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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 26.04.2005
Aktenzeichen: OVG 8 S 55.04
Rechtsgebiete: VwGO, SchulG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 114 Satz 1
SchulG § 62
SchulG § 63 Abs. 1
SchulG § 63 Abs. 1 Satz 1
SchulG § 63 Abs. 2
SchulG § 63 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
SchulG § 63 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
SchulG § 63 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
SchulG § 63 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
SchulG § 63 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5
SchulG § 63 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz
SchulG § 63 Abs. 5 Satz 2 2. Halbsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 8 S 55.04

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin durch die Vizepräsidentin des Oberverwaltungsgerichts Xalter sowie die Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schrauder und Weber am 26. April 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. April 2004 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2 000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der 19-jährige Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen den Bescheid des Schulaufsichtsbeamten der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport (Senatsverwaltung) vom 29. März 2004, mit dem sein Ausschluss vom Besuch der gymnasialen Oberstufe am Oberstufenzentrum Recht (OSZ) sofort vollziehbar verfügt worden ist.

Als Schüler am OSZ nahm der Antragsteller an einer Skifahrt nach Obertauern (Österreich) teil. In der Nacht vom 18. zum 19. Februar 2004 fuhren der Antragsteller und andere Mitglieder seiner Skigruppe im Einverständnis mit dem Fahrtenleiter, dem Lehrer S., in den Ort, um Diskotheken zu besuchen. Gegen 1.30 Uhr begaben sich der Antragsteller und die Schüler C. und J. in alkoholisiertem Zustand auf die Straße, wo sie auf einen Einheimischen trafen. C. gab an, den ihm Unbekannten, der eine Pizza verzehrte, begrüßt und nach deren Belag gefragt zu haben. Nach der Aussage von J. lautete die Frage: "Hey, Alter, was hast Du denn auf Deiner Pizza?". Der Fremde soll anschließend C. sofort angegriffen und an dessen verletzter, bandagierter Schulter gerissen haben. Der Antragsteller und J. kamen daraufhin dem C. zu Hilfe und warfen den Fremden zu Boden. Als dieser erneut aufstand, um C. anzugreifen, schlugen sie ihn nieder. Der Antragsteller und C. traten den am Boden liegenden Fremden mit ihren schweren Schuhen. Dieser erlitt, wie der Fahrtenleiter am nächsten Tag von der Polizei erfuhr, einen Jochbeinbruch, Rippenbrüche und eine schwere Gehirnerschütterung; er war fünf Minuten bewusstlos. Der Antragsteller sowie C. und J., der sich an den Tritten nicht beteiligt hatte, entfernten sich vom Tatort, kehrten aber alsbald zurück, angeblich um sich zu vergewissern, ob dem Verletzten geholfen würde. Da dies der Fall war, entfernten sie sich erneut. Andere Schüler, die den Vorfall beobachtet und zufällig teilweise Videoaufnahmen davon angefertigt hatten, sorgten für den Verletzten und riefen den Notarzt sowie die Polizei herbei. Der Fahrtenleiter befragte am nächsten Morgen alle an der Skireise teilnehmenden Schüler nach einer in Betracht kommenden Beteiligung. Alle leugneten jedes Wissen um die Täterschaft. Der Antragsteller und seine beiden Begleiter gaben bei ihrer polizeilichen Vernehmung nach und nach ihre Täterschaft zu. Nachdem die Polizei die Videoaufnahme des Tatgeschehens, in der ein Lehrer den Antragsteller erkannte, beschlagnahmt und ausgewertet hatte, räumte auch der Antragsteller ein, den am Boden liegenden Verletzten getreten zu haben.

Der Antragsteller sowie C. wurden am 2. März 2004 vom Oberstufenausschuss des OSZ angehört. Dort räumten beide das Geschehen in der Nacht vom 18./19. Februar 2004 im Wesentlichen ein. Die Abteilungskonferenz des OSZ schlug daraufhin nach Beratung der Schulaufsicht vor, gegen den Antragsteller und den Mitschüler C. ein Entlassungsverfahren einzuleiten sowie dem Mitschüler J. die Streichung aus der Schülerliste anzudrohen. Ferner wurde diesem gegenüber im Wege eines schriftlichen Verweises eine Missbilligung wegen Anwendung unangemessener Gewalt ausgesprochen.

