten Stadtteilen und Städten sind mangels näherer Angaben über die Art der Aktionen und der betroffenen Städte und Stadtteile nicht verwertbar. Aus dem vom Verwaltungsgericht zitierten Gutachten von Rumpf vom 30. Juni 1994 (A IV 8 b) ergibt sich entgegen der Wertung des Verwaltungsgerichts nicht, dass diese Razzien gerade an die kurdische Volkszugehörigkeit anknüpfen. Bei den wiedergegebenen Beispielsfällen handelt es sich um Razzien gegen eine prokurdische Zeitung bzw. gegen ein prokurdisches Verlagshaus. Soweit über Razzien "hin und wieder" aus Mersin und Adana berichtet wird, handelt es sich - wie erwähnt - um Gebiete an der Südküste in unmittelbarer Nähe zu den (ehemaligen) Notstandsprovinzen bzw. den angrenzenden Provinzen. Die Belegfälle im Gutachten von Kaya (A IV 26 c), das ebenfalls vom Verwaltungsgericht herangezogen wird, sind aus den oben genannten Gründen auch nicht als Indiz für eine allein an die Volkszugehörigkeit anknüpfende Gefährdung von Kurden im Westen der Türkei geeignet. Im Gegenteil, soweit es sich überhaupt um Vorfälle aus dem hier interessierenden Gebiet der Türkei handelt, ergibt sich aus den Schilderungen, dass gegenüber den Betroffenen entweder ein individueller Separatismusverdacht bestand oder die polizeilichen Maßnahmen an eine vorangegangene Aktion (z. B. Anschlag im Basar), die den Separatisten zugeschrieben wurde, anknüpften.

Auch soweit Polizeirazzien in den Großstädten mit dem Ziel der Ergreifung von PKK-Mitgliedern und -Sympathisanten stattfanden und gegenwärtig noch stattfinden und es hierbei zu zahlreichen vorläufigen Festnahmen kommt, kann dies nicht als Beleg für eine allein an die Volkszugehörigkeit anknüpfende Gefährdung angesehen werden. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass Razzien, Durchsuchungen und kurzfristige Festnahmen als solche nach Intensität und Schwere nicht ohne weiteres einen Verfolgungstatbestand erfüllen. Zudem sind Razzien mit einer beachtlichen Zahl von lang andauernden Festnahmen - ohne konkrete Verdachtsmomente oder unter willkürlichen Beschuldigungen - aus den Städten der Westtürkei in erheblichem Umfang nicht bekannt geworden. Meldungen, die von willkürlichen Festnahmen und Folterungen von über 1000 Kurden Anfang August 1992 in Istanbul berichteten, konnten von Sachverständigen nach Zeitungsrecherchen nicht bestätigt werden (vgl. Taylan, Gutachten vom 11. November 1992 an OVG Hamburg, A II 52 a, und Rumpf, Gutachten vom 17. November 1992 an OVG Hamburg, A II 52 b; ebenso: VGH Mannheim, Urteil vom 14. Dezember 1995 - A 12 S 2279.93 - S. 34; OVG Thüringen, Urteil vom 25. November 1999 - 3 KO 165.96 - S. 8). Maßnahmen der Sicherheitskräfte von einem derartigen Ausmaß wären in der Öffentlichkeit aber mit Sicherheit bekannt geworden und hätten auch in Veröffentlichungen türkischer Zeitungen ihren Niederschlag gefunden (vgl. Rumpf, a.a.O., A II 52 b).

d) Selbst wenn man davon ausginge, dass es Übergriffe mit asylerheblicher Intensität in ausschließlicher oder überwiegender Anknüpfung an die kurdische Volkszugehörigkeit außerhalb der Notstandsgebiete im Zeitpunkt der Ausreise des Klägers gab, kann nicht festgestellt werden, dass die Zahl der Berichtsfälle im Verhältnis zu dem in der Westtürkei lebenden kurdischen Bevölkerungsanteil so groß war und derzeit ist, dass die Gefahr für einen beliebigen in der Westtürkei lebenden Kurden, von der Polizei gerade mit Blick auf sein Volkstum asylerheblichen Maßnahmen ausgesetzt zu sein, mehr als nur eine theoretische Möglichkeit darstellte (ebenso OVG Münster, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A - S. 98; OVG Bremen, Urteil vom 17. März 1999 - OVG 2 BA 118/94 - S. 68; VGH Kassel, Urteil vom 5. August 2002 - 12 UE 2982/00.A - S. 18).

Insoweit ist die Zahl der kriegsbedingten Binnenflüchtlinge aus dem Südosten und Osten der Türkei, die sich im Westen niedergelassen haben - ca. zwei bis drei Millionen -, mit den Zahlen von Folterfällen, Todesfällen in Polizeihaft oder bei Polizeirazzien und Fällen vermuteten Verschwindenlassens in Beziehung zu setzen. Dies ergibt folgendes Bild: Nach Berichten der türkischen Menschenrechtsstiftungen sind danach z.B. im Jahre 1993 827 Fälle erwiesener Folterungen zu verzeichnen gewesen. 29 Personen sind unter mysteriösen Umständen gestorben, während sie sich in staatlichem Gewahrsam befanden, 13 Personen sollen nach ihrer Verhaftung verschwunden sein (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 7. April 1995, S. 8, C I 18). Der Lagebericht 1995 des TIHV weist insgesamt 1.232 Fälle von Folter aus. Amnesty international gibt die Zahl der zwischen Januar 1995 und Januar 1996 an den Folgen von Folter gestorbenen Menschen mit 93 an (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 20. November 1997, S. 12, C I 26). Für 1997 wies der TIHV-Jahresbericht 518 Fälle von Folter aus, wovon 357 auf Polizeiwachen stattfanden. Amnesty international gibt die Zahl der im Laufe des Jahres 1997 in Haft "verschwundenen", durch Folter zu Tode gekommenen oder "außergerichtlich hingerichteten" Menschen mit insgesamt 36 an (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 18. September 1998 S. 14, C I 28). Angesichts dieser für die Gesamttürkei ermittelten Zahlen und der Tatsache, dass die weitaus meisten Menschenrechtsverletzungen in Form von Misshandlungen, Folterungen und Tötungen im Osten und Südosten der Türkei in umkämpften Gebieten stattfanden, wird deutlich, dass eine reale Gefahr für die mehrere Millionen zählenden Kurden, die auf Grund der militärischen Auseinandersetzungen mit der PKK aus ihren angestammten Siedlungsgebieten in den Westen der Türkei geflohen sind, nicht bestand.

