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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Urteil verkündet am 24.03.2009
Aktenzeichen: 1 A 42/07
Rechtsgebiete: BauGB, OG Erschließung Bremen


Vorschriften:

BauGB § 131 Abs. 1
OG Erschließung Bremen § 9 Abs. 7
Die Regelung über die Eckgrundstücksermäßigung in einer Erschließungsbeitragssatzung darf sich am Leitbild des Anliegergrundstücks orientieren. Deshalb ist es von Rechts wegen nicht geboten, Hinterliegergrundstücke in die Vergünstigungsregelung einzubeziehen.
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Im Namen des Volkes! Urteil

OVG: 1 A 42/07

Verkündet am 24.03.2009

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch Richter Göbel, Richter Prof. Alexy und Richterin Feldhusen sowie die ehrenamtlichen Richter J. Riegert und M. Werdermann aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24.03.2009 für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen - 2. Kammer - vom 26.01.2006 wird insoweit aufgehoben, als darin der Bescheid des Bauamts Bremen-Nord vom 13.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 10.02.2003 und des Änderungsbescheids der Beklagten vom 13.06.2004 aufgehoben wurde, soweit die Kläger zu einem Erschließungsbeitrag von mehr als 1.016,63 € herangezogen worden sind. Insoweit wird die Klage abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens und 55 % der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens. Auch insoweit wird das Urteil abgeändert.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung der Straße Am Burgplatz in Bremen-Lesum.

Die Straße Am Burgplatz wurde zwischen 1998 und 2001 in zwei Bauabschnitten angelegt. Es handelt sich um eine von der Lesumbroker Landstraße abzweigende Stichstraße, die in einen Wendehammer mündet.

Den Klägern gehört eine Eigentumswohnung in der Wohnanlage Burger Heerstraße ... Das Grundstück grenzt rückseitig an die Straße Am Burgplatz. Die Anfahrt erfolgt über die Burger Heerstraße. Es ist eine dinglich gesicherte Zuwegung, die über das Nachbargrundstück verläuft, zu dieser Straße vorhanden.

Mit Bescheid des Bauamts Bremen-Nord vom 13.06.2003 wurden die Kläger entsprechend ihres Miteigentumsanteils an dem Grundstück Burger Heerstraße ..., gestützt auf das Ortsgesetz über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen der Beklagten - OG Erschließung -, zu einem Erschließungsbeitrag i. H. v. 2.332,83 € für die Herstellung der Straße Am Burgplatz herangezogen.

Mit ihrem rechtzeitig eingelegten Widerspruch machten die Kläger geltend, dass ihr Grundstück an die Burger Heerstraße angeschlossen sei. Die Straße Am Burgplatz sei nur deshalb angelegt worden, um für ein Seniorenheim eine Zufahrt zu schaffen. Sie würden diese Straße nicht nutzen.

Der Senator für Bau, Umwelt und Verkehr wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.02.2004, zugestellt am 12.02.2004, zurück.

Die Kläger haben am 15.03.2004 (Montag) Klage erhoben.

Im Laufe des Klageverfahrens minderte die Beklagte den Beitrag mit Änderungsbescheid vom 13.06.2005 aufgrund einer Neuberechnung von 2.332,83 € auf 2.235,55 €.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, die am 26.01.2006 durchgeführt wurde, erklärten die Beteiligten die Hauptsache hinsichtlich einer Erschließungsbeitragsforderung i. H. v. 1.016,63 € übereinstimmend für erledigt. Auf diesen Betrag beläuft sich der Erschließungsbeitrag, wenn man für das Grundstück der Kläger die Eckgrundstücksermäßigung in § 9 Abs. 7 OG Erschließung anwendet.

Mit Urteil vom selben Tage hat das Verwaltungsgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben, soweit in ihnen ein 1.016,63 € übersteigender Erschließungsbeitrag festgesetzt wird. In dem Urteil hat das Verwaltungsgericht den Klägern wegen der versäumten Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Zur Sache hat es ausgeführt, die Kläger könnten verlangen, dass die Eckgrundstücksermäßigung in § 9 Abs. 7 OG Erschließung angewandt werden würde. Ihr Grundstück sei mehrfach erschlossen, nämlich durch die Straße Am Burgplatz sowie durch die Burger Heerstraße. Zwar erstrecke sich § 9 Abs. 7 OG Erschließung nach seinem Wortlaut nur auf Grundstücke, die an mehrere Erschließungsanlagen "angrenzten". Die Vorschrift müsse mit Rücksicht auf den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) aber auch auf nicht unmittelbar angrenzende Hinterliegergrundstücke angewandt werden. Für eine unterschiedliche Behandlung seien keine sachlichen Differenzierungskriterien gegeben.