Die Senatsverwaltung verfügte nach erneuter persönlicher Anhörung des Antragstellers dessen sofortige Entlassung aus der Schule. Es handele sich bei dem Vorfall vom 18./19. Februar 2004 um ein schweres strafbares Fehlverhalten, das durch nichts zu entschuldigen sei. Schwer wögen die Tatsachen, dass der Antragsteller zum Tatzeitpunkt stark alkoholisiert gewesen sei und sich der Verantwortung durch schnelles Entfernen vom Tatort entzogen habe.

Der Antragsgegner ordnete mit Verfügung vom 7. April 2004 die sofortige Vollziehung der Entlassung des Antragstellers im überwiegenden öffentlichen Interesse an einem geordneten Unterrichts- und Erziehungsbetrieb an. Das Interesse des Antragstellers an der Fortsetzung und dem Abschluss des Bildungsganges müsse angesichts der Schwere seiner Verfehlung hinter dem öffentlichen Interesse zurücktreten.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage (VG 3 A 418.04) wiederherzustellen, mit Beschlusses vom 20. April 2004 entsprochen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Entscheidung sei entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Bei summarischer Prüfung bestünden aber erhebliche Bedenken an der materiellen Rechtmäßigkeit der Ordnungsmaßnahme. Nur in atypischen Ausnahmefällen könne auf deren vorherige schriftliche Androhung verzichtet werden. Ein solcher Ausnahmefall sei hier nicht gegeben. Den gewalttätigen Übergriff habe der Antragsteller in alkoholisiertem Zustand außerhalb des normalen Schulbetriebes begangen. Obwohl er das in ihn gesetzte Vertrauen und die ihm vermittelten Erziehungsinhalte grob missachtet habe, ergäben sich aus der bisherigen Entwicklung des Antragstellers, gegen den noch keine Ordnungsmaßnahme verhängt worden sei, keine Anhaltspunkte dafür, dass er durch pädagogisch motivierte Ordnungsmaßnahmen unterhalb der Schwelle der Entlassung nicht mehr angesprochen werden könne, um auf díese Weise eine Verhaltensänderung zu bewirken. Der Vorfall lasse nicht in einer den Ausnahmecharakter der sofortigen Schulentlassung begründenden Weise Rückschlüsse auf die tägliche Unterrichts- und Erziehungsarbeit zu.

Der Antragsgegner hat gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Das Beschwerdevorbringen, das Inhalt und Umfang der Prüfung des angefochtenen Beschlusses durch das Rechtsmittelgericht bestimmt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Änderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage zu Recht wiederhergestellt.

Einem Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zu entsprechen, wenn sich der mit Widerspruch bzw. Klage angefochtene Verwaltungsakt schon bei summarischer Prüfung im Eilverfahren als offensichtlich rechtswidrig erweist, da an der Vollziehung rechtswidriger Verwaltungsakte kein öffentliches Interesse besteht. Darüber hinaus ist einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auch dann zu entsprechen, wenn sich bei der im Aussetzungsverfahren allein möglichen überschlägigen Prüfung weder eine offensichtliche Rechtswidrigkeit noch eine offensichtliche Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes feststellen lässt, die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels in der Hauptsache also offen erscheinen und bei Abwägung der sich gegenüberstehenden privaten und öffentlichen Interessen das Aussetzungsinteresse des Antragstellers Vorrang beanspruchen kann. So liegt der Fall hier.

Rechtsgrundlage für die vom Antragsgegner ausgesprochene Ordnungsmaßnahme ist § 63 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 des Schulgesetzes für das Land Berlin (Schulgesetz - SchulG - vom 26. Januar 2004, GVBl. S. 26). Nach dieser Vorschrift können Ordnungsmaßnahmen, zu denen die Entlassung aus der Schule gehört (§ 63 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SchulG), wenn die Schulpflicht erfüllt ist, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit getroffen werden, wenn die Schülerin oder der Schüler die ordnungsgemäße Unterrichts- und Erziehungsarbeit beeinträchtigt oder andere am Schulleben Beteiligte gefährdet, und soweit Erziehungsmaßnahmen nach § 62 SchulG nicht zu einer Konfliktlösung geführt haben oder keine Aussicht auf Erfolg versprechen. Ordnungsmaßnahmen nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und 5 SchulG dürfen nur bei schwerem oder wiederholtem Fehlverhalten einer Schülerin oder eines Schülers getroffen werden; sie sind in der Regel vorher schriftlich anzudrohen.