Hieran hat sich bis heute nichts geändert. Im Gegenteil ist angesichts der rechtlichen und tatsächlichen Entwicklung, die sich in den Menschenrechtsfragen in der Türkei anbahnt, von einer Verbesserung der Menschenrechtslage auch in der Gesamttürkei auszugehen. Insgesamt sind sowohl die unaufgeklärten Todesfälle als auch die Fälle Verschwundener weiter zurückgegangen. So berichtet der türkische Menschenrechtsverein IHD für das Jahr 2000 von 145 nicht aufgeklärten Todesfällen gegenüber 212 noch im Jahr 1999 und von sieben "Verschwundenen" im Jahr 2002 gegenüber 36 im Jahr 1999 (vgl. Auswärtiges Amt - Lagebericht vom 9. Oktober 2002, C I 34, S. 41 f. und vom 12. August 2003, C I 35, S. 46f. ).

e) Eine hinreichende Verfolgungssicherheit der Kurden in der Westtürkei ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der mittelbaren Staatsverfolgung zu verneinen. In der Westtürkei ist es in den letzten Jahren allerdings verschiedentlich zu Ausschreitungen gegen die ortsansässige kurdische Bevölkerung gekommen. So wird von Übergiffen in Istanbul, Izmir und Alanya und anderen Orten der West- und Südküste berichtet. Anlass hierfür waren wiederholt Trauerfeiern für bei den Kämpfen mit der PKK umgekommene Soldaten und Polizisten, aber auch Äußerungen oder Kampagnen offizieller Stellen werden als Ursache genannt. Bei den Ausschreitungen wurden kurdische Bewohner sowie deren Geschäfte und Wohnungen angegriffen und zum Teil zerstört. Opfer von Übergriffen sollen insbesondere Funktionäre prokurdischer Parteien wie der DEP oder HEP und ihnen nahe stehende Personen gewesen sein (Kaya, Gutachten vom 15. September 1997 und Oberdiek, Gutachten vom 20. Dezember 1996 an OVG Schleswig-Holstein, A VII e und f; Rumpf, Gutachten vom 10. Mai 1994 an VG Aachen, A III 19 c; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 10. April 1997, C I 24 ).

Auch wenn der soziale Friede zwischen Kurden und nicht kurdischer Mehrheit als teilweise empfindlich gestört eingeschätzt wird, rechtfertigen die dokumentierten Übergriffe nach Zahl und Inhalt nicht die Annahme, Kurden seien in der Westtürkei einer aktuellen Gefährdung durch Übergriffe der türkischen Bevölkerung wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit ausgesetzt, ohne in ausreichendem Maße Schutz durch Sicherheitskräfte finden zu können (ebenso OVG Münster, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -, S. 99; OVG Bremen, Urteil vom 17. März 1999 - OVG 2 BA 118.94 -, S. 73). Aus den dokumentierten Fällen geht hervor, dass es sich vielfach um spontane und situationsbedingte Reaktionen handelte, die nicht als Ausdruck einer generell feindseligen Haltung gewertet werden können (vgl. OVG Bremen, a.a.O.). Die Sicherheitskräfte sind nach den vorliegenden Berichten auch keinesfalls immer untätig geblieben (Gesellschaft für bedrohte Völker, Gutachten vom 23. September 1993 an VG Frankfurt/Main, A III 20 a; Rumpf, Gutachten vom 1. Februar 1998 an VG Berlin, S. 120 f., A VII 13 e ). Gegenwärtig fehlt es ohnehin an ethnisch bedingten Unruhen zwischen türkischen Staatsbürgern mit kurdischer Volkszugehörigkeit und solchen anderer ethnischer Abstammung (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24. Juli 2001, S. 11, C I 32). Angesichts der gegenwärtigen politischen Lage in der Türkei ist auch kein Anhaltspunkt dafür gegeben, dass sich an dieser Sicherheitslage in absehbarer Zeit etwas zum Negativen ändern könnte.

f) Die Sicherheit vor politischer Verfolgung ist nicht allein deswegen entfallen, weil der Kläger zu 1. die Übernahme des Dorfschützeramtes abgelehnt hat.

Dass die inländische Fluchtalternative nicht alleine dadurch entfällt, dass ein Kurde sich individuell geweigert hat, das Amt des Dorfschützers zu übernehmen, oder ein übernommenes Dorfschützeramt niedergelegt hat, entspricht der überwiegenden Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 7. Mai 2002 - A 12 S 196/00 -; OVG Saarlouis, Urteil vom 14. Februar 2001 - 9 R 4.99 -; OVG Magdeburg, Urteil vom 29. April 1999 - A 1 S 155.97 - juris; OVG Lüneburg, Urteil vom 17. Juni 1997 - 11 L 2620.92 -; OVG Hamburg, Urteil vom 19. März 1997 - BfV 10.91 - juris; VGH Kassel, Urteil vom 5. Mai 1997 - 12 UE 500.96 -; OVG Bautzen, Urteil vom 27. Februar 1997 - A 4 S 434.96 - juris). Ihr schließt sich der Senat unter Berücksichtigung der abweichenden - ständigen - Rechtsprechung des OVG Münster an. Auch das OVG Münster geht zwar nicht davon aus, dass jedwede Weigerung, das Amt eines Dorfschützers zu übernehmen, den Verdacht der Sicherheitskräfte in der Heimatregion zur Folge hat, die entsprechende Person sympathisiere mit oder unterstütze die PKK. Diejenigen, die - wie es der Kläger zu 1. in der Anhörung vor dem Bundesamt geschildert hat - lediglich im Kollektiv mit anderen (männlichen) Dorfbewohnern auf dem Dorfplatz versammelt und zur Übernahme des Dorfschützeramtes gedrängt wurden, müssen auch nach Ansicht des OVG Münster nicht mit einem individualisierten Separatismusverdacht rechnen. Diejenigen hingegen, die wegen ihrer Weigerung, das Dorfschützeramt zu übernehmen oder fortzuführen, als des Separatismus verdächtige Person individualisiert oder registriert wurden, sind nach Meinung des Gerichts gefährdet, auch in der Westtürkei bei routinemäßigen Kontrollen festgenommen und menschenrechtswidrig behandelt zu werden (vgl. OVG Münster, Urteil vom 26. Juni 2002, 8 A 4782/99.A -, S. 93 f., 101). Für diesen als "vorbelastet" bezeichneten Personenkreis entfällt nach der Rechtsprechung des OVG Münster die inländische Fluchtalternative ebenso wie für individuell Vorverfolgte, die bei ihrer Rückkehr aus anderen Gründen und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung befürchten müssen. Der Senat ist demgegenüber auf Grund des vorliegenden Erkenntnismaterials unter Berücksichtigung der erwähnten herrschenden Rechtsprechung zu der Überzeugung gelangt, dass die Ablehnung des individuell angetragenen Dorfschützeramtes zwar bei den örtlichen Behörden zu einem allgemeinen Separatismusverdacht gegen die ablehnende Person führen kann, nicht aber zu einem konkreten Verdacht der Unterstützung der PKK. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass die Ablehnung registriert wird und eine Aufnahme in eine landesweite (Fahndungs-) Liste erfolgt und daher auch im Westen der Türkei die Gefahr einer asylerheblichen Verfolgung droht.

