Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Brandenburg
Beschluss verkündet am 14.06.2004
Aktenzeichen: 3 B 136/04
Rechtsgebiete: VwGO, BbgStrG, StrVO 1974


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 3 Satz 1
VwGO § 80 Abs. 3
VwGO § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
BbgStrG § 48 Abs. 7 Satz 1
StrVO 1974 § 3
StrVO 1974 § 3 Abs. 1 Satz 1
StrVO 1974 § 3 Abs. 1 Satz 2
StrVO 1974 § 4 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT FÜR DAS LAND BRANDENBURG BESCHLUSS

3 B 136/04

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren

wegen Straßen- und Wegerechts;

hier: Beschwerde

hat der 3. Senat am 14. Juni 2004 durch

den Vizepräsidenten des ..., die Richterin am ... und den Richter am ...

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 29. März 2004 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.

Der Streitwert wird unter Abänderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung für beide Rechtszüge auf jeweils 650,- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist unbegründet. Die von den Antragstellern innerhalb der Monatsfrist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen nicht die Änderung des angefochtenen Beschlusses.

I. Der Antragsgegner hat seine straßenrechtliche Verfügung, den auf der öffentlichen Verkehrsfläche gesetzten Zaun zu beseitigen, für sofort vollziehbar erklärt. Entgegen der Auffassung der Beschwerde genügt die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.

Seine Anordnung der sofortigen Vollziehung hat der Antragsgegner zum Einen mit dem Hinweis auf "ein erhebliches öffentliches Interesse an der Sicherung des Gemeingebrauchs" begründet, den er offenbar dadurch gefährdet sieht, dass die Antragsteller ihren auf die Grundstücksgrenze gesetzten Zaun in den öffentlichen Verkehrsraum gesetzt hätten. Zum Anderen begründet der Antragsgegner das besondere öffentliche Interesse mit der "Gefahr, dass weitere Grundstückseigentümer, deren Grundstücke - zumindest teilweise - der öffentlichen Straße dienen, wie z.B. im ...weg und in der ...straße" das Beispiel der Antragsteller nachahmen würden.

1. Das Verwaltungsgericht sieht die formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO bereits dadurch gewahrt, dass der Antragsgegner auf das öffentliche Interesse an der Sicherung des Gemeingebrauchs hinweist. Diese Sicht begegnet Bedenken. Der Antragsgegner gibt damit nicht zu erkennen, worin er die Ausnahmesituation sieht, die ein Zuwarten bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens untunlich erscheinen lässt. Seine Begründung erschöpft sich insoweit in dem Hinweis auf die bereits eingetretene Störung der öffentlichen Sicherheit, deren Beseitigung bereits der Erlass der Verfügung als solcher dient. Es ist auch nicht ohne weiteres ersichtlich, dass sich der bereits eingetretene Schaden zu vertiefen droht oder andere Rechtsgüter - deren Schutz durchaus auch der Erlass der Verfügung als solcher dienen kann, wie etwa die körperliche Unversehrtheit der Passanten, die Leichtigkeit des Verkehrs oder die formelle Ordnungsfunktion eines Erlaubnisvorbehaltes - dadurch Schaden nehmen können, dass der Ausgang des Hauptsacheverfahrens abgewartet wird.

