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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Urteil verkündet am 30.09.2003
Aktenzeichen: OVG 8 B 5.02
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 8 Abs. 2 Satz 3
AuslG § 23 Abs. 1
AuslG § 47 Abs. 1 Nr. 1
AuslG § 47 Abs. 3
AuslG § 48 Abs. 1 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 8 B 5.02

Im Namen des Volkes Urteil

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin auf die mündliche Verhandlung vom 30. September 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Monjé , die Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schrauder und Weber sowie die ehrenamtliche Richterin Heymann und den ehrenamtlichen Richter Degenhardt

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgericht Berlin vom 14. November 2001 geändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der ca. 32 Jahre alte Kläger, ein türkischer Staatsbürger, begehrt die sofortige Befristung der Wirkungen der gegen ihn verfügten Ausweisung. Er lebt seit August 1979 in der Bundesrepublik Deutschland und ist seit seinem 15. Lebensjahr wiederholt mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Seit Mai 1988 besaß er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

Am 28. November 1994 verurteilte ihn das Landgericht Kleve wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (1.981,2 Gramm Kokain) in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 17. Oktober 1996 verfügte das Landeseinwohneramt Berlin die Ausweisung des Klägers. Die Staatsanwaltschaft Kleve erklärte daraufhin, nach Ablauf des 30. Mai 1997 unter der Voraussetzung der tatsächlichen Durchführung der Ausweisung von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe abzusehen.

Die für den 31. Juli 1997 vorgesehene Abschiebung des Klägers scheiterte an seiner massiven Gegenwehr (Randalieren im startbereiten Flugzeug). Ein weiterer, am 23. August 1997 vorgesehener Abschiebetermin wurde aufgehoben, weil der Kläger am 21. August 1997 einen Asylantrag gestellt hatte, den das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 17. Februar 1998 ablehnte. Über die dagegen beim Verwaltungsgericht Berlin erhobene Klage (VG 36 X 67.98) ist noch nicht entschieden. Mit Beschluss des Landgerichts Berlin vom 9. Juli 1998 wurde die Freiheitsstrafe, die am 16. April 1999 voll verbüßt gewesen wäre, ab dem 1. Juli 1998 zur Bewährung ausgesetzt (Bewährungszeit: 3 Jahre).

Am 19. Februar 1999 heiratete der Kläger eine deutsche Staatsangehörige. Am 3. November 1999 wurde der gemeinsame Sohn geboren. Die Eheleute leben mit ihrem gemeinsamen Kind und dem Sohn der Ehefrau aus einer anderen Beziehung zusammen.

Nachdem der Kläger am 11. März 1999 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung gestellt hatte, befristete das Landeseinwohneramt mit Bescheid vom 17. April 2000 die Wirkungen der Ausweisung des Klägers gemäß der Befristungstabelle in der Anlage zur Weisung B.8.2.2. auf vier Jahre nach erfolgter Ausreise. Auf den Widerspruch, zu dessen Begründung der Kläger auf seine Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen und seine einwandfreie Führung seit der Haftentlassung hingewiesen hatte, bestätigte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. November 2000 in der Fassung des Schriftsatzes vom 6. Juni 2001 seine Befristungsentscheidung. Der langjährige Aufenthalt des Klägers in Deutschland und seine Ehe stünden der vierjährigen Befristungsdauer nicht entgegen. Es bestehe ein überragendes Interesse der Allgemeinheit daran, dass der Kläger nicht erneut in die Rauschgiftszene abgleite. Der Kläger und seine Ehefrau hätten nach der Ausweisung damit rechnen müssen, dass er aus Deutschland ausreisen müsse und zumindest längere Zeit nicht wieder in die Bundesrepublik einreisen dürfe. Die insbesondere bei Rauschgiftdelikten bedeutsame Abschreckungswirkung wäre erheblich gemindert, wenn die gegen den Kläger verhängte Freiheitsstrafe nicht zwangsläufig zum Verlassen Deutschlands für längere Zeit führe.