aa) Von einer landesweiten Verfolgung von Personen, die das Dorfschützeramt in ihrer Heimatregion abgelehnt oder niedergelegt haben, geht amnesty international in einer Auskunft vom 29. April 1997 an das VG Gera (A VII 40) aus. Danach sei es nicht nur sehr wahrscheinlich, dass ehemalige Dorfschützer im Westen der Türkei gesucht würden, sondern amnesty erhalte auch immer wieder Berichte, wonach Personen aus den (früheren) Notstandsgebieten, weil sie sich weigerten, Dorfschützer zu werden, bzw. das Dorfschützeramt aufgegeben haben, im Westen der Türkei aufgespürt und festgenommen würden. Amnesty führt zum Beleg zwei Referenzfälle aus der türkischen Presse an. Diese vermögen allerdings die Aussage nicht zu stützen. Im erstgenannten Fall ist nicht hinreichend erkennbar, dass die Festnahme gerade wegen der abgelehnten Dorfschützertätigkeit erfolgte. Der zweite Bericht über einen ehemaligen PKK-Kämpfer, der in Begleitung von einigen Dorfschützern in Istanbul für die Festnahme zahlreicher Personen aus Kulp gesorgt haben soll, lässt auch keinen Zusammenhang mit der hier interessierenden Fragestellung erkennen. Dagegen lässt sich anderen Gutachten und Auskünften entnehmen, dass zwar in einer großen Zahl von Fällen kurdische Bewohner des Ostens und Südostens der Türkei u.a. mit Hilfe des Drucks, das Dorfschützeramt zu übernehmen, zur Abwanderung in den Westen der Türkei gedrängt wurden und gedrängt werden sollten. Diese Erkenntnisquellen enthalten aber keinen Beleg dafür, dass diejenigen, die es auf individuelle Anforderung abgelehnt haben, das Dorfschützeramt zu übernehmen, bei einer Abwanderung in den Westen der Türkei nicht hinreichend sicher wären. Im Einzelnen stellt sich die Erkenntnislage für den Senat wie folgt dar: Dass es geradezu Ziel der Aufforderung, das Dorfschützeramt zu übernehmen, gewesen sei, für klare Verhältnisse zu sorgen, und zwar dadurch, dass der Betroffene entweder Dorfschützer werde oder in die Berge gehe oder in den Westen abwandere, legt Oberdiek im Gutachten vom 26. Mai 1995 an das VG München (A V 20 a) im Einzelnen dar. In diesem Gutachten, dem eigene Erkenntnisse, die er auf Türkei-Reisen erworben hat, zu Grunde liegen, führt er aus, dass Flüchtlinge aus dem Südosten der Türkei, die zur Übernahme des Dorfschützeramtes gedrängt worden seien, im Westen keine Nachstellungen befürchten mussten. Dies entspricht auch dem Gutachten von Kaya an das VG München vom 30. Mai 1995 (V 20 b). Kaya geht davon aus, dass Zehntausende von Kurden ihre Dorf- und Kreisstädte verlassen hätten, weil sie wegen der Weigerung, Dorfschützer zu werden, von den Sicherheitskräften drangsaliert worden seien. Auch er erwähnt in einem weiteren Gutachten an das VG Freiburg vom 30. November 1995, dass ihm kein Fall bekannt sei, dass jemand im Westen nur wegen der Weigerung, das Dorfschützeramt zu übernehmen, gesucht worden sei (A V 43 a). Eine Registrierung der Dorfschützerverweigerer sei nicht erfolgt (Kaya, Gutachten vom 6. April 2003 an VG Frankfurt/Main, nachträglich in das Verfahren eingeführt). Dies entspricht der Einschätzung des Auswärtigen Amtes (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 30. Januar 1996 an VG Freiburg, A V 43 b; Auskunft vom 7. April 1997 an das OVG Greifswald, A VII 33 d, S. 7). In seiner Auskunft an das VG Berlin vom 21. August 1997 weist amnesty international darauf hin, dass Kurden, die zum Dorfschützeramt gedrängt würden, sich diesem Druck durch Flucht in den Westen entzögen. Ein Hinweis auf etwaige Nachforschungen auch im Westteil der Türkei, wie sie in der Auskunft an das VG Gera noch enthalten sind, fehlt. Rumpf berichtet schließlich in seinem Gutachten vom 1. Februar 1998 an das VG Berlin (A VII 13 e, S. 75) auch von Fällen, in denen das Dorfschützeramt sanktionslos niedergelegt worden sei (allerdings auch von Fällen, in denen protestierende Dorfschützer in den Notstandsgebieten erschossen wurden).

Es kann auf Grund dieser Erkenntnisse nicht festgestellt werden, dass ein Kurde, auf Grund der Weigerung, das ihm angetragene Dorfschützeramt zu übernehmen, landesweit dem Verdacht der Sympathie für separatistische Bestrebungen oder gar der Unterstützung der PKK ausgesetzt war und entsprechend von den örtlich zuständigen Sicherheitskräften registriert und diese Registrierung landesweit dokumentiert wurde. Bei der Bewertung des Erkenntnismaterials ist auch zu berücksichtigen, dass die Weigerung, das Dorfschützeramt zu übernehmen, strafrechtlich keine Sanktionen nach sich zieht. Das Dorfgesetz vom 18. März 1924 (Dorfgesetz Nr. 442 mit späteren Änderungen) wie auch die Dorfschützerverordnung vom 1. Juli 2000 sehen eine zwangsweise Verpflichtung zur Übernahme des Dorfschützeramtes nicht vor (Rumpf, Gutachten vom 1. Februar 1998 an VG Berlin, S. 77, A VII 13 e; Zur Dorfschützerverordnung: Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 12. August 2003, C I 35, S. 35). Der Erlass eines Haftbefehls und die Einleitung eines strafrechtlichen Verfahrens kann daher nicht allein mit dieser Weigerung begründet werden. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die "individuelle" Ablehnung des Dorfschützeramtes unter einem anderen Gesichtspunkt, etwa dem der Unterstützung einer separatistischen Organisation, zur Einleitung eines strafrechtlichen Verfahrens führt (ebenso OVG Hamburg, a.a.O. S. 10; OVG Lüneburg, a.a.O. S. 2; VGH Mannheim, a.a.O. S. 45 f.). Zwar hat bei einer solchen Ablehnung die betroffene Person den von den Sicherheitskräften herbeigeführten Loyalitätstest nicht bestanden und wird daher bei den örtlichen Sicherheitskräften als separatismusverdächtig gelten. Dies veranschaulichen die - hier als wahr zu Grunde gelegten - Berichte der Klägerin zu 2. über die Hausdurchsuchungen nach dem Verschwinden des Klägers zu 1. aus seinem Heimatdorf. In Kenntnis der den Dorfschützern von Seiten der PKK während des Guerillakrieges drohenden Gewalttaten ist aber auch den örtlichen Sicherheitskräften bewusst, dass die Weigerung allein nicht den Schluss auf eine gefestigte separatistische Einstellung erlaubt. Fehlt es aber an schwer wiegenden Verdachtsmomenten, ist nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht feststellbar, dass bereits jede erfolglose Anwerbung oder jede Festnahme in einer Datei festgehalten wurde und dort noch gespeichert ist. Abgesehen davon, dass die Eingabe und Verwaltung aller, auch der nur vorübergehenden Festnahmen in ein landesweites Datennetz einen erheblichen, vom Nutzen nicht gedeckten Verwaltungsaufwand darstellen dürfte (über eine generelle Erfassung berichtend: Redeker, Bericht über eine Informationsreise vom 27. bis 31. März 1998, B I ), weist Kaya in seiner Auskunft vom 25. Juli 1998 an das VG Berlin darauf hin, dass ein Sicherheitsbeamter sich dem Vorwurf ungesetzlichen Verhaltens aussetzen würde, wenn er eine Festnahme, von der die Staatsanwaltschaft nicht informiert worden sei, zentral speichern würde (A VIII 47 a; vgl. auch Oberdiek, Gutachten vom 29. April 1999 an VG Berlin, A VIII 20 c ; Rumpf, Gutachten vom 23. Januar 2001 an VG Augsburg, A X 48). Dies stimmt mit den unter bb) dargestellten Erkenntnissen zur Rückkehrsituation überein. Selbst wenn eine örtliche Registrierung erfolgt sein sollte, ist schließlich nicht erkennbar, dass die Sicherheitskräfte im Westen der Türkei im Zeitpunkt der Ausreise des Klägers zu 1. z.B. bei Razzien und Straßenkontrollen auf diese Daten hätten zurückgreifen können. Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass frühestens ab 1992, also nach dem hier entscheidenden Zeitraum, eine zentrale Datenbank zur Verfügung stand, auf die von örtlichen Stellen zurückgegriffen werden konnte (Rumpf, Gutachten vom 3. August 1998 an VG Freiburg, a.a.O; ders., Gutachten vom 23. Januar 2001 an VG Augsburg, a.a.O; Oberdiek, Gutachten vom 5. Mai 1999 an VG Stuttgart, A IX 26 a ).

