Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Urteil verkündet am 08.06.2004
Aktenzeichen: 1 A 303/03
Rechtsgebiete: EMRK, GG, AuslG


Vorschriften:

EMRK Art. 8 Ausweisungsschutz
GG Art. 6
AuslG § 47
AuslG § 48
1. Art. 8 EMRK vermittelt einem in ehelicher Gemeinschaft lebenden Ausländer, der wegen Straftaten ausgewiesen werden soll, einen über das Ausländergesetz hinausgehenden Ausweisungsschutz.

2. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist bei der Ausweisung eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Prüfung der Verhältnismäßigkeit erforderlich. Je nach dem Gewicht, das die Belange des Ehegatten des straffällig gewordenen Ausländers haben, kann dabei die Generalprävention als Ausweisungszweck ausscheiden.

3. Für die Frage, ob eine Ausweisung mit Art. 8 EMRK vereinbar ist, ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf die Sachlage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen.


Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen

OVG: 1 A 303/03

Im Namen des Volkes! Urteil

Niedergelegt in abgekürzter Fassung auf der Geschäftsstelle am 08.06.2004

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy sowie die ehrenamtlichen Richter v. Dellinghausen und Hildebrandt aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25.05.2004 für Recht erkannt:

Tenor:

Das Verfahren wird, soweit die Beteiligten es übereinstimmend für erledigt erklärt haben, eingestellt.

Im übrigen wird die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen - 4. Kammer - vom 20.05.2003 zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung.

Der Kläger wurde 1953 in der Türkei geboren. Im Oktober 1979 wurde ihm erstmals eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Seit Februar 1987 ist er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung, seit April 1990 einer unbefristeten Arbeitserlaubnis für berufliche Tätigkeiten jeder Art.

Aus einer 1981 geschlossenen Ehe mit einer türkischen Staatsangehörigen sind zwei 1982 und 1987 geborene Söhne hervorgegangen. Die Ehe wurde im September 1994 geschieden.

Die Kinder leben seitdem bei der Mutter in Hannover. Im November 1994 heiratete der Kläger eine rumänische Staatsangehörige, mit der er in Bremen zusammenlebt; die Ehefrau hat im Zuge der Eheschließung zusätzlich die türkische Staatsangehörigkeit erworben.

In den 80er Jahren war der Kläger zunächst als Angestellter in einem Reisebüro beschäftigt. Ab 1989 war er als selbständiger Reiseveranstalter tätig. 1991 gab er die Firma wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten auf. Verschiedene Versuche, sich auf anderen Gebieten durch selbständige Erwerbstätigkeit eine wirtschaftliche Grundlage zu schaffen, blieben erfolglos. Zuletzt war der Kläger im April 1996 bis September 1997 arbeitslos gemeldet. Von Oktober 1997 bis Dezember 1998 war er bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt (E. GmbH), von Januar 1999 bis September 1999 als Außendienstverkäufer bei einer Textilhandelsfirma (S. GmbH; zu den Beschäftigungszeiten vgl. die Bescheinigung der LVA Oldenburg-Bremen vom 04.10.2001).

Zwischen August und November 1997 beging der Kläger zusammen mit anderen in erheblichen Umfang sog. Stoßbetrügereien. Die Taten wurden wie folgt durchgeführt: Durch eine zuvor aufgekaufte Gesellschaft (W. GmbH in Stuttgart) wurden innerhalb weniger Wochen in 153 Fällen Waren von erheblichem Wert (über 2 Mio. DM) zum Weiterverkauf bestellt, wobei feststand, dass die Waren nicht bezahlt werden sollten. Beim Ankauf und Verkauf der Waren traten die Beteiligten unter falschem Namen auf, im November 1997 tauchten sie unerkannt unter. Der Kläger erlangte aus der Tätigkeit Bargeld i. H. v. ca. 70.000,00 DM und Waren im Wert von 10.000,00 bis 15.000,00 DM.

Zwischen Oktober 1998 und Dezember 1998 beging der Kläger erneut sog. Stoßbetrügereien. Durch eine kurz zuvor übernommene Gesellschaft (Fa. M. in Halle) wurden innerhalb kurzer Zeit in 100 Fällen Waren von erheblichem Wert (über 3 Mio. DM) bestellt, um diese - vor allem nach Osteuropa - weiterzuverkaufen. Der Kläger zog hieraus einen Gewinn von mindestens 15.000,00 DM. Wiederum gelang zunächst ein unerkanntes Untertauchen.

Am 07.09.1999 wurde der Kläger verhaftet und in Untersuchungshaft genommen.

Das Landgericht Stuttgart verurteilte ihn am 08.05.2000 wegen der im Zusammenhang mit der W. GmbH begangenen 153 Betrugsfälle zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren (Az.: 16 KLs 202 Js 106436/98). Bei der Strafzumessung berücksichtigte es zugunsten des Klägers sein umfassendes Geständnis. Straferschwerend fiel ins Gewicht, dass er die Taten mit hoher Skrupellosigkeit begangen und einen vergleichsweise hohen Schaden angerichtet habe (S. 32 des Strafurteils).

Wegen der 100 in Zusammenhang mit der Firma M. begangenen Betrugsfälle verurteilte das Landgericht Stuttgart den Kläger mit Urteil vom 02.11.2000 unter Einbeziehung des vorangegangenen Urteils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 9 Monaten (Az.: 8 KLs 202 Js 13020/00). Straferschwerend fiel wiederum die im Zusammenspiel mit den weiteren Tatbeteiligten aufgewandte hohe kriminelle Energie sowie der hohe Schaden, strafmildernd das von Einsicht und Reue getragene Geständnis ins Gewicht (S. 41 des Strafurteils).