a. An dem Erfordernis einer im Regelfall über die Darlegung des Erlassinteresses hinaus reichenden, weitergehenden Begründung ist auch mit Blick auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss festzuhalten, mit denen sich das Verwaltungsgericht mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats auseinander setzt. Schon in seinem Beschluss vom 2. Oktober 2003 - 10 L 963/03 - (veröffentlicht in LKV 2004, 239 f.), dessen hier maßgebliche Erwägungen mit denen des angefochtenen Beschlusses nahezu wortgleich übereinstimmen, hatte das Verwaltungsgericht sich mit der Frage der richtigen Handhabung der Vorschrift des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO beschäftigt. Es meint, dabei einen in dieser Frage zwischen einzelnen Senaten des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg bestehenden Dissens herausgefunden zu haben. Nach durchaus herrschender Meinung, die sich auch in der Rechtsprechung des 4. Senats niederschlage, könne sich das besondere Vollziehungsinteresse je nach Fallgestaltung auch aus dem allgemeinen Erlassinteresse des Verwaltungsaktes selbst ergeben, etwa dann, wenn bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr die begründete Besorgnis bestehe, die mit dem Verwaltungsakt bekämpfte Gefahr werde sich ohne sofortige Vollziehung bereits vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren. Dies wirke sich auch auf die Begründungspflicht nach § 80 Abs. 3 VwGO aus, die demnach durchaus auch auf die den Bescheid selbst tragenden Gründe abstellen dürfe, sofern erkennbar hieraus seitens der Behörde die Schlussfolgerung des überwiegenden Sofortvollzuginteresses in Abwägung des privaten Aussetzungsinteresses des Adressaten gezogen werden könne. Zum Beleg hat das Verwaltungsgericht den Beschluss des 4. Senats des Obergerichts vom 5. Februar 1998 - 4 B 134/97 - zitiert, in dem der 4. Senat anlässlich eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Entziehung der Fahrerlaubnis wegen mangelnder Eignung in einem obiter dictum bemerkt hat, dass die Begründung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO "durchaus auch in einer Wiederholung der bzw. Bezugnahme auf die Bescheidbegründung selbst bestehen kann, sofern erkennbar hieraus seitens der Behörde die Schlussfolgerung des überwiegenden Sofortvollziehungsinteresses in Abwägung des privaten Aussetzungsinteresses des Adressaten gezogen worden ist." Mit diesem Beschluss befinde sich - so das Verwaltungsgericht - der 4. Senat in Übereinstimmung mit der fast einhelligen Meinung in der gesamten Judikatur. "Anderer Auffassung" (quasi einer dogmatischen Abspaltung anheim gefallen) sei - soweit ersichtlich - wohl lediglich der erkennende (3.) Senat des Oberverwaltungsgerichts. Dieser meine nämlich, der Vorschrift des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO werde "nur mit einer schlüssigen, substanziierten und auf den konkreten Einzelfall abstellenden Darlegung der wesentlichen Erwägungen genügt, warum aus Sicht der Behörde gerade in diesem Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeben ist und das Interesse des Betroffenen am Bestehen der aufschiebenden Wirkung ausnahmsweise dahinter zurückzutreten hat ...".

Dieser Satz ist Beschlüssen des erkennenden (3.) Senats in Aussetzungsverfahren entnommen, in denen jeweils durch die konkreten Umstände des Falles hervorgerufene Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Begründung der Vollziehungsanordnung zur Zulassung der Beschwerde bzw. zu deren Erfolg geführt hatten. Diesen Beschlüssen kann indessen keineswegs entnommen werden, dass nach Meinung des erkennenden Senats entgegen der zitierten Entscheidung des 4. Senats sich das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht "je nach Fallgestaltung auch aus dem allgemeinen Erlassinteresse des Verwaltungsaktes selbst ergeben" könne und dass dies sich dann nicht auch auf die Begründungspflicht nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO auswirke. Vielmehr sollte mit diesen Beschlüssen - angesichts der konkreten Umstände der jeweiligen Fälle ohne weiteres erkennbar - nur zum Ausdruck gebracht werden, dass jedenfalls eine unschlüssige, unsubstanziierte und nicht auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht entspricht. Dies mögen die nachstehend wiedergegebenen Einzelheiten der jenen Beschlüssen zugrunde liegenden Fälle veranschaulichen. Auf eine nicht am Wortlaut eines einzigen aus dem Zusammenhang herausgelösten Satzes klebende Deutung der Rechtsauffassung eines Gerichts werden übrigens auch Entscheidungen von Obergerichten Anspruch erheben dürfen.