Angesichts dieser Gutachten- und Auskunftslage vermag der Senat der Ansicht des OVG Münster, dass "individualisierte Dorfschützerverweigerer" auch im Westen der Türkei mit asylerheblichen Übergriffen rechnen mussten und müssen, nicht zu folgen. Seine gegenteilige Ansicht begründet das OVG Münster nicht mit einer anderen Bewertung der Erkenntnisquellen, sondern, wie das OVG Saarlouis in seinem Urteil vom 29. März 2000 - 9 R 3/99 - (S. 21) zutreffend hervorhebt, mit der sich aus der Lebenserfahrung aufdrängenden Annahme, dass nur eine die Identität des Betroffenen - auf welche technische Weise auch immer - sichernde Verfahrensweise der Sicherheitskräfte dem Gebot eines energischen Kampfes gegen einen Feind gerecht werde, der es darauf anlege, einen Teil des Staatsgebietes der Türkei abzutrennen (OVG Münster, Urteil vom 25. Januar 2000, S. 84 Rn. 252). Für eine solche Vermutung ist aber nach Überzeugung des Senats nach den vorliegenden Erkenntnissen kein Raum.

bb) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass im jetzigen Zeitpunkt im Falle der Rückkehr oder Abschiebung des Klägers zu 1. in die Türkei diesem Schwierigkeiten entstehen könnten. Zwar gibt amnesty international in einem Gutachten vom 18. Juli 2003 (nachträglich in das Verfahren eingeführt) an das VG Frankfurt/Main an, dass ein 1992 ausgereister Kläger bei seiner Wiedereinreise damit rechnen müsse, erneut für das Amt des Dorfschützers herangezogen zu werden. Diese Ausführungen sind allerdings - wie sich aus dem Gesamtzusammenhang ergibt - bezogen auf den Fall, dass eine Rückkehr in ein verlassenes (geräumtes) Dorf und damit in ein Gebiet, das - wie amnesty international auch im Einzelnen nachvollziehbar ausführt - nach wie vor von den Sicherheitskräften als besonders sicherheitsrelevant angesehen wird, beabsichtigt ist. Das ist vorliegend nicht der Fall. Nach den Angaben des Klägers zu 1. hat die große Mehrheit der damaligen Dorfbewohner das Dorfschützeramt angenommen. Von einer Zerstörung des Dorfes und einer Vertreibung berichten die Kläger dementsprechend nicht, allein das Elternhaus des Klägers zu 1. sei zerstört worden. Im Übrigen müssten sich die Kläger auch auf die bestehende Fluchtalternative im Westen der Türkei verweisen lassen.

Der ebenfalls um ein Gutachten gebetene Kaya kommt in seiner auf umfangreichen Ermittlungen beruhenden Stellungnahme vom 6. April 2003 an das VG Frankfurt/Main (nachträglich eingeführt) zu dem Ergebnis, dass über Personen, die für das Dorfschützeramt vorgeschlagen wurden, kein Register geführt wurde und im Falle der Rückkehr oder Abschiebung die Sicherheitskräfte an den Grenzübergängen und bei späteren Kontrollen nicht wissen könnten, dass den Betroffenen das vorläufige Dorfschützeramt angetragen worden sei (S. 7 des Gutachtens). Kaya betont ausdrücklich, dass ganz gleich, wie intensiv die Nachforschungen zur Überprüfung der Identität und Feststellung etwaiger Vorstrafen angestellt würden, die Sicherheitskräfte die Vorgeschichte hinsichtlich des Dorfschützeramtes nicht entdecken könnten. Er betont ausdrücklich, dass sogar die für den Wohnort zuständige Wache nicht davon wissen werde. Auch das Auswärtige Amt kommt in seiner Auskunft vom 1. August 2003 zu dem Ergebnis, dass wegen der Weigerung, das Amt eines Dorfschützers zu übernehmen, der Betreffende nicht Maßnahmen der Sicherheitskräfte ausgesetzt sei. Die Einschätzung, dass sogar angeworbene Dorfschützer bei einer Rückkehr nicht mit Repressalien zu rechnen haben, findet sich im Übrigen auch in weiteren Gutachten von Kaya und von Oberdiek an das Verwaltungsgericht Berlin (A X 31 a und 31 b). Kaya bezeichnet es sogar in einem Gutachten vom 15. März 2002 an das Verwaltungsgericht Sigmaringen (A X 28) als "undenkbar", dass Dorfschützer, welche ihre Waffen niedergelegt hätten, bei Rückkehr zur Verantwortung gezogen würden. Er begründet dies damit, dass diese (ehemaligen) Dorfschützer, als gekündigt angesehen würden. Sie würden sogar aufgefordert, für die Zeit, in der sie ihr Amt nicht ausgeübt haben, die Gehälter zurückzuzahlen.

g) Eine inländische Fluchtalternative für Kurden ist zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers zu 1. wie auch gegenwärtig nicht wegen anderer Nachteile und Gefahren, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, zu verneinen. Kurden droht insbesondere bei der gebotenen generalisierenden Betrachtung nicht auf Dauer ein Leben unter dem Existenzminimum, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tod führt (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Februar 1989 - BVerwG 9 C 33.87 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 104; Urteil vom 23. Juli 1991 - BVerwG 9 C 154.90 -, BVerwGE 88, 375 ff.).

Wie bereits oben dargelegt, sind von der Abwanderung in den Westen der Türkei insbesondere kurdische Provinzen betroffen. Hintergrund dieser Wanderungsbewegung ist der Umstand, dass die Lebensverhältnisse in der Westtürkei in der Regel besser sind als im Osten und Südosten. Das ausgeprägte West-Ost-Gefälle zeigt sich insbesondere beim Vergleich des durchschnittlichen jährlichen Pro-Kopf-Einkommens, das 1996 für die Gesamttürkei bei 2138 US-Dollar lag und in Diyarbakir bei 283 US-Dollar (Strohmeier S. 188; Pro Kopf Einkommen in der Gesamttürkei im Jahr 2002: 2.123 Euro, vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 12. August 2003, C I 35, S.54). Eine im Jahre 1994 angefertigte Armutsstudie kommt zu dem Ergebnis, dass in Diyarbakir fast 88 v.H. der Bevölkerung und 95 v.H. der aus den ländlichen Gebieten des östlichen und südöstlichen Teils der Türkei stammenden Zwangsemigranten unter der Armutsgrenze leben. In der Gesamttürkei soll es 1/9 der Bevölkerung sein (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 12. August 2003, S. 34, C I 35; Strohmeier, a.a.O.). Angesichts dessen und angesichts der Tatsache, dass es kaum Unterstützung bei Arbeitslosigkeit und keine europäischen Standards vergleichbare staatliche Sozialunterstützung in der Türkei gibt (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 12. August 2003, S. 55), ist auch bei nur äußerst bescheidenen Lebensumständen in der Westtürkei eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage für Migranten erreichbar. Die anhaltende, durch Inflation, hohe Arbeitslosigkeit und Rückgang des Lebensstandards gekennzeichnete aktuelle Wirtschaftskrise, hat die Disparitäten noch verstärkt, aber an der grundsätzlichen Möglichkeit, im Westen eine Existenzgrundlage zu finden, nichts geändert (vgl.: Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 9. Oktober 2002, S. 48, C I 34; Lagebericht vom 12. August 2003, S. 54, C I 35).