Die Beklagte hat gegen dies am 09.02.2006 zugestellte Urteil rechtzeitig die Zulassung der Berufung beantragt. Diesem Antrag hat das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 01.02.2007 stattgegeben, worauf die Beklagte am 15.02.2007 die Berufung begründet hat. Sie nimmt Bezug auf ihre Ausführungen im Zulassungsantrag und macht geltend, dass die Eckgrundstücksermäßigung in § 9 Abs. 7 OG Erschließung ausdrücklich verlange, dass das Grundstück an mehrere Erschließungsanlagen angrenze. Sie finde deshalb auf Hinterliegergrundstücke keine Anwendung. Das Verwaltungsgericht - 2. Kammer - habe dies mit Urteil vom 18.09.1992 - 2 A 150/91 - so entschieden, und dementsprechend sei von der Behörde über viele Jahre hinweg bei allen Beitragsveranlagungen verfahren worden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen - 2. Kammer - vom 26.01.2006 insoweit aufzuheben, als darin der Bescheid des Bauamts Bremen-Nord vom 13.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 10.02.2004 und des Änderungsbescheids der Beklagten vom 13.06.2004 aufgehoben wurde, soweit die Kläger zu einem Erschließungsbeitrag von mehr als 1.016,63 € herangezogen worden sind, und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung abzuweisen.

Sie verteidigen das Urteil des Verwaltungsgerichts.

Der Verwaltungsvorgang hat vorgelegen. Er war, soweit in dieser Entscheidung verwertet, Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Die Beklagte verlangt von den Klägern für die erstmalige Herstellung der Straße Am Burgplatz zu Recht einen Erschließungsbeitrag in Höhe von insgesamt 2.235,55 €. Soweit das Verwaltungsgericht die angefochtenen Bescheide wegen des 1.016,63 € übersteigenden Betrags aufgehoben hat, kann das erstinstanzliche Urteil keinen Bestand haben. Unter entsprechender Abänderung des Urteils ist die Klage insoweit abzuweisen.

Es ist von Rechts wegen nicht geboten, die Regelung über die Eckgrundstücksermäßigung in § 9 Abs. 7 des Ortsgesetzes über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen vom 20.12.1982 (BremGBl 1982, S. 409) in der Fassung der Änderung vom 18.06.2002 (BremGBl 2002, S. 231) - OG Erschließung - auf Hinterliegergrundstücke auszudehnen.

§ 9 Abs. 7 OG Erschließung sieht vor, dass Grundstücke, die an mehrere Erschließungsanlagen angrenzen, zu jeder dieser Anlagen in der Weise heranzuziehen sind, dass die Summe der Grundstücksflächen und der zulässigen Geschossflächen im Verhältnis der Grundstücksbreiten an den Erschließungsanlagen geteilt wird. Voraussetzung für die Eckgrundstücksermäßigung ist damit ein "Angrenzen" an mehrere Erschließungsanlagen. Ein Hinterliegergrundstück zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht an eine Erschließungsanlage angrenzt, sondern auf eine Zufahrt über ein Anliegergrundstück angewiesen ist. § 9 Abs. 7 OG Erschließung schließt damit Hinterliegergrundstücke von der Eckgrundstücksermäßigung aus.

Die Ansicht des Verwaltungsgerichts, die Regelung verstoße insoweit gegen höherrangiges Recht (Fall eines "gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses") und sei deshalb verfassungskonform dahin auszulegen, dass sie auch "mittelbar" angrenzende Grundstücke erfasse, kann nicht überzeugen. Im Einzelnen gilt folgendes:

Ob der gemeindliche Satzungsgeber den Eigentümern mehrfach erschlossener Grundstücke eine Eckgrundstücksermäßigung einräumt, steht in seinem Ermessen. Bundesrechtlich geboten ist eine solche Vergünstigung nicht. Die Eigentümer dürfen im Falle der Mehrfacherschließung also jeweils auch zu Erschließungsbeiträgen in voller Höhe herangezogen werden (BVerwG, st. Rspr., vgl. U. v. 08.10.1976 - IV C 56/74 - BVerwGE 51, 158 <159>; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl., 2007, § 18 Rn. 76).