(1) Gegenstand eines ersten einschlägigen Beschlusses des Senats vom 15. August 2002 - 3 B 333/01.Z - war die baurechtliche Untersagung der Nutzung einer Gartenlaube. Zur Begründung der Vollziehungsanordnung hatte die Behörde dargelegt, nur so könne der Gefahr begegnet werden, dass während der Ausschöpfung von Rechtsmitteln die Nutzung fortgesetzt werde "und damit vollendete Tatsachen geschaffen" würden. Dies sah der Senat als unschlüssig, nämlich als "eine irreführende Aussage" über das im Falle unterbleibender sofortiger Vollziehung der Gartenlaube winkende Los an. In diesem Falle bestehe "gerade keine Gefahr, dass infolge der aufschiebenden Wirkung ein Zustand geschaffen werde oder sich verfestige, der anschließend nicht mehr rückgängig gemacht werden kann". Vielmehr könne die Nutzung der Gartenlaube jederzeit wieder beendet werden. Eine schlüssige Begründung der Vollziehungsanordnung biete auch nicht die - ohnehin nur an einer anderen Stelle des Bescheides gebrauchte - Wendung, dass vorbehaltlich offensichtlicher Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens "für eine sofort vollziehbare Nutzungsuntersagung in der Regel die formelle Baurechtswidrigkeit" ausreiche, da sie nicht erkennen lasse, welche Gründe für diese Rechtsprechung maßgeblich seien.

(2) Gegenstand des vom Verwaltungsgericht selbst zitierten Beschlusses des Senats vom 3. Dezember 2002 - 3 B 105/02 - war eine Vollziehungsanordnung, die damit begründet worden war, dass "die Öffentlichkeit ein besonderes Interesse an der Durchsetzung von Verwaltungsakten und der Befolgung derselben" habe, das "vor allem auf dem Interesse an einer einheitlichen, konsequenten und bedingt diktatorischen (sie) Verwaltungspraxis" gründe und dass durch die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs der Zweck der Ordnungsverfügung u. U. auf längere Zeit vereitelt werde. Diese Auslassungen hat der Senat als bloße Formeln bezeichnet, die zudem zu einem Teil in einem Rechtsstaat völlig unannehmbar oder bestenfalls, als verbaler Missgriff verstanden, schlicht unsinnig seien.

(3) Dem Beschluss des Senats vom 9. Dezember 2002 - 3 B 326/01.Z - schließlich lag ein Fall zugrunde, in dem die Behörde eine straßenrechtliche Ordnungsverfügung mit der Begründung für sofort vollziehbar erklärt hatte, dass die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens "unter Aufrechterhaltung der starken Einschränkung des Allgemeingebrauchs" nicht abgewartet werden könne, während andererseits die der Antragstellerin aufgegebene Öffnung der in Rede stehenden Schranke "keinerlei Beeinträchtigungen nach sich zieht". Angesichts der konkreten Einzelheiten der örtlichen Situation vermochte der Senat durchaus nicht nachzuvollziehen, worin die starke Einschränkung des Gemeingebrauchs liegen könnte. Er hat ausgeführt, dass die ausgesprochen knappe Begründung der Vollziehungsanordnung wohl als ausreichend anzusehen wäre, wenn dem Adressaten Art und Maß der von der Behörde angenommenen starken Beeinträchtigung ohne weiteres ersichtlich sein müssten, was aber nach dem Akteninhalt nicht vorausgesetzt werden könne. Dies stütze den Eindruck, dass die Behörde sich des Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO nicht bewusst gewesen sei.

2. Ob der bloße Hinweis auf die Vorenthaltung des Gemeingebrauchs den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt, kann letztlich auf sich beruhen. Der Antragsgegner begründet die Anordnung der sofortigen Vollziehung nämlich auch mit der Gefahr, dass andere Eigentümer in benachbarten Straßen dem Beispiel der Antragsteller folgen und ihre Grundstücke ebenfalls insoweit einzäunen würden, als die Parzellen in den öffentlichen Verkehrsraum hineinragen würden. Jedenfalls diese Begründung wird dem formellen Erfordernis einer schlüssigen, substanziierten Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung gerecht (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Der Antragsgegner geht nämlich auf die Besonderheiten des vorliegenden Falles, namentlich die konkreten Grundstücksverhältnisse in der Umgebung des Anwesens der Antragsteller ein und leitet aus dieser besonderen Situation ab, dass sich die Gefahr der Nachahmung konkret abzeichne. Eine solche Nachahmungsgefahr rechtfertigt regelmäßig den Sofortvollzug einer Beseitigungsverfügung (Beschluss des Senats vom 26. Juni 2003 - 3 B 318/02 - LKV 2004, 232).

