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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Urteil verkündet am 25.10.2002
Aktenzeichen: 1 A 88/02
Rechtsgebiete: BauGB, BremLBO, BremVwVfG


Vorschriften:

BauGB § 34 Abs. 1
BremLBO § 69
BremVwVfG § 44
1. Zum Einfluss einer vom Bauherrn vorgelegten unrichtigen erläuternden Skizze auf die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit eines Vorbescheids.

2. Zur Bestimmung der für die Rahmenbildung maßgeblichen näheren Umgebung im Sinne des § 4 Abs. 1 BauGB.

3. Zur Verletzung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Gebots der Rücksichtnahme durch die Beeinträchtigung der freien Sicht.

4. Zu den Voraussetzungen, unter denen das in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme durch die von einem Bauvorhaben ausgehende "erdrückende Wirkung" verletzt sein kann.


Im Namen des Volkes! Urteil

OVG: 1 A 88/02

Verkündet am 25.10.2002

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy, die ehrenamtliche Richterin C. Göbe und den ehrenamtlichen Richter W. Schröter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25.10.2002 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen - 1. Kammer - vom 08.08.2001 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. und 3.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte bzw. die Beigeladenen zu 2. und 3. Sicherheit in dieser Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Vorbescheid und Baugenehmigungen, mit denen den Beigeladenen die Aufstockung ihrer Reihenhäuser um ein Dachgeschoss gestattet worden ist.

Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einem zweigeschossigen Einfamilienhaus bebauten Grundstücks ... in Bremen-... Das Haus liegt am ... in Höhe des ... Unterhalb des Hauses befindet sich an Fusse des Hangs an der Straße ... eine Zeile von drei Reihenhäusern (...), darunter das Haus des Beigeladen zu 1) und das gemeinsame Haus der Beigeladenen zu 2) und 3). Nach der 1952 erteilten Baugenehmigung bestanden die Reihenhäuser bislang jeweils aus einem "Erdgeschoss" und einem "Obergeschoss" mit einem Flachdach. Einen Bebauungsplan gibt es weder für das Grundstück der Klägerin noch für die Grundstücke der Beigeladenen.

Im Jahre 1998 stellte ein Architekturbüro eine Voranfrage für die Errichtung eines Dachgeschosses auf die vorhandenen Reihenhäuser ... Die Abteilung Stadtplanung des Bauamts ... hielt das Vorhaben zunächst für nicht genehmigungsfähig, weil es sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge: Im Bereich des ... sei die Straße ... mit diversen zweigeschossigen Pultdachhäusern bebaut. Der übrige für die Beurteilung maßgebliche Bereich sei eingeschossig. Die an der Hangkante, rückwärtig der ...-Straße gelegene, zweigeschossige Bebauung mit ausgebauten Satteldächern sei auf den Bereich des Vorhabens nicht übertragbar. Bei einer Genehmigung des Antrags würde die das Ortsbild prägende Hangsituation teilweise verdeckt und präjudizierend weitere Dachausbauten ermöglichen. Auch unter Berücksichtigung nachbarlicher Interessen sei eine Überschreitung vorhandener Trauf- und Firsthöhen nur im Rahmen eines Bebauungsplanverfahrens regelbar. Nachdem dem Architekten diese Einschätzung mitgeteilt worden war, überreichte er eine Skizze, nach der sich der First der aufgestockten Häuser etwa in Höhe der Hangoberkante befand: Aus der Skizze ergebe sich, dass die vorhandene Kante des natürlichen Geländehanges durch die geplante Baumaßnahme nicht verdeckt werde; selbst eine Sichtbehinderung für die Häuser auf dem Hang zur Lesum bzw. Weser sei völlig ausgeschlossen. Daraufhin vermerkte die Abteilung Bauordnung des Bauamtes ... in der Akte, dass das Vorhaben zulässig sei. Unter dem Datum vom 23.07.1998 erteilte das Bauamt ... einen Vorbescheid für die "Umgestaltung von 3 Reihenhäusern durch Errichtung eines einhüftigen Satteldachs". Eine Beteiligung oder Unterrichtung der Klägerin erfolgte nicht.