In der Strafhaft, die er in der JVA Oslebshausen verbüßte, war der Kläger seit Juli 2000 in der Wäscherei eingesetzt. Als Berufsfreigänger war er vom 07.01.2002 bis zum 30.04.2002 im Rahmen einer ABM-Maßnahme als Reiniger beschäftigt und anschließend bis Juli 2003 als Fahrer und Bürokraft erneut bei der S. GmbH. Nach Insolvenz dieser Firma war er zunächst arbeitslos. Seit November 2002 ist er in einem Hotelunternehmen beschäftigt, und zwar zunächst als Hausmeister und inzwischen als Außendienstmitarbeiter des Hotelinhabers.

Aus seinen Straftaten hat der Kläger ca. 70.000 Euro Schulden, über die Vollstreckungstitel bestehen. Aus der selbständigen Tätigkeit der vorausgegangenen Jahre hat er ca. 20.000 DM Schulden.

In einer Stellungnahme vom 13.05.2003 beurteilte die JVA die Sozialprognose des Klägers als günstig. Am 07.07.2003 wurde der Kläger unter Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung aus der Strafhaft entlassen.

Nach vorheriger Anhörung hatte das Stadtamt Bremen den Kläger bereits mit Bescheid vom 03.04.2001 für die Dauer von 5 Jahren aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Die Abschiebung wurde im unmittelbaren Anschluss an die Strafhaft angeordnet.

Seinen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass die Ausweisungsverfügung nicht den erhöhten Ausweisungsschutz berücksichtige, den er als türkischer Staatsangehöriger aufgrund des ARB 1/80 genieße. Eine Ausweisung würde überdies die Familieneinheit zerstören.

Der Senator für Inneres, Kultur und Sport wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.2001 als unbegründet zurück. Die Ist-Ausweisung, deren Voraussetzungen der Kläger erfülle, sei in seinem Fall zur Regel-Ausweisung herabgestuft. Atypische Umstände, die ein Absehen von der Regel-Ausweisung rechtfertigen könnten, seien nicht gegeben. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei durch die Befristung Rechnung getragen. Auf den erhöhten Ausweisungsschutz des ARB 1/80 könne der Kläger sich nicht berufen, denn etwaige Rechtspositionen aus dem Assoziationsrecht seien durch die Inhaftierung untergegangen.

Der Kläger hat daraufhin am 25.07.2001 Klage erhoben.

Mit Rücksicht auf das beim Bundesverwaltungsgericht anhängige Verfahren 1 C 21.00 (betreffend die Reichweite von sog. Stillhalteklauseln im Assoziationsrecht) hat das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit mit Beschluss vom 17.09.2001 ausgesetzt. Die Entscheidung in jenem Verfahren erging am 26.02.2002 (NVwZ 2002, S. 1512).

Der Kläger hat zur Begründung seiner Klage ausgeführt, dass entgegen der Ansicht der Widerspruchsbehörde in seinem Fall sehr wohl atypische Umstände gegeben seien. Er sei zwar wegen einer Wirtschaftsstraftat zu einer relativ hohen Freiheitsstrafe verurteilt worden, die Gefahr erneuter Verfehlungen sei bei ihm aber nicht gegeben. Müsste er für fünf Jahre das Bundesgebiet verlassen, bestünde die Gefahr, dass die Beziehungen zu seiner Ehefrau und den Kindern aus der vorherigen Ehe dauerhaft beschädigt werden würden. Art. 8 EMRK verlange, dass die Lebensumstände des Ausländers umfassend bei der Ausweisungsentscheidung berücksichtigt würden.

Der Kläger hat beantragt,

die Verfügung des Stadtamts Bremen vom 03.04.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Senators für Inneres, Kultur und Sport vom 20.06.2001 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, dass die angefochtenen Bescheide rechtlich nicht zu beanstanden seien. Das strafrechtliche Fehlverhalten des Klägers müsse als schwerwiegend eingestuft werden. Den Urteilen des LG Stuttgart sei zu entnehmen, dass der Kläger in erheblichem Umfang in Betrügereien verstrickt gewesen sei. Auf den ARB 1/80 könne der Kläger sich nicht berufen, weil er schon nicht glaubhaft gemacht habe, überhaupt eine Rechtsstellung nach dem Assoziationsrecht erlangt zu haben.

Das Verwaltungsgericht Bremen - 4. Kammer - hat mit Urteil vom 20.05.2003 die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Zwar sei aufgrund der vom Kläger begangenen Straftaten ein schwerwiegender Ausweisungsgrund i. S. von § 48 Abs. 1 S. 2 AuslG gegeben. Auch wiesen die Straftaten keine besonderen Umstände auf, die es rechtfertigen könnten, von der Regelausweisung nach § 47 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 AuslG abzusehen. Ein atypischer Fall sei jedoch im Hinblick auf die persönlichen Lebensverhältnisse des Klägers anzunehmen. Der Kläger lebe in einer intakten ehelichen Lebensgemeinschaft mit einer rumänischen Staatsangehörigen. Weiterhin pflege der Kläger regen Kontakt zu seinen beiden Söhnen. Entscheidend sei aber, dass davon ausgegangen werden müsse, dass der Kläger aufgrund seines Alters im Falle eines 5-jährigen Verlassens des Bundesgebiets bei einer Rückkehr keinen Zugang mehr zum Arbeitsmarkt finden würde. Die begonnene Reintegration in das Arbeitsleben wäre zerstört. Das hätte wiederum zur Folge, dass der Lebensunterhalt der Familie nicht mehr aus eigener Kraft bestritten werden könnte. In diesem Zusammenhang sei zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Kläger nach den ihm während der Strafhaft ausgestellten Zeugnissen eine äußerst günstige Sozialprognose aufweise. Diese Entwicklung sei in die Würdigung einzubeziehen, weil sie sich bereits im für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt - Erlass des Widerspruchsbescheids im Juni 2001 - abgezeichnet habe. Mit Rücksicht auf diese ausschließlich positive Entwicklung seit Haftantritt sei die Ausweisung wegen der durch sie hervorgerufenen familiären und persönlichen Nachteile unverhältnismäßig. Eine spätere Befristung trage der besonderen Lebenslage des Klägers nicht ausreichend Rechnung. Überdies habe die Beklagte in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie zu einer Verkürzung der Ausweisungsdauer nicht bereit sei. Mangels einer vollziehbaren Ausreisepflicht sei auch die Abschiebungsregelung rechtswidrig.