Zur Begründung seiner Klage, mit der der Kläger die sofortige Befristung begehrt, hat er geltend gemacht: Man habe ihm eine positive Sozialprognose gestellt. Während der Haftzeit habe er seinen Realschulabschluss gemacht. Seit seiner Entlassung sei es nicht wieder zu Straftaten gekommen. Eine irgendwie geartete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit sei nicht zu befürchten. Seine Familie sei auf seinen Unterhaltsbeitrag angewiesen. Er sei auch sprachlich in Deutschland integriert, während familiäre Bindungen in der Türkei nicht bestünden. Bei dieser Sachlage sei seine Abschiebung und Fernhaltung für vier Jahre, die seine engen familiären Bindungen nicht ausreichend berücksichtige, mit der Auslegung, die die Schutznormen der Art. 3 und 8 EMRK in der Rechtsprechung erfahren hätten, unvereinbar.

Der Beklagte ist dem entgegengetreten und hat im Wesentlichen ausgeführt:

Die festgesetzte Befristungsdauer sei mit Art. 3 und 8 EMRK vereinbar. Zwar müsse bei einer Ausweisung und zeitlicher Fernhaltung von einem grundsätzlichen Übergewicht des verfassungsrechtlich abgesicherten Interesses am Erhalt der Familie bzw. an der Beziehung zu Kindern gegenüber dem Abschreckungsinteresse ausgegangen werden. Da von dem Kläger aber eine konkrete und schwere Gefahr für wichtige Schutzgüter der Allgemeinheit ausgehe, wiege das öffentliche Interesse daran, ihn während der festgesetzten Zeit aus Deutschland fernzuhalten, schwerer als sein Interesse am weiteren uneingeschränkten Aufenthalt in Deutschland und seinem Zusammenleben mit seinen Familienangehörigen.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch Urteil vom 14. November 2001 teilweise stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung des Klägers auf einen Zeitraum von vier Jahren ab Ausreise sei ermessensfehlerhaft. Die Frist betrage nach der Praxis in Fällen der Regelausweisung und der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren mindestens zwei Jahre. Einen Anspruch auf die begehrte Befristung der Wirkungen der Ausweisung "ab sofort" habe der Kläger jedoch nicht. Zwar bestünden gegen die in Fällen schwerer Betäubungsmittelkriminalität regelmäßig vorgenommene Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf mindestens vier Jahre prinzipiell keine Bedenken, im Falle des Klägers sei sie aber ermessensfehlerhaft, denn sie berücksichtige nicht ausreichend die besondere Bedeutung des Grundrechts auf Schutz von Ehe und Familie. Träger dieses Grundrechtes seien neben dem Kläger selbst auch seine deutsche Ehefrau und sein deutsches Kind, deren Recht an der Führung einer familiären Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann und Vater in der Bundesrepublik Deutschland die vierjährige Befristung nicht ausreichend würdige. Dem Pflege- und Erziehungsrecht der Eltern gemäß Art. 6 Abs. 2 GG korrespondiere das Recht des Kindes auf den Umgang mit beiden Elternteilen. Könne eine bestehende Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem deutschen Kind nur in der Bundesrepublik stattfinden, weil es dem deutschen Kind auch wegen dessen Beziehungen zur gleichfalls deutschen Mutter nicht zumutbar sei, die Bundesrepublik zu verlassen, so dränge die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig ausländerrechtliche Gesichtspunkte zurück. Gleichwohl dürfe hier nicht außer Acht gelassen werden, dass der Kläger den Ist-Ausweisungstatbestand des § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG verwirklicht habe. Die Ausweisung verfolge neben dem generalpräventiven auch den spezialpräventiven Zweck, gerade den Kläger wegen der Gefährlichkeit der von ihm begangenen Straftat aus dem Bundesgebiet zu entfernen und auf diese Weise an der Begehung weiterer Straftaten zu hindern, auch wenn der Kläger durch die Verbesserung seiner Schulbildung, seine Eheschließung sowie die Übernahme elterlicher Verantwortung die Gefahr, erneut einschlägig straffällig zu werden, reduziert haben möge. Diesem wichtigen öffentlichen Interesse müsse auch in Anbetracht des Schutzes der Rechte der Familienmitglieder des Klägers Rechnung getragen werden, zumal sich der Kläger dem mit der Ausweisung verbundenen Ausreisegebot bisher entzogen habe. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Eheschließung erst nach der Ausweisungsverfügung erfolgt sei und die Familienmitglieder auch während eines Auslandsaufenthaltes des Klägers eingeschränkten Kontakt miteinander halten könnten. Der Beklagte werde bei der Neubescheidung also keineswegs das öffentliche Interesse an der Einhaltung der ausländerrechtlichen Vorschriften unberücksichtigt lassen müssen. Im Hinblick auf die Grundrechte der Familienmitglieder des Klägers werde der Beklagte aber eine Befristungsentscheidung zu treffen haben, die nicht zu einer erheblichen Gefährdung der Ehe und einer dauerhaften Störung des Vater-Kind-Verhältnisses führe. In Anbetracht des noch geringen Alters des Kindes werde ein Wiedereinreiseverbot nach Ausreise unter Berücksichtigung der oben genannten zwischenzeitlichen Besuchsmöglichkeiten wohl längstens für ein bis eineinhalb Jahre zu rechtfertigen sein.