Der Senat teilt die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht schon auf Grund der vom Antragsteller erstinstanzlich geltend gemachten verfahrensrechtlichen Bedenken wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen die Maßgabe des § 63 Abs. 5 Satz 2, 2. Halbsatz SchulG (Anhörung der Schulkonferenz vor Erlass einer Ordnungsmaßnahme) gerechtfertigt ist, weil eine Schulkonferenz am OSZ nicht existierte, ihre Aufgaben daher von der Gesamtkonferenz, wie hier geschehen, wahrzunehmen waren. Auf die zutreffenden Gründe des erstinstanzlichen Beschlusses kann insoweit Bezug genommen werden (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Bei summarischer Prüfung erscheint es aber zweifelhaft, ob die angefochtene Schulentlassung den Anforderungen des § 63 Abs. 1 und 2 SchulG entspricht.

Materiellrechtlich steht die Verhängung von Ordnungsmaßnahmen im schulbehördlichen (Entschließungs)Ermessen; sie "können ... unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit getroffen werden". Die in Betracht kommenden Ordnungsmaßnahmen sind nach Eingriffsintensität abgestuft in § 63 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 SchulG abschließend aufgezählt. Ihre Auswahl steht im schulbehördlichen (Auswahl)Ermessen. Die am stärksten belastenden Ordnungsmaßnahmen, nämlich die Überweisung in eine andere Schule desselben Bildungsganges (Nr. 4) und die Entlassung aus der Schule, wenn die Schulpflicht erfüllt ist (Nr. 5), dürfen nur bei schwerem oder wiederholtem Fehlverhalten einer Schülerin oder eines Schülers getroffen werden und sind in der Regel vorher schriftlich anzudrohen, wobei die Androhung bereits mit einem schriftlichen Verweis verbunden werden kann.

Als Ermessensentscheidung kann eine Ordnungsmaßnahme gemäß § 114 Satz 1 VwGO gerichtlich nur daraufhin überprüft werden, ob der Antragsgegner vom richtigen Sachverhalt ausgegangen, der Gleichheitssatz gewahrt, von dem eingeräumten Ermessen seinem Zweck entsprechend Gebrauch gemacht und insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet worden ist.

Der Antragsgegner ist von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen und hat zu Recht ein schweres Fehlverhalten bejaht. Es handelt sich bei der Misshandlung der bereits am Boden liegenden wehrlosen Person durch Tritte gegen Kopf und Brust nicht nur um einen lediglich geringfügigen oder leicht fahrlässigen Verstoß gegen den Schutz der körperlichen Integrität anderer (vgl. Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 2000, Rn. 469), sondern um eine grobe Gewalttätigkeit, der der erforderliche Bezug zum Schulverhältnis nicht fehlt (OVG NW, Beschl. v. 21. Juli 1998 - 19 E 391.98 - NVwZ-RR 1999, 29 [30]) und die hinreichenden Anlass für eine schulordnungsrechtliche Sanktionierung bietet. Die Tat ereignete sich während einer schulischen Skireise. Dem Antragsteller war, wie auch anderen volljährigen Schülern, vom Fahrtenleiter der nächtliche Ausgang im Vertrauen darauf gestattet worden, er werde die ihm gewährte Freiheit nicht zum Begehen einer Gewalttat missbrauchen. Dieses in ihn gesetzte Vertrauen hat der Antragsteller schwer wiegend enttäuscht. Andere Schüler haben die Gewalttat, an der sich der Antragsteller beteiligt hatte, beobachtet; auch hat sich der Vorfall, wie der Antragsgegner glaubhaft vorgetragen hat, unter den an der Skifahrt nicht beteiligten Schülern und Schülerinnen herumgesprochen. Es könnte ohne eine deutliche Sanktionierung der Eindruck entstehen, dass gewalttätiges Fehlverhalten während solcher Fahrten ohne entsprechende disziplinarische Reaktion hingenommen wird. Der Antragsteller hat sich ebenso wenig wie seine beiden Mittäter freiwillig seiner Verantwortung für das grobe Fehlverhalten gestellt, und es erscheint, worauf der Antragsgegner ebenfalls zutreffend hinweist, zweifelhaft, ob der Antragsteller sein Fehlverhalten eingesehen und bereut hat.