II. Ohne Erfolg bleiben auch die Angriffe der Antragsteller gegen den angefochtenen Beschluss, soweit sie auf die Rechtmäßigkeit der Beseitigungsverfügung abzielen.

1. Die Antragsteller beanstanden, dass sich das Verwaltungsgericht zur Klärung, ob und wie weit sich die öffentliche Verkehrsfläche kraft der Widmungsfiktion des § 48 Abs. 7 Satz 1 BbgStrG auch auf ihr Grundstück erstreckt, auf den von den Antragstellern im Rahmen eines Baugenehmigungsverfahrens eingereichten, erst im Jahre 1999 erstellten Lageplan gestützt hat. Es sei unerheblich, welche Flächen dieser Lageplan der Straße zuordne. Ebenso wenig könne der Lageplan eine Aussage über die Straßenbegrenzungslinien treffen. Dieser Einwand greift im Ergebnis nicht durch. Offen bleiben kann, ob die Darstellung des Gehweges auf dem für die Antragsteller von einem Öffentlich bestellten Vermessungsingenieur erstellten amtlichen Lageplan öffentlichen Glauben auch hinsichtlich der öffentlichen Eigenschaft des Gehweges genießt (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 Bauvorlagenverordnung - BauVorlV - vom 19. Dezember 1997, GVBl. II 1998 S. 18). Jedenfalls gibt der Lageplan den tatsächlichen Verlauf dieses Gehweges im Jahre 1999 wieder, was von den Antragstellern ebenso wenig bestritten wird wie die Behauptung des Antragsgegners, dass der Weg schon vor dem 3. Oktober 1990 wie auf dem Lageplan dargestellt verlaufen sei. Die Antragsteller räumen selbst ein, den Zaun erst gegen Ende des Jahres 2001 versetzt zu haben. War dieser Gehweg indes vor dem 3. Oktober 1990 in dieser Breite begehbar, ist davon auszugehen, dass es sich auch insoweit um eine öffentlich genutzte Straße i.S.d. § 48 Abs. 7 Satz 1 BbgStrG handelt.

Maßgeblich für die Einstufung als öffentliche Straße war nach DDR-Recht nämlich die Freigabe für die öffentliche Nutzung durch die zuständigen Stellen, also in der Regel der tatsächliche Anschluss an das bestehende öffentliche Straßennetz. Ausdrückliche Ratsbeschlüsse waren nach dem maßgeblichen damaligen Verständnis des § 4 Abs. 1 Satz 1 der Straßenverordnung vom 22. August 1974 (GBl. DDR I S. 515) - StrVO 1974 - erst erforderlich, wenn Zweifel an der öffentlichen Nutzung der Straße bestanden (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2002 - BVerwG 8 C 24.01 - Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 37; vgl. auch OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 8. Dezember 1999 - 2 M 54/99 - LKV 2000, 542 f.; Thüringisches OVG, Urteil vom 11. Dezember 2001 - 2 KO 730/00 - ThürVBl. 2002, 235/238; Jupe, Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht in Brandenburg, Kommentar, Stand August 2003, 17.00, 1.2.4; a.A. noch der ältere Beschluss des Senats vom 12. Dezember 1995 - 3 B 133/95 - S. 4 des Entscheidungsabdrucks, an dem der Senat nicht festhält; Brandenburgisches OLG, Urteil vom 23. Januar 1996 - 2 U 117/95 - NZV 1997, 77). § 3 Abs. 1 Satz 1 StrVO 1974 definiert öffentliche Straßen als alle Straßen, Wege und Plätze einschließlich Parkplätze, die der öffentlichen Nutzung durch den Fahrzeug- und Fußgängerverkehr dienen. Die Vorschrift stellt ersichtlich allein auf den tatsächlichen Gebrauch der Verkehrsfläche für die öffentliche Nutzung, nicht auf eine förmliche Indienststellung durch eine Widmung oder einen widmungsähnlichen Akt ab (Thüringisches OVG, Urteil vom 11. Dezember 2001, a.a.O. S. 238). Nichts anderes folgt aus § 4 Abs. 1 Satz 1 StrVO 1974. Danach entschied der Rat der Stadt bzw. der Gemeinde "durch Beschluss über die öffentliche Nutzung und über die Zuordnung zu den Straßen, die ausschließlich der öffentlichen Nutzung dienen, oder zu den betrieblich-öffentlichen Straßen." Die Entscheidung über die "öffentliche Nutzung" bezog sich nicht auf das "Ob" sondern auf das "Wie" des "Gemeingebrauchs" an der Verkehrsfläche. § 4 Abs. 1 Satz 1 StrVO 1974 knüpft nämlich an die Bestimmung des § 3 Abs. 1 Satz 2 StrVO 1974 an. Darin hieß es zu den öffentlichen Straßen: "Ihre Nutzung ist entsprechend der Zweckbestimmung der öffentlichen Straßen und ihrem Straßenbau- und verkehrstechnischen Zustand sowie im Rahmen der Rechtsvorschriften allen Verkehrsteilnehmern gestattet (öffentliche Nutzung)." Dem Rat oblag es danach, über den Umfang des "Gemeingebrauchs" zu beschließen, wobei er sich dabei von der jeweiligen Zweckbestimmung und dem Straßen- und verkehrstechnischen Zustand hat leiten lassen müssen (Thüringisches OVG, Urteil vom 11. Dezember 2001, a.a.O. S. 238).