Der Beklagte hat die vom Senat wegen ernstlicher Richtigkeitszweifel zugelassene Berufung im Wesentlichen wie folgt begründet: Es sei nicht zu beanstanden, sei insbesondere nicht unverhältnismäßig, dass er sich an seiner ermessensleitenden Befristungstabelle orientiert habe, die bei Vorliegen eines Ausweisungsgrundes nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG unter Berücksichtigung familiärer Bindungen eine Mindestbefristung auf vier Jahre vorsehe. Das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass die Mindestfrist zwei Jahre betrage, wenn eine Herabstufung der Ist- zu einer Regelausweisung erfolgt sei. Es komme insoweit nur auf den Ausweisungsgrund und nicht darauf an, ob es sich um eine zwingende Ausweisung, eine Regelausweisung oder eine Ermessensausweisung handele. Es sei auch nicht auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles von der vierjährigen Mindestbefristungsdauer abzuweichen. Die vom Verwaltungsgericht in Bezug genommene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über die Berücksichtigung familiärer Bindungen bei einer Ermessensentscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen sei nicht einschlägig, weil feststehe, dass der Aufenthalt des Klägers zu beenden sei. Im Übrigen belege § 48 Abs. 1 Nr. 3 AuslG, dass familiäre Bindungen einer Aufenthaltsbeendigung grundsätzlich nicht entgegenstünden. Auch liege es im Verantwortungsbereich der deutschen Familienmitglieder dafür zu sorgen, dass die familiäre Lebensgemeinschaft trotz der Verlassenspflicht aufrecht erhalten werde. Dass dies dem Kläger und seinen Familienangehörigen unmöglich oder unzumutbar sei, sei nicht ersichtlich. Da die Ehefrau des Klägers nicht berufstätig und das Kind erst zwei Jahre alt sei, also erst in vier Jahren zur Schule gehen müsse, könne die Familie dem Kläger entweder in die Türkei folgen oder der Kontakt könne durch Besuchsreisen aufrechterhalten werden. Zu Lasten des Klägers und seiner Familie sei zu berücksichtigen, dass die begangene Straftat der schweren Kriminalität zuzurechnen sei, die ein konsequentes Aufzeigen der ausländerrechtlichen Folgen zur Abschreckung anderer Ausländer erfordere. Außerdem bestehe Wiederholungsgefahr. Obgleich der Kläger nach der Haftentlassung unter Bewährung straffrei geblieben sei und auch den Realschulabschluss nachgeholt habe, sei eine weitergehende Integration nicht zu verzeichnen. Schließlich habe der Kläger durch seine jahrelange hartnäckige Weigerung, seiner Ausreisepflicht nachzukommen, die seine Ausreise erschwerenden Umstände selbst herbeigeführt.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. November 2001 die Klage in vollem Umfange abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und weist darauf hin, dass seine weitere ununterbrochen Anwesenheit zur Betreuung der beiden Kinder während der berufsbedingten Abwesenheit seiner Ehefrau notwendig sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte des Gerichts sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten (2 Bände), der vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.

Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Unrecht wegen rechtsfehlerhafter Ausübung des diesem bei der Befristung der Wirkungen der Ausweisung des Klägers gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG zustehenden Ermessens zur erneuten Bescheidung dessen Befristungsantrages unter Beachtung der gerichtlichen Rechtsauffassung verpflichtet. Die Ermessensausübung des Beklagten ist rechtlich (§ 114 VwGO) nicht zu beanstanden.

Das Befristungsermessen ist eröffnet, denn es liegt ein Regel-, kein Ausnahmefall vor, in dem eine Befristung ausgeschlossen und der Befristungsantrag ohnehin zwingend abzulehnen wäre. Die Wirkungen der Ausweisung sind daher zu befristen, wobei Gegenstand des behördlichen Ermessens nur die Dauer der Befristung ist, über die sich das Gesetz nicht verhält.

Nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG werden die in den Sätzen 1 und 2 der Vorschrift bezeichneten Wirkungen der Ausweisung (sog. Sperrwirkung) auf Antrag in der Regel befristet. Ob die Voraussetzungen der Regelbefristung im Einzelfall erfüllt sind, unterliegt als gesetzliches Tatbestandsmerkmal des § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG der vollen gerichtlichen Nachprüfung (BVerwG, Urteil vom 11. August 2000 - 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369; vgl. auch die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 11/6321, S. 7, 57). Diese ist nicht deshalb entbehrlich, weil die Beteiligten übereinstimmend einen Regelfall annehmen. Würde sich diese Annahme nämlich als unzutreffend erweisen, könnte das zwar nicht zur gerichtlichen Aufhebung des Befristungsbescheides führen, der vom Verwaltungsgericht angenommene Ermessensfehler könnte jedoch nicht vorliegen. Die auf kürzere Befristung der Wirkungen der Ausweisung gerichtete Klage hätte dann aus Rechtsgründen erfolglos bleiben müssen.

Der Gesetzgeber geht in § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG grundsätzlich davon aus, dass eine zeitlich befristete Ausweisung in der Regel zur Erreichung der damit verfolgten Zwecke genügt. Die Worte "in der Regel" beziehen sich dabei auf Fälle, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleich liegender Fälle unterscheiden, also typische Sachverhalte betreffen. Ausnahmefälle sind demgegenüber durch atypische Umstände gekennzeichnet, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigen (vgl. auch BVerwG, Beschlüsse vom 2. Mai 1996 - 1 B 194.95 - Buchholz 402.240 § 8 AuslG 1990 Nr. 5 und vom 27. Juni 1997 - 1 B 126.97 - Buchholz 402.240 § 7 AuslG 1990 Nr. 13). Der Senat nimmt in Übereinstimmung mit den Beteiligten an, dass ein Regelfall vorliegt.