Das Einschreiten gegen den Antragsteller leidet auch nicht an dem von ihm gerügten Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Dass der Antragsgegner gegen den an der Misshandlung des Einheimischen ebenfalls beteiligten Mitschüler J. eine mildere Ordnungsmaßnahme (schriftlicher Verweis mit Androhung der Schulentlassung) erlassen hat, ist willkürfrei damit begründet, dass dieser Schüler den am Boden Liegenden nicht ebenfalls getreten und sich vorher durch ein besonderes soziales Engagement in der Schule ausgezeichnet hat.

Gleichwohl bestehen Bedenken dagegen, dass der gegen den Antragsteller verhängte Schulausschluss ohne vorherige Androhung zulässig und auch sonst verhältnismäßig ist.

Nach § 63 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz SchulG ist die Entlassung aus der Schule in der Regel vorher schriftlich anzudrohen. Die Worte "in der Regel" beziehen sich auf Regelfälle, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleich liegender Fälle unterscheiden, während Ausnahmefälle durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet sind, der so bedeutsam ist, dass er eine Abweichung von der Regel rechtfertigt. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin (Beschluss vom 30. Mai 1997 - OVG 7 S 33.97 - zu § 55 Abs. 2 und 3 SchulG a.F.) liegt ein atypischer Fall dann vor, wenn die Pflichtwidrigkeit nach ihrer Art und Schwere sowie den Gesamtumständen ihrer Begehung die gleiche Ahndung verlangt wie (sonst nur) längerfristiges oder wiederholtes Fehlverhalten und gleichzeitig das pädagogische Bedürfnis, den Schüler durch eine empfindliche Ordnungsmaßnahme zu beeindrucken, ebenso unabweisbar macht wie ein angesichts einer Androhung dieser Ordnungsmaßnahme fortgesetztes oder wiederholtes Fehlverhalten. Ein solches pädagogisches Bedürfnis mag auch von dem Ziel, andere Schüler von vergleichbarem Tun abzuhalten (Generalprävention) maßgebend und sogar soweit mitbestimmt sein, dass der Aspekt der erzieherischen Einwirkung auf den zu disziplinierenden Schüler (Spezialprävention) zurücktreten kann (vgl. auch Niehues, a.a.O., Rn. 457). Dabei ist insbesondere an Fälle schwerer Eingriffe in Rechtsgüter Einzelner oder der Allgemeinheit zu denken, bei denen der Betreffende wissen muss, dass die Aufrechterhaltung der Schulordnung seine Entfernung von der Schule unabweislich macht und damit vermuten lässt, dass ausdrückliche Androhungen ihn nicht beeindrucken.

Letzteres erscheint hier zweifelhaft: Der Antragsteller war bei der Tatbegehung nicht unerheblich alkoholisiert, und es kann angesichts seines jugendlichen Alters nicht ohne weiteres angenommen werden, dass er bereits mit den enthemmenden Folgen solchen Alkoholgenusses hinreichend vertraut war. Ihm ist auch nicht zu widerlegen, dass der Einheimische seinen Mitschüler grob an dessen verletzter Schulter angegriffen hat und dadurch die Überreaktion in Gestalt der Tritte mit veranlasst hat. Hinzu kommt, dass sich das Tatgeschehen außerhalb des regulären Schulbetriebes, auch außerhalb der schulbezogenen Veranstaltung selbst in der Freizeit und außerhalb des sonst gewohnten täglichen Ordnungsrahmens abgespielt hat. Schließlich bietet, darauf hat schon das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen, die bisherige schulische Entwicklung des Antragstellers, gegen den noch keine Ordnungsmaßnahme verhängt worden ist, keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass er - etwa wegen gesteigerter Gewaltbereitschaft - durch die Androhung der Entlassung nicht mehr angesprochen werden kann, um auf diese Weise eine Verhaltensänderung zu bewirken.