Gestützt wird dieses Ergebnis durch die seinerzeit maßgebliche Kommentarliteratur, die allein die Freigabe für die öffentliche Nutzung als den Akt ansieht, durch den die Straße zu einer öffentlichen werde, wobei die Freigabe in der Regel durch den Anschluss an das öffentliche Verkehrsnetz bewirkt worden sei (vgl. Bönninger/Knobloch: Themenreihe Verwaltungsrecht der DDR, Das Recht der öffentlichen Straßen, Karl-Marx-Universität Leipzig 1978, S. 11 ff. zit. nach: Thüringisches OVG, Urteil vom 11. Dezember 2001, a.a.O. S. 238). Das gleiche Verständnis lag ferner einer Entscheidung des Ministeriums für Verkehrswesen, Hauptverwaltung, Straßenwesen vom 24. Mai 1976 - Re 143/76 - zu betrieblich-öffentlichen Straßen zu Grunde. Darin hieß es, dass eine betrieblich-öffentliche Straße gegeben sei, wenn sie überwiegend den Interessen ihrer Rechtsträger oder Eigentümer und daneben der öffentlichen Nutzung diene. Die Tatsache, dass diese Merkmale gegeben seien, bestimme die betrieblichöffentliche Straße. Beschlüsse der Räte der Städte und Gemeinde über die Zuordnung seien nur erforderlich, wenn Zweifel darüber bestünden, dass diese Wesensmerkmale vorlägen (so Hammer: Die Straße 1989, 350/352, zit. nach: Zörner, LKV 2000, 526/528; ebenso OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 8. Dezember 1999 - 2 M 54/99 - LKV 2000, 542/543; Thüringisches OVG, Urteil vom 11. Dezember 2001, a.a.O. S. 239).

Diese Auslegung steht zudem im Einklang mit der seinerzeitigen Rechtspraxis. Denn Beschlüsse nach § 4 Abs. 1 Satz 1 StrVO 1974 haben die Räte nur in den allerseltensten Fällen gefasst (Thüringisches OVG, Urteil vom 11. Dezember 2001, a.a.O. S. 239).

2. Der Einbeziehung des auf dem Lageplan als Fußweg ausgewiesenen Geländestreifens in die öffentliche Verkehrsfläche steht ebenso wenig § 4 Abs. 5 Satz 3 der Ersten Durchführungsbestimmung zur Straßenverordnung vom 22. August 1974 (GBl. DDR I S. 522) - Erste Durchführungsbestimmung - entgegen, wonach der äußere Rand des Freistreifens bzw. die Gehbahnaußenkante die Straßenbegrenzungslinie bilden, die ihrerseits den Straßenkörper begrenzt (§ 4 Abs. 1 der Ersten Durchführungsbestimmung zur Straßenverordnung).