Bei der Abgrenzung von Regel- und Ausnahmefall ist zunächst das Gewicht des Ausweisungsgrundes zu berücksichtigen (vgl. auch die Äußerung des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren, eine Regelbefristung der Ausweisung erscheine in besonders gravierenden Fällen, z.B. bei BTM-Tätern, nicht angebracht [BT-Drucks. 11/6541, S. 2]). Die Regelbefristung des § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG erfasst alle Ausweisungstatbestände, also nicht nur die der Ist-Ausweisung und der Regelausweisung (§ 47 Abs. 1 und 2 AuslG), sondern auch die Ausweisung nach Ermessen (§ 45 AuslG). Da die Ausweisungsmöglichkeiten nach dem unterschiedlichen Gewicht der Ausweisungstatbestände abgestuft sind (vgl. Beschluss vom 4. Oktober 1995 - BVerwG 1 B 139.95 - Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 7, BVerwG, Urteil vom 11. August 2000, a.a.O. S. 372), kommt dem Umstand, dass hier ein Fall der Ist-Ausweisung vorliegt, auch bei der Prüfung, ob ein Ausnahmefall im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG gegeben ist, Gewicht zu. Er schließt andererseits die Annahme eines Regelfalles nicht ohne weiteres aus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 1997, a.a.O.). Vielmehr bedarf es der Abwägung im Einzelfall, ob dessen Umstände eine unbefristete Ausweisung rechtfertigen (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2001 § 8 AuslG Rn. 43 ff.).

Weiter sind die mit der Ausweisung verfolgten spezial- und/oder generalpräventiven Zwecke zu berücksichtigen. Die Sperrwirkung muss so lange bestehen, wie es diese Zwecke im Einzelfall erfordern. Hierzu genügt nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG in der Regel eine zeitliche Befristung der Wirkungen der Ausweisung. Ist, wie hier, über die Befristung nicht im zeitlichen Zusammenhang mit der Ausweisung befunden worden, so sind zwischenzeitlich eingetretene Änderungen der Sach- und Rechtslage in die Beurteilung einzubeziehen. Sind die mit der Ausweisung verfolgten ordnungsrechtlichen Zwecke erreicht, so ist es nicht länger gerechtfertigt, dem Ausländer allein wegen der Ausweisung Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet zu verwehren. Die Ausweisungswirkungen sind dann grundsätzlich zu befristen (vgl. Urteil vom 7. Dezember 1999 - BVerwG 1 C 13.99 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG Nr. 17 S. 6 f.). Eine Befristung scheidet demgegenüber aus, wenn die von der Ausländerbehörde zu stellende Prognose ergibt, dass der Ausweisungszweck auch am Ende einer dem Ausländer zu setzenden längeren Frist voraussichtlich, etwa wegen seiner besonderer Gefährlichkeit (Renner, Ausländerrecht in Deutschland, 2000, S. 308 [Rn. 443]) nicht erreicht sein wird.

Bei der Entscheidung über die Befristung ist - wie erwähnt - auch das Verhalten des Ausländers nach der Ausweisung zu würdigen. Eine Ausnahme von der Regel kann in Betracht kommen, wenn ein Ausländer nicht freiwillig ausgereist ist (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 11/6321, S. 57) oder sich gar, wie hier geschehen, erfolgreich der Abschiebung widersetzt hat (Renner, a.a.O.; vgl. auch Hailbronner, a.a.O. § 8 AuslG Rn. 43; Vormeier, in GK-AuslR, Stand April 2001, § 8 AuslG Rn. 75).

Eine Ausnahme von der Regel des § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG ist aber zu verneinen, wenn der Versagung der Befristung höherrangiges Recht entgegensteht, insbesondere die Versagung mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen, namentlich dem Schutz von Ehe und Familie unvereinbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Mai 1996, a.a.O.; ferner zu § 7 Abs. 2 AuslG Urteile vom 27. August 1996 - BVerwG 1 C 8.94 - Buchholz 402.240 § 13 AuslG 1990 Nr. 3, S. 7 ff.; vom 11. August 2000, a.a.O.). Auch andere gesetzliche Schutzbestimmungen, etwa Normen des Europarechts können der Bejahung eines Ausnahmefalles entgegenstehen. In Betracht kommt hier Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II S. 686, 953/1954 II S. 14) - EMRK - der mit dem Begriff des Familienlebens einen größeren Schutzbereich als Art. 6 GG beschreibt, denn er umfasst insbesondere auch das Verhältnis zu nahen Verwandten außerhalb der so genannten Kleinfamilie. Soweit sich jedoch der Anwendungsbereich des Art. 8 EMRK, wie hier, mit dem des Art. 6 GG deckt, vermittelt Art. 8 EMRK keinen weitergehenden Schutz (BVerwG, Urteile vom 9. Dezember 1997 - 1 C 19 u. 20.96 - InfAuslR 1998, 213 und 276).

Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt, dass der Kläger zwar die Befristung der Wirkungen der Ausweisung verlangen kann, die im behördlichen Ermessen stehende und damit nur beschränkt überprüfbare (§ 114 VwGO) Bemessung der Frist, nach deren Ablauf die Wirkungen der Ausweisung enden, aber nicht zu beanstanden ist.

Die für einen Ausnahmefall sprechenden Gesichtspunkte, dass der Kläger, nachdem er bereits als Jugendlicher wiederholt mit den Strafgesetzen in Konflikt geraten ist, wegen eines schwer wiegenden Betäubungsmitteldeliktes zu einer fünfjährigen und damit sehr hohen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist und dass er sich erfolgreich seiner Abschiebung widersetzt hat, werden dadurch aufgewogen, dass er, wenn auch erst nach der Ausweisung, die Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen geschlossen hat, mit der er in ehelicher Lebensgemeinschaft zusammen mit einem aus dieser Ehe hervorgegangenen, ebenfalls deutschen Kind lebt. Die unbefristete Fernhaltung des Klägers würde seine deutschen Familienmitglieder vor die unzumutbare Alternative stellen, entweder auf Dauer von ihm getrennt zu leben oder sich mit ihm dauerhaft in der Türkei niederzulassen. Ihr durch Art. 6 Abs. 1 GG geschütztes Recht, die eheliche und familiäre Lebensgemeinschaft mit ihm in Deutschland zu führen, würde damit unzumutbar und unverhältnismäßig auf Dauer vereitelt. Soweit die Befristungstabelle der Anlage zur Weisung B.8.2.2. neben Fristbemessungsbestimmungen auch Regel- und Ausnahmefälle der Befristung voneinander abgrenzt, hat sie norminterpretierenden Charakter und ist für die Verwaltungsgerichte nicht wie eine Ermessensrichtlinie als antizipierte Verwaltungspraxis gemäß Art. 3 Abs. 1 GG verbindlich. Dass die Befristungstabelle im vorliegenden Fall zur Bejahung eines Regelfalles führt, ist daher rechtlich nicht ausschlaggebend, sondern ist allenfalls als Bestätigung des durch eigenständige gerichtliche Norminterpretation gefundenen Ergebnisses von Interesse.

Der Kläger kann aber trotz Bejahung eines Regelfalles keine kürzerfristige als die ihm gewährte vierjährige, erst recht keine sofortige Befristung der Wirkungen der Ausweisung verlangen.

Der Beklagte hat bei der Ausübung seines Fristbestimmungsermessens die dieses steuernden Richtlinien der Befristungstabelle zu Grunde gelegt. Diese Ermessensrichtlinien differenzieren hinsichtlich der Fristbemessung nach dem Gewicht des Ausweisungsgrundes, der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe sowie der ausländerrechtlichen Position der ausgewiesenen Personen, die mit einem Deutschen, Asylberechtigten oder Kontingentflüchtling in ehelicher oder familiärer Lebensgemeinschaft leben (§§ 18 Abs. 1 Nr. 2, 20 Abs. 1, 23 Abs. 1 AuslG), sonstigen Anspruchsberechtigten (§§ 16 Abs. 1, 18 Abs. 1 Nrn. 1, 3 und 4, 20 Abs. 2, 21 Abs. 2, 23 Abs. 3 i.V.m. §§ 21 Abs. 2 und 16 Abs. 1 AuslG) sowie Ausländern ohne Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung und berücksichtigen damit alle für die Ermessensausübung im Einzelfall normalerweise in Betracht kommenden entscheidungserheblichen Gesichtspunkte, namentlich die verfassungsrechtliche Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG. Letzeres folgt insbesondere aus der Erwähnung des § 23 Abs. 1 AuslG, mit der die eheliche bzw. familiäre Lebensgemeinschaft zwischen Ausländern und hier lebenden deutschen Staatsangehörigen als "Anspruchsfälle" eigens bedacht wird.

