Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 18.03.2003
Aktenzeichen: OVG 6 S 21.03
Rechtsgebiete: VwGO, BSHG, GG


Vorschriften:

VwGO § 123
BSHG § 15 a
GG Art. 6 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN BESCHLUSS

Aktenzeichen OVG 6 S 21.03

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin am 18. März 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. Januar 2003 wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerde.

Gründe:

I.

Im Oktober 1998 bezog der Antragsteller zusammen mit seinem 1990 geborenen Sohn eine Zwei-Zimmer-Wohnung, für die ihm vom Bezirksamt Tiergarten ein so genannter Mietgarantieschein mit der Zusicherung erteilt worden war, die Miete als angemessenen Sozialhilfebedarf anzuerkennen und bei unveränderter wirtschaftlicher Lage ergänzende Sozialhilfe zu zahlen. Der Antragsteller, der für die zentral beheizte Wohnung Miete in Höhe von 426,45 € zahlt, bezieht derzeit Arbeitslosenhilfe in Höhe von 143,92 € wöchentlich, Kindergeld in Höhe von 154,00 € und Wohngeld in Höhe von 132,00 €.

Im Dezember 2001 erhielt die B durch einen Außendienstmitarbeiter Kenntnis vom Stromverbrauch in der Wohnung. Daraufhin forderte sie den Antragsteller mit Jahresrechnung vom 11. Februar 2002 zur Zahlung von 2.342,44 € für den Zeitraum vom 17. Oktober 1998 bis zum 19. Dezember 2001 auf und setzte einen Betrag in Höhe von 144,00 € als künftig fällig werdende zweimonatliche Rate fest. Mit Mahnung vom 18. April 2002 forderte sie den Antragsteller zur Zahlung der gemäß Zahlungsvereinbarung fällig gewordenen ersteh Rate in Höhe von 487,64 € auf und wies auf die Zahlungstermine für die weiteren vier monatlichen Raten in Höhe von je 468,00 € hin. Dieser Zahlungsvereinbarung kam der Antragsteller nicht nach. Er zahlte jedoch in der Folgezeit die fälligen Raten in Höhe von 144,00 €.

Seinen Antrag auf Übernahme der Stromschulden lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 19. September 2002 ab. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch, über den bislang nicht entschieden ist.

Seinen Antrag vom 11. November 2002, den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, die Stromschulden zu übernehmen, hat das Verwaltungsgericht Berlin mit Beschluss vom 5. Dezember 2002 abgelehnt (VG 8 A 503.02). Beschwerde hat der Antragsteller hiergegen nicht erhoben.

Am 7. Januar 2003 hat der Antragsteller mit der Begründung, die B habe nunmehr den Strom abgestellt, erneut beim Verwaltungsgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.

Mit Beschluss vom 16. Januar 2003 hat das Verwaltungsgericht Berlin den Antrag abgelehnt und zur Begründung unter Bezugnahme auf den Beschluss vom 5. Dezember 2002 ausgeführt, dass ein Fall der so genannten Ermessensreduzierung nicht vorliege.

Hiergegen hat der Antragsteller am 5. Februar 2003 Beschwerde erhoben. Am 27. Februar 2003 wurde der Strom erneut gesperrt.

Die Beschwerde gegen die Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes kann keinen Erfolg haben. Der Antragsteller hat mit den innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO genannten und gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu berücksichtigenden Gründen die Voraussetzungen für den Erlass der erstrebten einstweiligen Anordnung nicht dargetan.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Antragsteller einen Anspruch auf die Übernahme der rückständigen Stromkosten durch den Sozialhilfeträger nicht glaubhaft gemacht hat.

1. § 12 BSHG i.V.m. § 1 RegelsatzVO deckt eine Übernahme der Stromkosten nicht, da laufende Leistungen für Kochstrom, Beleuchtung und Betrieb elektrischer Geräte grundsätzlich von den Regelsätzen umfasst werden, die bei der Berechnung des Bedarfs zu Grunde zu legen sind.

2. Eine Stromsperre kann aber eine dem Verlust der Unterkunft vergleichbare Notlage darstellen, zu deren Behebung nach § 15 a BSHG Hilfe gewährt werden kann (OVG Berlin, Beschluss vom 28. April 1980, FEVS 29, 226; OVG Berlin, Beschluss vom 2. Juni 1982, FEVS 34, 163; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. Mai 1985, FEVS 35, 24). Eine dem drohenden Verlust der Wohnung vergleichbare Notlage ist in der Regel dann anzunehmen, wenn die Belieferung eines Haushaltes mit elektrischer Energie auf Dauer in Frage gestellt wird. Die Stromversorgung gehört gemessen an den allgemeinen Lebensverhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland zum sozialhilferechtlich anerkannten Mindeststandard.