Es kann auf sich beruhen, ob diese Vorschrift ihrem zeitlichen Anwendungsbereich nach Bedeutung erlangen kann, was voraussetzte, dass der Gehweg erst nach ihrem Inkrafttreten angelegt worden ist. Hinsichtlich der bei Inkrafttreten der Straßenverordnung vom 22. August 1974 vorhandenen öffentlichen Straßen gilt nämlich, dass sie diesen Status beibehalten sollten (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 8. Dezember 1999 a.a.O.).

Jedenfalls erstreckt sich der öffentliche Verkehrsraum auch nach Maßgabe dieser Vorschrift auf die Gehbahnen in ihrer gesamten Breite. Denn erst die Gehbahnaußenkante bildet danach die Straßenbegrenzungslinie. Dass auch der seitlich der Gehsteigplatten verlaufende, unbefestigte, seinerzeit nicht umzäunte Grundstücksstreifen der Antragsteller öffentlich begehbar war, stellen sie aber selbst nicht in Abrede.

Anderes könnte nur dann gelten, wenn - was die Antragsteller selbst nicht vertreten - eine "Gehbahn" i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 3 der Ersten Durchführungsbestimmung nur eine befestigte Verkehrsfläche sein konnte. Eine solche Annahme findet indes weder in § 3 StrVO 1974 noch in § 4 der Ersten Durchführungsbestimmung eine Stütze (vgl. auch Jupe a.a.O. 17.00, 1.2.5). Bereits der Umstand, dass sich die öffentliche Nutzung (ihrer Art nach) gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 StrVO 1974 nach dem straßenbautechnischen Zustand richtete, spricht gegen eine solche Annahme. Das Gegenteil belegt letztlich § 4 Abs. 1 der Ersten Durchführungsbestimmung. Dort werden "Fahr-, Rad-, Gehbahn und Sommerweg" als Beispiele für "Verkehrsflächen einschließlich ihrer Befestigungen" genannt. Schon der zusätzliche Hinweis auf (etwaige) Befestigungen der Verkehrsflächen und die Einbeziehung der Sommerwege verdeutlichen, dass nicht jede Verkehrsfläche über eine, geschweige denn eine vollständige Befestigung verfügen muss. Sähe man es anders, so entbehrte z.B. die ...straße mangels einer "Gehbahn" überall dort jedweder Straßenbegrenzungslinien i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 3 der Ersten Durchführungsbestimmung, wo der seitlich der Fahrbahn verlaufende Gehweg überhaupt keine Gehsteigplatten aufweist. Straßenbegrenzungslinien könnten an diesen Abschnitten auch nicht etwa durch Freistreifen gebildet werden, weil der sonst unbefestigte Streifen - wie die Antragsteller selbst zutreffend hervorheben - mangels Nebenanlagen, die er definitionsgemäß umgeben muss (vgl. § 4 Abs. 5 Satz 1), auch kein Freistreifen i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 3 der Ersten Durchführungsbestimmung sein kann.

III. Ein das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Beseitigungsverfügung überwiegendes Aussetzungsinteresse der Antragsteller ist auch nicht aus den übrigen von den Antragstellern vorgebrachten Gründen zu bejahen.

