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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 28.10.2004
Aktenzeichen: OVG 6 N 11.04
Rechtsgebiete: AuslG, VwGO, AsylVfG, ZPO


Vorschriften:

AuslG § 51
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 138 Nr. 3
VwGO § 173
AsylVfG § 76 Abs. 1
AsylVfG § 78 Abs. 3
AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3
AsylVfG § 80
ZPO § 329 Abs. 2
ZPO § 512
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 6 N 11.04

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin am 28. Oktober 2004 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Kläger, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. Januar 2004 zuzulassen, wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Antragsverfahrens.

Gründe:

Der auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) und die Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) gestützte Antrag hat keinen Erfolg.

1. Die von den Klägern als grundsätzlich aufgeworfene Frage, ob und wie ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK durch die überlange Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Klageverfahrens im Urteil des Verwaltungsgerichts zu kompensieren ist, bedarf keiner Klärung in einem Berufungsverfahren.

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass die Pflicht zur Gewährleistung wirksamen Rechtsschutzes, die für die Verwaltungsgerichte aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitet wird (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2003, NVwZ 2004, 334), bedeutet, dass Gerichtsverfahren in angemessener Zeit beendet sind, wobei die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles zu bestimmen ist (BVerfGE 55, 349, 369; 93, 1, 13; VerfG Bbg., Beschluss vom 28. März 2001, DVBl. 2001, 912; VerfG Bbg., Beschluss vom 20. März 2003, InfAuslR 2003, 250; vgl. auch EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000, NJW 2001, 211; Urteil vom 31. Mai 2001, NJW 2002, 2856; EGMR, Urteil vom 27. Juli 2000, NJW 2001, 213; EGMR).

Bei der Angemessenheit sind insbesondere die Rechtsmaterie, die Schwierigkeiten des jeweiligen Falles, das Alter der Beteiligten, die tatsächlichen Verzögerungen und die Bedeutung des Verfahrens für den Betroffenen zu berücksichtigen, aber auch inwieweit dessen Verhalten, das Verhalten der Gegenseite und das Verhalten des Gerichts zu den Verzögerungen beigetragen haben (BFH, Urteil vom 23. Februar 1999, NJW 1999, 2614). Bei Klagen auf Anerkennung als Asylberechtigter ist dabei zu beachten, dass der Kläger, solange er nicht als asylberechtigt anerkannt ist, beträchtlichen Einschränkungen z.B. in seiner Wohnsitz-, Aufenthalts- und Bewegungsfreiheit und bei der Arbeitsaufnahme unterliegt und sich zudem für ihn während des schwebenden Verfahrens psychische Belastungen hinsichtlich der Ungewissheit des Ausgangs des Verfahrens ergeben (VerfG Bbg., Beschluss vom 20. März 2003, InfAuslR 2003, 250; vgl. aber auch BVerwG, Beschluss vom 17. Oktober 2002, in: juris).

In der Rechtsprechung ist des Weiteren geklärt, dass einer durch die Verfahrensdauer bedingten - im vorliegenden Fall nicht geltend gemachten - Beweisnot des Klägers im Rahmen der prozessualen Darlegungs- und Mitwirkungslast Rechnung zu tragen ist (BVerwG, Beschluss vom 12. Dezember 2000, NJW 2001, 841). Eine überlange Verfahrensdauer rechtfertigt jedoch keine der gesetzlichen Regelung widersprechende Beweislastverteilung (BFH, Urteil vom 23. Februar 1999, NJW 1999, 2614; BVerwG, Beschluss vom 12. Dezember 2000, NJW 2001, 841).

Soweit im Zulassungsantrag ausgeführt wird, im Falle einer asylrechtlichen Verpflichtungsklage sei als Kompensation die erstinstanzliche Feststellung geboten, dass Konventionsverstöße und Grundrechtsverletzungen vorlägen und dass darüber hinaus die Verfahrensdauer im Rahmen einer Entscheidung über die Gewährung eines Bleiberechts zwingend angemessen und ermessenslenkend zu berücksichtigen sei, wird verkannt, dass in einem Berufungsverfahren über diese Fragen nicht zu entscheiden wäre.

Dass sich die Klärung der Fragen - sei es zur Verfassungswidrigkeit, sei es zur ausländerrechtlichen Bewertung der Verfahrensdauer - nicht in einem Berufungsverfahren erreichen lässt, ergibt sich ohne weiteres aus der durch den Streitgegenstand bestimmten Zuständigkeit des Gerichts. Für die isolierte Feststellung, ob eine überlange Verfahrensdauer verfassungswidrig bzw. konventionswidrig ist, ist das Bundes- und/oder Landesverfassungsgericht bzw. der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zuständig. Die Frage nach der bleiberechtlichen Kompensationswirkung stellt sich deswegen nicht, weil im vorliegenden Verfahren (nur) über Asylberechtigung bzw. Abschiebungsschutz nach § 51 AuslG mit Blick auf die geltend gemachte politische Verfolgung zu entscheiden ist. Darüber, ob eine überlange Verfahrensdauer einen Umstand darstellt, der bei der Entscheidung über ein asylunabhängiges Aufenthaltsrecht zu berücksichtigen ist, hat der Senat nicht zu befinden.