§ 15 a BSHG gibt dem Hilfesuchenden jedoch keinen Anspruch, sondern stellt die Hilfe in das Ermessen des Sozialhilfeträgers. Die Erwägungen des Antragsgegners lassen Ermessensfehler nicht erkennen.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht bereits mit Beschluss vom 5. Dezember 2002 (VG 8 A 503.02) festgestellt, dass ein Fall der Ermessensreduzierung nicht vorliegt. Der Antragsteller hat auch im anhängigen Streitverfahren nicht dargelegt, welche Schrittte er zur Verbesserung seiner Lage unternommen hat.

a) Grundsätzlich darf Sozialhilfe nicht von den Gründen für das Entstehen der Notlage abhängig gemacht werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Verhalten nicht im Rahmen der Ermessensausübung gewürdigt werden darf. Dabei dient das Verhalten als Anhaltspunkt für die künftige Prognose, ob der Hilfesuchende willens ist, sich nach den Maßstäben des Sozialhilferechts wirtschaftlich zu verhalten (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. Mai 1985, FEVS 35, 24, 33). In diesem Sinne hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass der Antragsteller im Wissen um den Stromverbrauch mit auflaufenden Kosten hätte rechnen und durch Bildung von Rücklagen entsprechende Vorsorge hätte treffen müssen. Soweit der Antragsteller darauf verweist, dass die Anschaffungskosten für seine Kraftfahrzeuge zu einem Zeitpunkt angefallen seien, als die B ihre Forderung noch nicht in Rechnung gestellt habe, wird verkannt, dass auch dieses Geld zur Rücklagenbildung hätte genutzt werden können. Im Übrigen hat er zwei Fahrzeuge erst im September 2002 mehrere Monate nach Kenntnis der Stromschulden verkauft.

b) Der vom Antragsteller aus dem "Charakter" des Rechtsverhältnisses zur B abgeleitete Einwand des (mitwirkenden) treuwidrigen Verhaltens verfängt nicht. Denn bei der Frage der Ermessensreduzierung im Rahmen des § 15 a BSHG geht es um eine Zukunftsprognose mit Blick auf das Verhalten des Antragstellers.

Zwar hat der Antragsteller weitere Rückstände nicht mehr auflaufen lassen und die in der Jahresrechnung angesetzten Raten regelmäßig gezahlt. Wenn die Gewähr besteht, dass keine Rückstände mehr auflaufen, die alsbald wieder zu einer Stromsperre führen werden, kann die Übernahme rückständiger Stromkosten gerechtfertigt sein (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 20. November 1984, FEVS 34, 335, 336 f.). Diese Zukunftsprognose führt jedoch für sich genommen nicht zu einer Ermessensreduzierung. Denn es ist nicht zu erkennen, dass der Antragsteller die Möglichkeiten zur Selbsthilfe bisher ausgeschöpft hat.

Zwar scheint der Antragsteller - wie sich aus der Mahnung vom 18. April 2002 ergibt - zunächst eine Zahlungsvereinbarung mit der B getroffen zu haben. Erklärungen dazu, mit welchen Mitteln er die Raten zahlen wollte, fehlen jedoch ebenso wie die Darlegung, auf welcher Grundlage die Konditionen ausgehandelt wurden. Einer Erläuterung hätte es deswegen bedurft, weil dem Antragsteller angesichts seiner Einkommensverhältnisse offensichtlich sein musste, dass er fünf monatliche Raten in Höhe von ca. 470,00 € nicht aus eigener Kraft würde begleichen können. Zu einem ernsthaften, den Selbsthilfewillen dokumentierenden Konzept hätte es gehört, realistische Zahlungsbedingungen auszuhandeln bzw. darzulegen, warum die Vereinbarung in dieser Gestalt abgeschlossen wurde. Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller vor dem Amtsgericht Köpenick Anfang Januar 2003 erneut ein Angebot zur Ratenzahlung gemacht hat. Das ergibt sich aus der Begründung des Beschlusses des Amtsgerichts vom 6. Januar 2003, mit dem die B verpflichtet wurde, die Stromzufuhr für die Wohnung des Antragstellers wieder herzustellen. Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass der Antragsteller bislang offenbar keine Zahlungen auf den Rückstand geleistet hat, ist ein ernsthafter Zahlungswille nicht zu erkennen.

