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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 13.05.2002
Aktenzeichen: OVG 8 S 16.02
Rechtsgebiete: VwGO, AuslG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5 Satz 1, Altern. 1
VwGO § 80 Abs. 5 Satz 3
VwGO § 124 a Abs. 3 Satz 4 a.F.
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 3 n.F.
VwGO § 148
AuslG § 3 Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 8 S 16.02

Berlin, den 13. Mai 2002

In der Verwaltungsstreitsache

Tenor:

wird die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. Januar 2002 zurückgewiesen.

Gründe:

Gegen Beschlüsse in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, die nach dem 31. Dezember 2001 ergangen sind, ist nicht mehr der für die Antragstellerin gestellte Antrag auf Zulassung der Beschwerde, sondern allein dieses Rechtsmittel selbst statthaft (§§ 146 Abs. 4, 194 Abs. 1 und 2 VwGO i.d.F. des Art. 1 Nrn. 19 lit. a, 28 des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20. Dezember 2001 - BGBl. I S. 3987 - [RmBereinVpG]), das ebenso wie der Zulassungsantrag bei dem Verwaltungsgericht einzulegen ist (§ 146 Abs. 5 Satz 1 VwGO a.F. § 147 Abs. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die Antragstellerin in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses zutreffend darüber informiert, dass die Beschwerde das statthafte Rechtsmittel sei.

Der Senat deutet im Einvernehmen mit den Beteiligten den ausdrücklich gestellten unstatthaften Antrag auf Zulassung der Beschwerde um in die allein zulässige Beschwerde. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. Beschlüsse vom 25. März 1998 - 4 B 30.98 - NVwZ 1998, 1297, 13. Januar 1999 - 8 B 266.98 - NVwZ 1999, 641 [642] jeweils m.w.N.), der sich der Senat in ständiger Rechtsprechung angeschlossen hat, eine von einem Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigtem abgegebene eindeutige Rechtsmittelerklärung einer gerichtlichen Umdeutung grundsätzlich unzugänglich. Eine Ausnahme kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn die Rechtsbehelfe unterschiedlichen Zwecken dienen (BVerwG, Beschluss vom 2. August 1995 - 9 B 303.95 - DVBl. 1996, 105: keine Umdeutung eines unzulässigen Antrages auf mündliche Verhandlung gegen einen Gerichtsbescheid in eine Berufung). So liegt der Fall indessen nicht.

Beide Rechtsbehelfe, sowohl der Zulassungsantrag als auch die allein statthafte Beschwerde, dienen demselben Zweck, nämlich der Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung durch das Oberverwaltungsgericht. Dass im Zulassungsverfahren nur das Vorliegen der dargelegten Zulassungsgründe zu prüfen war, während im Beschwerdeverfahren die dargelegten, für eine Änderung oder Aufhebung sprechenden Gründe zu prüfen sind (§ 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO n.F.), rechtfertigt namentlich in den Fällen keine andere Beurteilung, in denen zuvörderst der Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Beschlusses geltend gemacht wird, der die Darlegung ergebnisrelevanter Zweifel an den tragenden Gründen des angefochtenen Beschlusses erforderte.

Der ausdrücklich gestellte Zulassungsantrag erfüllt zudem die formellen, an eine Beschwerde zu stellenden Voraussetzungen.

Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist sind gewahrt.

Gegen den am 25. Januar 2002 zugestellten erstinstanzlichen Beschluss ist per Fax mit Schriftsatz vom 8. Februar 2002, der am selben Tag beim Verwaltungsgericht einging, ein mit einer Begründung versehener "Zulassungsantrag" gestellt worden. Die Begründung musste daher nicht beim Oberverwaltungsgericht eingereicht werden (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO n.F.). Der in eine Beschwerde umgedeutete Zulassungsantrag erfüllt hinsichtlich seiner Begründung auch die Voraussetzungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO n.F. Danach muss die Begründung einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen.

An das Erfordernis eines bestimmten Antrages dürfen, ebenso wenig wie bei der Berufungsbegründung, überhöhte Anforderungen gestellt werden. Nach der zutreffenden und ganz herrschenden Auslegung, die zu den dem § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO n.F. entsprechenden Vorschriften der §§ 124 a Abs. 3 Satz 4 a.F., 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO n.F. für das Berufungsverfahren in Rechtsprechung und Schrifttum vertreten wird, ist es nicht erforderlich, einen förmlichen Antrag zu stellen. Es genügt vielmehr, wenn aus einem fristgerecht eingereichten Schriftsatz das mit der Berufung verfolgte Ziel eindeutig zu entnehmen ist. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass die erstinstanzliche Entscheidung in vollem Umfang angefochten und die Anträge erster Instanz weiterverfolgt werden sollen, wenn sich aus der Begründung nicht ergibt, dass die angefochtene Entscheidung nur teilweise in Frage gestellt werden soll (Meyer-Ladewig in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Januar 2000, § 124 a Rn. 105; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. § 124 a Rn. 18; zur alten Fassung des § 124 Abs. 3 Satz 1 VwGO, vgl. Kopp, VwGO, 10. Aufl. § 124 Rn. 5, jeweils m.N. aus der Rspr.). An die Zulässigkeit der Beschwerde insoweit strengere Anforderungen als bei der Berufung zu stellen, wäre nicht gerechtfertigt. Dem Schriftsatz vom 8. Februar 2002 ist eindeutig zu entnehmen, dass beide erstinstanzlich gestellten Rechtsschutzanträge, nämlich Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 6. Juli 2001 und Rückgängigmachung des Vollzuges dieses Bescheides, weiterverfolgt werden sollen.