Auf entsprechende Anträge der Beigeladenen erteilte das Bauamt ... diesen dann am 07.01.1999 Baugenehmigungen für die Aufstockung ihrer Reihenhäuser. Die Klägerin, die auch in diesen Genehmigungsverfahren nicht beteiligt worden war, legte am 16.07.1999 Widerpruch gegen die Baugenehmigungen ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.2000 wies der Senator für Bau und Umwelt den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Reihenhäuser der Beigeladenen fügten sich auch mit dem genehmigten Dachaufbau noch in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Für die Beurteilung des nachbarlichen Widerspruchs sei unerheblich, ob durch die Aufstockung ein neues Geschoss entstanden sei oder nicht, denn die Einhaltung der nach § 34 BauGB zu beurteilenden Geschossigkeit sei nicht nachbarschützend. Die Besonderheit der Hangsituation sei berücksichtigt worden; durch den Dachaufbau sei die Aussicht der hinterliegenden Grundstücke zwar etwas eingeschränkt, der Weitblick über die Lesum bleibe jedoch erhalten. Eine unzumutbare Beeinträchtigung der Klägerin könne nicht festgestellt werden. Die schöne Aussicht genieße keinen rechtlichen Schutz.

Am 27.04.2000 hat die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen die ergangenen Bescheide erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen: Die Aufstockung füge sich nicht in die nähere Eigenart der Umgebung ein. Alle Gebäude an der Straße ... seien entweder zweigeschossige Flachdachbauten oder eingeschossige Satteldachgebäude. Keines der Häuser in der näheren Umgebung rage mit der Firsthöhe in die Hangbebauung hinein und verdecke die das Ortsbild prägende Hangsituation. Die zur Ergänzung der Voranfrage übergebene Querschnittszeichnung, nach der die Firsthöhe die Geländekante des Hanggrundstücks nicht übersteige, entspreche nicht den örtlichen Gegebenheiten. Tatsächlich überschreite die Firsthöhe die Grundstückskante um etwa 1,50 bis 2,00 m. Die Reihenhäuser seien nach der Aufstockung nicht mehr eingeschossig; das Erdgeschoss sei als Vollgeschoss zu werten.

Die Beklagte hat ihren Widerspruchsbescheid dahingehend klargestellt bzw. ergänzt, dass mit ihm auch der Widerspruch der Klägerin gegen den erteilten Vorbescheid als zurückgewiesen gelte. Auch wenn die Reihenhäuser der Beigeladenen früher als zweigeschossig angesehen und genehmigt worden seien, müsse das Erdgeschoss nach heutigem Recht als Kellergeschoss gewertet werden, weil es offenbar im Mittel nicht mehr als 2 m oberhalb der Geländeoberfläche liege. Für das Maß der baulichen Nutzung, hinsichtlich dessen sich das Vorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen müsse, komme es aber allein auf die Geschossfläche und das Bauvolumen, nicht auf die Geschosszahl an. Die Eigenart der näheren Umgebung werde nicht nur durch die Häuser in der Straße ..., sondern auch durch die oberhalb des Hanges auf den rückwärtigen Grundstücken der ...-Straße gelegenen Häuser geprägt, die über ausgebaute Dachgeschosse verfügten. Von unzumutbaren Beeinträchtigungen könne auch dann nicht einmal ansatzweise die Rede sein, wenn der First der Dachgeschosse tatsächlich die Hangkante um 1,50 bis 2,00 m überrage. Beeinträchtigt werde einzig und allein der freie Blick auf die Lesum, der aber rechtlich nicht geschützt sei.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 08.08.2001 abgewiesen. Zur Begründung wird in dem Urteil ausgeführt: Es könne offen bleiben, ob sich die Vorhaben noch innerhalb des aus ihrer Umgebung hervorgehenden Rahmens hielten und ob sie im Falle einer Rahmenüberschreitung geeignet seien, bodenrechtlich relevante Spannungen zu begründen. Das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht verletzt, weil die Klägerin durch das Vorhaben nicht unzumutbar beeinträchtigt werde. Das lasse sich auch ohne Ortsbesichtigung aufgrund der vorgelegten Fotos feststellen. Daraus ergebe sich zwar, dass die Hangkante entgegen der eingereichten Skizze von den Dachfirsten überragt werde. Von dem Vorhaben gehe aber keine optisch erdrückende Wirkung aus. Die schöne Aussicht sei rechtlich ebenso wenig geschützt wie die Wertminderung des klägerischen Grundstücks.

Mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen und fristgerecht begründeten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung trägt sie vor: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts werde das Grundstück der Klägerin durch die genehmigten Baumaßnahmen in unzumutbarer Weise optisch eingeengt. Es sei nicht nur die Aussicht auf die Lesum entfallen; von den Dachaufbauten gehe auch eine optisch erdrückende Wirkung aus. Das Grundstück werde von ihnen zur bislang offenen Lesumseite wie von einer Mauer umgeben. Das Vorhaben der Beigeladenen entspreche nicht § 34 BauGB. Das Ortsbild werde durch die Hangsituation geprägt. Die Straße ... sei nahezu durchgängig mit Häusern bebaut, die über ein Pult- oder Flachdach verfügten und in ihrer Firsthöhe nicht in die Hangbebauung hineinragten. Die angefochtene Genehmigung sei durch eine vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässige Querschnittszeichnung herbeigeführt worden, nach der die Firsthöhe des Bauvorhabens die Geländekante des Hanggrundstückes nicht übersteige. Die genehmigte Geschosszahl sei nicht eingehalten worden. Das Vorhaben bestehe aus zwei Vollgeschossen und einem Dachgeschoss. Das zweite Vollgeschoss wirke sich auf die Gebäudehöhe aus; es führe dazu, dass die Hangkante um bis zu 2 m überragt werde. Es müsse davon ausgegegangen werden, dass die erforderlichen Abstandsflächen nicht eingehalten seien. Die Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks bewirke eine Wertminderung von mindestens 100.000,00 DM.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Baugenehmigungen zugunsten der Beigeladenen B 0 942 98 und B 0 941 98 vom 07.01.1999 sowie den Vorbescheid B 0 121 98 vom 23.07.1998 und den Widerspruchsbescheid vom 30.03.2000 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor: Das Bauvorhaben füge sich in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Das Bild der Umgebung werde nicht nur durch die direkte Nachbarschaft rechts und links der Häuser in der Straße ..., sondern auch durch die oberhalb am Hang liegenden Häuser geprägt; dort seien bereits ausgebaute Dachgeschosse vorhanden. Die Hangbebauung werde nicht dadurch bestimmt, dass alle Häuser in ganzer Größe unverdeckt blieben. Der Streit über die tatsächliche Geschosszahl sei müßig, weil Regelungen über die Geschosszahl nicht nachbarschützend seien. Es könne deshalb offen bleiben, ob die Genehmigungen auf Grund falscher Pläne erteilt worden seien. Die Abstandsflächen würden eingehalten; sie seien im übrigen nur zum Teil nachbarschützend. Selbst wenn sich die Vorhaben der Beigeladenen nicht einfügten, folge daraus noch keine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme. Es gebe grundsätzlich keinen Rechtsanspruch auf die Erhaltung der bisherigen Aussicht. Wegen der Größe des Grundstücks sei auch eine erdrückende Wirkung der Vorhaben der Beigeladenen nicht zu erkennen; es sei noch reichlich Platz vor dem Fenster des Hauses vorhanden. Eine Wertminderung könne für sich genommen keine Rücksichtslosigkeit begründen.

Die Beigeladenen zu 2. und 3. beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tragen vor, dass sie, um das Haus familiengerecht zu Wohnzwecken nutzen zu können, auf eine Erweiterung des Hauses angewiesen seien.

Das Oberverwaltungsgericht hat das Grundstück der Klägerin und seine Umgebung in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift (Bl. 184f. der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht in ihren Rechten verletzt.

I.

Gegenstand des Verfahrens ist die Anfechtung des Vorbescheids und der erteilten Baugenehmigungen. Der Vortrag der Klägerin, die Beigeladenen hätten abweichend von der Baugenehmigung gebaut, weil sie die genehmigte Geschosszahl nicht eingehalten hätten, ist deshalb unerheblich.

Ohne rechtliche Relevanz ist auch die Frage, ob die zur Ergänzung der Voranfrage eingereichte Skizze das Verhältnis der Vorhaben zu den örtlichen Gegebenheiten zutreffend wiedergibt. Die Wirksamkeit der angefochtenen Verwaltungsakte wird entgegen der Auffassung der Klägerin durch eine fehlerhafte Skizze nicht berührt. Voraussetzung dafür wäre, dass die Verwaltungsakte an einem besonders schweren Fehler litten und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich wäre (§ 44 Abs. 1 BremVwVfG). Davon kann hier aber keine Rede sein. Die Skizze ist nicht zum Inhalt des Vorbescheids oder der Baugenehmigungen geworden. Die Genehmigungen sind daher nicht aus tatsächlichen Gründen unausführbar im Sinne von § 44 Abs. 2 Nr. 4 BremVwVfG. Soweit die Beziehung der Vorhaben zu den örtlichen Gegebenheiten für die Genehmigungsfähigkeit der Vorhaben von Bedeutung ist, kommt es nicht auf die Skizze, sondern allein auf die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort an. Eine fehlerhafte Skizze wirkt sich deshalb auch nicht auf die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide aus.

Ohne Bedeutung ist schließlich auch, ob die Unrichtigkeit der Skizze auf grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz des Architekten der Beigeladenen beruhte. Die Frage, ob Rechte der Klägerin durch die Genehmigungen verletzt werden, entscheidet sich allein nach den Einwirkungen des genehmigten Bauwerks auf ihr Grundstück und nicht nach dem Verhalten der Bauherrn oder ihres Architekten gegenüber der Baugenehmigungsbehörde (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.03.1981 - 4 C 1.78 - DVBl 1981,928 <930>).

II.

Die bauordnungsrechtlichen Vorschriften über die Abstandsflächen werden entgegen der Auffassung der Klägerin jedenfalls insoweit eingehalten, als sie nachbarschützend sind.

Maßgebend für die erforderliche Tiefe der Abstandsfläche ist nicht, wie die Klägerin meint, die Geschosszahl, sondern die Wandhöhe (§ 6 Abs. 4 Satz 1 BremLBO). Als Wandhöhe gilt das Maß von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wandaußenseite mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluß der Wand (§ 6 Abs. 4 Satz 2 BremLBO). Nach den genehmigten Bauzeichnungen /6/ ergibt sich für die Rückwände nach diesen Kriterien eine Höhe von jeweils 5,80 m. Die Tiefe der Abstandfläche beträgt nach § 6 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 BremLBO 0,6 v.H. der Wandhöhe. Daraus folgt hier eine erforderliche Abstandsfläche von 3,48 m. Nach dem Auszug aus der Flurkarte beträgt der Abstand der Häuser der Beigeladenen zum Grundstück der Klägerin tatsächlich ca. 3 m. Die erforderliche Abstandsfläche wird danach etwas weniger als einen halben Meter unterschritten.

Dadurch werden Rechte der Klägerin aber nicht verletzt. Nachbarschützende Wirkung kommt nach § 6 Abs. 5 Satz 5 BremLBO nämlich nur der halben Tiefe der Abstandsfläche nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BremLBO, mindestens jedoch einer Tiefe von 2,50 m zu. Diese Tiefe wird hier gewahrt.

III.

Die Vorhaben der Beigeladenen widersprechen nicht dem Bauplanungsrecht.

Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Vorhaben der Beigeladenen richtet sich nach § 34 Abs. 1 BauGB. Die Grundstücke der Beigeladenen liegen - wie das der Klägerin - innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils, für den Festsetzungen eines Bebauungsplans fehlen. Die Vorhaben müssen sich deshalb nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen. Da hier die Aufstockung bereits vorhandener Gebäude genehmigt worden ist, kommt es lediglich auf das Maß der baulichen Nutzung an, das sich, soweit es hier von Interesse ist, durch die Zahl der Vollgeschosse und die Höhe der baulichen Anlagen bestimmen lässt.

1.

Die Vorhaben der Beigeladenen halten sich innerhalb des Rahmens, der durch die Bebauung ihrer Umgebung gebildet wird.

a)

Maßgebend für die Ermittlung dieses Rahmens ist die nähere Umgebung zum einen insoweit, als sich die Ausführung der Vorhaben auf sie auswirken kann, und zweitens insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter der Baugrundstücke prägt oder doch beeinflusst (BVerwG, Urt. v. 26.5.1978 - 4 C 9.77 - BVerwGE 55, 369 <380>; OVG Bremen, Urt. v.15.08.1989 - 1 BA 4/89 - UPR 1990,112 <113>). Zur näheren Umgebung in diesem Sinne gehören hier nicht nur, wie die Klägerin meint, die Häuser an der Straße ..., sondern auch die Baugrundstücke in der ...-Straße.

Nach dem Ergebnis der Ortsbesichtigung ist nämlich von einer wechselseitigen Prägung der Grundstücke der Klägerin und der Beigeladenen auszugehen. Zwar begründet der Steilhang hier nicht nur ein unterschiedliches Höhenniveau der Bauflächen, sondern auch ein nicht überwindbares Geländehindernis zwischen den Grundstücken. Dies kann, muss aber nicht dazu führen, dass die Grundstücke unterschiedlichen Gebietszusammenhängen zugeordnet werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.08.1998 - 4 B 79.98 - NVwZ-RR 1999,105 <106>). Die trennende Funktion des Hanges wird hier vor allem dadurch relativiert, dass die Häuserzeile an seinem Fuß nicht die Dimension eines eigenständigen Baugebiets erreicht, weil sie auf der anderen Seite an die Lesum und den Sporthafen angrenzt. Die breite Wasserfläche dominiert den topographischen Gesamteindruck in ungleich stärkerer Weise als der Hang. Sie bewirkt, dass die schmale Bebauung an dessen Fuß nicht in Beziehung zu einem anderen Baugebiet treten, sondern nur der dahinter liegenden Bebauung zugeordnet werden kann. Auch die räumliche Nähe der Bebauung auf den Grundstücken unterhalb und oberhalb des Hangs trägt dazu bei, dass die trennende Wirkung, die von dem Hang ausgeht, von untergeordneter Bedeutung bleibt und die wechselseitige Beeinflussung der Grundstücke nicht aufhebt.

b)

Der Rahmen, der aus dieser Umgebung für das Maß der baulichen Nutzung abzuleiten ist, wird von den Vorhaben der Beigeladenen eingehalten. Die Ortsbesichtigung hat ergeben, dass die Vorhaben der Beigeladenen jedenfalls ihrem optischen Eindruck nach nicht oder zumindest nicht wesentlich höher als die Häuser sind, die auf dem Hang in der zweiten Reihe der ...-Straße gelegen sind. Auch hinsichtlich der Geschosszahl ist keine Überschreitung des Rahmens zu verzeichnen. Die Häuser am Hang sind zweigeschossig, zum Teil ist auch das Dachgeschoss in nach außen deutlich wahrnehmbarer Weise zu Wohnzwecken ausgebaut.

2.

Vorhaben, die sich innerhalb des aus der Umgebung hervorgehenden Rahmens halten, fügen sich regelmäßig in deren Eigenart ein. Etwas anderes gilt ausnahmsweise (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 04.07.1980 - 4 C 101.77 - NJW 1981,139; OVG Bremen, Urt. v .20.02.2001 - 1 A 413/99 - NordÖR 2001,396 <387> m.w.Nwn.) dann, wenn sie es an der gebotenen Rücksichtnahme auf die sonstige, insbesondere auf die in der unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung fehlen lassen. Dem Gebot der Rücksichtnahme kommt eine dem § 15 Abs. 1 BauNVO vergleichbare Korrekturfunktion für die Fälle zu, in denen das schematische Abstellen auf den vorgefundenen Rahmen Besonderheiten insbesondere in der unmittelbaren oder näheren Nachbarschaft des Vorhabens nicht hinreichend Rechnung tragen und dort zu nicht hinnehmbaren Beeinträchtigungen führen würde (vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Rn 48 zu § 34). Die Pflicht zur Rücksichtnahme setzt deshalb in der Regel eine gesteigerte Schutzwürdigkeit der nachteilig betroffenen Umgebung voraus (BVerwGE 55, 369 <385>). Sie gilt nicht nur im Verhältnis des Bauherrn zum Nachbarn, sondern ist eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme. Einerseits kann umso mehr Rücksicht verlangt werden, je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des betroffenen Nachbarn ist; andererseits braucht der Bauherr umso weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die mit seinem Vorhaben verfolgten Interessen sind. Erforderlich ist deshalb eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Bauherrn und andererseits dem betroffenen Nachbarn im Einzelfall zuzumuten ist (BVerwG, Urt. v .25.02.1977 - 4 C 22.75 - BVerwGE 52,122 <126>).

Voraussetzung für eine solche Abwägung ist aber, dass der Nachbar überhaupt eine abwägungserhebliche Position gegenüber dem Vorhaben besitzt, denn Rücksicht nehmen muss der Bauherr nur auf solche Positionen des Nachbarn, die wehrfähig sind, weil sie nach der gesetzgeberischen Wertung, die im materiellen Recht ihren Niederschlag gefunden hat, schützenswert sind (BVerwG, Urt. v. 28.10.1993 - 4 C 5.93 - NVwZ 1994,686 <687>; OVG Bremen, Beschl. v. 18.10.2002 - 1 B 315/02 -). Daran fehlt es hier.

a)

Das Interesse der Klägerin an der Aufrechterhaltung der bisherigen Aussicht auf die Lesumniederung stellt keine solche rechtlich geschützte Position dar. Die ungehinderte Aussicht auf die Lesum war ein bloßer faktischer Lagevorteil. Auf seine Aufrechterhaltung für die Zukunft konnte die Klägerin zwar hoffen, darauf vertrauen, dass er erhalten bleiben würde, konnte sie aber nicht. Der Fortbestand einer bestehenden ungehinderten Aussicht über die Nachbargrundstücke hinweg ist - wenn sich nicht ausnahmsweise aus den Festsetzungen eines Bebauungsplans etwas anderes ergibt - lediglich eine Chance, die keinen bauplanungsrechtlichen Schutz genießt. (BVerwG NVwZ 1994,686 <688>; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 12.09.1991 - BRS 52 Nr. 187; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 31.05.1994 - 3 M 11/94 - NVwZ 1995,400 <401> m.w.Nwn; OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 04.09.1997 - 1 L 139/96 - BRS 59 Nr. 174; Söfker, a.a.O., Rn 42 zu § 34). Rechtliche Vorschriften, aus denen sich ein Anspruch der Klägerin auf die Aufrechterhaltung des Lagevorteils ableiten lassen könnte, gibt es hier nicht. Die Beigeladenen sind deshalb nicht gehalten, bei der Bebauung ihrer Grundstücke auf den Wunsch der Klägerin nach Beibehaltung der unverbauten Aussicht Rücksicht zu nehmen.

Das gilt hier umsomehr, als die Sicht vom Grundstück der Klägerin auf die Lesum nicht völlig beseitigt, sondern nur teilweise eingeschränkt wird. Dass der Blick aus dem ersten Stock des klägerischen Hauses auf die Lesum behindert würde, trägt die Klägerin selbst nicht vor. Lediglich der Blick vom Erdgeschoss und der vorgelagerten Terrasse sowie von der über dem Steilhang unmittelbar an der Grundstücksgrenze errichteten hölzernen Plattform wird beeinträchtigt. Auch dort verstellen ihn die Dächer der Beigeladenen aber nicht in voller Breite, sondern nur zu einem Teil. Rechts von den Häusern der Beigeladenen ist der Blick in die Weite ungehindert möglich; soweit dort im Vordergrund nicht die Wasserflächen der Lesum, sondern die Dächer der Bootshallen am ... zu sehen sind, hat dies nichts mit dem Vorhaben der Beigeladenen zu tun. Links von den Häusern der Beigeladenen erfasst der Blick sowohl die Lesum als auch die dahinter liegende Niederung. Der Blickausschnitt ist zwar begrenzt; dies hat seine Ursache aber in einem dichtgewachsenen Baum auf dem Grundstück der Klägerin.

b)

Auf eine im Grundsatz rechtlich schutzwürdige Position kann sich die Klägerin demgegenüber berufen, wenn sie sich gegen eine "erdrückende Wirkung" der Vorhaben der Beigeladenen wendet. Die erdrückende Wirkung eines Bauvorhabens auf die Wohnbebauung in der Nachbarschaft ist nämlich geeignet, die bestimmungsgemäße Nutzung der Nachbargrundstücke zu beeinträchtigen. Sie kann deshalb eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme begründen (BVerwG, Urt. v. 13.03.1981 - 4 C 1.78 - DVBl 1981,928 <929>; Urt. v. 23.05.1986 - 4 C 34.85 - DVBl 1986,1271 <1272>).

Von einer erdrückenden Wirkung kann hier aber keine Rede sein. Sie ist gegeben, wenn durch das neue Vorhaben eine Abriegelungswirkung (Niedersächsisches OVG, Urt. v. 29.09.1988 - 1 A 75/87 - BRS 48 Nr. 164) oder das Gefühl des "Eingemauertseins" (OVG Nordrhein-Westfalen, Urt.v.14.01.1994 - 7 A 2002/92 - BRS NVwZ-RR 1995,187 <188>) oder gar eine "Gefängnishof-Situation" (Niedersächsiches OVG, Urt.v.11.04.1997 - 1 L 7286/95 - BRS 59 Nr. 164) entsteht. Derartige Auswirkungen der Vorhaben der Beigeladenen auf das klägerische Grundstück lassen sich hier aber nicht einmal in Ansätzen feststellen. Die Klägerin hat nach wie vor die Möglichkeit, Terrasse und Garten mit Blick ins Grüne und auch - wenn auch nicht mehr in voller Breite - in die weite Landschaft zu nutzen. Zwar geraten dabei auch die Dächer der Beigeladenen ins Blickfeld, eine Wirkung, die den Eindruck des Eingeengtseins vermitteln könnte, geht bei objektiver Betrachtungsweise aber davon nicht aus. Dies gilt selbst für die über dem Hang errichtete Plattform, deren Schutzbedürfnis gegenüber einer erdrückenden Wirkung im übrigen dadurch zumindest relativiert wird, dass sie sich unmittelbar an der Grenze zu den Grundstücken der Beigeladenen befindet.

c)

Die Wertminderung des Grundstücks, die die Klägerin als Folge der den Beigeladenen erteilten Baugenehmigungen befürchtet, bildet für sich genommen keinen Maßstab dafür, ob Beeinträchtigungen im Sinne des Rücksichtnahmegebots zumutbar sind oder nicht. Sie kann als Folge einer dem Betroffenen unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks im Rahmen der Interessenabwägung von Bedeutung sein, sie vermag aber selbst nicht eine solche unzumutbare Beeinträchtigung zu begründen (stRspr; vgl. z.B. BVerwG, Beschl. v. 24.04.1992 - 4 B 60.92 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 109; Beschl. v. 06.12.1996 - 4 B 215/96 - NVwZ-RR 1997,516 <517>).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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