Das Oberverwaltungsgericht hat auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 06.08.2003 die Berufung gegen dieses Urteil zugelassen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht haben die Beteiligten die Hauptsache hinsichtlich der Abschieberegelung übereinstimmend für erledigt erklärt.

Die Beklagte ist der Ansicht, das Verwaltungsgericht habe in seinem Urteil unzulässigerweise die Frage der Rechtmäßigkeit der Ausweisung mit der einer Befristung der Ausweisungswirkung vermischt. Bei der Klage gegen eine Ausweisung handele es sich um eine Anfechtungsklage, abzustellen sei auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens. Das sei im vorliegenden Fall Juni 2001. Das Verwaltungsgericht habe seine Entscheidung aber maßgeblich auf Sachverhalte gestützt, die erst nach diesem Zeitpunkt eingetreten seien. Unabhängig davon könne dem Verwaltungsgericht auch nicht in der Bewertung des vom Kläger in der Strafhaft gezeigten Verhaltens gefolgt werden. Bei Straftätern aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität sei ein konformes Verhalten in der Strafhaft eher die Regel. Die persönlichen und familiären Nachteile, die für den Kläger aus der Ausweisung resultierten, bewegten sich im Rahmen dessen, was der Gesetzgeber einem Ausländer bei Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes als regelmäßige Folge einer Ausweisung zumute.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 20.05.2003 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Beklagte zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Das Verwaltungsgericht habe zu Recht das Vorliegen eines atypischen Falles angenommen und die Ausweisung deshalb aufgehoben. Aber selbst wenn man dem Verwaltungsgericht nicht folgen würde, sei zu berücksichtigen, dass er den Schutz des ARB 1/80 genieße. Er sei vor seiner Verurteilung langjährig und ununterbrochen als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen. Die Inhaftierung habe nicht zum Erlöschen der erworbenen Ansprüche geführt. Zu seinen Gunsten wirke sich in diesem Zusammenhang aus, dass er bereits während der Strafhaft wieder als Arbeitnehmer tätig gewesen sei, und zwar zunächst im Rahmen einer ABM-Maßnahme und anschließend bis heute bei einem Arbeitgeber auf dem freien Arbeitsmarkt.

Vorsorglich sei darauf hinzuweisen, dass seine Ehefrau aufgrund der Eheschließung neben der rumänischen auch die türkische Staatsangehörigkeit besitze. Die Ehefrau sei seit mehreren Jahren als Verkäuferin beschäftigt und gehöre damit zum Personenkreis nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Ihr Ehemann - der Kläger - sei mithin ein nach Art. 7 S. 1 ARB 1/80 begünstigter Familienangehöriger.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Ehefrau des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 25.05.2004 als Zeugin vernommen. Wegen der Aussage wird auf das Verhandlungsprotokoll Bezug genommen.

Die Behördenakten haben vorgelegen. Ihr Inhalt war, soweit in dieser Entscheidung verwertet, Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Hinsichtlich der Abschiebungsregelung haben die Beteiligten die Hauptsache in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht übereinstimmend für erledigt erklärt. Insoweit ist das Verfahren einzustellen.

Im übrigen ist die Berufung zulässig, aber unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisungsverfügung des Stadtamts Bremen vom 03.04.2001 i. d. F. des Widerspruchsbescheids des Senators für Inneres, Kultur und Sport vom 20.06.2001 zu Recht aufgehoben. Denn diese Verfügung ist rechtswidrig. Zwar ist die ausländerbehördliche Maßnahme nach innerstaatlichem Ausländerrecht (Ausländergesetz) nicht zu beanstanden (1). Sie erweist sich jedoch im Hinblick auf Art. 8 EMRK als rechtswidrig (2). Die gemeinschaftsrechtlichen Fragen, die der Fall aufwirft, bedürfen unter diesen Umständen keiner abschließenden Klärung (3).

1. Der Kläger genießt, weil er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung ist, gemäß 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG besonderen Ausweisungsschutz. Das bedeutet, dass er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann.

Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sind gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 AuslG in den Fällen des § 47 Abs. 1 AuslG in der Regel anzunehmen; die Vorschrift unterstellt damit bei den in § 47 Abs. 1 AuslG bezeichneten Ausweisungstatbeständen regelmäßig das Vorliegen eines qualifizierten Ausweisungszwecks.

Der besondere Ausweisungsschutz führt andererseits dazu, dass die Muss-Ausweisung, die nach § 47 Abs. 1 AuslG an sich vorgesehen ist, gemäß § 47 Abs. 3 S. 1 AuslG zur Regel-Ausweisung herabgestuft ist.

Bei der Prüfung, ob die Ausweisung rechtmäßig ist, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids abzustellen (vgl. BVerwG, B. v. 17.01.1996 - 1 B 3.96 - InfAuslR 1996, S. 137). Maßgeblich sind im vorliegenden Fall also die Verhältnisse im Juni 2001.

Nach diesem Maßstab ist die Ausweisung des Klägers nicht zu beanstanden.

a) Der Kläger hat einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund (§ 48 Abs. 1 S. 2 AuslG) erfüllt.

Der Kläger hat den Ausweisungstatbestand des § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG verwirklicht, da er wegen vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden ist (Urteile des Landgerichts Stuttgart vom 08.05.2000 und 02.11.2000). Der nach § 48 Abs. 1 S. 2 AuslG in diesen Fällen regelmäßig anzunehmende qualifizierte Ausweisungszweck ist hier gegeben.