Die in den Westen der Türkei zuwandernden Kurden finden dort auch im Allgemeinen eine Existenzmöglichkeit, wenn auch auf sehr niedrigem Niveau. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich alle Kurden entsprechend ihrer Religion und ihrer spezifischen Kultur dem unbedingten Gebot der gegenseitigen Hilfe im Rahmen des Großfamilienverbandes unterwerfen und daher Neuankömmlinge auf die Unterstützung bereits im Westen angesiedelter Verwandter rechnen können (vgl. Gesellschaft für bedrohte Völker, Gutachten vom 28. Januar 1997 an OVG Schleswig, A VII 9 a). Zugewanderte kurdischstämmige Personen haben jedoch kaum eine Chance auf eine dauerhafte Erwerbstätigkeit. Die ohnehin große Arbeitslosigkeit in der Türkei erschwert vor allem einen regelmäßigen und gut bezahlten Arbeitsplatz zu finden. Es wird geschätzt, dass lediglich zehn Prozent der Zuwanderer eine dauerhafte Arbeitsstelle erhalten können. Die überwiegende Zahl der Zuwanderer ist auf die Sicherung des Lebensunterhalts im so genannten Marginalsektor (Straßenverkauf ohne gewerbliche Lizenz, Dienstleistungen auf der Straße wie Schuhputzer, Lastträger, Parkplatzwächter etc.) oder aber auf Gelegenheitsjobs, insbesondere körperlich schwere Arbeit angewiesen (Sen/Akkaya, Gutachten vom 17. März 1997 an OVG Greifswald, A VII 33 a; Oberdiek, Gutachten vom 20. Dezember 1996 an OVG Schleswig, A VII 9 c, S. 73 ff., 79 ff.). Auch wenn danach im Westen der Türkei die wirtschaftliche Lage für die Zuwanderer prekär ist (vgl. hierzu Kaya, Gutachten vom 15. September 1997 an OVG Schleswig S. 47 ff., A VII 9 f.), sind sie auch durch die Unterstützung der Familienverbände nach Überwindung etwaiger Anfangsschwierigkeiten in der Lage, ihren existenznotwendigen Lebensunterhalt zu sichern. Es gibt weder Hungersnot noch eine sonstige generelle Existenzbedrohung. Dass die Zuwandererviertel keine reinen Elendsviertel waren und sind, zeigt der Umstand, dass fast 100 v.H. dieser Viertel über Leitungswasser und Strom verfügten, knapp 90 v.H. über Bad und Toilette (vgl. die Angaben bei Rumpf, Gutachten vom 1. Februar 1998 an VG Berlin, A VII 13 e, S. 113). Diskriminierungen von Kurden beim Zugang zum Arbeitsmarkt konnten in dieser Zeit im Westen nicht festgestellt werden. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass an der Sicherung des Existenzminimums alle Familienmitglieder beteiligt sind (vgl. Rumpf, Gutachten vom 17. November 1992 an OVG Hamburg, A II 52 b).

3. Etwas anderes kann bei der Umsiedlung oder Rückkehr nicht oder nur schlecht ausgbildeter alleinstehender Frauen mit minderjährigen Kindern gelten (vgl. OVG Münster, Urteil vom 27. Juni 2002, a.a.O. S. 105). Zu diesem Personenkreis zählten die Kläger zu 2. bis 6. im Zeitpunkt ihrer Ausreise 1992. Da jedenfalls heute nach dem Vorstehenden bei einer gemeinsamen Rückkehr der Kläger zu 1. bis 6. mit hinreichender Sicherheit eine Existenzmöglichkeit und bei der Einreise für die Kläger zu 2. bis 6. hinreichende Sicherheit vor politischer Verfolgung bestehen (unten III.), kann die Frage der Existenzmöglichkeit für die Kläger zu 2. bis 6. im Westen der Türkei im Zeitpunkt der Ausreise dahingestellt bleiben.

4. Den Klägern drohte im Zeitpunkt ihrer Ausreise auch keine gruppengerichtete staatliche Verfolgung. Der Senat braucht im vorliegenden Fall nicht zu klären, ob Kurden im Zeitpunkt der Ausreise der Kläger (1990 und 1992) in den östlichen und südöstlichen Landesteilen wegen ihres Volkstums als Gruppe verfolgt wurden. Denn selbst wenn dies der Fall gewesen wäre - wofür nach Auffassung des Senats allerdings nicht viel spricht - hätten die Kläger - wie dargestellt - die Möglichkeit gehabt, in der Westtürkei, namentlich den dortigen Großstädten verfolgungsfrei zu leben bzw. haben jedenfalls jetzt diese Möglichkeit.

III.

Die Kläger können sich nicht auf beachtliche Nachfluchtgründe berufen. Es liegen weder im Hinblick auf die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers zu 1. subjektive noch objektive - asylrechtlich oder im Rahmen des § 51 Abs. 1 AuslG relevante - Nachfluchtgründe vor (1. und 2.). Für die Kläger zu 2. bis 6. stellt sich die Gefahr, an der Grenze oder auf dem Flughafen asylrelevanten Übergriffen ausgesetzt zu sein, als eine bloße theoretische Möglichkeit dar. Dem Kläger zu 1. droht auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine individuelle politische Verfolgung im Hinblick auf die Ablehnung des Dorfschützeramtes (3.).

1. a) Eine Gefährdung wegen exilpolitischer Betätigung bei einer Rückkehr in die Türkei kommt, wie der Senat in seinem Urteil vom 25. September 2003 - OVG 6 B 8.03 - grundsätzlich entschieden hat, nur bei politisch exponierten Personen in Betracht. Nur derjenige, der politische Ideen und Strategien entwickelt oder zu deren Umsetzung mit Worten oder Taten von Deutschland aus hinwirkt und damit Einfluss insbesondere auf seine hier lebenden Landsleute zu nehmen versucht, ist aus der Sicht des türkischen Staates ein ernstzunehmender politischer Gegner, den es zu beobachten und gegebenenfalls zu bekämpfen gilt (Urteil vom 25. September 2003, a.a.O., UA S. 14). Als Beispiel für exilpolitische Tätigkeiten, die nicht geeignet sind, die Aufmerksamkeit staatlicher türkischer Stellen zu erregen und den Asylbewerber zu gefährden (exilpolitische Tätigkeiten niedrigen Profils) sind zu nennen die schlichte Mitgliedschaft in kurdischen Vereinen und die damit verbundene Teilnahme an Vereinsveranstaltungen, die Zahlung von Mitgliedsbeiträgen und Spenden, die einfache Teilnahme an Demonstrationen, Hungerstreiks, Autobahnblockaden, Informationsveranstaltungen oder Schulungsseminaren, die Verteilung von Flugblättern und der Verkauf von Zeitschriften, die Betreuung von Informationsständen und das Verfassen von namentlich gezeichneten Artikeln und Leserbriefen in türkischsprachigen Zeitungen (vgl. Rumpf, Gutachten vom 18. Februar 1999 an VG Ansbach, A IX 6, S. 49; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 2. September 1999 an VG Kassel, A IX 47 b; Kaya, Gutachten vom 24. April 2003 an VG Wiesbaden, A XI 5; ebenso: VGH Mannheim, Urteil vom 22. März 2001 - A 12 S 280/00 -, S. 24 f.; OVG Bremen, Urteil vom 19. März 1999 - OVG 2 BA 118/94 -, S. 94 f.; OVG Hamburg, Urteil vom 19. März 1997 - OVG BfV 10/91 -, S. 59 f.; VGH Kassel, Urteil vom 29. November 2002 - UE 2235/98.A -, S. 25, 28; OVG Münster, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -, S. 63).