Die Berücksichtigung der oben genannten Befristungstabelle ergibt auch, dass das Verwaltungsgericht diese missverstanden hat, wenn es angenommen haben sollte, die Höchstdauer der Befristung betrage deshalb zwei Jahre, weil hier die Ist-Ausweisung gemäß § 47 Abs. 3 AuslG zur Regelausweisung herabgestuft ist. Das stimmt weder mit dem eindeutigen Wortlaut der Tabelle noch mit der Befristungspraxis des Beklagten überein, die beide auf die Qualität des Ausweisungsgrundes abstellen. Dass und warum dagegen rechtliche Bedenken bestehen sollten, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.

Der Beklagte durfte im Rahmen seines Ermessens davon ausgehen, dass die mit der Ausweisung des Klägers verfolgten spezial- und generalpräventiven Zwecke mit einer kürzeren als der verfügten vierjährigen Befristung entsprechend der Befristungstabelle nicht mit hinreichender Zuverlässigkeit zu erreichen sein werden. Die Fristbemessung ist daher nicht unverhältnismäßig. Der Kläger hat ein schwer wiegendes Drogendelikt begangen, indem er eine große Menge des besonders gefährlichen Rauschgiftes Kokain in das Bundesgebiet einführte und damit Handel trieb; er ist deshalb zu einer sehr hohen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er hat hochrangige Rechtsgüter, nämlich Leben und Gesundheit einer großen Zahl vor allem jüngerer Menschen gefährdet. Solches Verhalten erfordert neben der strafrechtlichen Sanktion auch deutliche ausländerrechtliche Reaktionen. Bliebe das Verhalten des Klägers ohne augenfällige ausländerrechtliche Folgen, was dann der Fall wäre, wenn er nicht oder nur für kurze Zeit ausreisen müsste, würde dies bei anderen Ausländern die Erwartung erwecken, sie könnten ohne ihren Aufenthalt in Deutschland zu gefährden, Rauchgifte in größeren Mengen einführen und damit Handel treiben (sog. generalpräventives Interesse). Das öffentliche Interesse, andere Ausländer von der Begehung gleichartiger Delikte abzuschrecken, ist bei Drogenkriminalität, die regelmäßig schwer zu bekämpfen und aufzuklären ist, aber von besonderer Bedeutung.