In spezialpräventiver Hinsicht, also im Hinblick auf die von dem Ausländer ausgehende Wiederholungsgefahr, ist ein Ausweisungsgrund schwerwiegend, wenn die Straftat besonderes Gewicht hat und neue Verfehlungen ernsthaft drohen (BVerwG, U. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 - InfAuslR 1997, S. 8). Nach der in dieser Hinsicht typisierenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind diese Voraussetzungen in Fällen mittlerer und schwerer Kriminalität grundsätzlich zu bejahen (B. v. 10.02.1995 - 1 B 221/94 - InfAuslR 1995, S. 273; U. v. 05.05.1998 - 1 C 17.97 - InfAuslR 1998, S. 383).

Anhaltspunkte, die dafür sprechen könnten, im vorliegenden Fall von dieser Bewertung abzuweichen, von der der Gesetzgeber sich bei der Einfügung des § 48 Abs. 1 S. 2 in das Ausländergesetz ebenfalls hat leiten lassen (Art. 11 des Änderungsgesetzes vom 29.10.1997, BGBl. 1, S. 2584, vgl. dazu Wegner, NVwZ 1997, S. 1086), sind nicht erkennbar. Die vom Kläger begangenen Straftaten haben erhebliches Gewicht. Aus den Strafurteilen folgt, dass der Kläger jeweils in vollem Umfang in die Planung und Durchführung der Straftaten verstrickt war. Besondere Umstände, die im maßgeblichen Zeitpunkt - Juni 2001 - ausnahmsweise dazu hätten führen können, den spezialpräventiven Ausweisungszweck gering zu veranschlagen, sind nicht ersichtlich.

Letztlich kann das hier aber sogar dahinstehen. Denn die Regelvermutung für einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund tritt nur dann nicht ein, wenn in Bezug auf beide Ausweisungszwecke (Spezial- und Generalprävention) ein Ausnahmefall vorliegt (OVG Münster, U. v. 05.03.1998 - 18 B 1718/96 - InfAuslR 1998, S. 393; OVG Bremen, B. v. 14.11.2000 - 1 A 341/00 -; VGH Mannheim, U. v. 28.06.2001 - 13 S 2326/99 - InfAuslR 2002, S. 72). Der Kläger hat aber jedenfalls einen gewichtigen generalpräventiven Ausweisungsgrund erfüllt.

In generalpräventiver Hinsicht ist der Ausweisungszweck schwerwiegend, wenn die Straftat ein entsprechendes Gewicht hat und ein dringendes Bedürfnis an einer Abschreckung anderer Ausländer besteht (BVerwG, B. v. 16.08.1995 - 1 B 43.95 - InfAuslR 1995, S. 404).

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Der Schaden, den der Kläger verursacht hat, sowie die professionelle und planvolle Begehungsweise belegen, dass ein dringendes Abschreckungsinteresse besteht.

b) Es liegen auch keine Ausnahmegründe vor, um von der Regel-Ausweisung (§ 47 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 AuslG) abzuweichen.

Regel-Ausweisung bedeutet, dass nach dem Willen des Gesetzgebers im Normalfall die Ausweisung erfolgen soll und die mit einer Ausweisung regelmäßig verbundenen Härten in Kauf genommen werden. Den Gegensatz zum Regelfall bildet der Ausnahmefall, der sich durch besondere Umstände von der Menge gleichliegender Fälle unterscheidet, d. h. durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet ist (BVerwG, B. v. 01.09.1994 - 1 B 90.94 - InfAuslR 1995, S. 5). Das Vorliegen eines solchen Falles unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung. Im Rahmen der Prüfung eines Ausnahmefalles sind alle Umstände der Tatbegehung und die sonstigen Umstände des Betreffenden zu berücksichtigen (BVerwG, B. v. 15.07.1999 - 1 B 49.99 - Buchholz 402.240 § 47 AuslG Nr. 18).

Aus den Umständen der Tatbegehung lässt sich im vorliegenden Fall kein atypischer Sachverhalt ableiten. Der Kläger war bei beiden Tatkomplexen (August bis November 1997 betreffend Firma W.; Oktober bis Dezember 1998 betreffend Firma M. ) erheblich in die Vorbereitung und Durchführung der Straftaten verstrickt. Für eine Relativierung seiner Tatbeteiligung ergibt sich aus den Strafurteilen kein Anhaltspunkt.

Auch die Lebensumstände des Klägers begründen keinen Ausnahmefall:

Die Ehe mit einer rumänischen und aufgrund der Eheschließung zusätzlich türkischen Staatsangehörigen, die der Kläger in Bremen führt, begründet keinen atypischen Sachverhalt. Das gilt unabhängig davon, ob es der Ehefrau zuzumuten sein sollte, mit dem Kläger in die Türkei zurückzukehren. Der Gesetzgeber hat zum Spannungsverhältnis zwischen einem schwerwiegenden Ausweisungsgrund einerseits und dem Familienschutz andererseits eine ausdrückliche Regelung getroffen (§§ 47 Abs. 3 S. 1, 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 und 4 AuslG). Bei Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes soll der betreffende Ausländer danach ungeachtet entgegenstehender familiärer Belange in der Regel ausgewiesen werden; nur ausnahmsweise, d. h. bei atypisch gelagerten Sachverhalten, soll von der Ausweisung abgesehen werden. Den Belangen des Familienschutzes kann in diesen Fällen allein durch eine angemessene Befristung der Ausweisung Rechnung getragen werden. Diese gesetzliche Wertung ist erst recht im vorliegenden Fall zu beachten, in dem die speziellen, den besonderen Ausweisungsschutz begründenden Tatbestände des § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 und 4 AuslG noch nicht einmal erfüllt sind.