Soweit demgegenüber im zeitlichen Zusammenhang mit der Verhaftung Öcalans teilweise davon ausgegangen wurde, eine besondere Gefährdungslage bestehe bereits dann, wenn die betreffende Person in irgendeiner Weise mit Aktivitäten zu Gunsten der Selbstbestimmung des kurdischen Volkes in Verbindung gebracht werde, kommt diesen Berichten angesichts der zwischenzeitlich eingetretenen Entwicklung in der Türkei, die von erheblichen Anstrengungen der türkischen Regierung gekennzeichnet ist, den Anforderungen der EU für einen Beitritt der Türkei gerecht zu werden, keine hinreichende Aussagekraft mehr zu (vgl. im Einzelnen Urteil vom 25. September 2003, a.a.O. UA S.15). Den türkischen Stellen ist im Übrigen bekannt, dass die Aktivitäten vielfach in erster Linie der Förderung des Asylverfahrens in Deutschland dienen (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 2. September 1999 an VG Kassel, A IX 47 b; amnesty international, Gutachten vom 27. Juli 1999 an das VG Oldenburg, A IX 38). Das Interesse des türkischen Staates gilt daher nicht der Masse der Teilnehmer und Mitläufer, sondern dem Personenkreis, der als Auslöser solcher Aktivitäten und als Organisator von derartigen Veranstaltungen, als Anstifter oder Aufwiegler angesehen wird (vgl. zu Einzelheiten: Urteil vom 25. September 2003, a.a.O.).

b) An diesem Maßstab gemessen, haben die vom Kläger zu 1. vorgetragenen Aktivitäten die Gefährdungsschwelle nicht erreicht.

Der Kläger zu 1. weist insoweit substanziiert einzig auf die Teilnahme an der Demonstration vor dem Türkischen Generalkonsulat am 21. Mai 1997 hin. Bei dieser kleinen Demonstration ist er ausweislich der Strafakten festgenommen und anschließend vom Amtsgericht Tiergarten wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Ob seine Behauptung stimmt, er habe dort neben anderen Rednern eine Rede durch ein Megaphon gehalten, kann dahingestellt bleiben. Denn der Kläger zu 1. hat selbst angegeben, nur gesprochen und dabei nicht direkt die PKK, sondern nur die kurdische Sache unterstützt zu haben. Dies wird indirekt dadurch bestätigt, dass gegen ihn, im Gegensatz zu den anderen Rednern, nicht wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz ermittelt worden ist. Selbst wenn man eine Beobachtung der Demonstranten durch die türkischen Sicherheitskräfte unterstellt, kann angesichts dieser offensichtlich einmaligen und nur ganz kurzen Exposition des Klägers zu 1. nicht festgestellt werden, dass er von den türkischen Sicherheitskräften als Anführer und Aufwiegler angesehen und identifiziert worden ist. Soweit der Kläger zu 1. im Erörterungstermin auf Nachfrage seines Prozessbevollmächtigten noch weitere Einzelheiten benannt hat, die zeigen sollen, dass er in das Visier der türkischen Behörden geraten ist, sind die Angaben nicht glaubhaft. Die Behauptung im Erörterungstermin, bei der Polizei sei nach seiner Verhaftung ein Beamter des türkischen Generalkonsulats zu Dolmetscherzwecken hinzugezogen worden, findet in den Strafakten keine Stütze. Aus den Strafakten ergibt sich vielmehr, dass der am Tattag aus dem Polizeigewahrsam entlassene Kläger zu 1. mit seiner Ladung zur Beschuldigtenvernehmung gebeten wurde, mitzuteilen, ob ein Dolmetscher benötigt werde. Der von ihm daraufhin benannte Dolmetscher hat sowohl bei seiner polizeilichen Vernehmung als auch im Strafprozess übersetzt. Im Übrigen würde das kurze Zusammentreffen mit einem Beamten des türkischen Generalkonsulats angesichts des nicht auf eine Unterstützung der PKK hinweisenden Tatvorwurfs die Annahme einer besonderen Gefährdung bei einer Rückkehr nicht rechtfertigen. Die weitere Angabe des Klägers zu 1. im Erörterungstermin, die Protestaktion vor dem Konsulat sei im Sender Star-TV gezeigt worden, ist - unterstellt, sie entspricht der Wahrheit - ebenfalls nicht geeignet, eine besondere Gefährdung zu belegen, da es sich nicht um einen der von den türkischen Sicherheitskräften in besonderer Weise beobachteten kurdischen Exilsender, wie Med-TV, handelt und allein die Tatsache von Filmaufnahmen bei Massenveranstaltungen keine Gefährdung des Einzelnen bedeutet.

2. Den Klägern droht bei einer Rückkehr in die Türkei auch nicht wegen eines objektiven Nachfluchtgrundes die Gefahr, Opfer politischer Verfolgung zu werden. Türkische Staatsangehörige werden allein wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit nicht verfolgt. Dies gilt uneingeschränkt auch für Kurden aus den traditionellen kurdischen Siedlungsgebieten. Ihnen steht - wenn man eine Gruppenverfolgung auch nach vollständiger Aufhebung des Notstandes überhaupt noch in Betracht zieht - jedenfalls in anderen Gebieten der Türkei eine hinreichend sichere innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung (vgl. oben II. 2.).