Entscheidet sich der gemeindliche Satzungsgeber für eine Vergünstigungsregelung, ist er, darin ist dem Verwaltungsgericht zu folgen, an den Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Er darf nicht willkürlich bestimmte Grundstücke von der Vergünstigung ausnehmen. Die Regelung muss insofern maßstabsgerecht sein, d. h. die zugrunde gelegten Maßstäbe kohärent umsetzen.

Der Ausschluss von Hinterliegergrundstücken von der Eckgrundstücksermäßigung ist nicht willkürlich. Es gibt sachliche Gründe, sie von der Vergünstigung auszunehmen. Insoweit sind die Besonderheiten in den Blick zu nehmen, die für das Erschlossensein von Hinterliegergrundstücken gelten. Ob ein Hinterliegergrundstück durch eine Anbaustraße erschlossen i. S. von § 131 Abs. 1 BBauG wird, ist danach eine Frage des Einzelfalles. Die Beurteilung ist situationsbezogen. Dieser Umstand rechtfertigt es, sie von der Eckgrundstücksermäßigung auszunehmen.

Die Frage des Erschlossenseins von Hinterliegergrundstücken beurteilt sich nicht stets so eindeutig wie im vorliegenden Fall, der dadurch gekennzeichnet ist, dass zunächst allein eine Erschließung über ein Anliegergrundstück vorhanden war ("gefangenes Hinterliegergrundstück", vgl. Driehaus, a. a. O., § 17 Rn. 87 ff.). Ist umgekehrt etwa zu prüfen, ob zu der zunächst allein vorhandenen Erschließung durch eine angrenzende Anbaustraße eine weitere Erschließung über ein Anliegergrundstück tritt ("andere Hinterliegergrundstücke", vgl. Driehaus, a. a. O., § 17 Rn. 96 ff.), hängt das Erschlossensein davon ab, ob mit einer relevanten Wahrscheinlichkeit typischerweise mit einer Inanspruchnahme der weiteren Straße von dem Hinterliegergrundstück aus gerechnet werden kann. Dies ist eine Frage der konkreten Umstände des Falles; unter anderem kommt es darauf an, wie Anlieger- und Hinterliegergrundstück genutzt werden (BVerwG, U. v. 30.05.1997 - 8 C 27/96 - NVwZ RR 98, 67).

Würden Hinterliegergrundstücke in die Eckgrundstücksermäßigung einbezogen, erhielten derartige situative Gegebenheiten für die Gewährung der Vergünstigung Relevanz. Es kann rechtlich nicht beanstandet werden, wenn der Satzungsgeber eine Regelung über die Vergünstigung bei Mehrfacherschließung getroffen hat, die auf die Prüfung solcher einzelfallbezogener Umstände verzichtet, d. h. die nur im Falle des Angrenzens an Erschließungsanlagen die Vergünstigung gewährt.

Bei § 9 Abs. 7 OG Erschließung handelt es sich insofern um eine vom Grundsatz der Typengerechtigkeit gedeckte Regelung, für die Gründe der Verwaltungspraktikabilität sprechen. Der Satzungsgeber durfte sich bei der Typisierung am Leitbild des Anliegergrundstückes orientieren, bei dem, anders als bei Hinterliegergrundstücken, der Tatbestand des Angrenzens an verschiedene Erschließungsanlagen grundsätzlich bereits das Erschlossensein durch diese Anlagen indiziert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. In Bezug auf die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens hat das Oberverwaltungsgericht berücksichtigt, dass das Verwaltungsgericht die Kosten insoweit wegen des erledigten Verfahrensteils durch unanfechtbaren Beschluss der Beklagten auferlegt hat.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) sind nicht gegeben.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.218,92 € festgesetzt (§ 52 Abs. 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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