Dafür, dass im vorliegenden Fall im Hinblick auf die ehelichen Verhältnisse ein atypischer Sachverhalt gegeben sein könnte, hat der Kläger aber konkret nichts vorgetragen. Auch sonst ist dafür nichts ersichtlich.

Vorstehende Grundsätze gelten in gleicher Weise für die ausweisungsbedingte Trennung des Klägers von seinen Kindern. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann hier kein Ausnahmefall angenommen werden. Insoweit fällt zusätzlich das Alter der Kinder (geboren 1982 und 1987) sowie der Umstand, dass diese seit 1994 bei der Mutter in Hannover leben, ins Gewicht.

Ein atypischer Geschehensablauf kann schließlich auch nicht in den sonstigen persönlichen Lebensumständen des Klägers erblickt werden. Seine Reintegration in den Arbeitsmarkt, die durch die Ausweisung beendet werden würde, ist erst ab Januar 2002 erfolgt, also nach dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt im Juni 2001. Unabhängig davon kann die Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses infolge einer Ausweisung auch für sich genommen noch nicht zu einem Ausnahmefall führen, und zwar selbst dann nicht, wenn man zusätzlich das Alter des Klägers und seine Schwierigkeiten, bei einer Rückkehr wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, berücksichtigt. Es handelt sich hierbei um Härten, die sich typischerweise als Folge einer Ausweisung ergeben.

2. Die Ausweisung verstößt aber gegen Art. 8 EMRK.

Die EMRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der durch Zustimmungsgesetz vom 07.08.1952 (BGBl. II, S. 685, 953) in innerstaatliches Recht umgesetzt worden ist. Seither ist sie Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik Deutschland im Range eines Bundesgesetzes (vgl. BVerfG, B. v. 26.03.1987 - 2 BvR 740/81 - NJW 1987, S. 2427) und gilt mit unmittelbarer Wirkung neben dem Ausländergesetz, dessen Regelungen sie ergänzt. Dabei mag dahinstehen, ob diese ergänzende Geltung sich auf den Gesetzesvorbehalt in § 1 Abs. 1 AuslG oder aber auf den Geltungs- und Anwendungsvorrang des EMRK-Transformationsgesetzes vor den Regelungen des Ausländergesetzes bzw. zusätzlich auf das Prinzip der völkerrechtsfreundlichen Auslegung innerstaatlichen Rechts stützen kann (vgl. zum Meinungsstand VGH Mannheim, B. v. 23.10.2002 - 11 S 1410/02 - NVwZ-RR 2003, S. 304).

a) Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Eine Behörde darf gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR kann die Ausweisung einer Person aus einem Staat, in dem auch ihre nahen Familienangehörigen leben, einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen. Dieser Eingriff ist nur zulässig, wenn er die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK erfüllt (vgl. zuletzt Urteil vom 15.07.2003, 52206/99 <Mokrani>, InfAuslR 2004, S. 183).

Die Ausweisung muss danach entsprechend Art. 8 Abs. 2 EMRK "gesetzlich vorgesehen" sein, der "Aufrechterhaltung der Ordnung und Verhütung von Straftaten" dienen sowie "notwendig in einer demokratischen Gesellschaft" sein. Das letztgenannte Kriterium beinhaltet, dass die Ausweisung ein dringendes soziales Bedürfnis erfüllen und insbesondere verhältnismäßig zu dem verfolgten Ziel sein muss; die ausländerbehördliche Maßnahme muss ein ausgewogenes Gleichgewicht der betreffenden Interessen wahren, namentlich des Rechts des Ausländers auf Achtung des Familienlebens einerseits und der Verteidigung der Ordnung und der Verhütung von Straftaten andererseits (EGMR, U. v. 26.09.1997, 85/1996/704/896 <Mehemi>, InfAuslR 1997, S. 430; U. v. 19.02.1998, 154/1996/773/974 <Dalia>, InfAuslR 1998, S. 201).

Die Ausgewogenheit bestimmt sich nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalles, wobei - bezogen auf eine mögliche ausweisungsbedingte Trennung der Eheleute - folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind (EGMR, U. v. 02.08.2001, 54273/00 <Boultif>, InfAuslR 2001, S. 476; U. v. 31.10.2002, 37295/97 <Yildiz>, InfAuslR 2003, S. 126):

Die Natur und Schwere der begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthalts des Ausländers in dem Staat, aus dem er ausgewiesen werden soll, die seit der Straftat vergangene Zeit ebenso wie das Verhalten des Ausländers in dieser Zeit, die Staatsangehörigkeiten der verschiedenen betroffenen Personen, die Familiensituation des Ausländers, wie z. B. die Dauer der Ehe und andere Faktoren, die die Effektivität des Familienlebens eines Paares zum Ausdruck bringen, ob der Ehepartner von der Strafe wusste, als er die familiäre Bindung einging und ob Kinder aus der Ehe hervorgegangen sind und, in diesem Fall deren Alter. Schließlich berücksichtigt der EGMR auch die Erheblichkeit der Schwierigkeiten, mit denen der Ehepartner voraussichtlich im Herkunftsland konfrontiert ist, auch wenn allein die Tatsache, dass eine Person bei der Begleitung ihres Ehepartners einige Schwierigkeiten zu überwinden haben könnte, eine Ausweisung noch nicht ausschließt.

Ist einem Ehepartner nicht zuzumuten, dem ausgewiesenen Ehegatten in dessen Herkunftsland oder ein anderes Land zu folgen und stellt der Betreffende nur noch eine vergleichsweise geringe Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, kann die Ausweisung nach der Rechtsprechung des EGMR unverhältnismäßig sein. Anders ausgedrückt: Sind die Interessen des Ehepartners schutzwürdig und ist ihm eine Begleitung des Ehegatten nicht zumutbar, ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn hinreichend gewichtige spezialpräventive Gründe vorliegen. Fehlen derartige Gründe, ist die Ausweisung unverhältnismäßig. Ein Rückgriff auf generalpräventive Erwägungen ist in diesem Fall grundsätzlich nicht erlaubt.