3. Die Kläger müssen bei der Einreise nicht mit asylerheblichen Übergriffen wegen der Asylantragstellung in Deutschland rechnen. Für zurückkehrende kurdische Asylbewerber stellt die Gefahr, an der Grenze oder auf dem Flughafen asylrelevanten Übergriffen ausgesetzt zu sein, eine bloße theoretische Gefahr dar, sofern in ihrer Person keine Besonderheiten vorliegen (vgl. bereits: Urteil des Senats vom 25. September 2003, a.a.O. UA S. 18 ff.). Auch die hier unterstellte individuelle Weigerung, das Dorfschützeramt zu übernehmen, führt nicht zu einer Gefährdung bei der Einreise.

a) Abgelehnte Asylbewerber werden bei ihrer Einreise in die Türkei, wie alle anderen Einreisenden auch, einer Personenkontrolle unterzogen. Die Kontrolle betrifft türkische Volkszugehörige ebenso wie kurdische. Ein türkischer Staatsangehöriger, der über ein gültiges türkisches, zur Einreise berechtigendes Reisedokument verfügt, kann die Grenzkontrolle normalerweise ungehindert passieren. Dies gilt auch für Asylbewerber, die vom zuständigen türkischen Konsulat zum Zwecke der Rückkehr einen Pass oder ein Passersatzpapier ausgestellt bekommen haben. Nach den einschlägigen passrechtlichen Bestimmungen in der Türkei werden Pässe von Personen, deren weiterer Aufenthalt im Ausland im Hinblick auf die allgemeine Sicherheit bedenklich erscheint, weder erneuert noch verlängert. Umgekehrt bedeutet die Passerteilung beim türkischen Generalkonsulat, dass keine aktuelle Fahndung vorliegt und die betreffende Person nicht für verdächtig erachtet wird (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 9. Oktober 2002, S. 45 f., C 1 34; Kaya, Gutachten vom 17. Dezember 2002 an VG Berlin, A X 33 b; Taylan, Gutachten vom 20. November 2002 an VG Berlin, A X 33 a, Oberdiek, Gutachten vom 14. Januar 2002 an VG Berlin, A X 33 c). Die Auslandsvertretungen der Türkei stellen hierzu bei Passbeantragung bezüglich der betreffenden Personen bei den Heimatbehörden (zuständiges Gouverneursamt, Personenstandsamt, Polizei und Staatsanwaltschaft) Nachforschungen hinsichtlich der Identität und des Vorliegens von Hindernissen für die Ausstellung eines Passes an. Bei der Ausstellung eines Reisepasses achten die Auslandsvertretungen auch darauf, ob nachrichtendienstliche Informationen vorliegen. Wird ein Pass ausgestellt, kann daher mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Betreffende weder wegen eines Strafverfahrens noch wegen seiner politischen Aktivität gesucht wird (Kaya, Gutachten vom 17. Dezember 2002, a.a.O. S. 7).

Verfügt der Zurückkehrende nicht über gültige Reisedokumente oder wird der türkischen Grenzpolizei bei der Personenüberprüfung bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, so wird diese einer Routinekontrolle unterzogen, die aus einer eingehenden Befragung besteht (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 13. August 1996, S. 11 f., C I 22). Die Fragen der Vernehmungsbeamten erstrecken sich regelmäßig auf die Personalienfeststellung, unter Umständen auch auf einen Abgleich mit der Personenstandsbehörde und dem Fahndungsregister, auf den Grund und den Zeitpunkt der Ausreise aus der Türkei, den Grund der Abschiebung, evtl. Vorstrafen in Deutschland, eine Asylantragstellung und auf Kontakte zu illegalen türkischen Organisationen. Die Einholung von Auskünften kann, je nach Einreisezeitpunkt (nachts oder am Wochenende) und dem Ort, an dem das Personenstandsregister geführt wird, einige Stunden dauern. Fälle, in denen die Befragungen sogar Tage dauerten, sind in letzter Zeit nicht mehr bekannt geworden (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 12. August 2003, S. 52 f., C I 35). Abgeschobene werden während dieser Zeit in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache festgehalten (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 23. Mai 2001 an VG Sigmaringen, A X 14; Kaya, Gutachten vom 17. März 1997 an VG Stuttgart, A VII 25; Oberdiek, Gutachten vom 5. Mai 1999 an VG Stuttgart, A IX 26 a). Es ist davon auszugehen, dass bei der Kontrolle Abgeschobener von den Grenzbehörden durch Kontaktaufnahme mit der Polizeidienststelle des Heimatortes in Erfahrung gebracht wird, ob der Betreffende früher schon einmal politisch auffällig geworden ist. Dabei können die Sicherheitskräfte auf die von Polizei und Geheimdienst geführten Datenblätter (Fisleme oder Fis) zurückgreifen. In diesen Datenblättern können auch Angaben über Verfahren, die mit einem Freispruch endeten, über Vorstrafen trotz Löschung im Strafregister oder über Personen, die verdächtigt werden, Mitglieder einer Terrororganisation zu sein, aufgezeichnet werden. Über die Dauer der Speicherung solcher Daten liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor. Nach Einschätzung des Bundesamtes kann nicht ausgeschlossen werden, dass in der Türkei die erlangten Daten möglichst lange aufgehoben werden (vgl. amnesty international, Gutachten vom 23. November 2000 an VG Augsburg, A X 4 a; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 14. Oktober 1997 an VG Bremen, A VII 97; Rumpf, Gutachten vom 28. Juli 1997 an VG Berlin, S. 20 f., A VII 55 d). Auskünfte über eine Verweigerung des Dorfschützeramtes enthalten die Dateien nicht (vgl. oben II. 2. f) bb).

b) Es kann nicht festgestellt werden, dass abgeschobene Asylbewerber kurdischer Volkszugehörigkeit regelmäßig, also auch beim Fehlen individueller Verdachtsmomente, damit rechnen müssen, bei der Einreise in die Türkei asylerheblichen Misshandlungen oder Folter ausgesetzt zu werden. Die Tatsache der Asylantragstellung bleibt zwar nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes bei der Einreise regelmäßig nicht verborgen. Sie stellt aber im Allgemeinen für sich keinen Umstand dar, der geeignet wäre, bei den türkischen Stellen Argwohn gegen den Betreffenden zu erwecken. Den türkischen Behörden ist bekannt, dass viele ihrer Landsleute aus wirtschaftlichen Gründen einen Asylantrag stellen, um in den Genuss eines sonst nicht gegebenen Aufenthaltsrechts in Deutschland zu kommen. Dies grenzt den Betroffenen noch nicht als illoyal aus (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 1. März 2001 an VG Sigmaringen, A X 5 c). Dass etwas anderes dann gelten soll, wenn der Asylbewerber mit seinem Asylbegehren (zunächst) Erfolg hatte, ist nicht ersichtlich. Selbst wenn die türkischen Grenzbehörden Kenntnis davon erlangen sollten, dass ein Asylantrag zunächst Erfolg hatte und damit der Antragsteller die deutschen Behörden von seinem Verfolgungsschicksal zu überzeugen vermochte (so amnesty international, Gutachten vom 18. Juli 2003 an VG Frankfurt/Main), ist damit noch nicht gesagt, dass dies zu Lasten des Betroffenen gewertet werden muss. Dies gilt jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, in denen der (vorübergehende) Erfolg des Asylbegehrens nicht auf individuellen Angaben, sondern auf der Annahme einer Gruppenverfolgung beruhte.