Weitere Bedenken können sich aus Folgendem ergeben: Die sofortige zwangsweise Beendigung des Schulverhältnisses kommt nur in Betracht, wenn der Schüler den Schulbetrieb schwer und unerträglich stört, so dass die Schule ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag auch gegenüber anderen Schülern nicht oder nur unzureichend erfüllen kann (Niehues, a.a.O., Rn. 467 m.w.N.). Als Fälle, die diese Voraussetzungen erfüllen, sind in der Rechtsprechung bisher körperliche Angriffe gegen Lehrkräfte anerkannt (VG Mainz, Beschluss vom 6. April 1998 - 7 L 613.98.MZ - NVwZ 1998, 876 [877]; VGH BW, Beschluss vom 22. Oktober 2003 - 9 S 2277.03 - NJW 2004, 89 [90]), weil dadurch deren erforderliche Autorität in unerträglicher Weise untergraben und damit der Erziehungsauftrag der Schule in Frage gestellt wird. Auch wiederholte und trotz Androhung der Entlassung fortgesetzte grobe Gewalttätigkeit gegenüber Mitschülern (VGH BW, Beschluss vom 23. Januar 2004 - 9 S 95.04 - NJW 2004, 1058; vgl. auch OVG NW, Beschluss vom 21. Juli 1998 - 19 E 391.98 - NVwZ-RR 1999, 29 [30]), der Versuch der Vergewaltigung einer Schülerin und insbesondere der Drogenhandel in der Schule oder in deren Umfeld rechtfertigen (OVG Rpf, Beschluss vom 7. Februar 1996 - 2 B 10106.96 - NJW 1996, 1690; Theuersbacher, NVwZ 1999, 838 [841 f.]) ggf. auch ohne vorherige Androhung die Entlassung aus der Schule. Ob das vorliegende ebenfalls durch grobe Gewaltanwendung geprägte Fehlverhalten gegenüber einem nicht zur Schule gehörenden Dritten diesen Fällen gleich geachtet werden kann, erscheint zweifelhaft und bedarf näherer Prüfung im Hauptsacheverfahren.

Sind nach allem die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren offen, hat das Gericht das öffentliche Sofortvollzugsinteresse und das individuelle Suspensivinteresse gegeneinander abzuwägen. Überwiegt das Suspensivinteresse oder ist es gleichrangig, ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen (Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, Rn. 864 ff. m.w.N.). Danach ist hier die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Wenn die Ordnungsmaßnahme der Schulentlassung sofort vollziehbar bliebe, würde dies zu einer voraussichtlich mehrere Jahre dauernden Unterbrechung des Bildungsabschlusses des Antragstellers führen, die einen erfolgreichen Ausbildungsabschluss voraussichtlich insgesamt in Frage stellen würde. Seine weitere schulische Ausbildung und der Eintritt in eine Berufsausbildung würden aller Voraussicht nach dadurch erheblich beeinträchtigt werden. Das Interesse an einem zügigen Abschluss der schulischen Ausbildung und einem alsbaldigen Beginn einer Berufsausbildung ist wegen des verfassungsrechtlichen Schutzes gemäß Art. 12 Abs. 1 GG von hohem Gewicht. Wenn der Antragsteller seine schulische Ausbildung, deren Abschluss demnächst zu erwarten ist, beenden kann, so ist damit andererseits - auch wegen seines voraussichtlich baldigen Ausscheidens - keine besonders schwer wiegende und offensichtliche Beeinträchtigung öffentlicher Interessen, namentlich des Ausbildungs- und Erziehungsauftrages der Schule verbunden; das individuelle Interesse des Antragstellers am Abschluss seiner schulischen Ausbildung mit anschließendem Eintritt in eine Berufsausbildung ist daher als dem öffentlichen Vollzugsinteresse zumindest gleichrangig zu bewerten.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Wertes des Beschwerdegegenstandes beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 GKG a. F.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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