Zu beachten ist ferner, dass der EGMR für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung nicht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens, sondern auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abstellt. Der EGMR hat insoweit etwa für die Frage der Wiederholungsgefahr ausdrücklich die persönliche Entwicklung des Ausländers bis zur Entscheidung des nationalen Gerichts berücksichtigt (vgl. U. v. 30.11.1999, 34374/99 <Baghli>, InfAuslR 2000, S. 53; U. v. 30.10.2002, 37295/97 <Yildiz>, InfAuslR 2003, S. 126; U. v. 15.07.2003, 52206/99 <Mokrani>, InfAuslR 2004, S. 183; dazu VGH Mannheim, U. v. 27.01.2004 -10 S 1610/03 - InfAuslR 2004, S. 189).

Die Verlagerung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts im Anwendungsbereich von Art. 8 EMRK ergänzt die Bestimmungen des Ausländergesetzes, nach denen auf den früheren Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens abzustellen ist, in formeller Hinsicht in einem wichtigen Punkt. Auch inhaltlich vermittelt Art. 8 EMRK dem Ehegatten eines ausgewiesenen Ausländers einen Schutz, der über das Ausländergesetz hinausgeht. Der EGMR verlangt in jedem Einzelfall eine umfassende Abwägung, bei der je nach dem Gewicht der Belange des Ehegatten generalpräventive Gründe als Rechtfertigung für die Ausweisung ausscheiden könne.

Das Ausländergesetz erkennt demgegenüber, wie dargelegt, auch für den Fall, dass schutzwürdige eheliche Belange vorliegen und die Ausweisung zur Trennung der Eheleute führen wird, die Generalprävention als Ausweisungszweck an (vgl. § 48 Abs. 1 S 2 AuslG i. V. m. § 47 Abs. 1 AuslG) und gibt bei Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes die Ausweisung als Regelrechtsfolge normativ vor (vgl. § 47 Abs. 3 S. 1 AuslG i. V. m. § 47 Abs. 1 AuslG). Im Hinblick auf die damit regelmäßig in Kauf genommene Trennung der Eheleute bietet das Ausländergesetz - im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B. v. 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, S. 386) - lediglich die Möglichkeit, die widerstreitenden Belange durch eine nachträgliche Befristung der Ausweisung auszugleichen, um so die Dauer der Trennung in einem überschaubaren Rahmen zu halten (vgl. BVerwG, U. v. 11.08.2000 - 1 C 5/00 - InfAuslR 2000, S. 483; OVG Bremen, U. v. 30.10.2001 - 1 A 218/01 - InfAuslR 2002, S. 119).

Das Bundesverwaltungsgericht hat wiederholt entschieden, dass ein Art. 8 EMRK etwa zu entnehmender weitergehender Ausweisungsschutz bei einer Ausweisung auf der Grundlage des Ausländergesetzes zu beachten ist (B. v. 22.02.1993 - 1 B 7/93 - InfAuslR 1993, S. 257; B. v. 21.08.1997 - 1 B 163/97 - juris), die Reichweite dieses Ausweisungsschutzes aber nachfolgend in einer Weise bestimmt, die im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des EGMR überprüfungsbedürftig erscheint (vgl. U. v. 17.06.1998 - 1 C 27/96 - InfAuslR, 1998, S. 424; U. v. 29.09.1998 - 1 C 8/96 - InfAuslR 1999, S. 54).

b) Nach vorstehendem Maßstab verstößt die Ausweisung des Klägers gegen Art. 8 EMRK.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ist abzustellen auf die Verhältnisse im gegenwärtigen Zeitpunkt, also Mai 2004.

Die Ausweisung berührt den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK, weil sie in das Familienleben des Klägers mit seiner Ehefrau eingreift. Die Ehefrau besitzt zwar nicht die deutsche Staatsangehörigkeit, hat in Deutschland aber ein gefestigtes Aufenthaltsrecht.

Der Eingriff ist "gesetzlich vorgesehen" i. S. von Art. 8 Abs. 2 EMRK. Der Kläger hat den Ausweisungstatbestand des § 47 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 i. V. m. § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Abs. 1 S. 2 AuslG verwirklicht.

Er verfolgt auch die Ziele der "Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verhütung von Straftaten" i. S. von Art. 8 Abs. 2 EMRK. Anlass für die Maßnahme sind die vom Kläger begangenen erheblichen Straftaten (Urteile des LG Stuttgart vom 08.05.2000 und 02.11.2000).

Der Eingriff ist aber nicht "notwendig in einer demokratischen Gesellschaft" im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK. Zwischen dem mit ihm verfolgten legitimen Ziel einerseits und den familiären Belangen des Klägers andererseits besteht kein ausgewogenes Gleichgewicht:

Der Kläger lebt in einer intakten, bereits vor geraumer Zeit - Ende 1994 - geschlossenen Ehe. Seine Ehefrau, die die rumänische und seit der Eheschließung auch die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, ist vollständig in die Verhältnisse in Deutschland integriert. Sie ist seit Anfang 1999 ununterbrochen in Bremen als Verkäuferin beschäftigt und hat die Einbürgerung beantragt. Eine Begleitung ihres Ehemannes in die Türkei schließt sie für sich aus. Ihr seien die Verhältnisse dort bekannt, sie beherrsche auch die türkische Sprache und habe dort zeitweilig gelebt. Das Leben dort sei ihr aber unerträglich. Sie pflege einen westlichen Lebensstil und bekenne sich zum christlichen Glauben. Nach den Verhältnissen, die sie in der Türkei erwarteten, kollidiere sie damit ständig mit den Vorstellungen ihrer Umgebung. Das habe sie während ihres Aufenthalts dort nachhaltig zu spüren bekommen.

Die Erklärungen der Ehefrau des Klägers sind nachvollziehbar, sie selbst nach dem Eindruck, den der Senat in der mündlichen Verhandlung von ihr gewonnen hat, glaubwürdig. Unter diesen Umständen kann von ihr nicht erwartet werden, dass sie ihrem Ehemann in die Türkei folgt.

Auf der anderen Seite ist festzuhalten, dass die vom Kläger begangenen Straftaten - massive Betrügereien - schwer wiegen. Das belegt bereits das Strafmaß, nämlich die vom Landgericht Stuttgart mit Urteil vom 02.11.2000 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 9 Monaten. Allerdings kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Straftaten, die zwischen August und November 1997 sowie Oktober und Dezember 1998 begangen wurden, inzwischen - stellt man auf den im Rahmen von Art. 8 EMRK maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ab - geraume Zeit zurückliegen. Bereits das Landgericht Stuttgart hat im Urteil vom 02.11.2000 das rückhaltlose und von Einsicht und Reue getragene Geständnis des Klägers, das die Absicht erkennen lasse, einen Schlussstrich ziehen zu wollen, berücksichtigt. Das bis Mai 2004 gezeigte Verhalten des Klägers bestätigt, dass diese Absicht dem Kläger ernst ist. Hierzu ist nicht nur auf seine positive Führung in der Strafhaft zu verweisen (vgl. die Stellungnahme der JVA Bremen vom 13.05.2003), sondern auch auf seine frühzeitigen Anstrengungen, wieder einer Erwerbstätigkeit nachzugehen (Januar 2002 bis April 2002 als Reiniger, Mai 2002 bis Juli 2003 als Fahrer und Bürokraft, ab November 2003 in einem Hotelunternehmen). Die Schwierigkeiten, denen er dabei aufgrund seiner Vorstrafe sowie seines Alters begegnet, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar geschildert. Andererseits hat er glaubhaft dargelegt, dass er ungeachtet dieser Schwierigkeiten seine Anstrengungen um eine berufliche Integration fortsetzen wird, auch um den Preis zunächst vergleichsweise schlecht bezahlter Tätigkeiten und ungünstiger Arbeitsbedingungen.

Das ändert zwar nichts daran, dass die vom Kläger begangenen Taten Anlass zur Furcht geben, er könnte in Zukunft eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Zur Überzeugung des Gerichts wird diese Furcht hier aber durch die besonderen Umstände des Falles gemindert. Bei zusammenfassender Würdigung besteht nach heutigem Erkenntnisstand nur noch eine vergleichsweise geringe Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

Die Abwägung zwischen dieser Gefahr auf der einen Seite und den gewichtigen Belangen des Schutzes des Ehelebens auf der anderen Seite führt zu dem Ergebnis, dass der durch die Ausweisung bewirkte Eingriff nicht in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht.

3. Ob die Ausweisung des Klägers ebenfalls gegen den Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ANBA 1981, S. 4) - ARB 1/80 - verstößt, bedarf unter diesen Umständen keiner abschließenden Klärung.

Türkische Arbeitnehmer und deren Familienangehörige, die eine Rechtsstellung nach dem ARB 1/80 erlangt haben, genießen erhöhten Ausweisungsschutz. Nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 finden auf sie die für Unionsbürger geltenden Maßstäbe Anwendung, d. h. einer Ausweisung ist nach Straftaten nur zulässig, wenn von dem Betreffenden die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen für die öffentliche Sicherheit ausgeht und hierdurch ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt wird (EuGH, U. v. 20.02.2000, C - 340/97 <Nazli>, InfAuslR 2000, S. 161). Es spricht einiges dafür, dass eine derartige Gefahrenlage beim Kläger - jedenfalls sofern für die Gefahrenprognose auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen sein sollte (so für Unionsbürger: EuGH, U. v. 29.04.2004, C - 482/01 und C - 493/01 <Orfanopoulos und Oliveri>) - nicht gegeben ist.

Ob die Regelung in Art. 13 ARB 1/80, die ein sog. Verschlechterungsverbot enthält, darüber hinaus einen zusätzlichen Ausweisungsschutz vermittelt, ist umstritten (zum Streitstand vgl. Hailbronner, Die Stillhalteklauseln des Assoziationsrechts EWG/Türkei, ZAR 2004, S. 46 <50>). Ein etwaiger weitergehender Schutz würde vor allem darin bestehen, dass die Ausweisung nur aufgrund einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung zulässig wäre (vgl. dazu BVerwG, U. v. 26.02.2002 - 1 C 21/00 - InfAuslR 2002, S. 338), die hier aber nicht getroffen wurde.

Voraussetzung für den erhöhten Ausweisungsschutz ist in jedem Fall aber, dass der Betreffende zu dem Kreis der assoziationsrechtlichen Begünstigten gehört. Beim Kläger ist nicht auszuschließen, dass er eine Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erlangt hat. Eine abschließende Beurteilung ist derzeit aber nicht möglich, da der Fall Rechtsfragen aufwirft, die durch den EuGH noch nicht geklärt sind (a). Demgegenüber kann hinreichend sicher ausgeschlossen werden, dass der Kläger eine Rechtsposition nach Art. 7 S. 1 ARB 1/80 besitzt (b).

a) Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 verleiht türkischen Staatsangehörigen je nach der Dauer der Ausübung einer Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis in abgestufter Weise Aufenthaltsrechte. Der Betreffende muss dazu die Eigenschaft eines Arbeitnehmers erfüllen, er muss dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedsstaates angehören und dort eine bestimmte Zeit lang ordnungsgemäß beschäftigt sein (st. Rechtsprechung des EuGH seit dem U. v. 20.09.1990, C - 192/89 <Sevince>, InfAuslR 1991, S. 2). Die Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung setzt dabei eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates und damit ein nicht bestrittenes Aufenthaltsrecht voraus (vgl. zuletzt EuGH, U. v. 19.11.2002, C -188/00 <Kurz>, InfAuslR 2003, S. 41).