Soweit demgegenüber teilweise davon ausgegangen wird, die Asylantragstellung und ein längerer Aufenthalt führten zu eingehenderen Befragungen mit der Gefahr der Misshandlung (amnesty international, Gutachten vom 3. Februar 1999 an VG Sigmaringen, A VIII 63 a und Dokumentation "Gefährdung von Kurden im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei" vom 3. Februar 1999, Anhang zum Gutachten vom 24. Februar 1999 an VG Berlin, ähnlich: Rumpf, Gutachten vom 4. März 1999 an VG Sigmaringen, A VIII 63 f, A IX, Kaya, Gutachten vom 15. Januar 1999 an VG Sigmaringen, A VIII 63 e) vermag dies an der Einschätzung einer grundsätzlich fehlenden Gefährdung abgelehnter Asylantragsteller bei einer Rückkehr nichts zu ändern (vgl. Urteil des Senats vom 25. September 2003 - OVG 6 B 8.03 - UA S. 20).Die Berichte beziehen sich überwiegend auf abgeschobene Asylbewerber und differenzieren nur unzureichend danach, ob es sich um "vorbelastete" Personen oder um aus der Sicht des türkischen Staates grundsätzlich unverdächtige "Wirtschaftsflüchtlinge" handelt, die lediglich zur Untermauerung ihres Asylantrags Kontakte zu kurdischen und sonstigen oppositionellen Gruppen aufgenommen und unterhalten haben. Rumpf stellt zudem nur die Vermutung auf, dass es auch bei politisch nicht aktiven Rückkehrern nur ein kleiner Schritt zu Verhör und Festnahme sei, betont gleichzeitig an anderer Stelle des Gutachtens, für das Verhalten der Sicherheitsbehörden an den Flughäfen komme es darauf an, ob nach der Routineüberprüfung erste Anhaltspunkte für strafrechtliche Verwicklungen der Rückkehrer oder für das Vorhandensein staatsschutzpolitisch interessanter Informationen vorlägen (Gutachten S. 6 f.). Soweit Kaya in seinem Gutachten schätzt, dass 80 v.H. der abgeschobenen Asylbewerber, insbesondere die aus dem Osten und Südosten eine Zeit lang festgehalten und verhört werden und bei diesen Verhören Misshandlungen drohen, belegt er diese Schätzung nicht und gibt hinsichtlich Art und Ausmaß der Misshandlungen keine Einzelheiten an. In seinen neueren Auskünften zu rückkehrenden Verweigerern des Dorfschützeramtes erwähnt er eine derartige Gefährdung nicht mehr, geht vielmehr sogar bei diesem Personenkreis von einer problemlos möglichen Einreise aus (Gutachten vom 6. April 2003 an VG Frankfurt/Main; ders. differenzierend schon im Gutachten vom 22. Mai 1999 an das VG Gießen, A IX 15 b und vom 17. Dezember 2002 an VG Berlin, A X 33 b; ebenso: Taylan, Gutachten vom 20. November 2002 an VG Berlin, A X 33 a; Rumpf, Gutachten vom 23. Januar 2001 an VG Augsburg, S. 40, A X 4 b). Die Herkunft aus einer ehemaligen Notstandsprovinz oder einem "verdächtigen Gebiet" führt für sich genommen ebenfalls nicht zu einer Gefährdung bei der Rückkehr (Oberdiek, Gutachten vom 12. Dezember 2000 an VG Sigmaringen, A X 5 b, Taylan, Gutachten vom 30. November 2000 an VG Sigmaringen, A X 5 a, Auswärtiges Amt, Auskunft vom 1, März 2001 an VG Sigmaringen, A X 5 c, in Auseinandersetzung mit a.A. in Gutachten von Kaya vom 18. April 1997 und 18. August 1998). Dass die Ablehnung, das Dorfschützeramt zu übernehmen, nicht registriert ist, und daher auch bei intensiveren Nachfragen hierzu von den Grenzbehörden keine Erkenntnisse zu erlangen sind, ist oben schon unter Auswertung des neuesten Erkenntnismaterials ausgeführt worden (II. 2. f).

Auch die Dokumentationen aus den zurückliegenden Jahren über Rückkehrerfälle betreffen ganz überwiegend abgeschobene Personen, denen von den türkischen Behörden Zusammenarbeit mit separatistischen Organisationen oder herausgehobene exilpolitische Tätigkeiten vorgeworfen wurde. Dies hat der Senat in seinem Urteil vom 25. September 2003 - OVG 6 B 8.03 - im Einzelnen ausgeführt (UA S. 20 ).

c) Selbst wenn man die diskutierten Referenzfälle ohne weitere Prüfung zu Grunde legt und darüber hinaus nur die Gesamtzahl der Abschiebungen dagegenstellt, zeigt sich, dass sogar eine hinreichende Sicherheit für Rückkehrer ohne Besonderheiten besteht (ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 2. April 1998 - 12 S 1092/96 - S. 36, st. Rspr.; OVG Lüneburg, Urteil vom 23. November 1995 - 11 L 6076/91 - S. 20 - juris; OVG Bautzen, Urteil vom 27. Februar 1997 - A 4 S 293/96 - S.86 ). So wurden nach Angaben des Auswärtigen Amtes (Lagebericht vom 20. März 2002, S. 44, C I 33) im Jahre 1996 4.639 türkische Staatsangehörige abgeschoben, im Jahre 1997 5.979, und 1999 6.083, im Jahr 2002 waren es 4.577. Auch wenn diese Zahlen nicht ausschließlich kurdische Asylbewerber, sondern alle andere Fälle der Abschiebung türkischer Staatsangehöriger umfassen, wird doch deutlich, dass der in Betracht zu ziehende Personenkreis abgelehnter Asylbewerber erheblich ist (ebenso OVG Bremen, Urteil vom 17. März 1999 - OVG 2 BA 118.94 -, S. 88). Schließlich sind die genannten Referenzfälle auch deshalb nur noch von beschränkter Aussagekraft, da sie sich ganz überwiegend auf Vorfälle in der Zeit des Guerillakrieges der PKK beziehen. Wie bereits erwähnt, ist jedoch nach der Verhaftung Öcalans und der Beendigung der militärischen Auseinandersetzung im Südosten und Osten der Türkei und nach den eingeleiteten Reformen gerade im Menschenrechtsbereich von einer deutlich veränderten Situation auszugehen. Dem entspricht es, dass bezüglich Abschiebungen, die nach dem Oktober 2000 stattfanden, an das Auswärtige Amt nur noch ganz vereinzelt (sechs Fälle) Sachverhalte herangetragen worden sind, in denen Misshandlung oder Folter abgeschobener Asylbewerber behauptet oder vermutet wurde (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 20. März 2002, S. 45, C I 33). In keinem Fall haben die Überprüfungen eine Bestätigung der entsprechenden Behauptungen ergeben (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 12. August 2003, S. 53).

IV.

1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Die Voraussetzungen sind deckungsgleich mit denjenigen des Asylanspruchs nach Art. 16 a GG, soweit die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und der politische Charakter der Verfolgung betroffen sind. Der Tatbestand des § 51 Abs. 1 AuslG ist nicht erfüllt, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt.

2. Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG sind nicht dargelegt und nicht ersichtlich. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass für den Kläger zu 1. wegen der von ihm behaupteten - hier als wahr unterstellten - Angaben zu einer bestehenden Blutfehde landesweit eine Gefährdung bei einer Rückkehr besteht. Abgesehen davon, dass der Kläger zu 1. keine Angaben gemacht hat, die gerade für eine Gefährdung seiner Person sprechen, ist nichts dafür ersichtlich, dass er von einer unterstellten Blutfehde, über deren Vorkommen in den entlegenen Gebieten des Südostens noch berichtet wird (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 9. Oktober 2002, S. 33, C I 34) landesweit, also auch im Westen der Türkei bedroht wäre.

3. Die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 2. Februar 1994 sind nicht zu beanstanden. Sie finden ihre Rechtsgrundlage in §§ 34, 38 AsylVfG i.V.m. § 50 AuslG.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Rechtsmittelbelehrung

Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung schriftlich einzulegen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen.

Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist bei dem oben genannten Gericht einzureichen.

Für das Beschwerdeverfahren besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Danach muss sich jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.



Ende der Entscheidung

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