Ebenso wenig hat der Antragsteller dargelegt, dass Hilfe von Dritten - etwa durch eine Darlehensaufnahme - nicht zu erwarten sei. Sich um die Aufnahme eines Kredits zur Sicherung der Stromversorgung zu bemühen (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. Mai 1985, FEVS 35, 24, 31), liegt im vorliegenden Falle auch deswegen nahe, weil Verwandte des Antragstellers in Berlin leben. Es mag sein, dass er auf diesem Wege nicht die gesamte Summe aufbringen kann. Aber auch ein kleines Darlehen wäre ein Ansatzpunkt dafür gewesen, dass der Antragsteller selbst ein Konzept dazu entwickelt, wie er zumindest versucht, aus eigener Kraft die Stromschulden zu begleichen.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht auch festgestellt, dass die vom Antragsteller vorgelegten Nachweise der Arbeitssuche keinen ernsthaften Selbsthilfewillen belegen. Dabei ist unerheblich, wie er sich - etwa über die computergestützte Stellenvermittlung des Arbeitsamtes oder über Zeitungsinserate - Kenntnis von Arbeitsangeboten verschafft. Wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, ist entscheidend, dass sich den Nachweisen konkrete Angaben zum Bewerbungsgespräch entnehmen lassen. Dafür genügt es nicht, lediglich handschriftlich die Angebote mit den Kürzeln "angerufen" bzw. "w." zu versehen oder schlicht abzuhaken.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ergibt sich mit Blick auf den in seinem Haushalt lebenden minderjährigen Sohn auch aus Art. 6 Abs. 1 GG keine Ermessensreduzierung. Bei der Entscheidung gemäß § 15 a BSHG sind zwar die individuellen Umstände des Einzelfalles und damit auch die besonderen Bedürfnisse von Kindern zu berücksichtigen. Eine existenzielle Gefährdung des Antragstellers und seines Sohnes durch den Ausfall der Stromzufuhr ist - derzeit - jedoch nicht zu erkennen. Wie das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Dezember 2002 (VG 8 A 503.02) ausgeführt hat, gibt es vorübergehende Behelfsmöglichkeiten, die dem Antragsteller z.B. die Zubereitung der Mahlzeiten erlauben. Auch die vom Antragsgegner in einem Aktenvermerk festgehaltene Erwägung, dass das Kind vorübergehend von der Mutter, die in Berlin lebt, betreut werden könne, ist nicht zu beanstanden. Denn der Antragsgegner hat zugleich erkannt, dass es sich insoweit nur um eine vorübergehende Lösung handeln kann, um die Folgen der Stromsperre für das Kind zu minimieren. Der Antragsteller hat - abgesehen von der Vorlage des Urteils vom 27. Juni 1994, mit dem ihm das alleinige Sorgerecht übertragen wurde - nicht dargelegt, dass ein vorübergehender Aufenthalt bei der Mutter für den Sohn unzumutbar wäre.

3. Der Antragsgegner bleibt jedoch auch dann, wenn die Stromlieferung auf Grund der offenen Verbindlichkeiten eingestellt und eine Kostenübernahme zunächst abgelehnt worden ist, verpflichtet, die Entwicklung des Hilfefalls und die Auswirkungen seiner ablehnenden Entscheidung unter Kontrolle zu halten. Die mangelnde Versorgung eines Haushalts mit elektrischer Energie kann nur als ein vorübergehender Zustand akzeptiert werden (OVG Berlin, Beschluss vom 3. März 1997 - OVG 6 S 380.96 -). Ab welchem Zeitpunkt seit Sperrung der Stromzufuhr von einem Fall der Ermessensreduzierung auszugehen ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. dazu, dass acht Monate seit Sperrung der Stromzufuhr noch keine Ermessensreduzierung begründet, OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. Mai 1985, FEVS 35, 24, 34). Mit Blick auf das Alter und die Betreuungssituation des schulpflichtigen Kindes wird von einem vergleichsweise kurzen Zeitraum auszugehen sein. Allerdings müsste sich auch der Antragsteller entschließen, einen ernsthaften Beitrag zur Selbsthilfe zu leisten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 188 VwGO nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

Zurück