(1) Der Kläger war bis 1989 mehrere Jahre lang als Angestellter in einem Reisebüro beschäftigt. Die dadurch erlangte assoziationsrechtliche Position hat er jedoch verloren, weil er im April 1989 den deutschen Arbeitsmarkt verlassen hat. Er war in der Folgezeit als Selbständiger tätig und hielt sich auch zeitweilig in der Türkei auf, wo er beruflich Fuß zu fassen versuchte.

(2) Nach seiner Rückkehr war der Kläger, nach dem erfolglosen Versuch der Gründung einer selbständigen wirtschaftlichen Existenz und längerer Arbeitslosigkeit, zunächst 15 Monate als Arbeitnehmer bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt (Oktober 1997 bis Dezember 1998), dann bis zu seiner Verhaftung 9 Monate bei einer Textilhandelsfirma (Januar 1999 bis September 1999), im Rahmen einer ABM-Maßnahme als Berufsfreigänger 4 Monate als Reiniger (Januar 2002 bis April 2002), anschließend 15 Monate erneut bei der Textilhandelsfirma (Mai 2002 bis Juli 2003). Seit November 2003 ist er bei einem Hotelunternehmen in Bremen angestellt. Zugunsten des Klägers geht das Oberverwaltungsgericht dabei davon aus, dass die Ausweisungsverfügung vom 03.04.2001, um deren Rechtmäßigkeit es hier ja gerade geht, die Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung nicht berührt hat.

Sollten die genannten Beschäftigungszeiten zusammenzurechnen sein, hätte der Kläger die Voraussetzung des Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 erfüllt, nämlich eine Beschäftigungsdauer von 4 Jahren absolviert, die den freien Zugang zum Arbeitsmarkt eröffnet. Gegen eine Zusammenrechnung könnte aber die Unterbrechung der Beschäftigung durch die Strafhaft sprechen (September 1999 bis Dezember 2001). Ab welcher Dauer haftbedingte Unterbrechungen der Beschäftigung zum Verlust einer zuvor erworbenen assoziationsrechtlichen Position führen, ist Gegenstand eines laufenden Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 Abs. 1 EG-Vertrag (C - 383/03 <Dogan>; vgl. ÖstVGH, B. v. 04.03.2003 - Z 1.2000/21/0134-11; für die Unschädlichkeit einer knapp zweijährigen Inhaftierung: BayVGH, U. v. 26.03.2002 - 34 B 00.2453 - InfAuslR 2002, S. 348). Gegenstand eines laufenden Vorabentscheidungsverfahrens ist auch die weitere, hier ebenfalls entscheidungserhebliche Frage, ob die Voraussetzung des Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 auch durch eine Beschäftigung bei verschiedenen Arbeitgebern erfüllt werden kann (vgl. BVerwG, B. v. 18.03.2003 - 1 C 2/02). Im Falle des Klägers kommt insoweit hinzu, dass die Beschäftigung nicht nur bei verschiedenen Arbeitgebern, sondern jeweils auch in unterschiedlichen Berufen erfolgte. Damit ist aus mehreren Gründen offen, ob der Kläger eine Rechtsposition nach Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 erlangt hat.

(3) Sollten die Beschäftigungszeiten nicht zusammenzurechnen sein, käme als Anknüpfungspunkt für eine assoziationsrechtliche Position nur die derzeit ausgeübte Beschäftigung in dem Hotelunternehmen in Betracht. Für einen Anspruch scheidet dieses Beschäftigungsverhältnis aber schon deshalb aus, weil es noch nicht ein Jahr - die Mindestbeschäftigungszeit nach Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 - besteht.

b) Der Kläger macht jetzt im Berufungsverfahren weiter geltend, ihm stehe ein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 S. 1 ARB 1/80 zu. Nach dieser Vorschrift haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, an bestimmte Aufenthaltszeiten geknüpfte Rechte auf einen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nach Ansicht des Klägers vermittelt ihm seine Ehefrau, die im Zuge der Eheschließung zusätzlich zu ihrer rumänischen die türkische Staatsangehörigkeit erworben hat, ein derartiges Aufenthaltsrecht. Sie gehe hier seit 1999 einer geregelten Beschäftigung nach, so dass sie unter die Verfestigungsregelungen für türkische Arbeitnehmer falle und ihrerseits Familienangehörigen ein Aufenthalts recht vermitteln könne.

Der Argumentation des Klägers kann nicht gefolgt werden. Voraussetzung für die Anwendung von Art. 7 S. 1 ARB 1/80 ist der Tatbestand des genehmigten Familiennachzugs.

Denn wie bei Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 unterliegt die Einreise der türkischen Staatsangehörigen weiterhin der Hoheit des jeweiligen Mitgliedsstaates. Der EuGH hat die damit begründete Befugnis der Mitgliedsstaaten zu einer Einwanderungssteuerung ausdrücklich anerkannt und in Bezug auf Art. 7 S. 1 ARB 1/80 auf die Tatsache einer Zuzugsgenehmigung abgestellt (U. v. 17.04.1997, C-351/95, <Kadiman>, NVwZ 1997, S. 1104; vgl. auch VGH Kassel, B. v. 12.04.2002 - 12 TG 808/09 - juris; VGH Mannheim, U. v. 17.04.2002 - 11 S 1823/01 - juris; OVG Münster, B. v. 13.02.2004 17 B 1227/02 - InfAuslR 2004, S. 224). Der Tatbestand eines genehmigten Familiennachzugs liegt hier aber nur in der Person der Ehefrau des Klägers vor, nicht in Bezug auf den Kläger selbst.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 161 Abs. 2 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision stützt sich auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Rechtssache hat wegen der Bestimmung des Ausweisungsschutzes den Art. 8 EMRK vermittelt, grundsätzliche Bedeutung.

Ende der Entscheidung

Zurück