Die Begründung des Rechtsmittelschriftsatzes genügt auch den übrigen Anforderungen, die an eine Beschwerdebegründung nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO n.F. zu stellen sind. Sie setzt sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander, indem sie darlegt, dass die Abschiebungsandrohung, die das Verwaltungsgericht in Folge der Abschiebung für gegenstandslos gehalten hat, deshalb nicht rechtmäßig ergangen sei, weil der Antragstellerin, die durch Vorlage eines entsprechenden Tickets ohnehin die Bereitschaft zu freiwilliger Ausreise nachgewiesen habe, der Pass entzogen und damit die Möglichkeit zu freiwilliger Ausreise treuwidrig genommen worden sei. Die Vollziehung der rechtswidrigen Abschiebungandrohung sei rückgängig zu machen, indem ihr die erneute Einreise zu freiwilliger Ausreise zu ermöglichen sei.

Die Umdeutung würde auch nicht zu einer unzulässigen Umgehung verfahrensrechtlicher Bestimmungen führen. Das gilt namentlich für § 148 VwGO. Weder im früheren Verfahren auf Zulassung der Beschwerde noch bei der Beschwerde neuen Rechts hatte das Verwaltungsgericht die Möglichkeit einer Abhilfe (§ 146 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 VwGO a.F. und § 146 Abs. 4 Satz 5 Halbs. 2 VwGO n.F.).

Schließlich trägt die Zulassung der Umdeutung dem Umstand Rechnung, dass das RmBereinVpG erst drei Tage vor seinem In-Kraft-Treten, nämlich am 28. Dezember 2001 im Gesetzblatt veröffentlicht worden ist, wobei im Gesetzgebungsverfahren bis zuletzt Unklarheit darüber herrschte, ob das Beschwerdezulassungsverfahren beibehalten werden würde.

Die Beschwerde ist aber mangels Rechtsschutzbedürfnisses für die Rechtsschutzanträge unbegründet.

Nach der erfolgten Abschiebung ist das Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich des in erster Linie gestellten Antrages gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, Altern. 1 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung anzuordnen, entfallen; diese Anordnung brächte der Antragstellerin im Erfolgsfall keinen Vorteil.

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung kommt nicht in Betracht, weil die sofortige Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung nach ständiger Senatsrechtsprechung durch die Abschiebung "verbraucht" und damit gegenstandslos geworden ist und keine die Antragstellerin belastenden Rechtswirkungen mehr entfaltet: Ist nämlich die angedrohte Abschiebung nicht mehr nötig und möglich, weil die Ausreisepflicht erfüllt ist, hat auch die vollziehbare Androhung ihre Bedeutung verloren.

Dem weiteren auf die gerichtliche Anordnung der Aufhebung der Vollziehung (§ 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO) gerichteten Rechtsschutzbegehren fehlt nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 15. Januar 2001 - OVG 8 SN 178.99 -) ebenfalls das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, weil die begehrte Anordnung im Erfolgsfall ebenso wenig einen Vorteil brächte, namentlich nicht die tatsächliche Situation mit der ursprünglichen Rechtslage des Status quo ante, also vor der Abschiebung, in Übereinstimmung bringen könnte (vgl. zu diesem Ziel der Vollzugsfolgenbeseitigung Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Bd. I Stand Januar 2000, § 80 Rdnrn. 229, 231). Allein durch Aufhebung der Vollziehungsmaßnahmen ließe sich die Herstellung des früheren faktischen Zustandes nicht erreichen. Die Abschiebung hat mit ihrer Durchführung ihre Erledigung gefunden. Um der Antragstellerin zur Wiederherstellung des früheren Zustands die Wiedereinreise zu ermöglichen, bedürfte es zusätzlicher ausländerbehördlicher Maßnahmen, - hier z.B. einer auf Antrag auszusprechenden Befristung der Wirkungen des mit einer Abschiebung u.a. verbundenen Einreiseverbots (§ 8 Abs. 2 AuslG) - die außerhalb der Reichweite bloßer Vollziehungsaufhebung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO liegen. Diese könnten hier nur in einem gesonderten Verfahren geltend gemacht werden, weil die Antragstellerin infolge der Durchführung ihrer Abschiebung den gleichen ausländerrechtlichen Status hat wie jeder andere abgeschobene Ausländer, der vom Ausland her seine Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland zum Aufenthalt zu Erwerbszwecken (hier, worauf das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, der Prostitution) erstrebt (OVG Berlin, Beschluss vom 1. Dezember 1998 - OVG 2 SN 24.98). Jedenfalls den dafür gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 AuslG benötigten Sichtvermerk könnte der Antragsgegner - auch zur Vollzugsfolgenbeseitigung - mangels Zuständigkeit ohnehin nicht erteilen (§ 63 Abs. 3 AuslG).

Die Verneinung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses für eine Anordnung, die Vollziehung aufzuheben, steht in Einklang mit der Rechtsprechung des beschließenden Senats zur Vollziehungsaussetzung in Abschiebungsfällen. Die begehrte Anordnung der Aufhebung der Vollziehung (§ 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO) ist nämlich nicht isoliert gleichsam an Stelle eines Vollziehungsaussetzungsantrags (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO) zulässig, sondern setzt einen Ausspruch über die Aussetzung der Vollziehung voraus, weil andernfalls die rechtliche Grundlage für die Vollziehung und für die Folgen fortbestünde und so deren Rückgängigmachung hinderte (Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. 2000, § 80 Rn. 180; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, Rn. 885). Dieser Aussetzungsausspruch ist aber, wie bereits ausgeführt, unzulässig, wenn die Abschiebung bereits stattgefunden hat und damit die Ausreisepflicht wegen Erfüllung erloschen ist.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragstellerin auferlegt (§ 154 Abs. 2 VwGO). Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 4.000,- € festgesetzt (§ 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1, § 14 Abs. 1 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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