Die unter anderem zur Begründung der gegenteiligen Ansicht der Kläger herangezogene Entscheidung des Bundesfinanzhofs beschränkt sich - entgegen der Auffassung der Kläger - darauf, mit Blick auf den geltend gemachten Verfahrensmangel die in der Rechtsprechung geklärten Grundsätze zur Berücksichtigung der Beweisnot eines Klägers bei überlanger Verfahrensdauer auf den Fall anzuwenden und festzustellen, dass der Umfang, in dem das Beweismaß zu reduzieren ist, sich nach den Umständen des Einzelfalles richtet (BFH, Urteil vom 23. Februar 1999, NJW 1999, 2614). Nur in diesem Rahmen besteht eine Pflicht des Gerichts, auch die Dauer des Verfahrens in den Blick zu nehmen.

Abgesehen davon, hat das Verwaltungsgericht über den (Hilfs-) Antrag der Kläger auf Feststellung, dass die Dauer des gerichtlichen Verfahrens einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention darstellt, entschieden und - als obiter dictum - das Feststellungsbegehren als unzulässig erachtet (UA S. 12 f.). Der Sache nach beschränken sich die Kläger letztlich darauf, die - hilfsweise dargelegte - Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts in der Art einer Berufungsbegründung als falsch anzugreifen und unter Darlegung ihrer Auffassung eine - mit Blick auf den Streitgegenstand - nicht entscheidungserhebliche Grundsatzfrage zu konstruieren.

2. Dass eine überlange Verfahrensdauer einen Verfahrensmangel gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO darstellen kann, ist in der Rechtsprechung geklärt. Auch im Rahmen des § 78 Abs. 3 AsylVfG kann die Verfahrensdauer unter dem Gesichtspunkt des Anspruchs auf rechtliches Gehör - bei entsprechendem Vortrag zur Beweisnot des Klägers - einen Zulassungsgrund begründen. Soweit die Kläger eine solche Gehörsrüge i.S.d. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO geltend machen, wird jedoch verkannt, dass auch in diesem Fall die Entscheidungserheblichkeit des Mangels dargelegt werden muss (BFH, Beschluss vom 14. Juni 2000, in: juris; BFH, Beschluss vom 4. Januar 2001, in: juris; BVerwG, Beschluss vom 17. Oktober 2002, in: juris). Weder haben die Kläger vorgetragen, dass ihnen auf Grund der überlangen Verfahrensdauer eine bestimmte Beweisführung nicht möglich gewesen sei, noch haben sie aufgezeigt, dass eine Entscheidung zu einem früheren Zeitpunkt für sie hätte günstiger ausfallen können (vgl. auch BFH, Beschluss vom 4. Januar 2001, in: juris).

3. Die geltend gemachte Besetzungsrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 1 VwGO), die damit begründet wird, der Rechtsstreit sei dem Einzelrichter mangels Bekanntgabe des Übertragungsbeschlusses gemäß § 76 Abs. 1 AsylVfG nicht wirksam übertragen worden, führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung.

Entgegen der Auffassung der Kläger ist der Übertragungsbeschluss vom 24. Juli 2003 wirksam geworden. Ein Übertragungsbeschluss ist zwar unwirksam, solange er den Beteiligten nicht mitgeteilt worden ist. Zur Wirksamkeit genügt jedoch die formlose Bekanntgabe (BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 2001, NVwZ-RR 2002, 150; OVG Lüneburg, Beschluss vom 9. Juli 1997, AuAS 1997, 225), denn der Übertragungsbeschluss i.S.d. § 76 Abs. 1 AsylVfG ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar, mithin nicht zu begründen (§ 122 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Eine Verkündung des Beschlusses ist nicht vorgesehen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 9. Juli 1997, AuAS 1997, 225 m.w.N.). Eine Zustellung gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 329 Abs. 2 ZPO ist nicht erforderlich (BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 2001, NVwZ-RR 2002, 150). Entgegen der Auffassung der Kläger ist es für die Wirksamkeit des Beschlusses auch nicht erforderlich, dass er den Beteiligten in Abschrift bekannt gegeben wird. Wie die formlose Mitteilung an die Beteiligten zu erfolgen hat, ist nicht festgelegt. Es genügt, dass die Beteiligten von dem Inhalt des Beschlusses in geeigneter Weise Kenntnis erhalten. Wie sich aus der Streitakte ergibt und auch von den Klägern vorgetragen wird, ist ihnen mit Schreiben vom 25. Juli 2003 mitgeteilt worden, dass die Kammer mit Beschluss vom 24. Juli 2003 den Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 AsylVfG dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen hat. Dementsprechend ist mit Zugang dieses Schreibens der Übertragungsbeschluss wirksam geworden.

Abgesehen davon ist die Einzelrichterübertragungsentscheidung auf Grund ihrer Unanfechtbarkeit gemäß § 80 AsylVfG und damit als eine dem Urteil vorausgegangene unanfechtbare Entscheidung gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 512 ZPO der Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht entzogen. Diese Beschränkung der berufungsgerichtlichen Nachprüfbarkeit schließt es auch ein, dass mit einer entsprechenden Rüge nicht die Zulassung der Berufung erstritten werden kann (OVG Lüneburg, Beschluss vom 9. Juli 1997, AuAS 1997, 225; OVG Münster, Beschluss vom 13. Januar 1999, in: juris m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG, § 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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