Ebenso konnte der Beklagte ermessensfehlerfrei annehmen, dass spezialpräventive Aspekte es rechtfertigen, den Kläger für mindestens vier Jahre vom Bundesgebiet fernzuhalten. Es besteht durchaus Wiederholungsgefahr, an die wegen der Hochrangigkeit der gefährdeten Rechtsgüter keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen. Dies gilt umso mehr, als der Kläger bereits als Jugendlicher häufiger, wenn auch nicht mit schweren Straftaten in Erscheinung getreten ist und insbesondere durch seine Gegenwehr gegen seine Abschiebung zu erkennen gegeben hat, dass von ihm auch zukünftig ein rechtstreues Verhalten mit der erforderlichen Sicherheit nicht erwartet werden kann. Hinzu kommt, dass der Kläger über keine Berufsausbildung verfügt, sondern sich bis zu seiner Verhaftung mit Aushilfsjobs in Restaurants und Imbissbuden unterhielt. Dass er in der Haft den Realschulabschluss erreicht hat, belegt zwar eine gewisse Intelligenz, vermag aber eine abgeschlossene Berufsausbildung als tragfähige Existenzgrundlage für sich und seine Familie nicht zu ersetzen. Der Kläger ist deshalb derzeit nicht in der Lage, zum wirtschaftlichen Unterhalt seiner Familie einen Beitrag zu leisten, sondern bezieht für sich ausweislich der eingereichten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Sozialhilfe, während seine Frau im Wesentlichen durch ihr relativ geringes Einkommen den Unterhalt der übrigen Familie bestreitet. Dass bei dieser Sachlage der Kläger erneut in Versuchung geraten könnte, seine früheren Kontakte zur Drogenszene zu aktivieren, kann bei den im Drogenhandel zu erzielenden hohen Gewinnen nicht als fern liegend betrachtet werden. Am Bestehen der Wiederholungsgefahr ändert auch nichts, dass er die Strafhaft nicht vollständig verbüßen musste, sondern der Strafrest mit Beschluss des Landgerichts Berlin vom 9. Juni 1998 auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt worden und der Kläger nicht erneut straffällig geworden ist. Auch der positive Bericht des Bewährungshelfers ändert an der weiterhin bestehenden Notwendigkeit einer general- und spezialpräventiven Reaktion auf die schwere Straftat des Klägers nichts. Soweit der Bewährungshelfer ausländerrechtliche Probleme bei der Beschaffung eines Arbeitsplatzes konstatiert, sind diese nicht ohne weiteres nachvollziehbar, müsste der Kläger doch wegen seines langjährigen Aufenthaltes - entsprechende Bemühungen, die hier nicht substanziiert worden sind, vorausgesetzt - zumindest begründete Aussichten haben (vgl. z.B. §§ 3, 5 Nr. 2 Arbeitsgenehmigungsverordnung), eine Arbeitserlaubnis trotz der Ausweisung zu erhalten.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann die Befristung nicht deshalb als ermessensfehlerhaft erkannt werden, weil die familiären Belange des Klägers, seines deutschen Kleinkindes und seiner deutschen Ehefrau nicht ausreichend berücksichtigt worden sein sollen. Das ist nämlich geschehen. Der verfassungsrechtliche Schutz, den diese Beziehungen genießen, ist bereits angemessen bei der Bejahung eines Regelfalles gewichtet worden, der anderenfalls hätte verneint werden müssen; er kann nicht erneut für eine Verkürzung der Befristungsdauer unter die in der Befristungstabelle vorgesehene im behördlichen Ermessen stehende Mindestfrist eines vierjährigen Auslandsaufenthaltes herangezogen werden. Eine andere Beurteilung käme allenfalls dann in Betracht, wenn die deutschen Familienmitglieder in besonderem, die normalen Betreuungsleistungen eines Vaters und Ehegatten bei weitem übersteigenden Maße auf die persönliche Anwesenheit und Fürsorge des Klägers in Deutschland angewiesen wären. Dafür ist weder Substanzielles vorgetragen noch sonst etwas ersichtlich. Insbesondere genügt für die Annahme eines solchen atypischen Ausnahmefalles nicht das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, der Kläger betreue während der berufsbedingten Abwesenheit seiner Ehefrau die Kinder und sei deren wesentliche Bezugsperson.

Schließlich liegt die Bezugnahme des Verwaltungsgerichts auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. August 1999 (- 2 BvR 1523.99 - NVwZ 2000, 59) neben der Sache. Das Bundesverfassungsgericht ist in der genannten Entscheidung ausweislich des Leitsatzes Nr. 2 davon ausgegangen, dass die für den Staat aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG erwachsende Schutzpflicht regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurückdrängt, wenn die Lebensgemeinschaft zwischen einem von Abschiebung bedrohten Ausländer und seinem von ihm als Vater anerkannten Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden kann, weil dem Kind die Ausreise wegen dessen Beziehung zu seiner Mutter nicht zugemutet werden kann. Hier geht es aber nicht um einwanderungspolitische Belange, sondern um grundlegende Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung des Staates und der Gesellschaft, die gefährdet würden, wenn die schwere Straftat des Klägers ohne auch in ihrer Dauer ausreichende ausländerrechtliche Sanktionen bliebe.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Gründe vorliegt.

Ende der Entscheidung

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