Das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung einer Beseitigungsverfügung kann in den Fällen gegeben sein, in denen an der Rechtmäßigkeit der Beseitigungsverfügung kein vernünftiger Zweifel bestehen kann, weil die formelle und materielle Illegalität der Sondernutzung gleichsam "mit den Händen zu greifen", offensichtlich, ist (1). Von diesen Ausnahmefällen abgesehen bedarf es stets einer umfassenden Prüfung der für das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung sprechenden Gesichtspunkte (2). Hierbei kommt zum einen dem Gesichtspunkt erhebliche Bedeutung zu, ob die Sondernutzung ohne Substanzverlust und ohne unverhältnismäßigen Kostenaufwand beendet werden kann (a). Die sofortige Vollziehung einer Beseitigungsverfügung ist ferner gerechtfertigt, wenn nur ein sofortiges Einschreiten verhindert, dass die Gefahr für öffentliche Sicherheit und Ordnung in Schäden an wichtigen Rechtsgütern umschlägt (b), etwa wenn der Gemeingebrauch an einer Straße stark behindert wird (vgl. jeweils zur Vollsperrung eines Weges: OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 8. Dezember 1999 - 2 M 54/99 - LKV 2000, 542 f; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20. November 1995 - 5 S 2778/95 - NVwZ-RR 1996, 371) oder Unfälle konkret drohen. Ebenfalls ungeachtet eines möglichen Substanzverlustes oder erheblichen Kostenaufwandes kann das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung dann überwiegen, wenn von der unerlaubten Straßennutzung eine Nachahmungsgefahr ausgeht (c), wobei diese nicht nur abstrakt vorliegen, sondern sich konkret abzeichnen muss (vgl. zur baurechtlichen Beseitigungsverfügung Beschluss des Senats vom 26. Juni 2003 - 3 B 318/02 - LKV 2004, 232). Die sofortige Vollziehung rechtfertigt vorliegend jedenfalls die Gefahr, dass der Zaun der Antragsteller weitere Eigentümer zur Nachahmung verleitet. Diese Gefahr zeichnet sich konkret ab. Nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben des Antragsgegners stellen Grundstückseigentümer in der Gemeinde ... im Zuge von Grundstücksvermessungen fest, dass ihre Grundstücke teilweise in den öffentlichen Verkehrsraum hineinragen und in vergleichbarer Weise als öffentliche Verkehrsfläche in Anspruch genommen werden. Dieses gilt auch für die Grundstücke in der Umgebung des Grundstücks der Antragsteller. Es liegt damit auf der Hand, dass das Beispiel der Antragsteller zur Nachahmung anreizt. Entgegen der Ansicht der Antragsteller entfällt das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht deshalb, weil seit Aufstellung des Zaunes Ende 2001 bis zum Erlass der Beseitigungsverfügung im August 2003 nahezu zwei Jahre vergangen seien. Der Senat hat wiederholt ausgesprochen, dass auch ein langer Zeitablauf eine Ordnungsbehörde nicht davon abhalten muss, jedenfalls nunmehr das Gebotene zu veranlassen; wäre es anders, so könnte die Behörde selbst gegen erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit um so schwerer einschreiten, je länger diese andauern (vgl. etwa den Beschluss des Senats vom 8. Dezember 2003 - 3 B 372/03 - Seite 3 des Entscheidungsabdrucks).

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Streitwertentscheidung beruht auf §§ 14 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Im Falle einer straßenrechtlichen Beseitigungsverfügung liegt das Interesse des Klägers bzw. Antragstellers regelmäßig darin, von den Beseitigungskosten verschont zu bleiben (vgl. zuletzt Beschluss des Senats vom 30. Januar 2004 - 3 B 27/04 - Seite 3 des Entscheidungsabdrucks). In einem Hauptsacheverfahren wäre das Interesse der Antragsteller mit den Kosten für die Entfernung des Zauns zu bemessen, die der Senat im Wege einer mit Rücksicht auf die Voraussehbarkeit der Kostenfolgen gebotenen schematisierenden und pauschalierenden Betrachtung mit 1000 Euro bewertet. Das Interesse an der Aufhebung der Androhung der Ersatzvornahme wäre mit der Hälfte der für die angedrohte Maßnahme anfallenden Kosten, mithin mit 300 Euro einzustellen. Der sich danach ergebende Gesamtbetrag ist wegen der Vorläufigkeit der in diesem Verfahren begehrten Regelung zu halbieren. Auf dieser Grundlage war der im angefochtenen Beschluss für das erstinstanzliche Verfahren auf 4.000 Euro festgesetzte Streitwert gemäß § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG von Amts wegen zu ändern und auf 650 Euro herabzusetzen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück